Frankfurter Allgemeine Zeitung - 23.08.2019

(Barré) #1

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Unternehmen FREITAG, 23. AUGUST 2019·NR. 195·SEITE 19


WOLFSBURG, 22. August


K

lausBischoff, Chefdesigner der
Marke Volkswagen, zeichnet
gern. „Der schnellste Weg, zu ei-
nem Ergebnis zu kommen, ist
immer noch das Analoge: Papier und
Stift“, sagt er und greift zu einem Stift
und zum Blatt Papier. „Um in einer Dis-
kussion eine Idee schnell zu visualisie-
ren, gibt es nichts Schnelleres.“ Bischoff
sitzt an einem Tisch in der dunklen „Wal-
halla“, dem Allerheiligsten im streng ge-
sicherten Entwicklungsgelände am
Stammwerk von VW in Wolfsburg.
Mausgrauer Teppich, die Wände mit
schwarzen Vorhängen verdeckt. In dem
Raum führen die Designer von VW den
Chefs die neuesten Modelle, die Autos der
Zukunft, vor. Heute ist der Saal leer, die
großen Monitore bleiben dunkel. Allein
am ausgeleuchteten Schreibtisch in der
Mitte von „Walhalla“ sitzt Bischoff und
spricht darüber, wie Digitalisierung und
die Wende zur Elektromobilität das De-
sign der Autos verändern werden.
Auf der IAA im September in Frank-
furt sollen die Kunden einen ersten Ein-
druck vom neuen Markendesign bekom-
men, dort wird das erste rein elektrisch
angetriebene Modell der Marke Volkswa-
gen Weltpremiere haben. „Der ID.3 ist
schon eine Rekordleistung gewesen, weil
er in sehr kurzer Zeit entwickelt wurde“,
sagt Bischoff. Zweieinhalb Jahre dauere
es in der Regel von der Idee bis zum abge-
nommenen fertigen Designmodell. Für
die Designer von Volkswagen ist der ID
schon fast wieder Geschichte. „Wir sind
im Design immer rund dreieinhalb bis
vier Jahre in der Zukunft.“ Besucher be-
kommen daher nur eine leere „Walhalla“

zu sehen, alle geheimen Entwürfe wur-
den vorher weggerollt.
Die Wende zur Elektromobilität begeis-
tert den VW-Chefdesigner. „Jetzt sind wir
an einem Punkt, an dem Design wieder et-
was mehr Raum erhält“, sagt er. „Unsere
Chance ist, das zu nutzen, zu begreifen
und den Freiraum auszudehnen und zu ge-
stalten.“ Bischoff, der 1961 in Hamburg ge-
boren wurde und seit 31 Jahren bei VW im
Design arbeitet, greift wieder zu einem
der Stifte auf seinem Tisch und zeichnet.
„Bei Elektroautos wird der Verbrennungs-
motor, egal wie groß er ist und wie viel
Kraft er hat, aus der Gleichung genom-
men. Der Motor ist nicht mehr das gestalt-
bestimmende Element. Kraft und Prestige
wurden an der Länge der Motorhaube ge-
messen. Das wird sich jetzt ändern.“ Er
zieht sich ein neues Blatt Papier heran,
zeichnet Autos aus der Frühzeit der Mobi-
lität. „Das Design des Autos kommt aus
der Form der Kutsche.“ Es gab einen Pas-
sagierraum, und die Pferde seien ersetzt
worden durch den Motor. „Das hat eine ar-
chetypische Form erschaffen, die uns über
viele Dekaden der Geschichte des Autos
begleitet hat“, sagt er. Bei allen unter-
schiedlichen Modellen habe stets ein
Grundgesetz gegolten: „Der Motor ist
meist vorne, und die Motorlänge be-
stimmt die Klasse des Autos.“ Auch der
VW Golf der 70er Jahre habe immer noch
nach diesem Rezept funktioniert. Für Bi-
schoff, der Industriedesign an der Hoch-
schule für Bildende Künste in Braun-
schweig studierte und 1989 zu Volkswa-
gen kam, war die Mitarbeit am Interieur
des Golf IV das erste eigene große Projekt.
Sein jüngster großer Streich, der ID.3,
soll von 2020 an über die Straßen rollen.

Schon jetzt gibt es nach VW-Angaben
rund 27 000 Vorbestellungen, hieß es am
Donnerstag auf einer Presseveranstaltung
des Konzerns. Die größten Veränderun-
gen gibt es dabei im Auto. „Die Elektro-
autos, die wir auf unseren Plattformen bau-
en, zeigen einen extrem großen Innen-
raum.“ Auf der Außenlänge eines VW
Golf bekomme man jetzt ein Fahrzeug mit
der Innenlänge eines VW Passats. „Raum
wird zur entscheidenden Bedeutung, weil
die Elektromotoren so klein sind, dass sie
zwischen den Rädern nicht mehr gestalt-
bestimmend wirken.“
Die Batterie sitzt im Unterboden – auch
das verändert den Innenraum. Bisher sei
die Gestaltung des Innenraums stark von
Komponenten beeinflusst worden. Das
verändere sich mit der Elektrifizierung
und der Digitalisierung. „Wir reden über
bildschirmgesteuerte Interieurs, wir ha-
ben also nicht mehr Knöpfe und Schalter,
sondern touch-intensive Flächen, die mit
digitalen Inhalten bespielt werden“, sagt
Bischoff. Das Design komme zu einer sehr
reduzierten, wohnlichen Gestaltung des
Innenraums, „die erst einmal durch Größe
und Einfachheit besticht“.
Auch wenn der Chefdesigner von neu-
en, offenen Türen spricht, durch die er
mit seinen rund 400 Mitarbeitern aus 30
Nationen gehen will, grenzenlose Frei-

