Frankfurter Allgemeine Zeitung - 23.08.2019

(Barré) #1

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Sport FREITAG, 23. AUGUST 2019·NR. 195·SEITE 27


FRANKFURT. Über die generelle körper-
liche Unterlegenheit seines Kaders gegen-
über den großen Nationen macht sich Fe-
lix Koslowski keine Illusionen. „Wir gehö-
ren physisch nicht zur Spitze“, sagt der
Volleyball-Bundestrainer vor der Europa-
meisterschaft, die für die deutschen Frau-
en an diesem Freitag (14.30 Uhr) mit dem
Auftaktspiel gegen die Schweiz in Brati-
slava beginnt und erstmals mit 24 Mann-
schaften in vier Ländern ausgetragen
wird. Der Spielplan sieht vier weitere Vor-
rundenspiele binnen fünf Tagen vor, ehe
die jeweils besten vier der Sechsergrup-
pen in die K.-o.-Phase starten. Auch ange-
sichts des happigen Programms setzt Kos-
lowski darauf, kraftsparend zu agieren,
um das Minimalziel Viertelfinale errei-
chen zu können. „Es gibt keine erste
Sechs und keine zweite Sechs. Wir trainie-
ren im Rotationsprinzip. Jede muss mit je-
der spielen können“, sagt der Verfechter
flacher Hierarchien. Spielerinnen, die sel-
tener auf dem Parkett stehen, adelt er als
„Rollenspielerinnen“, die auch mal nur
für eine Situation eingewechselt werden
und so ihren Beitrag am Gesamterfolg
leisten. Aus der Erkenntnis, kleiner und
leichter als Gruppenfavorit Russland
oder Titelverteidiger Serbien aufgestellt
zu sein, zieht Koslowski dennoch positive
Schlüsse: „Wir können keine einfachen
Bälle mit Kraft verwandeln, deshalb müs-
sen wir innovativer sein als die anderen.“
Die Europameisterschaft geht er mit ei-
nem jungen Team an, dessen Durch-
schnittsalter bei nur 23,7 Jahren liegt.
Sechs der 14 Spielerinnen nehmen zum
ersten Mal an einer EM teil. Nur die 25
Jahre alte Außenangreiferin Jennifer
Geerties war schon 2013 dabei, als „die

Schmetterlinge“, wie sich die deutschen
Volleyball-Frauen bezeichnen, zuletzt
EM-Silber gewannen. Herausragende Fi-
gur des Teams ist Diagonalangreiferin
Louisa Lippmann. Die 24-Jährige spielte
in der vergangenen Saison für Il Bisonte
Firenze in der italienischen Serie A. Nach
der EM wird sie zu den Shanghai Volleys
in die Liga des Olympiasiegers China
wechseln, was nicht nur sportlich sehr an-
spruchsvoll, sondern auch finanziell ex-
trem lukrativ für sie ist. Der Bundestrai-
ner äußerst sich positiv über die Entwick-
lung seiner besten Spielerin, die er schon

als Vereinstrainer in Schwerin begleitete.
Sie sei „als Person gereift“, nachdem sie
„raus aus der Kinderstube, raus aus dem
Wohnzimmer“ gegangen war und nun
noch einen weiteren Schritt wagen wer-
de. „Das ist gut für sie, aber auch wichtig
für uns“, sagt Koslowski.
„Spielintelligenz“ ist einer der Lieb-
lingsbegriffe des 35-Jährigen, der bei der
Nominierung seines Kaders auch darauf
achtete, ob die Spielerinnen Spielwitz mit-
bringen und „out of the box“ denken kön-
nen, wie er die Fähigkeit zum Querden-
ken bezeichnet. Vor allem im Angriffs-

