Frankfurter Allgemeine Zeitung - 23.08.2019

(Barré) #1

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Wirtschaft FREITAG, 23. AUGUST 2019·NR. 195·SEITE 15


Auch in Wien steigen die Mieten.


Dort fehle zunehmend Wohnraum,


ermitteln Forscher.Seite 16


Justizministerin Lambrecht legt


denGesetzentwurf für Sanktionen


gegen Unternehmen vor.Seite 17


Deutsche Konzerne tun sich mit


klaren Worten schwer: Sie haben


Milliarden in China investiert.Seite 22


Ein Vorbild wird entzaubert Abstrafen, notfalls zerschlagen Haltung zu Hongkong


E

ines kann man Joe Kaeser in der
Regel nicht vorwerfen: dass er
sich in heiklen Fragen um eine Mei-
nung drücken würde. Der Vorstands-
vorsitzende von Siemens hat mehr-
fach unzweideutig zur AfD Stellung
bezogen und damit teils harsche Reak-
tionen provoziert – bis hin zur Mord-
drohung. Als Person schärft Kaeser
mit solchen Äußerungen sein Profil.
Und er dürfte nicht zufällig zu den we-
nigen Dax-Chefs zählen, deren Na-
men den Menschen auf der Straße
noch einfallen. Für Unternehmen ist
es dagegen oft problematisch, wenn
der Chef jenseits des Kerngeschäfts
klare Kante zeigt. Spricht da noch der
höchste Unternehmensrepräsentant,
oder handelt es sich schon um eine pri-
vate Meinung? Die Grenzen sind oft
fließend.
Noch kniffliger wird es für Mana-
ger, wenn sich die Gretchenfrage im
Ausland stellt: Wie halten sie es mit
der Moral? Die Antwort ist simpel:
Man muss sich die Moral leisten kön-
nen. Es ist für Konzernbosse relativ ri-
sikolos, den Diktator eines wirtschaft-
lich unbedeutenden Entwicklungslan-
des für seine Fehltritte zu ermahnen.
Geht es dagegen um die vermeintli-
chen Verfehlungen eines sehr wichti-
gen Handelspartners, wird die Sache
schon deutlich komplizierter.
Beobachten lässt sich das derzeit
am Konflikt um Hongkong. Deutsche
Konzerne haben in China hohe Milli-
ardenbeträge investiert, das Chemie-
unternehmen BASF baut dort bei-
spielsweise gerade eine riesige Fabrik.
Das bevölkerungsreichste Land der
Erde mit seinem großen Absatzmarkt
gilt gerade angesichts der globalen
Konjunkturschwäche als Hoffnungs-
träger zahlreicher Branchen. Wer mag
es angesichts eines solchen Szenarios
schon riskieren, mit ein paar „fal-
schen“ Worten Pekings Zorn auf sich
zu ziehen und damit Investitionen
und viele Arbeitsplätze – auch in
Deutschland – zu gefährden?
Immerhin bekennen sich viele Un-
ternehmen in einer F.A.Z.-Umfrage
im derzeit heiklen Umfeld in China
zur Einhaltung ihrer eigenen (im Wes-
ten gemachten) Standards und Werte.
Kaeser betont sogar „Hongkongs Re-
putation als ein Standort, an dem frei-
er Handel, Rechtssicherheit und Of-
fenheit in der Meinungsäußerung ein
hohes Gut sind“, verbunden mit der
Forderung, dass diese hohen Stan-
dards erhalten bleiben. Deutliche Wor-
te, die er freilich nicht als Siemens-
Chef sagt, sondern als Vorsitzender
des Asien-Pazifik-Ausschusses der
deutschen Wirtschaft.
Wem das nun zu wenig ist, wer sich
noch klarere Worte oder gar wirt-
schaftliche Konsequenzen gewünscht
hätte, dem sei gesagt: Mehr ist einfach
nicht zu erwarten. Im Gegenteil. Mana-
ger sind keine gewählten Volksvertre-
ter, und wer sich moralisch überhöht,
droht tief zu fallen. Das beste Beispiel
lieferte auch hier Joe Kaeser, als er ver-
gangenes Jahr den Besuch eines Wirt-

