Frankfurter Allgemeine Zeitung - 23.08.2019

(Barré) #1

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Medien FREITAG, 23. AUGUST 2019·NR. 195·SEITE 13


Ich bin ein begeisterter Anhänger des ge-
sprochenen Wortes. Wahrscheinlich ein
berufsbedingter Defekt.
Das Radio schien mir immer der natürli-
che Ort des gesprochenen Wortes. Ich bin
weniger ein Gezielt-Hörer als ein Gelegen-
heitshörer, so wie wahrscheinlich die meis-
ten. Aber das gesprochene Wort im Radio
hat mich stets interessiert, überrascht, ge-
troffen, beglückt, berührt, manchmal auch
genervt (weniger des Inhalts wegen als we-
gen schlechter Sprecher), meistens berei-
chert. Das gesprochene Wort im Radio be-
reichert mein Leben. So pathetisch, so
wahr. Ja, manchmal auch die Musik, schon,
aber die kann ich mir sonstwo besorgen,
wenn ich ein Musikstück hören will, warte
ich doch nicht, bis es zufällig mal im Radio
kommt und ich dann auch noch Zeit dafür
habe. Doch das Wort, der Bericht, die
Live-Schaltung, die Rezitation, das insze-
nierte Wort, das Gespräch, entzünden mei-
ne Phantasie und bereichern mein Leben.
Ich will als Radiohörer nicht eingelullt,
sondern angeregt, überrascht, informiert,
unterhalten und gebildet werden. Das war
bei hr2 möglich. Jetzt wird der Wortbei-
trag als störend empfunden. Er ist eh in
den letzten Jahren immer stärker regle-
mentiert, das heißt gekürzt worden. Als
hätten die Radiomacher Angst vor dem
Wortbeitrag. Angeblich schalten die Hörer
weg, wenn zu lange gesprochen wird. Ihr
armen ängstlichen Radiomacher, vergesst
den Mainstream, vergesst die Quote. Da
hat FFH frisch und flott den hr seit langem
abgehängt. Vergesst die Kids, die holen
sich ihre Musik längst aus dem Netz. Geht
nicht die langweiligen, ausgelutschten
Wege des geringsten Widerstands, die ihr
als neu bezeichnet. Seid experimentell, eli-
tär, einseitig, extrem – kurz: seid mutig
und wortlastig.

Noch ein Gedanke. Man spricht doch
von der Alterspyramide, die sich auf den
Kopf stellt. Das heißt, bald werden wir
alten Säcke die Mehrheit haben. Nicht
die Jungen, die hr-Herren als Hörer ge-
winnen wollen, nein, wir Alten werden
die Mehrheit stellen. Also macht ver-
dammt nochmal wortlastiges Programm
für unsere Gebühren. Bereichert unser
Leben! Das bringt die Quote der Zu-
kunft.
Michael Quastist Schauspieler und Regisseur.
Er ist Mitgründer des Festivals „Barock am Main –
Der Hessische Molière“ und leitet die Fliegende
Volksbühne Frankfurt.

Selbstverständlich sollen Verantwortliche
in einem Sender (oder auch zum Beispiel
einem Theater oder einer Zeitung) Vorstel-
lungen darüber entwickeln, was sie verän-
dern wollen. Dass dann viele Menschen