spiel versucht der leidenschaftliche Trai-
ner und Tüftler stets, sich mit seinem
Team „neue Lösungen“ zu überlegen, um
die vermeintlich Überlegenen mit schnel-
len Varianten zu überraschen. „Kleinig-
keiten finden“ nennt er das. Auch Geduld
gehört zu den Tugenden, die Koslowski
als maßgeblich erachtet, um dem Spiel
jenseits von Mühe und Kraft eine beson-
dere Komponente zu verleihen. „Da wir
nicht alle über Nacht zehn Zentimeter
wachsen, müssen wir konsequent sein“,
sagt Louisa Lippmann dazu.
Felix Koslowski gilt als Volleyballver-
rückter und hat auch kein Problem damit,
als solcher bezeichnet zu werden. Als
Spieler brachte er es fünfmal zum deut-
schen Jugendmeister mit dem Schweriner
SC, doch schon mit 19 begann er als Ko-
Trainer in seinem Heimatverein. Als er
22 war, holte ihn der damalige Bundestrai-
ner Giovanni Guidetti in den Stab des
Frauen-Nationalteams. Es war die erfolg-
reichste Zeit der „Schmetterlinge“, die da-
mals zwei EM-Silbermedaillen nacheinan-
der gewannen. „Mich hat der Erfolg bei
der EM im eigenen Land extrem ange-
spornt“, erinnert sich die beim USC Müns-
ter groß gewordene Louisa Lippmann an
den Erfolg 2013, bei der sie selbst gerade
erst auf dem Sprung ins Nationalteam
stand, ehe sie binnen eines halben Jahr-
zehnts eine beachtliche Karriere aus der
westfälischen Provinz in die Weltspitze
hinlegte. Die 1,90 Meter große Diagonal-
spielerin mit dem starken Schmetter-
schlag spielt eine Sonderrolle in Kos-
lowskis Kollektiv. Sie muss nicht immer
besonders kreative Lösungen finden, son-
dern darf auch mal einfach draufhauen,
wenn es die Situation erfordert – und
schnörkellos punkten. ACHIM DREIS

Ein „Volleyball-
Verrückter“ bei
der Arbeit:
Bundestrainer
Felix Koslowski.

Foto dpa


Tödlicher Ruder-Unfall
Dertödliche Unfall eines behinderten
Sportlers aus Weißrussland bei den Vor-
bereitungen zur Ruder-Weltmeister-
schaft in Österreich ist auf ein defektes
Sportgerät zurückzuführen. Eine Stabili-
sationsvorrichtung am Boot sei gebro-
chen, teilte die Polizei am Donnerstag
mit. Dadurch sei das Boot gekippt. Der
33 Jahre alte, querschnittgelähmte
Sportler galt laut Polizei als guter
Schwimmer. Warum er nach dem Ken-
tern dennoch untergegangen ist, bleibe
unklar. Der Ruderer war am Mittwoch
mit seinem Einer im Training auf der
Regattastrecke Ottensheim bei Linz
beim Wendepunkt umgekippt. Er konn-
te sich aus den Sicherungen am Sitz und
an den Füßen befreien. Kurz vor dem
Eintreffen der Rettungskräfte ging der
33-Jährige plötzlich unter. Das Ruder-
boot wurde sichergestellt. Es zeigte
sich, dass einer der seitlich am Boot zur
Schwimmstabilisierung angebrachten
Arme gebrochen war. (dpa)


  1. EM-Titel für Isabell Werth


Die sechsmalige Dressur-Olympiasiege-
rin Isabell Werth hat mit ihrer Stute Bel-
la Rose den Grand Prix Special in Rotter-
dam gewonnen. Es war Werths 19. Euro-
pameistertitel, schon am Dienstag hatte
sie mit der deutschen Equipe in der
Mannschaftswertung gesiegt. Zweite
wurde Dorothee Schneider mit Showti-
me. Am Samstag beschließt die Grand
Prix Kür die Dressur-Wettbewerbe. (sid)

Zverev gegen Albot


Deutschlands bester Tennisprofi Alex-
ander Zverev hat für die am Montag be-
ginnenden US Open eine lösbare Auf-

taktaufgabe zugeteilt bekommen. Der
Weltranglistensechste bekommt es in
New York zunächst mit dem Weltrang-
listen-40. Radu Albot aus der Republik
Moldau zu tun. Das ergab die Auslo-
sung am Donnerstag. Angelique Kerber
erwischte dagegen eine unangenehme
Erstrunden-Gegnerin. Die bis auf Platz
14 abgerutschte Kielerin trifft zum Auf-
takt auf die Französin Kristina Mladeno-
vic. Julia Görges spielt gegen die Russin
Natalja Wichljanzewa. (dpa)

Degenkolb zu Lotto-Soudal
Radprofi John Degenkolb hat kurz vor
dem Auftakt der Spanien-Rundfahrt ei-
nen neuen Arbeitgeber für die kommen-
den beiden Jahre gefunden. Der 30-Jäh-
rige wechselt vom amerikanischen
Team Trek-Segafredo zum belgischen
Rennstall Lotto-Soudal. Degenkolb be-
streitet von Samstag an seine sechste
Vuelta, für die Tour de France war er
von Trek nicht nominiert worden. „Wir
wollen in den Klassikern glänzen, das
ist der Plan für den ersten Teil der Sai-
son“, sagte Degenkolb. (sid)