schaftsgipfels in Saudi-Arabien erst in
letzter Minute und nach mehr oder we-
niger sanftem Druck aus Berlin abge-
sagt hatte. Kurz zuvor war der Journa-
list Jamal Khashoggi ermordet wor-
den, und die Spur führte zum Königs-
haus in Riad. Kaeser brüskierte die em-
pörte Öffentlichkeit damals mit einem
Zitat: „Wenn wir aufhören, mit Län-
dern zu kommunizieren, in denen Men-
schen vermisst werden, kann ich auch
gleich zu Hause bleiben.“ Nicht jeder
vertrug so viel knallharte Realpolitik.
Welche Lehren lassen sich daraus
ziehen? Sind Manager also doch nur
dafür im Amt, den Profit ihres Unter-
nehmens zu maximieren? Leisten sie

allein durch das Schaffen von Wohl-
stand und Arbeitsplätzen ihren gesell-
schaftlichen Beitrag und sollten sich
aus politisch-gesellschaftlichen Diskur-
sen am besten raushalten? Es wäre na-
türlich Unsinn, von einem Extrem ins
andere zu fallen. Manager und Unter-
nehmen agieren schließlich nicht im
luftleeren Raum, sondern stets kon-
textgebunden. Ändern sich die Werte
und Vorstellungen in der Gesellschaft,
wird auch die Wirtschaft – schon aus
Eigeninteresse – darauf reagieren.
In Amerika haben gerade einige der
wichtigsten Vorstandschefs dafür plä-
diert, vom „Shareholder Value“, also
der starken Fixierung auf Aktionärsin-
teressen, abzurücken und stattdessen
die Relevanz ihres Handelns für alle
beteiligten Interessensgruppen zur lei-
tenden Maxime zu machen. Sogleich
entbrannte eine Debatte darüber, ob
diese Ankündigung auf wahrer Ein-
sicht und Erkenntnis beruhe oder ob
nicht bloßes Kalkül dahintersteckt
mit Blick auf die nächste Präsidenten-
wahl. Viel wichtiger ist dabei die Tat-
sache, dass die Chefs von Apple, Ama-
zon und Co. überhaupt die Notwendig-
keit erkannt haben, ihre Ziele zu über-
denken und neu zu formulieren.
Ein solch breiterer Fokus muss übri-
gens nicht zwangsläufig auf Kosten
der wirtschaftlichen Zielen eines Un-
ternehmens gehen. Im Gegenteil, al-
les ist ein Frage der Perspektive. Kürz-
lich hat Rolf Buch, der Vorstandschef
von Europas größter Wohnungsgesell-
schaft, in der F.A.Z. erklärt, dass Vo-
novia mit Rücksicht auf den extrem
angespannten Wohnungsmarkt in Ber-
lin auf eine Mieterhöhung in den kom-
menden beiden Jahren verzichte – ob-
wohl dieser Schritt rechtlich zulässig
sei. Seine Aktionäre habe er davon
überzeugt, kurzfristig etwas Profit zu
opfern, um mittelfristig ein stabiles
Umfeld für ihre Investitionen zu si-
chern. Gesellschaftliche Verantwor-
tung von Unternehmen muss keines-
falls moralinsauer daherkommen.

