Der Spiegel - 17. August 2019

(Ron) #1

dienstmitarbeitern sei das naturgemäß
schwieriger nachzuweisen, »aber selbst un-
ter den Protestierenden fragen sich manche,
ob die Bewegung durch Agents Provoca-
teurs radikalisiert wurde«. Das allein erklä-
re die zunehmende Gewalt der vergange-
nen Wochen nicht. Die Aktivisten hätten
auch selbst die Grenzen der »marginalen
Gewalt« überschritten. Aber die Aktionen
Pekings spielten eine wichtige Rolle:
»Grundsätzlich sind die Protestierenden für
ihre Aktionen selbst verantwortlich, aber
die Agenten verschärfen die Lage.«
Es scheint derzeit fraglich, ob eine über
digitale Netzwerke gesteuerte Protestbewe-
gung Chinas straff organisierten Sicherheits-
diensten gewachsen ist. Chinas Kommunis-
tische Partei, die selbst als konspi rative Be-
wegung begann, hat eine lange Tradition
der Unterwanderung gegnerischer Organi-
sationen – und inzwischen zweifellos auch
sehr hohe digitale Kompetenz.
Der Einfluss von Pekings Diensten er-
streckt sich in Hongkong ersichtlich auch
auf kriminelle Netzwerke. Dreimal kam
es in den vergangenen Wochen zu Über-
griffen auf Demonstranten, aber auch auf
völlig Unbeteiligte. Sie werden den soge-
nannten Triaden zugeschrieben, einer Art
Mafia. Die Schlägereien in den Stadtteilen


Yuen Long, North Point und Tsuen Wan,
gegen die die Polizei teils verdächtig lange
überhaupt nicht einschritt, endeten zum
Teil mit schweren Verletzungen.
Der Chinakenner Willy Lam will den
Beteiligten keine Ratschläge erteilen, aber
die tagelange Besetzung des Flughafens,
sagt er, habe er für keine gute Idee gehal-
ten. Regierungschefin Carrie Lam, findet
er, könnte auf der anderen Seite die Situa-
tion selbst zu diesem Zeitpunkt noch deut-
lich entspannen – wenn sie die von der
Protestbewegung geforderte Untersu-
chung der Polizeigewalt zulasse.
Davon aber werde Chinas Präsident Xi
Jinping nur schwer zu überzeugen sein,
denn Xi halte die Vorgänge in Hongkong
für eine sogenannte Farbrevolution. So
nennt Peking die Aufstände in Osteuropa
und im Nahen Osten, hinter denen das chi-
nesische Regime den Einfluss »westlicher
Kräfte« wähnt, also der USA. »Das Pro-
blem ist«, sagt Willy Lam, »dass Chinas
Führung womöglich an ihre eigene Ver-
schwörungstheorie glaubt.«
Am Mittwoch überraschte US-Präsident
Donald Trump seinen chinesischen Amts-
kollegen mit einem originellen Tweet. Er
lobte Xi Jinping als »großartigen Führer«
und schrieb: »Ich habe NULL Zweifel da-

ran, dass Präsident Xi das Hongkong-Pro-
blem schnell und human lösen kann, wenn
er das will. Persönliches Treffen?« Später
fügte er hinzu, Xi solle doch die Demons-
tranten treffen.
Trump scheint der Lage in Hongkong
mit demselben Unernst zu begegnen, den
er im Umgang mit Nordkoreas Diktator
Kim Jong Un an den Tag legt. Er selbst
hat sich anders als seine Vorgänger bislang
kaum für die Menschenrechtslage und »hu-
mane Lösungen« in China interessiert.
Darin zeigt sich auch ein Missverständ-
nis: Für Trump ist die Lage in Hongkong
Anlass, eine aktuelle Krise kurzfristig mit
einem anderen Chinaproblem zu verknüp-
fen – dem Handelskrieg zwischen den bei-
den größten Volkswirtschaften der Welt.
Darauf spielte er in einem Tweet an Chinas
Präsidenten ebenfalls an. Es ist das einzige
Thema, das ihn in dem Zusammenhang
wirklich zu interessieren scheint.
Für Xi ist Hongkong dagegen der Schau-
platz für die Verwirklichung eines langfris-
tigen Plans: der endgültigen Unterwerfung
einer heute noch widerspenstigen Stadt.
Und für die Menschen dieser Stadt ist
Hongkong die Heimat, um deren Identität
und Zukunft sie fürchten.

DER SPIEGEL Nr. 34 / 17. 8. 2019 71

ANTHONY WALLACE / AFP
Demonstrantin mit Augenverletzung nach Polizeieinsatz: »Solche Bilder machen vielen Menschen Angst«
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