In Kürze


mr. BERLIN.Der derzeit schnellste
Mann der Welt könnte bei der bevorste-
henden Weltmeisterschaft der Leicht-
athleten in Doha und bei den Olympi-
schen Spielen von Tokio im nächsten
Jahr fehlen. Die britische Zeitung „Dai-
ly Mail“ berichtet, dass der Amerika-
ner Christian Coleman, Zweiter der
Weltmeisterschaft von London 2017
über 100 Meter und Favorit auf den Ti-
tel bei der Ende September ausgetrage-
nen Weltmeisterschaft, drei Doping-
Kontrollen außerhalb von Wettkämp-
fen innerhalb des vergangenen Jahres
verpasst habe. Zwischen amerikani-
scher Anti-Doping-Agentur (Usada),
Welt-Anti-Doping-Agentur und der
für Doping-Fälle zuständigen Integrity
Unit (IU) des Leichtathletik-Weltver-
bandes (IAAF) fänden intensive Bera-
tungen statt. Die Rechtsvertreter des
Sprinters bestritten mindestens einen
der sogenannten „missed tests“; soll-
ten sie ihre Auffassung durchsetzen,
könnte Coleman in Doha starten. An-
dernfalls droht ihm eine Sperre von
ein bis zwei Jahren. Selbst bei der Min-
deststrafe würde er nicht an den Trials,
der obligatorischen Qualifikation für
die im August 2020 stattfindenden
Olympischen Spiele, teilnehmen kön-
nen.
Der 23 Jahre alte Coleman hat den
Sprint bei den Trials dieses Jahres ge-
wonnen und führt die Weltbestenliste
dieses und der vergangenen beiden Jah-
re an mit 9,81, 9,79 und 9,82 Sekun-


den. In der Halle hält er mit 6,34 Se-
kunden den Weltrekord über 60 Meter.
Sollte er gesperrt werden, wäre sein 37
Jahre alter Landsmann Justin Gatlin
Favorit in Doha, der Mann, den das Pu-
blikum in London vor zwei Jahren aus-
buhte, weil er zweimal wegen Dopings
gesperrt war. Als Titelverteidiger be-
sitzt er Startrecht bei der Weltmeister-
schaft und konnte bei den Trials auf
die Teilnahme am Finale verzichten.
Seine Bestzeit dieses Jahres steht bei
9,87 Sekunden. Die Website lets-
run.com machte bekannt, dass Gatlin
wieder bei dem überführten Doper
Dennis Mitchell trainiert, von dem er
sich angeblich 2017 trennte.
Auf der Website der Nationalen
Anti-Doping-Agentur der Vereinigten
Staaten sind für Coleman 27 Kontrol-
len angegeben; in welchem Zeitraum
diese genommen wurden, ist nicht er-
sichtlich. Zusätzlich zu diesen Tests in
Verantwortung von Usada lässt auch
der Weltverband der Leichtathleten sei-
ne Top-Athleten regelmäßig außerhalb
von Wettkämpfen testen. Usada und
IU haben bis Redaktionsschluss dieser
Ausgabe Anfragen zum Fall Coleman
nicht beantwortet.


Christian Colemanist der
derzeit schnellste Mann
der Welt. Foto EPA

ANTWERPEN (dpa). Deutschlands
Hockey-Herren haben das Endspiel
der Europameisterschaft in Antwer-
pen knapp verpasst. Gegen Weltmeis-
ter und Ausrichter Belgien verlor die
Mannschaft von Bundestrainer Stefan
Kermas am Donnerstag in einem hoch-
klassigen Halbfinale 2:4 und trifft nun
im Spiel um Platz drei am Samstag auf
die Niederlande. Spanien hatte zuvor
Titelverteidiger Niederlande überra-
schend 4:3 besiegt. Den DHB-Herren
war von Beginn an anzumerken, dass
sie unbedingt ins Finale einziehen und
sich zugleich für die im Juni in der Pro
League erlittene 0:8-Niederlage am
Olympia-Zweiten revanchieren woll-
ten. Sie agierten konzentriert und
stoppten das Hochgeschwindigkeits-
Hockey der Belgier – so gut es ging.
Und sie zeigten erstklassige Konter,
die Christopher Rühr (21. Minute) und
Florian Fuchs (26.) vollendeten. Nach
dem Wechsel drängten aber die Bel-
gier, die nach zwei Strafecken zum Aus-
gleich kamen und damit wieder im
Match waren (46./54.). Ein Doppel-
schlag in der Schlussphase (56./59.) be-
siegelte dann die bittere deutsche Nie-
derlage.


