Frankfurter Allgemeine Zeitung - 23.08.2019

(Barré) #1

SEITE 18·FREITAG, 23. AUGUST 2019·NR. 195 Wirtschaft FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG


chs. PARIS, 22. August. Vor dem
G-7-Gipfel in Biarritz will der französi-
sche Präsident Emmanuel Macron Kon-
zernchefs, Gewerkschaften und Nichtre-
gierungsorganisationen an diesem Frei-
tag im Elysée-Palast in Szene setzen. Als
Teil der „Zivilgesellschaft“ spielen sie
nach seinen Worten eine Schlüsselrolle
im Kampf gegen soziale Ungleichheit so-
wie Zerstörung von Klima und Umwelt.
„Er wird eine Reihe von Initiativen kon-
kret auf den Weg bringen, die das ganze
Jahr über vorbereitet wurden“, kündigen
seine Mitarbeiter an.
Zu den Projekten gehört eine Koalition
von bisher 34 internationalen Unterneh-
men von Danone über BASF bis zu Gold-
man Sachs, die sich „Business for inclusi-


ve Growth“ (B4IG) nennt. Neu ist daran,
dass sie sich für mehr soziale Gleichheit
starkmachen soll. Die Unternehmen ver-
sprechen, sich „entlang ihrer Zulieferket-
ten“ für Menschenrechte und „inklusive
Arbeitsplätze“ einzusetzen. Dies schließe
die „Bezahlung anständiger Löhne und
Ausbildungsmaßnahmen ein“, heißt es,
ohne dass allerdings ein Mindeststandard
konkretisiert wird. Die Unternehmen, die
rund um die Welt 3,5 Millionen Men-
schen beschäftigen und auf einen Gesamt-
umsatz von mehr als 1 Billionen Dollar
kommen, wollen sich für Chancengleich-
heit und den Kampf „gegen territoriale
Ungleichheiten“ einsetzen.
Die Anfänge der Initiative gehen auf
2018 zurück, als der Lebensmittelkon-
zern Danone und die OECD die Zusam-
menarbeit aufnahmen. Ein Sekretariat
der Koalition soll bei der OECD in Paris
angesiedelt sein, ebenso ein „Inkubator“,
der Projekte und Unternehmen mit sozia-
ler Orientierung hervorbringen soll. „Wir
glauben, dass der Kampf gegen Ungleich-
heit nicht nur die Sache der Regierungen
sein kann“, sagte der Danone-Vorstands-
vorsitzende Emmanuel Faber in Paris. Er

verspricht ein Engagement „ohne Ideolo-
gie“. Seit 2005 hätten 30 Prozent der
Haushalte in den G-7-Ländern reale Ein-
kommenseinbußen hinnehmen müssen.
Starke Ungleichheit sei nicht mehr nur
ein Phänomen in Entwicklungsländern.
„Es gibt immer mehr sichtbare Armut in
Städten wie Paris, Detroit oder Mon-
treal“. Laut Faber „ändert sich das Sys-
tem nur, wenn sich die Unternehmen än-
dern“. Immer häufiger würden auch Mit-
arbeiter, Kunden und Investoren von den
Unternehmen ein soziales oder ökologi-
sches Engagement erwarten. „Wir müs-
sen Bewerber und die Führungskräfte
von morgen anziehen. Das ist schwieriger
als früher“, erklärt Faber. Eine andere
Gruppe großer Unternehmen, darunter
SAP, DSM und Salesforce, hat in dieser
Woche auch die G-7-Regierungen aufge-
rufen, gemeinsam die CO 2 -Neutralität bis
2050 anzustreben. Die Unternehmen hät-
ten sich selbst ehrgeizige Klimaziele ge-
setzt, das sollten nun auch die Regierun-
gen tun, fordern sie in einer Erklärung.
„Tue Gutes und rede darüber“, ist ein
Spruch aus der Kommunikationsbran-
che, der nie alt wird. Zunehmend schi-