aufschreien, alles müsse bleiben wie es ist,
oder so wollten sie die Veränderung nicht,
gehört dazu. Es beweist weder, dass die Plä-
ne besonders mutig sind noch besonders
blöde. Solche Proteste können eine wun-
derbare Chance sein, Konzepte zu überden-
ken, zu verändern und neu zu schärfen. Da-
für muss man offen sein, in Dialog gehen
und sich vorstellen können, dass man nicht
schon allein die richtige Lösung besitzt.
2014 glaubte der Bayerische Rundfunk,
die richtige Lösung zu haben: Um viel
mehr jüngere Hörerinnen und Hörer zu ge-
winnen, sollte der Klassikkanal Bayern 4
ins Digitalradio DAB+ verlegt werden, um
Platz zu schaffen für den Jugendkanal
„Puls“. Viele Widerstände und sogar eine
Klage änderten nichts, der Plan wurde vom
Rundfunkrat abgesegnet und sollte 2018
vollzogen werden. Ende 2017 sagte der BR
den Frequenztausch überraschend ab: Man
habe in der Zwischenzeit durch große An-
strengungen auf andere Weise viele neue
jüngere Hörerinnen und Hörer gewonnen.
Für noch mehr Reichweite in der jüngeren
Zielgruppe müsste man das klassische Ra-
dio und das lineare Fernsehen „popularisie-
ren“. Dagegen wehrten sich die Privatan-
bieter. Seine Entscheidung sah der BR da-
her als „Schritt auf die privaten Radiobe-
treiber und Verlage in Bayern zu“.
Die überraschend offene Begründung
sagte also: Ein öffentlich-rechtlicher Sen-
der muss sich nicht so „popularisieren“,
wie (manche) private Radiobetreiber und
Verlage. Er kann sich darauf besinnen, wo-
für er steht und warum es gebührenfinan-
zierte Sender überhaupt geben soll: für
Qualität. Wenn man erstaunt bemerkt, wie
viele Menschen sich begeistert lange Pod-
casts anhören, dicke Romane lesen, viele
Stunden im Theater verbringen, dann
kann man offenbar auch mit Niveau Men-
schen erreichen. Dafür muss man nicht al-
les lassen wie es ist. Aber wenn man etwas
verändert, dann bitte nicht aus Angst, son-
dern aus Anspruch und Kreativität.
Karsten Wiegandist Theater- und Opernregisseur.
Er ist Intendant des Staatstheaters Darmstadt.

Neulich rief mich ein berühmter österrei-
chischer Schauspieler an: Er hätte gerade
ein Hörspiel von mir gehört, dass hätte ihn
so begeistert, dass er gleich zum Hörer grei-
fen musste. – Nun sollte ein Filmregisseur
ins Grübeln kommen, wenn ihm das ausge-
rechnet bei einem Hörspiel passiert und
nicht in seiner ureigenen Domäne. Es sind
die Bilder im Kopf, die den stärksten Ein-
druck machen. Und dass ich mich darin
ausprobieren konnte, verdankte ich einem
Redakteur von hr2. Mutig, neugierig, kom-
promisslos im Anspruch, kurz: den eigentli-

chen Auftrag des öffentlich-rechtlichen
Rundfunks ernst nehmend. Im Fernsehen
starren sie schon lange auf die „Kultur“,
wie das Kaninchen auf die Schlange. Den
Zuschauer bloß nicht überfordern. Die
Schwerhörigkeit des überalterten Publi-
kums wird mehr diskutiert als der Inhalt.
Und dann wundern sie sich, wenn nur
noch die Blinden zuschauen. Jetzt werden
also auch die Tauben berieselt mit den
Klassikkonserven der Rundfunkarchive.
Das Programm wird sich anhören wie die-
se Touristenkonzerte, die bezopfte Mozart-
darsteller in Prag, Wien oder Venedig chi-
nesischen Reisegruppen darbieten: „Vier
Jahreszeiten“, „Ave Maria“, „Donauwal-
zer“ – eigentlich egal. Hauptsache, es du-
delt. Und die Rundfunkanstalten mutieren
vollends zu Pensionskassen. Das System
frisst sich von innen auf.
Niki Steinist Regisseur und Drehbuchautor
und lebt in Frankfurt. Von ihm lief zuletzt der
Film „Die Auferstehung“ im Ersten.

Sie haben vor, das Programm von
hr2-kultur zu reformieren. Was bisher
bekannt ist, erfüllt viele mit Sorge.
hr2-kultur soll eine „Klassik-Welle“
werden. Machen Sie aus einem kultu-
rellen Vollprogramm eine Abspielstati-
on?