ROTTERDAM.„Mannomann.“ Bun-
destrainer Otto Becker atmete hörbar
durch und legte seinem Reiter Daniel
Deußer dankbar die Hand auf den Arm.
Der hatte gerade die deutsche Springrei-
ter-Equipe zurück ins Medaillenspiel ge-
bracht bei den Europameisterschaften in
Rotterdam. Seine Null-Fehler-Runde mit
seinem Hengst Tobago Z zum Schluss ei-
nes nervenaufreibenden zweiten von
drei Wettkampftagen war dringend nö-
tig, um nicht unrettbar hinter die Konkur-
renz zurückzufallen. Nach dem gelunge-
nen Zeitspringen zur Eröffnung am Mitt-
woch, nach der ersten Runde des Natio-
nenpreises am Donnerstag und vor dem
Showdown an diesem Freitag liegt die
deutsche Equipe auf dem zweiten Platz,
nur 1,15 Fehlerpunkte hinter den führen-
den Belgiern. Es ist also noch alles drin,
denn für jeden Abwurf werden im Spring-
reiten vier Fehlerpunkte angekreidet,
der belgische Vorsprung wäre durch Zeit-
überschreitung um mehr als vier Sekun-
den aufgebraucht. Aber auch die deut-
schen Reiter können Fehler machen, wie
man am Donnerstag sah: Weltmeisterin
Simone Blum (Zolling) hatte mit Alice
eine Nullrunde vorgelegt, doch sowohl
bei Christian Ahlmann (Marl) mit Clin-
trexo als auch bei Marcus Ehning (Bor-
ken) mit Comme il faut fielen je zwei
Stangen. „Auch diese beiden sind gut ge-
sprungen“, sagte Becker. Sein Blick auf
die Schlussrunde bleibt also zuversicht-
lich. Allerdings liegen auch die drittpla-
zierten Briten dicht hinter den Deut-
schen: 1,19 Punkte. „Gold ist möglich“,
sagte der hochzufriedene Deußer.
Das Interessanteste an einer Reiter-
Equipe ist natürlich das Pferde-Quartett.
Viele sind Genies mit Anflug von Wahn-
sinn, und die Reiter tun gut daran, sie
nicht in eine Schablone zu pressen. Alice
etwa, die Fuchsstute von Weltmeisterin
Simone Blum, ist so schwierig wie
sprunggewaltig. Bei ihr sehen die schwe-
ren Championats-Parcours plötzlich
ganz leicht aus. Dazu ist sie schnell. Im
Zeitspringen am ersten Tag sollte Simo-
ne Blum zwar als erste Starterin eine Si-
cherheitsrunde ohne das letzte Risiko
vorlegen. Trotzdem landete sie noch auf
Rang 13 von 70 Startern. Am Donners-
tag folgte eine souveräne Nullrunde mit
höchstens einer kleinen Unsicherheit am
letzten Sprung, die aber nicht mit einem
Abwurf bestraft wurde. Simone Blum
hielt zufrieden inne: „Ich genieße den
Moment.“
Alice ist sehr eigenwillig. Man könnte
auch sagen zickig. Das Interesse von
Hengsten – die übrigen drei deutschen
Pferde sind allesamt welche – quittiert
sie ziemlich hochnäsig. „Die interessie-
ren sie nicht“, sagt Simone Blum. Alice
werde höchstens böse. Überhaupt ist ihr
Verhältnis zu ihren Artgenossen nicht be-
sonders. Simone Blum startet am liebs-
ten als erste Mannschaftsreiterin, weil
dann die Hektik auf dem Abreiteplatz
noch nicht so groß ist. In jeder Runde
der beiden kann man sehen, wie gut Rei-
terin und Pferd aufeinander eingespielt
sind. Wenn die lebhafte Alice einmal spa-
zieren schaut, hat Simone Blum die Ge-
genmaßnahme auch schon ergriffen. Ein
kongeniales Paar.
Auch Clintrexo, der junge Schimmel-
hengst von Christian Ahlmann, hat seine
Schwierigkeiten mit dem Abreiteplatz.
Wenn der eng ist wie in Rotterdam und
viele Pferde unterwegs sind, wird er zum
Angsthasen. „Ich versuche deshalb, erst
im Parcours richtig zu galoppieren.“ Ahl-