cken sich die Konzerne an, die Öffentlich-
keitsarbeit nicht den Politikern zu überlas-
sen. Doch sie schwören, dass ihr Engage-
ment mehr sei als ein PR-Projekt. Denn
wer nicht mitmache oder lediglich Hoch-
glanzbroschüren präsentiere, dem drohe
ein Imageschaden, der schnell auch in
konkrete geschäftliche Einbußen um-
schlage. Nichtregierungsorganisationen
verfolgen die Vorstöße mit Interesse: „Sol-
che Koalitionen können eine wichtige
Rolle spielen, wobei jede Initiative natür-
lich anders ist“, sagt Jan Kowalzig, Klima-
experte bei Oxfam Deutschland: „Sie kön-
nen aber keine effektive Gesetzgebung
oder internationale Vereinbarungen er-
setzen. In der Vergangenheit gab es genü-
gend Beispiele, in denen Industriekoali-
tionen genau diese Gesetzgebung verhin-
dert haben“. Zur schönen Rhetorik der
Konzerne will auch nicht richtig diese
Meldung des Statistischen Bundesamt
vom Donnerstag passen: Danach haben
die Unternehmen des produzierenden Ge-
werbes in Deutschland 2017 8,4 Milliar-
den Euro in den Umweltschutz investiert


  • 1 Prozent weniger als 2016. Im Jahr zu-
    vor betrug das Minus 2,1 Prozent.


„Wir müssen Führungskräfte von morgen anziehen“


pwe.TOKIO, 22. August. Das zerstörte
Atomkraftwerk Fukushima Daiichi wird
neuer Zankapfel im Wirtschaftsstreit zwi-
schen Südkorea und Japan. Das südkorea-
nische Außenministerium bestellte diese
Woche den japanischen Wirtschaftsatta-
ché in Seoul ein, um Bedenken über eine
mögliche Entsorgung radioaktiv ver-
seuchten Wassers aus Fukushima Daiichi
in den Pazifik zu äußern. Zugleich will
die Regierung in Seoul die Kontrollen
von Lebensmitteln aus Japan auf radioak-
tive Strahlung verdoppeln.
Als Zeichen des großen Misstrauens er-
wägt das südkoreanische Sportministeri-
um ferner, den koreanischen Athleten
während der Olympischen Spiele in To-
kio im kommenden Jahr Essen in einer ei-
genen Kantine zuzubereiten. Das Ministe-
rium will so verhindern, dass die Athle-
ten Nahrungsmittel aus der Region Fuku-
shima erhalten. Seoul untergräbt so den
Versuch der japanischen Regierung, mit
dem internationalen Sportwettkampf
neun Jahre nach dem Tsunami und der
dreifachen Kernschmelze im Kraftwerk
Fukushima Daiichi ein Signal für die Er-
holung der Region Fukushima zu setzen.
Einzelne Politiker in Südkorea fordern
gar einen Boykott der Olympischen Spie-


le. In Frage steht auch ein Trainingscamp
der koreanischen Sportler in Japan vor
den Wettkämpfen.
Die plötzliche Häufung der südkoreani-
schen Beschwerden über mögliche Strah-
lenbelastungen aus Fukushima geht ein-
her mit einem im Juli entfachten Handels-
streit zwischen Tokio und Seoul. Am Don-
nerstag kündigte Südkorea in dem sich
verschärfenden diplomatischen Konflikt
ein Abkommen mit Japan über den Aus-
tausch von militärischen Geheimdienst-
informationen auf. Das erschwert die Si-
cherheitskooperation der beiden Staaten
mit den Vereinigten Staaten. Ein Treffen
der beiden Außenminister Japans und
Südkoreas, Taro Kono und Kang Kyung-
wha, am Vortag in Peking hatte zuvor kei-
ne Annäherung gebracht.
Der Betreiber des havarierten Atom-
kraftwerks, Tokyo Electric Power Compa-
ny Holdings (Tepco), hatte Anfang Au-
gust erklärt, die Speicherkapazität für das
radioaktiv belastete Wasser auf dem
Kraftwerksgelände werde im Sommer
2022 erschöpft sein. Schon jetzt lagert
das Unternehmen mehr als 1 Million Ton-
nen Wasser in fast 1000 Tankbehältern.
Tepco lässt Wasser, das aus den havarier-
ten Reaktoren abgepumpt wird, durch Fil-