Nein. Der Begriff ist ein Arbeitsbe-
griff, der die musikalische Ausrichtung
bezeichnet, im Gegensatz zum jetzigen,
sehr weit gefassten Musikprofil von hr2.
Im Übrigen: Es geht um eine Konse-
quenz aus strategischen Entscheidun-
gen, die nicht allein das Radio, sondern
den ganzen hr betreffen. Insofern ist es
keine Reform von hr2, sondern eine An-
passung aufgrund neuer Prioritäten.
Prioritäten, die wir wie alle Medienhäu-
ser – auch die F.A.Z. – neu definieren
müssen, da der Medienwandel so rasant
verläuft.


Was wird aus den Sendungen, die das
Programm von hr2-kultur prägen? Aus
dem „Kulturfrühstück“ mit der „Früh-
kritik“, aus der „Lesung“, aus der Dis-
kussion in „Doppelkopf“, dem „Kultur-
café“ und „Der Tag“, was aus der
„Hörbar“, was geschieht mit den ver-
schiedenen Musikfarben wie dem Jazz?


Wir haben immer wieder betont, dass
Detailfragen überhaupt erst erarbeitet
werden müssen, aber ich kann das gerne
noch einmal wiederholen: Über einzel-
ne Sendungen ist überhaupt noch nicht
gesprochen worden, auch wenn von vie-
len Kritikern unterstellt wird, dass Ent-
scheidungen gefallen seien. Das stimmt
einfach nicht. Ich gehe zum Beispiel da-
von aus, dass der Jazz weiterhin eine
wichtige Rolle spielen wird, so wie ja
auch beim Europa Open Air die hr-Big-
band und das hr-Sinfonieorchester ge-
meinsam vor das Publikum treten.


Es heißt, Sie wollten ein jüngeres Publi-
kum erreichen und das ginge nur über
das Internet. Sehen Sie das wirklich
als Streit zwischen Jung und Alt? War-
um spielen Sie die Generationen gegen-
einander aus? In der „Frankfurter
Rundschau“ haben Sie gesagt, eher als
die älteren würden die jüngeren Hörer
vom hr „diskriminiert“. Wieso muss
eine Programmreform etwas mit Dis-
kriminierung zu tun haben?


Das frage ich mich auch! Ich habe die-
se Debatte so nicht aufgemacht. Sie wis-
sen ganz genau, dass ich lediglich auf
die Frage reagiert habe, ob unsere Pläne
nicht eine Diskriminierung älterer Höre-
rinnen und Hörer seien. Wir reagieren
auf den Medienwandel. Wir müssen auf
ihn reagieren, so wie die Gesellschaft
als Ganzes herausgefordert ist, in der
Schule, den Universitäten, den Behör-
den und Kulturinstitutionen. Jüngere
Menschen gehen einfach anders mit me-
dialen Angeboten um. Wir können nicht
mehr erwarten, dass die Menschen da-
hin gehen, wo wir bisher waren, son-
dern wir müssen dahin, wo die Nutzerin-
nen und Nutzer sind. Und das ist nun ein-
mal das Netz. Und wenn wir schauen,
wen wir mit unseren bisherigen Angebo-
ten mit welchem Ressourceneinsatz er-
reichen, dann kann man die Tatsache
nicht ignorieren, dass Angebote für jün-
gere Menschen weitaus weniger im Fo-
kus stehen als ältere Formate.

Ein weiteres Argument ist, Sie könnten
aus finanziellen Gründen nicht „drauf-
satteln“. Das verlangt ja auch nie-
mand. Was im linearen Radio läuft,
lässt sich leicht in abrufbares Pro-
gramm umwandeln. Sparen können
Sie nur, wenn Sie Sendungen strei-
chen.
Ihre Voraussetzung stimmt nicht: Was
im linearen Radio läuft, lässt sich eben
nicht leicht in gute digitale Angebote
verwandeln. Es gibt im medialen Inter-
net nur sehr wenige Beispiele, wo das ge-
lungen wäre – vielmehr funktionieren er-
folgreiche Digitalprodukte nach grund-
sätzlich anderen Gesetzmäßigkeiten als
lineares Programm. Lineares Programm
einfach ins Netz zu stellen ist keine Digi-
talstrategie. Wer junges Publikum auf
neuen Plattformen ansprechen will,
muss deshalb innovativ sein und sub-
stantiell investieren. Und diese Ressour-
cen müssen irgendwo herkommen, wir
bekommen keinen einzigen zusätzli-
chen Euro dafür.