mann absolviert nur eine minimale Zahl
an Probesprüngen. Danach prescht er
mit Volldampf in die Arena. Wenn es
ernst wird, legt das Pferd seine Ängste ab
und attackiert furchtlos die Sprünge.
Dann spielt Ahlmann die variable Galop-
pade des Zangersheider Zuchthengstes
aus. Seine Runde im Zeitspringen am
Mittwochabend wirkte wie eine elegant
gelöste Rechenaufgabe. Am Donnerstag
war Clintrexo dann allerdings noch so
sehr im Speed-Modus, dass er Schwierig-
keiten mit dem Innehalten bei techni-
schen Anforderungen hatte. Die Folge:
Zwei Fehler jeweils an Steilsprüngen.
„Morgen ist ein neuer Tag“, tröstete sich
Ahlmann.
Das Gegenteil von Clintrexo ist in
Tempo-Fragen Tobago Z, der Hengst des
Weltranglisten-Dritten Daniel Deußer,
ein beherztes, ebenfalls aus Zangershei-
de stammendes Tier. Seine Galoppade
ist kurz und kann nicht beliebig verlän-
gert werden, so dass Deußer sein Pferd
nur eingeschränkt beschleunigen kann.
Die Stunde des kampfstarken Füchs-
leins, das noch kleiner aussieht, wenn
der baumlange Reiter darauf sitzt,
schlägt immer dann, wenn andere die
Luft anhalten. In den großen, schweren
Parcours, von denen Tobago sich nicht
einschüchtern lässt. Am Donnerstag wa-
ckelte zwar eine Planke – fiel aber nicht.
Auch Comme il faut, der Sohn der le-
gendären Stute Ratina Z, ist ein großer
Kämpfer. Marcus Ehning, einer der er-
fahrensten und gefühlvollsten Reiter der
Welt, sitzt im Sattel des Braunen. Seine
Aufgabe: seinem Pferd das Selbstvertrau-
en zu vermitteln, das ihn dazu bringt, im-
mer wieder weit über sich hinauszuwach-
sen. Die Kombination macht also die
Qualität aus, genau wie bei Deußer und
Tobago. Ein kleiner Hengst mit großem
Herzen und ein Reiter, der an ihn glaubt
und ihm zeigt, wie’s geht. Als es losging
bei dieser EM für die beiden, hielten die
Zuschauer erst einmal die Luft an und
Comme il faut auch angesichts zweier
Riesensprünge zu Beginn. Doch er ließ
sich nicht hängen, spannte sich vor je-
dem Sprung wie eine Feder und hob ab.
Dass ausgerechnet diesen beiden am
Donnerstag zwei Fehler an den eher tech-
nisch anspruchsvollen Steilsprüngen pas-
sierten, überraschte darum alle. An die-
sem Freitag will Ehning es besser ma-
chen. EVI SIMEONI

Handball,Bundesliga, Männer, 1. Spieltag:
SC Magdeburg – HBW Balingen-Weilstetten
38:26, HSG Wetzlar – TBV Lemgo Lippe
28:32, HSG Nordhorn-Lingen – Bergischer
HC 21:26.


Hockey,Europameisterschaft in Antwerpen,
Herren, Halbfinale: Niederlande – Spanien
3:4, Belgien – Deutschland 4:2.