D


ie Unternehmensstrafen kom-
men, auch wenn Bundesjustizmi-
nisterin Christine Lambrecht (SPD)
sie taktvoll nicht so nennt. Die Bußgel-
der in Milliardenhöhe sind keine Über-
raschung, sie waren im Koalitionsver-
trag verabredet. Die Regel, bis zu 10
Prozent des Konzernumsatzes für Mis-
setaten zu verhängen, ist zudem inzwi-
schen eine Art Standard geworden:
Dies gilt im Kartellrecht und ebenso
im Falle von Datenschutzverstößen.
Die Probleme des 150 Seiten starken
Gesetzentwurfs liegen an anderer Stel-
le. Kurz vor den Landtagswahlen im
Osten drischt die SPD ohnehin schon
auf die Unternehmen ein. Mit einem
Comic-Bildchen zum Soli sorgte die
Partei für Empörung: Darauf lässt
sich ein „Spitzenverdiener“, im Liege-
stuhl dösend, auf dem Fließband Geld-
bündel liefern. Es scheint die Partei
nicht zu scheren, dass auch Personen-
gesellschaften Soli zahlen – Unterneh-
men!
Nun schlägt Lambrecht zu, droht
mit Geldbußen und schlimmstenfalls
sogar Zerschlagung. Richter sollen die
Verurteilten öffentlich anprangern
dürfen. Das alles für den Bürger, der
in den Konferenzräumen des Justizmi-
nisteriums allerdings oft nur noch
„Verbraucher“ heißt. Ja, die Industrie-

skandale der vergangenen Jahre und
die lautstarken Reaktionen der Politik
haben viele Bürger von der Wirtschaft
entfremdet, zumal der VW-Betrug für
viele unmittelbar emotional erlebbar
ist. Freie Wirtschaft erscheint man-
chen nun als gemeingefährlicher
Sport, Gewinn als zähneknirschend to-
leriertes Feuerwerk für Privilegierte
und Unternehmer als mühsam gebän-
digte Raubtiere. Es lohnt innezuhal-
ten – nicht nur wegen der aufkeimen-
den Abschwungsangst: Unternehmen
bilden ein Fundament, auf dem der Le-
bensstandard und die Freiheit der Ge-
sellschaft ruhen. Und sie arbeiten
nicht nur manchmal legal, sondern
fast immer.
Chancen für die Unternehmen ber-
gen hingegen die Verfahrensregeln für
interne Untersuchungen, denn sie ver-
sprechen dringend benötigte Rechts-
klarheit. Viele international tätige Un-
ternehmen zwingt amerikanisches
Recht schon heute zu solchen „Inter-
nal Investigations“. Es ist ein Schritt,
um die Wahrheit in der globalisierten
Welt der Konzerne zu ermitteln. Dar-
aus darf aber kein Kniefall des Rechts-
staats werden. Unternehmen gegen
sich selbst ermitteln zu lassen bleibt
heikel. An der Kreuzung zwischen Ar-
beitnehmerschutz, Ermittlungsdruck
und Verfahrensrechten der mutmaßli-
chen Täter passieren schnell Unfälle.
Schlimmstenfalls droht eine Privatisie-
rung der Justiz – ein Risiko, das Lam-
brechts Beamte klar vor Augen haben.

ddp images


Die Kosten der Moral


Von Sven Astheimer


Zu politisch brisanten
Themensollen Manager
Haltung zeigen. Doch wer
zahlt dafür den Preis?

