Die Zeit - 29.08.2019

(Amelia) #1
DOSSIER

Was ist von 1989
geblieben? Vier
ostdeutsche Historiker
im Streitgespräch

S e it e 14 /

Susanne Dagen, 47, vor ihrer Buchhandlung in Dresden-Loschwitz, die sie Mitte der Neunzigerjahre mit ihrem Mann aufbaute

Foto: Sven Döring/Agentur Focus; kl. Foto: Studio Reischel für DZ (o.)

»Man hat


mich


politisch


gemacht«


Susanne Dagen galt als beste Buchhändlerin Dresdens. Bei
ihr lasen die wichtigsten Schriftsteller des Landes. Heute
sympathisiert sie mit der AfD und lädt rechte Autoren zu
sich ein. Die Geschichte einer Abkehr VON MORITZ AISSLINGER

I

m Kulturhaus von Susanne Dagen be­
ginnt das neue Jahr mit der Sehnsucht
nach echten Helden. Dagen steht zwi­
schen einem Flügel und einer Schriftstel­
lerin. Sie begrüßt ihre Gäste: »Herzlich
willkommen zu unserer ersten Veranstal­
tung 2019.« Vor ihr, in dem kleinen Saal
des Kulturhauses im Stadtteil Loschwitz, drängt
sich Dresdner Bildungsbürgertum. Zu den fünfzig
vorhandenen mussten zwanzig Stühle und ein paar
Hocker aus einem Nebenraum hereingetragen
werden, damit alle Platz finden. Selbst im Gang ist
kein Durchkommen mehr, weshalb das Publikum,
etwas älter, etwas ernster, nun verschworen eng bei­
einandersitzt, die Gesichter vieler Männer unter
grauen Schiebermützen, viele Frauen mit Rotwein­
gläsern in den Händen.
Es ist Mitte Januar, und Dresden ist sehr kalt.
Dagen beugt sich über ein schmales Mikrofon,
sie ist klein und blond und gut gelaunt. Sie stellt die
Schriftstellerin neben ihr vor. Es ist Monika Maron,
1941 geboren, in der DDR aufgewachsen, bekannte
Bücher: Flugasche und Pawels Briefe.
Die beiden kennen sich lange, sie duzen sich.
Dagen führt das Kulturhaus Loschwitz und die Buch­
handlung nebenan, zusammen mit ihrem Mann. Sie
wohnen auch hier. Mit Maron spricht sie über deren
neuen Roman, das Publikum lauscht lautlos.
Der Roman heißt Munin oder Chaos im Kopf, er
handelt von einer Frau und einer Krähe. Maron er­
zählt, sie sei auch im echten Leben von Krähen um­
geben, seit sie angefangen habe, die Vögel mit Hun­
detrockenfutter zu füttern. Sobald sie die Straße
betrete, kämen die Krähen angeflogen, sie hüpften
neben ihr her und forderten sie auf, Futter heraus­
zurücken. »Das habe ich jetzt bis ans Ende meiner
Tage«, sagt Maron.
Dagen leitet das Gespräch von den Krähen weg,
hin zur Politik. In der Vergangenheit hat Maron be­
reits des Öfteren ihren Unmut über die Flüchtlings­
politik geäußert, in einem Beitrag für die Frankfurter
Allgemeine Zeitung schrieb sie vom »kollektiven
Selbstmord« des deutschen Volkes, in der Neuen