teranlagen laufen, um radioaktive Parti-
kel auszufiltern. Es bleibt eine vergleichs-
weise geringe Restbelastung mit Tritium.
Eine Regierungskommission und auch
internationale Fachleute erwägen als
eine Option, dieses Wasser über lange
Zeit kontrolliert und verdünnt in den Pazi-
fik einzuleiten, so wie es in anderen Kraft-
werken auf der Welt üblich ist. Das trifft
auf Widerstand der lokalen Fischer und
Organisationen wie Greenpeace. Andere
Optionen sind unter anderem die Ver-
dunstung des Wassers oder eine jahrelan-
ge weitere Lagerung. Über den Umgang
mit dem Wasser hat die japanische Regie-
rung noch nicht entschieden.
Die Angst vor dem Fukushima-Wasser
trifft sich in Südkorea mit der Angst vor
möglicherweise verstrahlten Lebensmit-
teln aus der Präfektur Fukushima. Südko-
rea hatte im Frühjahr vor der Welthan-
delsorganisation gegen Japan recht be-
kommen und darf die Einfuhr von 28
Fischarten, die in Fukushima und sieben
anderen Präfekturen gefangen wurden,
weiter verbieten. Die Regierung in Tokio
ist darüber verbittert, weil sie Lebensmit-
tel aus Fukushima strengen Kontrollen
unterwirft und argumentiert, dass die Pro-
dukte Strahlenwerte weit unterhalb inter-

national geltender Grenzwerte einhalten.
Viele andere Länder haben derweil in
den vergangenen Jahren ihre Einfuhrver-
bote gelockert oder gestrichen. Der Han-
delskonflikt zwischen den beiden Staaten
eskalierte im Juli. Japan hatte wegen Be-
denken über die Qualität der südkoreani-
schen Zollkontrollen seine Exportkon-
trollen für auch militärisch relevante Gü-
ter gegenüber Südkorea verschärft. Süd-
koreas Regierung reagierte empört und
vermutet einen Versuch Tokios, durch die
erschwerte Zulieferung von Vorproduk-
ten der koreanischen Display- und Halb-
leiterindustrie zu schaden. Seoul reagier-
te mit spiegelbildlichen Gegenmaßnah-
men, und in Südkorea gibt es Boykottauf-
rufe gegen japanische Waren.
Hinter dem Handelsstreit steht ein
emotional gefärbter Konflikt zwischen
den Regierungen darüber, ob japanische
Unternehmen noch Entschädigung für
frühere koreanische Zwangsarbeiter leis-
ten müssen. Das hatte das Höchste Ge-
richt in Südkorea entschieden. Die Regie-
rung in Tokio steht auf dem Standpunkt,
dass solche Ansprüche schon 1965 mit
dem Grundsatzvertrag zwischen beiden
Staaten und damaligen Zahlungen abge-
golten wurden.

BERLIN, 22. August (dpa). Die Politik
kommt aus Sicht eines Bündnisses meh-
rerer Verbände beim Bau von sozialen
und bezahlbaren Wohnungen nicht vor-
an. „Es ist trotz aller Ankündigungen im
Grunde genommen nichts passiert“, sag-
te Matthias Günther vom hannoverschen
Forschungsinstitut Pestel am Donnerstag
in Berlin mit Blick auf die Aktivitäten
der Bundesregierung. Das Institut hat im
Auftrag der Verbände ermittelt, wie vie-
le Sozialwohnungen pro Jahr gebaut wer-
den müssten, um ein Minimalziel von
zwei Millionen Einheiten im Jahr 2030
zu erreichen. Günther hält dafür 155 000
neue Sozialwohnungen im Jahr für not-
wendig – 80 000 Neubauten und 75 000
weitere durch Modernisierungsförde-
rung und den Ankauf von Belegrechten
im Bestand.
Stattdessen fielen von 2011 an rund
500 000 Wohnungen mehr aus dem Sozi-
alwohnungsbestand als neue geschaffen
wurden, heißt es in der Untersuchung.
Hinter der Auftragsstudie stehen die Bau-
gewerkschaft IG BAU, der Deutsche Mie-
terbund, die Caritas, der Bundesverband
Deutscher Baustoff-Fachhandel sowie
die Deutsche Gesellschaft für Mauer-
werks- und Wohnungsbau.