Der Hessische Rundfunk rechnet in die-
sem Jahr mit Ausgaben von 604 Millio-
nen Euro bei Einnahmen von 511 Mil-
lionen Euro. Das macht ein Minus, ge-
nannt „Fehlbetrag“, von 93 Millionen.
Und das dürfte nicht mit dem Pro-
gramm, sondern vor allem mit Pensi-
onslasten zu tun haben.
Diese Fragen haben mit den gegen-
wärtigen strategischen Überlegungen
überhaupt nichts zu tun.

Von der Reform, wie sie hr2-kultur
trifft, heißt es, sie sei unumkehrbar.
Das ist, blickt man darauf, dass die De-
tails noch nicht ausgearbeitet sind, er-
staunlich. Einen „Plan B“ soll es nicht
geben. Beeindruckt Sie die Kritik, die
es mit Blick auf die Zukunft von
hr2-kultur gibt, gar nicht? Sie zeugt
doch, in dieser Zeitung und in einer On-
line-Petition zum Erhalt des Pro-
gramms, davon, dass Hörerinnen und
Hörern, Kulturschaffenden und auch
der Politik hr2-kultur als kulturelles
Radiovollprogramm etwas bedeutet.
Die strategische Ausrichtung ist eine
Grundsatzfrage, die in einem langen
Prozess erarbeitet worden ist. Die Reak-
tionen nehmen wir natürlich ernst. Sie
sind zunächst einmal auch ein Kompli-
ment an das gegenwärtige Team von
hr2. Aber wir haben auch die Verpflich-
tung, jetzt die Weichen für die Zukunft
zu stellen. Wir wollen auch in Zukunft
unserem Auftrag gerecht werden und
mit unseren Inhalten weiterhin mög-
lichst viele Menschen erreichen – nicht
nur die tradierten Zielgruppen. Alles an-
dere wäre fahrlässig. Da kann ich immer
wieder nur den Satz von Tomasi di Lam-
pedusa aus seinem berühmten Roman
„Der Leopard“ zitieren, der mein berufli-
ches Leben begleitet hat: „Wenn wir wol-
len, dass alles so bleibt, wie es ist, dann
ist es notwendig, dass sich alles verän-
dert!“
Die Fragen stellteMichael Hanfeld.

Das System frisst


sich selbst auf


Das Schönste auf einem Rummelplatz wie
der „Gamescom“ in Köln, der größten
Computerspielmesse der Welt, ist die
Wirklichkeitsverpuffung, die sich ereig-
net, sobald man nur endlich einen der
Rechner erreicht hat, auf dem neue Video-
spiele ausprobiert werden dürfen, oder ei-
nes der Kinos, in denen der Blick auf kom-
mende Highlights gelenkt wird. Zwei Se-
kunden, und der monströse Lärm in den
Hallen ist vollkommen egal.
Besonders spaßig geht es im Fachbesu-
cherbereich der Messe zu, wo die Entwick-
ler des für den kommenden Sommer erwar-
teten Spiels „Man-Eater“ zeigen, wie es
sich als Hai lebt, der einen Streifen der ame-
rikanischen Küste ungeniert mit blutigen
Attacken überziehen darf und umso stär-
ker gejagt wird, je mehr Fischer und Strand-
gäste er verfrühstückt hat. Besonders viel
Trubel herrscht an den Ständen des Her-
stellers Electronic Arts, an dem sich die
jüngsten Ausgaben des Racing-Klassikers
„Need for Speed“ und des Fußballspiels
„Fifa“ – hier mit einem Streetfootball-Mo-
dus, der gemischte Teams aus Männern
und Frauen ermöglicht – anspielen lassen.
Für uns interessanter sind vier Titel, in
denen die Geschichte im Mittelpunkt steht:
Ubisoft gestattet einen Blick auf den drit-
ten Teil der Hacker-Saga „Watch Dogs“ und
spricht von einer „Fantasy that speaks to
our contemporary world“. „Watch Dogs: Le-
gion“ wird im März erscheinen und spielt,
nachdem der sehr clevere zweite Teil vom
Kampf gegen die Datenkraken im Silicon
Valley handelte, in einem düsteren Lon-
don, dessen Bevölkerung von den Schergen
eines Polizeistaats mit allen technischen
Mitteln überwacht und unterdrückt wird.
In diesem London, in dem man wie ge-
wohnt frei umherlaufen kann, ist durch-
aus noch Raum für Protest: Am Trafalgar