heit bekommen die Auto-Designer auch
im Elektro- und Digitalzeitalter nicht.
„Autodesign ist eines der komplexesten
Projekte des Planeten geworden“, sagt Bi-
schoff. „Und es sieht nicht so aus, als
wenn diese Entwicklung bereits beendet
ist.“ Warum wird das Design beim Auto
immer komplizierter? Es gebe unwahr-
scheinlich viele technische Rahmenbe-
dingungen und technische Parameter, die
das Design erfüllen müsse. Der kreative
Spielraum sei eng. Bischoff weist auf das
Geflecht von Vorschriften hin, die techni-
schen Rahmenbedingungen, die Aerody-
namik, die vom Gesetzgeber vorgegebe-
nen Sicherheitsvorschriften. „Der Desi-
gner hat unheimlich viele Restriktionen,
mit denen er umgehen muss.“
Und doch: „Die Digitalisierung gibt uns
die Möglichkeit, Innenraumgestaltung völ-
lig neu zu denken“, sagt Bischoff, „weil
wir Komponenten wie Radio und Klima-
anlage nicht mehr übereinander stapeln
müssen.“ Es gebe jetzt nur noch ein Bau-
teil, in das alles integriert sei. Der neue
ID.3 war für den Chefdesigner und sein
Team aber nicht nur wegen der neuen
Technik eine Herausforderung.
Das Management um Konzern- und
Markenchef Herbert Diess will das Elek-
tromodell ID. nach dem VW Käfer und
dem VW Golf zu dritten, zur neuen Ikone

der Marke machen. „Wir werden die Mar-
kenerscheinung mit dem ID.3 verän-
dern“, kündigt Bischoff an. Auch die Mar-
ke habe sich transformiert nach dem Die-
sel-Skandal 2015. Das Unternehmen hat
sich unter der Führung von Diess auf die
Fahne geschrieben, vom Diesel-Sünder
zum Vorreiter bei der Reduzierung von
CO 2 -Emissionen zu werden und Elektro-
autos für jedermann zu bauen. „Das wird
im neuen Design sehr stark erlebbar
sein“, sagt Bischoff. „Wir entwickeln
eine einheitliche Designsprache. Das hat
es bei Volkswagen in dieser Form noch
nicht gegeben.“
Noch ist die neue Designsprache ein
Geheimnis – auch das veränderte Marken-
logo. Interessant ist aber, was Bischoff
schon verrät. Während die Marke VW der-
zeit auf allen wichtigen Märkten vor al-
lem mit großen Sportgeländewagen gute
Geschäfte macht, die im Design wuchtig
auftreten, proklamiert er für die Elektro-
mobilität das Gegenmodell. „In der auto-
mobilen Gestaltung sieht man heute sehr
viele Kanten, Ecken und große Mäuler“,
sagt er. „Elektromobilität öffnet uns jetzt
die Tür zu einer sympathischen, nachhal-
tigeren Gestaltung. Diesen Weg wollen
wir gehen.“ Das neue Design werde ein
Gegenentwurf zu einer immer aggressi-
ver werdenden Form der Gestaltung sein.

Die Formen werden weicher, runder –
wie der Käfer oder der VW-Bus der
1960er Jahre? Was bislang vom ID.3 zu se-
hen ist, weist in diese Richtung. Bischoff
sieht das Design von VW in der Tradition
des Bauhauses: klar, sauber, funktionsori-
entiert. „Es ist eine Art von reduzierter,
sehr direkter Gestaltung, die auf alles Un-
nötige verzichtet“, sagt er. „Die Elektro-
mobilität gibt mit den großen Rädern
und mit den kurzen Radständen der Fahr-
zeuge eine Chance, uns auf diese Tradi-
tion noch einmal zu besinnen.“
Wieder greift Bischoff zu seinen Stif-
ten. „Ich denke mit dem Stift in der Hand
und visualisiere das, was ich an Ideen
habe, mit dem Stift.“ Auch seine Arbeit
wandelt sich durch Technik. Mit dem Stift
bleibe Design zweidimensional, mit dem
VR-Tool zeichneten Designer heute auch
im Raum. „Es ist natürlich großartig, et-
was dreidimensional zu entwerfen“, sagt
er. „Ich sehe, dass viele meiner Mitarbei-
ter diese neuen Tools begeistert ausprobie-
ren und nutzen.“ Beim Design gehe es
letztlich nicht darum, wunderschöne Illus-
trationen zu schaffen, „sondern Probleme
zu lösen und darüber mit anderen zu disku-
tieren“, sagt er. „Wenn es um genaue
Zeichnungen geht, greift natürlich schon
die Digitalisierung, weil vieles realisti-
scher darzustellen ist.“

Ein Stift, ein Blatt Papier:VW-Chefdesigner Klaus Bischoff (rechts) arbeitet am Aussehen der Autos der Zukunft. Fotos Patrick Slesiona


VW will weiche

Formen statt

großer Mäuler

Bisher wurde Prestige an der Länge derMotorhaube


gemessen. Mit Elektroautos ist das vorbei.


Der VW-Chefdesigner erklärt, warum neue


Antriebe das Aussehen von Autos verändern.


Von Carsten Germis


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