jul.FRANKFURT, 22. August. Wie gut
der einzelne Deutsche am gesellschaftli-
chen Leben teilnehmen kann, hängt maß-
geblich von seinem Wohnort ab. Das ist
die zentrale Aussage des „Teilhabe-At-
las“, den das Berlin-Institut für Bevölke-
rung und Entwicklung gemeinsam mit
der Wüstenrot Stiftung erstellt hat. Wer
in Baden-Württemberg, Teilen Bayerns
oder im südlichen Hessen wohnt, hat
deutlich bessere Zukunftschancen, ist
mobiler und gesundheitlich besser ver-
sorgt als die Bewohner in den meisten an-
deren Gebieten Deutschlands. Auch 30
Jahre nach dem Mauerfall stehen viele
ostdeutsche Regionen nach der Analyse
besonders schlecht da. Selbst aufstreben-
de Städte wie Leipzig oder Erfurt werden
als Wohnorte eingestuft, die ihren Be-
wohnern wenige Möglichkeiten zur ge-
sellschaftlichen Teilhabe bieten. Aller-
dings teilen sie dieses Schicksal mit den
Einwohnern einiger westdeutscher Städ-
te, vor allem im Ruhrgebiet, im Südwes-
ten von Rheinland-Pfalz, im Saarland,
Niedersachsen und in Schleswig-Hol-
stein.
Gemessen wurden die Möglichkeiten
zur Teilhabe anhand von Indikatoren wie

der Einkommenshöhe, der Quote von So-
zialleistungsempfängern und Schulabbre-
chern und der Versorgung mit Schulen,
Ärzten und Nahverkehr. Für eines der
größten Probleme halten die Autoren die
Bildungsdefizite, die sich vor allem in
den Regionen zeigen, die schon lange
mit der Abwanderung qualifizierter Men-
schen zu kämpfen haben. Dort verlasse
oft mehr als jeder Zehnte die Schule
ohne Abschluss. Die Studie hat auch un-
tersucht, inwiefern sich die tatsächlichen
Möglichkeiten zur Teilhabe mit der Wahr-
nehmung der Menschen decken. Hätten
die Bewohner das Gefühl, dass sich ihre
Region positiv entwickelt, schätzten sie
auch ihre persönliche Lage optimisti-
scher ein. „Gerade dort, wo die Men-
schen nach einer langen Durststrecke
wieder einen Aufwärtstrend verspüren,
blicken die Befragten meist positiv in die
Zukunft“, sagt Studienautor Manuel Slu-
pina. Umgekehrt fühlten die Befragten
sich besonders abgehängt, wenn sie den
Niedergang ihres Wohnortes als chro-
nisch erlebten und wenig Perspektiven sä-
hen. Allerdings sei es nicht so, dass in Re-
gionen mit schlechter Teilhabe zwingend
die AfD besonders erfolgreich sei.

now.BRÜSSEL, 22. August. Die nieder-
ländische Regierung plant offenbar als
Teil der Mitte September vorgestellten
Haushaltsplanung ein Finanzinstrument,
das insbesondere Investitionen in Infra-
struktur- und Forschungsvorhaben er-
möglichen soll – nicht zuletzt zur Förde-
rung der Künstlichen Intelligenz. Über
entsprechende Überlegungen während ei-
nes informellen Treffens des Kabinetts
aus Rechts- und Linksliberalen, Christli-
chen Demokraten und der calvinistischen
Christenunion haben am Donnerstag
übereinstimmend niederländische Me-
dien berichtet. Informationen der Zei-
tung „De Telegraaf“, dass sich der Fonds
aus bis zu 50 Milliarden Euro am Kapital-
markt aufgenommenen Mitteln speisen
könnte, wurden nicht bestätigt. Offen ist
auch, inwieweit schon im Haushalt für
2019 Mittel dafür gebunden werden sol-
len. Ministerpräsident Mark Rutte hatte
am Vortag erklärt, die Koalition müsse
angesichts des verlangsamten Wirt-
schaftswachstums Antworten darauf fin-
den, wie sich der Wohlstand langfristig si-
chern lasse. Die Regierung stellt ihren
Haushaltsplan traditionell am dritten
Dienstag im September, dem sogenann-
ten Prinsjesdag, im Parlament vor.