Lambrecht schlägt zu


Von Hendrik Wieduwilt


J


erome Powell ist 66 Jahre alt,
hat ein schönes Haus am Stadt-
rand von Washington und min-
destens 55 Millionen Dollar auf
der hohen Kante. Der amtieren-
de Chef der wichtigsten Noten-
bank des Planeten hätte damit Gründe
und Mittel, in die Phase des kontemplati-
ven Genusses einzutreten – anstatt sich re-
gelmäßig vom Präsidenten Donald
Trump öffentlich beschimpfen zu lassen.
An diesem Freitag nun hält Powell eine
Rede, auf die Anleger allerorten, Politiker
und Vertreter internationaler Organisatio-
nen angespannt warten: Der unter enor-
mem Druck stehende oberste amerikani-
sche Währungshüter erklärt sich auf dem
ranghohen Geldpolitik-Treffen in Jack-
son Hole im Bundestaat Wyoming.
Die Veranstaltung steht dieses Jahr
zwar unter dem harmlos klingenden Titel
„Herausforderungen der Geldpolitik“. Die
aktuell größte Herausforderung ist jedoch
ein aggressiver Präsident im Weißen
Haus. Trumps Attacken auf Powell hatten
schon im Sommer 2018 begonnen, nur we-
nige Monate nach Powells Bestellung an
die Spitze der Federal Reserve. Inzwi-
schen folgen die Attacken auf diese wichti-
ge Institution aber in immer kürzeren Ab-
ständen. Und sie sind brutaler geworden.
Powell zeige einen grauenhaften Mangel
an Vision, verhalte sich wie ein störri-
sches Kind oder ein unfähiger Golfer, die
Fed sei ein größeres Problem als China
und laste auf Amerikas Wirtschaft wie ein
Mühlstein um den Hals, ätzte Trump in
jüngerer Zeit. Die Vorwürfe ergänzt der
Präsident mit konkreten Forderungen, die
er kurz vor Zentralbanksitzungen zu lan-
cieren pflegt: Um mindestens einen Pro-
zentpunkt müssten die Leitzinsen sinken,
und die Notenbank sollte endlich wieder
Anleihen kaufen, verlangte er zuletzt.
In dieser aufgeheizten Lage gerät in Ver-
gessenheit: Jerome Powell ist Trumps Kan-
didat. Aber naiv ist er nicht. Als er im Fe-
bruar 2018 zum Nachfolger von Janet Yel-
len ernannt wurde, dürfte er mit Versu-
chen aus dem Weißen Haus gerechnet ha-
ben, auf ihn als Person wie auf die Geld-
politik insgesamt Einfluss zu nehmen. Die
meisten amerikanischen Präsidenten ha-
ben das praktiziert, wenn auch diskret. Sie
alle befanden zu irgendeinem Zeitpunkt,
dass niedrigere Leitzinsen geboten seien,
nie forderte einer, die Geldpolitik zu straf-
fen, spöttelte Alan Greenspan, der von
1987 bis 2006 die Fed führte. Am besten
lege man sich Ohrenschützer zu, empfahl
der greise Zentralbanker kürzlich.
Und gerade Greenspan kann auf eigene
Erfahrung zurückgreifen. George W. H.
Bush hatte ihn ins Gebet genommen und
vor Zinserhöhungen gewarnt, und zuvor
schon Ronald Reagans Stabschef James
Baker. Den berühmtesten Beleg für Ein-
flussnahme in der Ära vor Trump lieferten
aber Tonaufzeichnungen aus den frühen
siebziger Jahren: Sie zeigen, wie der Präsi-
dent Richard Nixon den damaligen Noten-
bank-Chef Arthur Burns drängte, trotz ho-
her Inflation vor den Wahlen 1972 die
Geldpolitik zu lockern. Nachdem der Vor-
fall publik wurde, versuchten amerikani-
sche Präsidenten wenigstens öffentlich
den Eindruck zu erwecken, sie ließen
„ihre“ Notenbank in Ruhe.
Das galt bis Trump. Seitdem ist der
Druck auf Powell so groß geworden, dass
seine vier noch lebenden Vorgänger sogar
in einem Meinungsbeitrag für das „Wall
Street Journal“ ihre Sorge um die Unab-
hängigkeit der Federal Reserve formulier-
ten. Ihre Warnung gipfelte in der Forde-
rung, kein Zentralbanker dürfe der Dro-
hung ausgesetzt sein, abgesetzt oder degra-
diert zu werden, weil seine Geldpolitik
dem amerikanischen Präsidenten nicht
passt. Trump hatte zuvor Spekulationen
zirkulieren lassen, er prüfe die Möglich-
keit, Powell abzulösen. Was wie die harm-
lose Auslotung juristischer Spielräume
klingen sollte, war in Wirklichkeit ein An-
griff auf die Unabhängigkeit der Zentral-
bank.
Powells Lage wiederum ist so verzwickt,
weil er keine echte Chance hat, den ameri-