Square etwa sind Demonstranten zu se-
hen, die „Remember Democracy“ auf
ihre Plakate geschrieben haben. Ob das
Regime überwältigt werden kann, hängt
aber nicht zuletzt davon ab, in welcher
Breite das Hacker-Kollektiv „Dedsec“,
das sich diesen Kampf auf die Fahne ge-
schrieben hat, den Widerstand organisie-
ren kann. Der spannende Punkt ist, dass
sich in „Watch Dogs: Legion“ jede Figur,
die herumläuft – wirklich jede – spielen
und in die Story hineinziehen lässt. In
dem Kapitel, das Ubisoft auf der „Games-
com“ präsentierte, fanden wir uns zu-
nächst als alte Frau wieder, die zu den Ha-
ckern von Dedsec gehört und ganz offen-
sichtlich nicht zimperlich ist. Über sie galt
es ein neues Mitglied für den Widerstand
zu rekrutieren. Wir liefen in Westminster
gleich in das erstbeste Pub, wählten rein
zufällig die Kellnerin aus – und schon hat
die Konsole uns nicht nur mit biographi-
schen Rahmendaten und Online-Suchge-
schichten der jungen Dame namens Va-
lentina Hofer versorgt, sie hat Hofer auch
bereits in die nächsten animierten Zwi-
schensequenzen integriert. Das Kapitel
endete damit, dass wir bei „New Scotland
Yard“ eindringen, um erpresserisches Ma-
terial über Hofer, das dort gespeichert
war, von einem Server zu löschen. Inwie-
fern sich diese Freiheit, über die Protago-
nisten selbst zu entscheiden, mit der Sto-
ry und der Charaktertiefe der einzelnen
Figuren verträgt, wird man bei der Veröf-
fentlichung des Spieles sehen. Doch die
Atmosphäre stimmt schon mal.
Das polnische Studio CD Project Red,
berühmt durch die Rollenspielserie „The
Witcher“, die auf Romanen von Andrzej
Sapkowski basieren, versprach unterdes-
sen Neues vom heiß ersehnten, weil mit al-
lerhand Marketingmaschinerie ausgestat-
teten „Cyberpunk 2077“, das im Frühjahr