Kritik an Stillstand im


sozialen Wohnungsbau


Ein Riss geht durch Deutschland


30 Jahre nach dem Mauerfall ist der Osten noch abgehängt


Die Niederlande planen


Milliarden-Investitionen


Südkorea hat Angst vor atomarer Strahlung aus Japan


Wegen des zerstörten Atomkraftwerks Fukushima verschärft sich der Handelskonflikt beider Länder


Wirtschaft


Vor dem G-7-Treffen


versprechen große


Unternehmen mehr


soziales und ökologisches


Engagement. Dahinter


steckt nicht nur ein Grund.


Zwischen Urlaubern und Soldaten:Biarritz bereitet sich auf die Ankunft von Angela Merkel und Donald Trump vor. Foto AFP


Zu den Berichten über Freifahrten für
Soldaten der Bundeswehr (F.A.Z. vom


  1. August): Die Herausforderung dieser
    neuen wie augenscheinlich etwas zu
    schnell aufgelegten Initiative liegt nicht
    in der Freifahrt als solcher oder auch in
    der Frage, ob diese für alle Dienstgrade
    gelten solle. Aber hat die Bundeswehr
    nicht andere Sorgen? Zudem ist ein we-
    sentlicher Beitrag zur Beruhigung der
    Nato-Forderung nach Erhöhung des
    Wehretats mit diesem Vorhaben zu be-
    zweifeln.
    Vielleicht hätte man sinnvollerweise
    vor einem solchen vordergründig populä-
    ren Angebot die Truppe befragt oder all-
    gemeine Erfahrungswerte hinzugezogen.
    Nicht nur nach über 40-Jähriger Dienst-
    zeit, sondern als aktueller Vielbahnrei-
    sender stelle ich fest: Bei Privatreisen
    fährt kein Soldat in Uniform – warum
    auch. Kritischer sieht dies dagegen bei –
    bezahlten – Dienstreisen aus. Hier hat
    sich eine vom Dienstherrn bedauerlicher-
    weise nicht kritisierte Versteckkultur ent-


wickelt. Die Gründe hierfür sind unter-
schiedlich. Zum einen erfordert das Tra-
gen der Uniform für jeden – in der Tat für
jeden – Dienstgrad ein Minimum an sol-
datisch konformen Verhalten, zum ande-
ren lässt es sich – in welcher Art Zivil
auch immer – gut „verstecken“ und ver-
hindert zusätzlich aus Sicht des Soldaten


  • leider – mögliche und durchaus nicht
    nur müßige Fragen nach den Beweggrün-
    den zum soldatischen Dienen oder nach
    der aktuellen Sicherheitspolitik.
    Wenn der Soldat der Bundeswehr sich
    aus Bequemlichkeit, mangelnder Hal-
    tung oder aus Angst vor öffentlicher per-
    sönlicher „Zurschaustellung“ bislang
    dem tatsächlichen oder vermeintlichen,
    aber durchaus wohlwollenden gesell-
    schaftlicher Desinteresseallgemein nicht
    stellt, warum soll er dann mit dem Vehi-
    kel einer auch gesellschaftlich noch um-
    strittenen oder sogar provozierenden Frei-
    fahrt gezwungen werden, ausgerechnet
    dort in der Bahn „Flagge“ zu zeigen –
    welch ein Widersinn.
    ULRICH C. KLEYSER, BURGWEDEL


Briefe an die Herausgeber


Zu „Das Greta-Paradox“ (F.A.Z. vom 17.
August): Man muss kein Anhänger von
Greta Thunberg sein, um die Aufstellung
vergleichender CO 2 -Bilanzen für die At-
lantik-Überquerung lächerlich und ein Pa-
radoxon unbegründet zu finden. Zugege-
ben, weil alles mit allem zusammenhängt,
ist das offensichtlich Naheliegende nicht
immer das Beste. Aber hier sollte es doch
wohl in erster Linie um Symbolwirkung
gehen. Dann muss man die Bilanz auch
vollständig machen und darf die Haben-
Seite nicht vergessen. Angenommen,
(nur) 10 Millionen Menschen fänden die