Zürcher Zeitung nannte sie die »sperrangelweit ge­
öffneten Grenzen« einen von Merkels »irrwitzigen,
allseits bekannten Fehlern«.
Marons neuer Roman, sagt Dagen, handele ja
auch von Politik. Maron nickt und fängt bald an,
vom Krieg zu sprechen.
Man lebe in einer Vorkriegszeit, sagt Maron. Aber
der nächste Krieg werde nicht so sein wie der Erste
oder der Zweite Weltkrieg. Eher so wie der Dreißig­
jährige Krieg. Ein Religionskrieg.
Maron sagt: »Was machen wir dann, wenn wir
keine Helden haben?« Bei Abendrunden lege sie
manchmal das Wort »Held« auf den Tisch, nur so als
Test. Die Männer guckten meist verlegen, die Frauen
sagten: Wenn schon Helden, dann wenigstens Hel­
den des Alltags. »Aber genau das meine ich nicht«,
sagt Maron. »Ich setzte schon voraus, dass es eine
Sache zwischen Leben und Tod sein muss.«
»Gibt es denn in Deutschland Helden?«, fragt
Dagen.
»Das werden wir sehen«, sagt Maron.
Sie liest aus ihrem Buch über die Krähe vor.
»Wenn das Wetter es zuließ, frühstückte ich auf dem
Balkon und las in der Zeitung die täglichen Berichte
über irrsinnige Finanztransaktionen, von denen ich
nichts verstand, oder über die ständig wachsende
Anzahl der Geschlechter, die sich neuerdings hinter
einer unverständlichen Abkürzung verbargen, oder
über einen Terroranschlag in Syrien, Irak, Jemen oder
auch in Paris, oder jemand erklärte mir, warum wir
mit Rücksicht auf muslimische Mitbürger auf einige
säkulare Selbstverständlichkeiten verzichten müssten.
Alle paar Wochen nahm ich mir vor, die Zeitung zu
kündigen.«
Kapitalismus, Gender, Terror, Muslime, Medien.
Ein Abriss des Zorns. Zustimmung im Publikum.
Man nickt. Man raunt. Susanne Dagen sieht zu­
frieden aus.
Zwei Wochen später schickt Dagen eine E­Mail
an die ZEIT. In der E­Mail ein Anhang, im Anhang
ein Foto. Es zeigt den Veranstaltungskalender ihres
Kulturhauses, er ist mit Reißzwecken an einer Holz­
wand vor dem Haus befestigt. Nun hat irgendwer

über Nacht das Gesicht von Monika Maron mit
schwarzem Edding durchgestrichen. Andere Gast­
autoren wurden ebenfalls übermalt, auf ihren Ge­
sichtern steht »Nazi«.
Dagen schreibt: »anbei ein Morgengruss, der
heute früh an unserem Tor sich fand. Und nur, dass
Sie wissen, zu welchen Veranstaltungen Sie sich an­
gemeldet haben ... Ahoi, Ihre Susanne Dagen.«
Im vergangenen September wurde sie von einem
Workshop über rechte Ideologien ausgeschlossen,
weil sie sich, so der Veranstalter, »am rechten Rand
des politischen Meinungsspektrums« positioniere.
Im November schrieben ihr zwei Dresdner In­
tellektuelle einen offenen Brief: »Liebe Susanne, wir
kennen uns lang und wir kennen uns gut, wir haben
Dich oft verteidigt. Von Deinen neuesten Allianzen
sind wir allerdings schockiert.«
Neulich sagte ihr eine Bekannte, sie sehe aus wie
Magda Goebbels.
Eigentlich war es eine Erfolgsgeschichte. Eine Frau,
jung und ostdeutsch und voller Tatendrang, kehrte
wenige Jahre nach der Wende aus Rostock zurück in
die Heimat, nach Dresden, und erschuf aus dem
Nichts eine der besten Buchhandlungen des Landes.
Sie schleppte Kisten, renovierte, baute Regale zu­
sammen. Sie nahm Schulden auf, ging Risiken ein,
expandierte. Sie trotzte den Zeichen der Zeit, wehrte
sich gegen den Riesen Amazon, kämpfte sich durch
die Krise des Buchhandels, holte die besten Autoren
des Landes nach Dresden, erhielt Preise. Sie wurde
Teil der gesamtdeutschen Kulturelite.
Dann begann eine neue Geschichte.
In den vergangenen drei Jahren änderte Susanne
Dagen ihr Programm. Die Literatur rückte in den
Hintergrund, Politik bestimmt den Ton. Alte Weg­
gefährten wandten sich ab, neue kamen. Manche
Autoren, die sie nun einlädt, schreiben Bücher mit
Björn Höcke oder beraten Alexander Gauland,
beides führende Politiker der AfD. Andere schimp­
fen über Merkel, einige zweifeln an der Existenz
des Klimawandels, die wenigsten wählen Grün.
Susanne Dagen hat geschaffen, was es so wohl
kein zweites Mal gibt in der Bundesrepublik: ein

Kulturhaus für neue Rechte und alte Konservative.
Einen Zufluchtsort für Wütende, Empörte und
Besorgte. Bei ihr treffen sich die Vertriebenen der
bürgerlichen Mitte mit jenen, die immer schon am
Rand standen.