kanischen Präsidenten milde zu stimmen



  • und gleichzeitig seine Reputation als un-
    bestechlicher Lenker der Fed zu wahren.
    Paradoxerweise ist der Abstand zwischen
    den Zielen der beiden Männer übrigens
    gar nicht so groß, vordergründig zumin-
    dest: Beide wollen eine Rezession verhin-
    dern. Trump will so seine Wiederwahl
    nicht gefährden, für Powell gehört Krisen-
    abwehr zum Kerngeschäft. Selbst in der
    Wahl der präferierten Mittel ist die Kluft
    nicht übermächtig. Powell hat mit seinen
    Kollegen im Zentralbankrat die Normali-
    sierung der Geldpolitik auf dem historisch
    niedrigen Leitzinsniveau von 2,25 bis 2,
    Prozent im Januar beendet und im Juli so-
    gar eine Senkung um 0,25 Prozentpunkte
    durchgesetzt, als nur höchst zarte Zeichen
    einer wirtschaftlichen Abkühlung zu er-
    kennen waren. In historischer Perspektive
    war das ein ungewöhnlicher Schritt. Denn
    die Fed pflegte früher nicht, die Geldpoli-
    tik zu lockern, wenn Vollbeschäftigung
    herrscht und die Wirtschaftsleistung statt-
    lich wächst. „Tauben“ regieren nun die
    Fed, also eher linke Notenbanker, hätte
    man in weniger aufgeheizten Zeiten no-
    tiert und die Unterschiede registriert.


I


m Gegensatz zu jener Zeit, als noch
der knorrige Paul Volcker die Unab-
hängigkeit der Währungshüter prä-
sentierte: Der vertrieb bekanntlich
mit seiner Politik der hohen Leitzinsen die
zweistellige Inflationsrate, nahm zwei Re-
zessionen in Kauf und scherte sich nicht
um Jimmy Carters Wahlchancen. Heute

hingegen erlebt die Welt einen Zentral-
bank-Chef, der eine lockere Geldpolitik be-
treibt, um die belastende Unsicherheit aus
den Märkten zu nehmen, die Trump höchst-
selbst durch seine Handelspolitik provozier-
te. Die Fed bleibt in dieser Rolle zwar auto-
nom, notiert der Ökonom und ehemalige
Zentralbank-Gouverneur von Indien, Rag-
huram Rajan. Sie werde aber zugleich zum
Ko-Abhängigen, der die Fehler der Regie-
rungspolitik auszumerzen trachtet; die An-
leger an den Finanzmärkten erwarten das
im Übrigen von der Federal Reserve.
Doch woher kommt diese Aggressivität
Trumps gegenüber Powell eigentlich? Sie
ist nur durch Angst zu erklären. Trump
fürchtet (nicht ganz grundlos), dass eines
der teuersten wirtschaftspolitischen Expe-
rimente in der Nachkriegszeit wirkungs-
los verpufft. Die große Steuersenkung von
2017 in Kombination mit einem Staatsaus-
gabenprogramm im Volumen von 300 Mil-
liarden Dollar für zwei Jahre stimulierte
die amerikanische Wirtschaftsentwick-
lung in einer Phase, in der alle Indikatoren
ohnehin nach oben gewiesen hatten: His-
torisch niedrige Arbeitslosigkeit und mo-
derates Wachstum bestimmten die Aus-
gangslage, in der Trump und seine Repu-
blikaner ein Konjunkturprogramm aufleg-
ten, welches das jährliche Staatsdefizit auf
eine Billion Dollar in die Höhe schnellen
lässt. „Wenn man nur die Größe des Bud-
getdefizits angesichts der Konjunktur-
daten betrachtete, würde man rückschlie-
ßen, die Vereinigten Staaten befänden
sich im Krieg“, twitterte der Ökonom Jus-

tin Wolfers. Und Wirtschaftsnobelpreisträ-
ger Joseph Stiglitz stellte die Frage, was es
brauche, eine Wirtschaft in weniger rosi-
gen Zeiten am Laufen zu halten, wenn in
guten Zeiten schon ein Haushaltsdefizit
von einer Billion Dollar nötig sei. Tatsäch-
lich gilt eine Rezession in den Vereinigten
Staaten als nicht mehr ausgeschlossen.
Trump baut deswegen vor: Aufflam-
mende Ideen für ein neues Steuersen-
kungsprogramm hat er ad acta legen müs-
sen, womöglich wegen der neuen horren-
den Haushaltsdefizit-Prognosen. Der
Schuldige für eine mögliche Rezession
will er naturgemäß nicht sein. Seine Han-
delskriege dürfen darum nicht der Grund
für eine Abkühlung der Konjunktur sein –
bleibt als Hauptschuldiger also nur der
arme Powell.