erscheinen soll. Es wird unter anderem
von Pen-and-Paper-Autor Mike Ponds-
mith beraten, und spätestens seit der Nach-
richt, dass „Matrix“-Star und Netz-Lieb-
ling Keanu Reeves in der Rolle des Rock-
stars Johnny Silverhand zu sehen sein
wird, können Genrefans vor lauter Vor-
freude kaum schlafen.
Die fünfundvierzig Minuten frisches
Gameplay, die in Köln von einem Ent-
wickler am Controller gezeigt wurden,
führten in eine großartig kaputte Mall ei-
nes unvollendeten, längst von allerlei Kri-
minellen bewohnten Küstenviertels von
Night City. Am Ende der actionreichen Se-
quenz traf Storyheld V, der je nach Gusto
des Spielers Mann oder Frau sein kann, in
misslicher Lage auf Silverhand – um sich
wenig später, nun in einem Eisbad lie-
gend, in eine Art Matrix zu wagen.
Ebenfalls große Erwartungen lasten
auf dem japanischen Entwickler Hideo
Kojima („Metal Gear Solid“), der für sein
Endzeit-Abenteuer „Death Stranding“,
das Ende des Jahres erscheinen soll,
gleich eine ganze Reihe von Hollywood-
Schauspielern wie Mads Mikkelsen und
Guillermo del Toro gewinnen konnte und
damit noch einmal den enormen Bedeu-
tungszuwachs der Branche unterstreicht.
In der Hauptrolle, als Paketbote Sam, wird
Walking-Dead-Star Norman Reedus zu se-
hen sein.
Trailer zu „Death Stranding“ gab es
auch schon vor Köln. Nur wird man auch
nach den neuesten Bildern noch nicht
recht schlau, was die zu erwartende Story
betrifft. Alles sehr bedeutungsschwanger
und nichtssagend. Wir sehen: Sam, der auf
seinem Bauch eine Art Tank mit Baby her-
umschleppt und es nach einem Schreian-
fall zu beruhigen versucht; Sam beim Pin-
keln in postapokalyptischer Landschaft;
Sam im Gespräch mit einem Prepper, der

sich den „United Cities auf Amerika“ nach
Sams Besuch anzuschließen gedenkt, und
schließlich Sam im Weißen Haus, wo ihn
die blonde Präsidentin Amelie (Lindsay
Wagner) in Form eines Hologramms um
die Retttung der Nation bittet. Kojima
weiß zumindest, wie man einen Hype an-
facht, der jedoch erst noch halten muss,
was er verspricht.
Ganz anders „Erica“, ein Videospiel des
winzigen Londoner Studios Flavourworks,
um das wir beinahe einen Bogen gemacht
hätten, weil es kein Spiel ist, sondern ein in-
teraktiver Film. Das gibt es schon lange,
und unser Bedürfnis nach modernen Vari-
anten war nach dem Netflix-Experiment
„Black Mirror: Bandersnatch“ im vergange-
nen Dezember gedeckt. Unerwarteterwei-
se aber hat das Ergebnis viel Charme. Der
Gruselfilm „Erica“ erzählt die Geschichte
einer mädchenhaften Frau (Holly Earl),
die als Kind die Ermordung des Vaters er-
lebte und nun mit einer Gemeinschaft in
Kontakt kommt, deren Mitgliedern beizei-
ten reichlich Blut aus dem Nasenloch
schießt. Der Clou: Über eine Handy-App
kann der Zuschauer Einfluss auf den Gang
der Handlung nehmen, bis nach neunzig
Minuten eines von fünf möglichen Enden
erreicht ist. Gleichzeitig muss er mit dem
Finger auf dem Display scheinbar banale
Bewegungen Ericas ausführen: das Entzün-
den eines Feuerzeuges oder das Durchblät-
tern eines Notizblocks. Doch der Effekt die-
ses kleinen Tricks ist enorm: Man fühlt
mit, fragt sich nach dem rätselhaften ers-
ten Durchgang, was man an Puzzleteilen
verpasst hat, erinnert sich daran, dass es
laut Entwickler insgesamt dreieinhalb Stun-
den Film oder mehr geben soll, beginnt
noch einmal von vorn. „Erica“ ist die Über-
raschung einer ansonsten fast nur die Unge-
duld auf bislang Unfertiges schürenden Ga-
mescom. MATTHIAS HANNEMANN

Gespräch mit hr-Hörfunkchef Heinz-Dieter Sommer


Seidmutig


und wortlastig


Menschen


erreichen


Rockstars und Kinderrätsel in der Post-Apokalypse


Mehr als nur Hype? Die Gamescom in Köln schürt die Neugier auf Spiele-Highlights des kommenden Jahres


Ist das Kulturfunk, oder?