G


estern hatte sie Geburtstag. Es ist An­
fang April, und Susanne Dagen ist
jetzt 47 Jahre alt. Sie läuft durch ihre
Buchhandlung, ein kleiner Laden,
heimelig und rustikal, die Durch­
gänge sind eng, die Tische dazwischen voll, gehobe­
ne Literatur stapelt sich meterhoch, und auch in den
Holzregalen drum herum haben sich die Bücher
bis in die letzten Winkel ausgebreitet. Ihr Mann
Michael Bormann steht hinter dem Ladentisch. An
den Wänden hängen Urkunden, Buchhandlung des
Jahres 2008, Deutscher Buchhandlungspreis 2015
und 2016, vergeben von der Bundesregierung.
Weitere Auszeichnungen, glaubt Dagen, werde es
aus der Kulturbranche nicht mehr geben.
Sie geht nach draußen, die schmale Straße hi­
nunter, zur Elbe hin. Altes Fachwerk, Gassen,
Kopfsteinpflaster. Als sie die Terrasse eines Cafés
betritt, stehen zwei Männer auf und verlassen das
Lokal. Im Vorbeigehen sagt einer von ihnen in
Richtung Dagen: »Wir machen Ihnen den Sonnen­
platz frei.« Es hört sich nicht sehr nett an.
»Der wollte mich jetzt bestimmt nicht treffen«,
sagt Dagen. Der Mann ist ein bekannter Mediziner
in Dresden, er engagiert sich gegen Pegida. Sie zuckt
mit den Schultern. »Was stört’s die stolze Eiche, wenn
sich ein Borstentier dran kratzt.«
Sie hat ein klirrendes Lachen, und sie lacht oft.
Sie hat zwei Töchter, die auf eine Waldorfschule
gehen. Sie mag die Anthroposophie und Blumen und
spricht vier Sprachen. Mit den missgelaunten Auto­
ren, die in ihrem Kulturhaus über das linksgrüne
Establishment herziehen, hat sie wenig gemein. Was
nicht heißt, dass sie deren Meinungen nicht teilt. Sie
hat öffentlich erzählt, die AfD gewählt zu haben.
Einige Zeit saß sie im Kuratorium der AfD­nahen
Desiderius­Erasmus­Stiftung. Die CDU­Vorsitzende

Kramp­Karrenbauer nannte sie auf Facebook einmal
Krenz­Karrenbauer, nach Egon Krenz, dem ehema­
ligen Staatsratsvorsitzenden der DDR. Sie sagt, sie
verstehe nicht, wie es für viele Linke kein Problem
sein könne, »unaufgeklärte, antisemitische Kultur­
kreise mit einer mittelalterlichen Lebensweise in
unser Land zu holen«.
Ulrike Wittig, Dagens Mutter, wohnt ganz in der
Nähe der Buchhandlung. Sie bekommt die Schmie­
rereien und Anfeindungen gegen ihre Tochter mit.
Es habe ihr schon oft den Schlaf geraubt, sagt sie.
Wittig ist 68 Jahre alt, seit einem Schlaganfall
geht sie am Stock. Sie lässt sich auf einen Stuhl
in ihrem Garten sinken, um sie herum Bäume,
Blumen, ein riesiges Kunstwerk ziert die Grund­
stücksmauer. In der DDR leitete Wittig eine
Dresdner Kunstgalerie. Ihre Tochter zog sie allein
auf. Zum Vater, einem Kroaten namens Dagen,
der in der DDR als Chemiker beim Staatlichen
Amt für Atomsicherheit und Strahlenschutz ar­
beitete, habe Susanne lange Zeit kein gutes Ver­
hältnis gehabt. Das, sagt Wittig, habe auch daran
gelegen, wie er mit ihr, der Mutter, umgegangen
sei. Es habe da des Öfteren Schläge gegeben. Sie sei
dann immer ins Kinderzimmer geflüchtet, das hatte
einen Schlüssel, mit dem sie von innen die Tür zu­
sperren konnte. »Das hat die Susi dann mitgekriegt.«
Irgendwann reichte Wittig die Scheidung ein.
Die Tochter bekam auch mit, was passierte,
wenn ihre Mutter in der Galerie die falschen
Künstler ausstellte. Anrufe vom Rat des Bezirkes.
Ermahnungen, man dürfe Dissidenten keine
Plattform bieten. Androhung von Berufsverbot.
Einmal habe sie im Vorraum der Galerie ein Plakat
des Kirchentages aufgehängt und sei mit Susanne
zu Freunden nach Cottbus gefahren. »Da kam der
Anruf vom Bezirksdirektor, ich hätte sofort zu­
rückzukommen und das Plakat abzuhängen.«
Ihre Tochter muss früh angefangen haben, den
Staat herauszufordern. Als Susanne in der zweiten
Klasse war, habe sie aufgeschnappt, wie die Mutter

Fortsetzung auf S. 12

VOR DEN WAHLEN IM OSTEN


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  1. AUGUST 2019 DIE ZEIT No 36

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