Aktion richtig gut und entschlössen sich,
einmalig ein Kilogramm CO 2 einzuspa-
ren. Dann wären das rein rechnerisch
10 000 Tonnen, also wohl mindestens das
Hundertfache dessen, was theoretisch hät-
te eingespart werden können. Rechtfertigt
nicht allein diese Aussicht eine solche Ak-
tion?
Will man demnächst auch die CO 2 -Bi-
lanzen von Polarforschern, die uns auf die
möglichen Folgen der Erderwärmung auf-
klären, zum Gegenstand der Diskussion
machen?
THOMAS REICHEL, LICHTENAU

Zu „Die AfD schafft ein Klima, in dem
Gewalt denkbar wird“, Volker Bouffier
im Gespräch mit Marlene Grunert und
Julian Staib (F.A.Z. vom 12. August):
Den Äußerungen des hessischen Minis-
terpräsidenten kann ich voll zustimmen.
Nur eine seiner Bemerkungen zum Mord
an Walter Lübcke ist falsch: „Es war zu-
dem der erste Mord an einem Politiker
nach dem Krieg“. Richtig ist, dass Heinz-
Herbert Karry, 1968 bis 1970 Vorsitzen-
der der hessischen Landtagsfraktion der
FDP, ab 1970 hessischer Wirtschafts-
minister und stellvertretender Minister-
präsident, am 11. Mai 1981 in Frankfurt
am Main ermordet wurde. Er wurde in
seinem Bungalow in der Hofhausstraße
im Frankfurter Stadtteil Seckbach im
Schlaf angeschossen und verstarb eine
halbe Stunde später. Nach seiner Ermor-
dung wurde ein Bekennerschreiben der
linksextremen Terrorgruppe „Revolutio-
näre Zellen“ gefunden. Nach Auffassung
des damaligen Generalbundesanwalts
Kurt Rebmann war es am wahrschein-
lichsten, dass die Revolutionären Zellen
die Täter waren. Die Tat ist bis heute
nicht aufgeklärt.
DR. MICHAEL POPOVIĆ, EPPSTEIN

Die Kanzlerin hat bei ihrem Auftritt in
Stralsund (F.A.Z. vom 14. August) ihre
Flüchtlingspolitik mit den Worten vertei-
digt: „Meine Politik hat das Land nicht ge-
spalten. Wir haben in einer humanitären
Ausnahmesituation geholfen.“ Man kann
sich nur die Augen reiben. Frau Merkel
hat offensichtlich nicht nur Deutschland
tief gespalten, was auch ihre Partei, die
CDU, zu spüren bekommt, sondern auch
Europa. Es mag zwar aus humanitären
Gründen vertretbar gewesen sein, am his-
torischen 4. September 2015 die deutsch-
österreichische Grenze für Tausende
Flüchtlinge, die auf dem Hauptbahnhof
in Budapest gestrandet waren, im Allein-
gang zu öffnen. Bereits eine Woche spä-
ter hat aber die Koalitionsspitze wegen
des anhaltenden Flüchtlingsstroms ent-
schieden, die Grenze unverzüglich wie-
der zu schließen.
Diese Entscheidung hat jedoch der da-
malige Bundesinnenminister de Maizière
im Einvernehmen mit Frau Merkel nicht
umgesetzt. Bis heute, also fast vier Jahre
später, stehen die Grenzen für Flüchtlin-
ge immer noch sperrangelweit offen, so
dass nach Angaben des Bundesamts für

Migration und Flüchtlinge (Bamf) von Ja-
nuar bis Juli 2019 immerhin 100 233
Asylanträge (davon 13 883 Folgeanträ-
ge) gestellt worden sind.
Ein weiteres Beispiel für die mangeln-
de Glaubwürdigkeit der Kanzlerin ist
ihre Erklärung am 30. Januar 2016 auf
dem Parteitag der CDU Mecklenburg-
Vorpommern: „Wir erwarten, dass, wenn