Der hr reformiert seine Radiowelle hr2-kultur.
Ein Wortprogramm wird zur „Klassik-Welle“.
Was Kulturschaffende dazu sagen, Teil 3.

Michael Quast


NikiStein


Karsten Wiegand


Weichen für


die Zukunft stellen


Beim Westdeutschen Rundfunk (WDR)
sind am Donnerstag zum zweiten Mal in
dieser Woche Mitarbeiter in einen Warn-
streik getreten. Als Folge sei unter ande-
rem die ARD-Sendung „Live nach 9“
ausgefallen, stattdessen sei ein „Best of“
gesendet worden, sagte eine WDR-Spre-
cherin in Köln. Ausgefallen seien zudem
der Sportblock in „WDR Aktuell“ sowie
im WDR-Radio die Sendung „Der Tag
um 12“. Die Gewerkschaft Verdi und der
Deutsche Journalisten-Verband (DJV)
hatten zu dem Warnstreik aufgerufen.
Damit soll der Druck vor der vierten
Runde der Tarifverhandlungen am Frei-
tag erhöht werden. Nach Verdi-Angaben
beteiligten sich unter anderem Mitarbei-
ter der Regionalstudios in Düsseldorf,
Bielefeld, Aachen und Dortmund an
den Warnstreiks. Auch Beschäftigte des
Beitragsservices hätten vorübergehend
ihre Arbeit niedergelegt. Bereits am
Dienstag hatte es einen Warnstreik gege-
ben. Die Gewerkschaften wollen unter
anderem, dass sich die Tarifsteigerun-
gen beim WDR weiter am öffentlichen
Dienst orientieren. dpa/F.A.Z.

Nordrhein-Westfalens Innenminister Her-
bert Reul hat zwei Youtube-Kanäle des
Verfassungsschutzes zur Salafismus-Prä-
vention vorgestellt.Sie sollen die Propa-
ganda der Salafisten mit „Witz, Humor
und Fakten“ bekämpfen, den „stärksten
Waffen unserer freiheitlichen Demokra-
tie“, sagte Reul auf der Videospielmesse
Gamescom. „Jihadi Fool“ sei ein Sketch-
Comedy-Format, das die Absurdität von
Radikalisierung, Terrorismus und Isla-
mismus satirisch thematisiere. Das Wis-
sensformat „hinter.gründlich“ setze sala-
fistischer Propaganda Fakten entgegen.
Die 3100 Salafisten in Nordrhein-Westfa-
len hätten sich „nicht in Luft aufgelöst“,
auch wenn das sogenannte Kalifat des
„Islamischen Staates“ zerschlagen und
die „Lies“-Stände mit den Koran-Ausga-
ben aus den Innenstädten verschwunden
seien, so Reul. Sie seien weiterhin aktiv,
vor allem im Internet. Daher müsse der
Verfassungsschutz auch dort seinen Auf-
trag zur Prävention erfüllen. Für ein Jahr
soll das Comedy-Format wöchentlich
und das Wissensformat alle zwei Wo-
chen erscheinen. KNA/F.A.Z.


Mit Händchen fürs Grobe: Rockstar Johnny Silverhand, dem der Schauspieler Keanu Reeves in „Cyberpunk 2077“ das Gesicht leiht, kann auch rauhe Töne anschlagen. Foto CD Project RED


Streik beim WDR
Verdi und DJV erhöhen den Druck

Youtube-Prävention


NRW klärt über Salafismus auf


Der Umbau von


hr2-kultur wirft viele


Fragen auf. Kein Wort-


programm mehr im Ra-


dio, nur noch im Netz?


Der Hörfunkdirektor


benennt Prioritäten.


Heinz-Dieter Sommer ist Hörfunkdirek-
tor des Hessischen Rundfunks. Er ist zu-
ständig für sechs Wellen. Foto HR

Free download pdf