D

em Präsidenten kommt dabei zu-
gute, dass an den Finanzmärk-
ten und in den sie begleitenden
Medien geldpolitische Mini-
schritte zu wirtschaftspolitischen Groß-
ereignissen stilisiert werden. Die Welt
macht die Notenbank größer, als sie ist.
Die Fed hatte infolge der Finanzkrise die
Zinsen von 5,25 Prozent auf null gesenkt
ohne große Wirkung, argumentiert Exper-
te Stiglitz. Warum sollen dann Trippel-
schritte von 0,25 Prozentpunkten etwas be-
wirken? Vielleicht zielt Trump dabei übri-
gens überhaupt nicht in erster Linie auf
die Unabhängigkeit der Fed – institutionel-
le Arrangements interessieren ihn
schlicht nicht. Er neigt in seinen Trans-
aktionen einfach dazu, „all in“ zu gehen,
um seinen Willen durchzusetzen. Und er,
darin gleicht er politisch erfolgreichen Po-
pulisten auf der ganzen Welt, wittert
Schwachstellen.
Hätten die Notenbanker noch die Aura,
die sie vor der Finanzkrise umwehte, hätte
Trump mit seinen Attacken womöglich ge-
zögert. Doch seitdem ist einiges passiert,
das auch an der Reputation der Fed nagt:
Sie hat, so der populäre Vorwurf, die Ent-
wicklungen übersehen, die zur Krise führ-
ten. Sie hat sie möglicherweise sogar be-
günstigt. Weil sie seit Jahren ihr Inflations-
ziel nicht erreicht, hegen einige den Ver-
dacht, dass die Zentralbanker ihre Instru-
mente nicht zielgenau einzusetzen vermö-
gen. Schließlich treffen ihre Prognosen zu
Wachstum und Inflation überraschend
häufig nicht ein – für die Entzauberung
der Federal Reserve brauchte es Trump
deshalb gar nicht. Doch Populisten wie er
nutzen dies und machen die Zentralban-
ken zu Sündenböcken, wenn sie fürchten
müssen, dass eine Krise ihre eigene Be-
schränktheit in der Wirtschaftspolitik zu
enttarnen droht.
In der Entzauberung der Fed könnte in-
des auch eine Chance liegen, spekuliert
Ökonom Rajan. Je schneller die Leute be-
griffen, dass Zentralbanker normale Men-
schen seien, die unter schwierigen Um-
ständen mit begrenzten Mitteln versuch-
ten, ihre Arbeit zu erledigen, desto weni-
ger würden sie erwarten, dass sie auf wun-
dersame Weise die Fehler der Politiker kor-
rigierten. Sie machten sich damit in beson-
derer Weise unabhängig – von zu hohen
Erwartungen nämlich. Powell hat in die-
ser Hinsicht mit seiner Kommunikations-
politik einen guten Anfang gemacht: Er
hat seine Unsicherheiten über die ökono-
mische Entwicklung nicht verschwiegen.

Trumps


Buhmann


Doinggreat with China and other
Trade Deals. The only problem
we have is Jay Powell and the
Fed. He’s like a golfer who can’t
putt, has no touch. Big U.S.
growth if he does the right thing,
BIG CUT – but don’t count on
him! So far he has called it
wrong, and only let us down ....
Donald J. Trump
Twitter: @realDonaldTrump,
21.8.2019, 14:52 Uhr

Jerome Powell lenkt die mächtigste


Zentralbank der Welt. Er schlägt eine


fast aussichtslose Schlacht.


Von Winand von Petersdorff,


Washington

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