... der IS im Irak besiegt ist, sie (die
Flüchtlinge) mit dem Wissen, das sie bei
uns erworben haben, wieder in ihre Hei-
mat zurückkehren.“ Bekanntlich ist der
IS im Irak seit März 2019 endgültig be-
siegt. Die irakische Regierung hat sogar
ihre Landsleute in Deutschland aufgefor-
dert, in ihre Heimat zurückzukehren.
Trotzdem macht das Bamf keine Anstal-
ten, die Anerkennung irakischer Flücht-
linge wegen Wegfalls des Schutzgrundes
zu widerrufen, obwohl das Amt dazu auf-
grund des Asylgesetzes verpflichtet ist.
Im Gegenteil: Es werden sogar weiterhin
irakische Flüchtlinge anerkannt. Frau
Merkel vertraut offenbar immer noch auf
die Gutgläubigkeit/Vergesslichkeit der
Bevölkerung.
HEINZ-JÜRGEN WURM, SIEGBURG


Zum Beitrag „Wieder Panne bei Flugbe-
reitschaft“ (F.A.Z. vom 13. August): Si-
cher scheint es vordergründig für einen de-
solaten Zustand der Flugbereitschaft der
Luftwaffe zu sprechen, dass unser wich-
tigster Repräsentant gegenüber dem Aus-
land, Herr Minister Heiko Maas, nun die-
ses Jahr zum vierten Mal wegen Ausfall
des vorgesehenen Flugeräts auf den kleine-
ren A319 umsteigen musste, um in diesem
Fall nach New York zu gelangen. Vermut-
lich war seine Mission so bedeutend oder
seine Entourage so groß, dass es ein A
sein musste.
Der geneigte Leser denkt nicht nur dar-
über nach, ob in Zeiten, in denen unsere
Politiker darüber nachdenken, als Vorrei-
ter gegen die Erderwärmung dem Bürger
allerlei Beschränkungen anzuempfehlen
oder gar aufzuerlegen, es nicht auch ein-
mal eine Nummer kleiner ginge, im Sinne
einer Vorbildfunktion.

Da erinnert man sich an die späten
siebziger Jahre. Da geschah es gelegent-
lich, dass am Freitagabend nach dem
Lufthansaflug von Köln/Bonn nach Ham-
burg im Gedränge des rumpeligen Zu-
bringerbusses zum Terminal man sich ne-
ben dem amtierenden Bundeskanzler
fand, er selbstverständlich mit der für ei-
nen Hamburger angemessenen Kopfbede-
ckung „Elbsegler“.
DR. JÜRGEN HEINZERLING, HAMBURG

Die angekündigte Neuordnung von hr
Kultur (F.A.Z. vom 16. Juli) ist erschre-
ckend, weil damit ein wesentlicher Pfeiler
der Existenzberechtigung des öffentlich-
rechtlichen Rundfunks demontiert wird.
Mit der Begründung eines geringer wer-
denden Hörerinteresses zeigen sich die
Folgen einer an Hörerzahlen orientierten
Programmpolitik. Diese Akzeptanzzahlen
sind für kommerzielle Programmanbieter
existenzsichernd (Werbeerträge), aber
nicht für einen durch Rundfunkbeitrag fi-
nanzierten öffentlich-rechtlichen Rund-
funk. Dieser hat unter anderem den Auf-
trag mit anspruchsvollen Programmbei-
trägen auch Minderheiten (100 000 Zu-
hörer!) zu bedienen, die gezielt ihre Sen-
dungen einschalten. So wie dies bisher in
hervorragender Weise hr2 Kultur zu leis-
ten instande war. Dies schließt nicht aus,
dass durch strukturelle Änderungen und
neue technische Vertriebswege ergän-
zend weitere Zuhörer gewonnen werden
sollten – aber nicht mit der veröffentlich-
ten Lösung, die anspruchsvollen Pro-
grammbeiträge zukünftig der „Durchhör-
barkeit“ in einem „Begleitprogramm“ un-
terzuordnen.
LUDOLF MÜLLER, FRANKFURT AM MAIN

Die Symbolwirkung Gretas


Heinz-Herbert Karry


Freifahrt, um Flagge zu zeigen?


„Wir erwarten, dass ihr zurückkehrt“


Mit Helmut Schmidt im rumpeligen Bus


Minderheiten bedienen


X
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beit geben, können wir nur einen kleinen Teil
veröffentlichen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob
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wir kürzen, denn möglichst viele Leser sollen zu
Wort kommen. Wir lesen alle Briefe sorgfältig und be-
achten sie, auch wenn wir sie nicht beantworten kön-
nen.
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