Der Spiegel - 17. August 2019

(Ron) #1

8 DER SPIEGEL Nr. 34 / 17. 8. 2019


Meinung


Bundeswehrsoldaten sollen
kostenlos mit der Bahn
fahren dürfen. Das fordert
Verteidigungsministerin
Annegret Kramp-Karren-
bauer, so will es Kanzlerin
Angela Merkel. Aus »Dankbar-
keit«, wie der Regierungssprecher
erklärte. Für die drei Panzergrenadiere,
mit denen ich kürzlich einen Tisch im
Großraumwagen teilte, ist das gewiss
eine erfreuliche Nachricht: bleibt mehr
Geld für Dosenbier. Prost, AKK, wir
danken dir für diese Runde hier.
Wer die politische Diskussion verfolgt,
könnte glauben, Deutschland verfüge
über ein leistungsfähiges Schienentrans-
portunternehmen. Diese Superbahn,
zu Ehren von Jim Knopf und Lukas dem
Lokomotivführer möchte ich sie Lum-
merland-Express nennen, soll nicht nur
die Bundeswehr aufnehmen, sondern
wird laut Grünenchef Robert Habeck
sämtliche innerdeutschen Flugverbindun -
gen ersetzen. Das wären nach heutigem
Stand etwa 23 Millionen zusätzliche Pas-
sagiere im Jahr. Der Lummerland-Ex -
press verfügt scheint’s über ausreichend
Personal, intakte Züge und über Schie-
nen, die im Sommer nicht verbiegen.
Den Bürgern ist der Lummerland-
Express allerdings unbekannt. Sie

kennen bloß die Deutsche Bahn AG
mit ihren überfüllten Zügen ohne Bord-
restaurant in geänderter Wagenreihung
mit Störung im Betriebsablauf. Bei den
IC- und ICE-Zügen ist die Pünktlich-
keit im ersten Halbjahr 2019 nochmals
zurückgegangen. Mehrere Tausend
Züge fuhren gar nicht erst los.
Oft hört man, der einst geplante
Börsengang der Bahn AG sei für
die Misere verantwortlich. Um eine
schöne Bilanz zu haben, habe der
damalige Bahn-Chef auf Investitionen
verzichtet. Allerdings ist es einige
Jahre her, dass der Börsengang abge-
sagt wurde. Die Misere der Bahn ist
eher größer geworden.
Ich glaube, dass es in Wahrheit die
Politiker sind, die die Probleme verur-
sachen. Wie soll ein Bahn-Chef wirt-
schaften, wenn sich die Verteidigungs-
ministerin wie König Alfons der Vier-
tel-vor-Zwölfte aufführt und die Bahn
für Dankbarkeitsgesten gegenüber der
Bundeswehr missbraucht? Und solan-
ge die Politik das Schienennetz nicht
für mehr Wettbewerb freigibt, wird es
keinen Lummerland-Express als Alter-
native zur Staatsbahn geben.

An dieser Stelle schreibenAlexander Neubacher
und Markus Feldenkirchen im Wechsel.

Alexander NeubacherDie Gegendarstellung

Im Lummerland-Express


So gesehen

Helm ab


Kopfschutz erhöht
das Risiko.

Wie man es auch macht, ist es
falsch: Wer sich ohne Fahrradhelm
in den Straßenverkehr begibt, ris-
kiert bei einem Sturz schwerste
Kopfverletzungen. Wer jedoch den
Helm aufsetzt, lädt Autofahrer zu
rücksichtslosem Verhalten ein: Der
ist gepanzert, dem kann nichts pas-
sieren, denken die, und überholen
dann extra knapp. Auch die Radler
fahren behelmt gern riskanter als
ohne. So entstehen gefährliche Situa-
tionen, die es ohne Helm nie gege-
ben hätte.
Forscher der Universität Jena
haben nun herausgefunden, dass der
Helm auch in Situationen wirkt, für

die man eigentlich keinen Kopf-
schutz braucht. 40 Probanden wur-
den am Computer vor ein Karten-
glücksspiel gesetzt, die Hälfte von
ihnen bekam einen Helm aufgesetzt,
mit dem angeblich die Augenbewe-
gungen gemessen wurden. Tatsäch-
lich ging es bei allen um die Risiko-
freudigkeit. Das Ergebnis: Die kogni-
tive Kontrolle der Helmträger war
geringer ausgeprägt, sie spielten
leichtfertiger.
Die Entdeckung des Phänomens
der Helmpflichtvergessenheit könnte
viele Menschheitsfragen beantwor-
ten: Würden etwa Staatenlenker be -
dächtiger entscheiden, wenn sie
nicht so gut bewacht wären? Wären
militärische Auseinandersetzungen
vermeidbar, wenn auf Rüstung insge-
samt verzichtet würde? Untermauert
die Studie letztlich Jesu Forderung,
man solle auch die andere Wange
hinhalten? Es gibt noch viel zu tun
in Jena.
Ein praktischer Rat lässt sich aber
schon heute ableiten: Sie gelten beim
anderen Geschlecht als Langweiler,
würden aber gern etwas draufgänge-
rischer wirken? Helm auf zum nächs-
ten Date. Stefan Kuzmany
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