E

in Nordderby weitgehend hilflos
auf der Bank miterleben zu müs-
sen ist dann doch eine ganz ande-
re Erfahrung, als mittendrin zu
sein und eingreifen zu können. Es müssen
Momente der Ohnmacht, aber auch lehr-
reiche Augenblicke für Filip Jicha gewe-
sen sein, als er sah, wie planlos, wie ideen-
los der THW Kiel den langen letzten An-
griff dieses Handball-Supercups in Über-
zahl verspielte. Jede Faser seines Trainer-
Körpers schien in diesen Augenblicken
nach einem wenn nicht klugen, so doch
wenigstens überzeugendem Abschluss zu
schreien. Erst als nur noch wenige Sekun-
den zu gehen waren, „nahm“ sich Anfüh-
rer Domagoj Duvnjak den Wurf – doch
seine Position war nicht allzu günstig,
und der Ball flog über das Tor. Die Chan-
ce auf den Sieg in letzter Sekunde war ver-
geben, und im folgenden Siebenmeterwer-
fen hatte Meister SG Flensburg-Hande-
witt im Duell mit dem Pokalsieger den
besseren Torhüter und holte sich somit
am Mittwochabend in Düsseldorf den
ersten Titel der jungen Handball-Spiel-
zeit 2019/20: Benjamin Buric, eigens für
den Strafwurf-Wettbewerb eingetauscht,
wehrte Duvnjaks Versuch ab. Die Flens-
burger jubelten über den dritten Super-
cup-Gewinn. Jicha, der neue Kieler
Coach, musste eine Niederlage in diesem
prestigeträchtigen 100. Nordderby erklä-
ren.
Dabei schimmerte wieder eine Haltung
durch, die man zuletzt öfter beim neuen
Trainer des THW Kiel verspürt hatte: Ihm
scheinen bei seinen Profis die Fokussie-
rung auf den Moment und der unbedingte
Wille, zu gewinnen, zu fehlen – Eigen-
schaften, die ihn einst als Profi auszeich-
neten. „Wir wollen wieder dahin zurück-
kommen, dass wir nicht von Saisonzielen
reden, sondern von Spiel zu Spiel den-
ken“, sagte Jicha, „so eine Niederlage öff-
net uns die Augen, wie viele Themen es
bei uns gibt, an denen wir arbeiten müs-

sen.“ Jicha möchte wieder eine Wagen-
burg-Mentalität beim THW entwickeln,
ein Wir-Gefühl, das an Noka Serdarusics
beste Zeiten erinnert. Da wurde auch
kaum mal ein Wort über den jeweiligen
Gegner oder ferne Vorhaben verloren,
sondern einfach gespielt. Und gewonnen,
meist. Man darf nicht vergessen, dass Ji-
cha in seinem Jahr unter Serdarusic zwar
im Schatten Nikola Karabatics stand, das
war 2007/08, aber vom Altmeister gefor-
dert und gefördert wurde. Die Werte von
Teamgeist und Siegermentalität sind
auch seine Antriebsmotoren. Dabei trägt
Jicha die Erwartungshaltung ähnlich
breitschultrig wie seine namhaften Vor-
gänger, zumindest nach außen: „Egal, in
welcher Funktion, die Ansprüche ändern
sich nicht in diesem Verein. Druck ist im-
mer anwesend“, sagte Jicha bei „Sky“.
Vieles war gut, was der THW zeigte. Ab-
wehr und Torwart, die Achse Duvnjak-
Weinhold, das sind bekannte Stärken. Ji-
cha will aber mehr Finesse, Tempo, Über-
raschung. Die reine Definition über indi-
viduelle Klasse vorn und pure Härte hin-
ten genügt ihm nicht. Mit Blick auf die
Champions League fehlen allen deut-
schen Teams die vielseitigen Rückraum-

spieler, die große Spiele entscheiden. Wie
die deutsche Nationalmannschaft vertrau-
en Kieler und Flensburger vor allem der
Defensive. Das klappt. Doch in der Offen-
sive wird es schon mal dünn. Erst mit
dem Einbau Sander Sagosens in einem
Jahr wird der THW Kiel im Angriff mehr
bieten können als das Altbekannte.
Die Konkurrenz aus Magdeburg und
Mannheim wird dieses Spiel gesehen und
Hoffnung geschöpft haben: Der Titel
muss nicht zwangsläufig über den THW
oder die SG gehen – die Löwen und der
SCM haben gute Chancen, zumal ihnen
die Champions-League-Belastung fehlt.
Für Jicha war das 31:32 bei aller Detailkri-
tik dennoch kein Grund, Alarm zu schla-
gen. „Wir haben gegen den deutschen
Meister unentschieden gespielt“, sagte er.
„Das Siebenmeterwerfen zählt für mich
nicht, das ist Lotterie.“ Trotzdem
schmeckte ihm die „bittere Pille“ so we-
nig wie dem enttäuschten Team. Mit aller
Härte hatten Duvnjak, Wiencek oder Pe-
keler die Flensburger bekämpft. Vor al-
lem der einzig verbliebene Rückraum-
Linkshänder Magnus Röd bekam das zu
spüren. Offenbar beeindruckt davon, lie-
ferte der zuverlässige Norweger diesmal
nicht. Und auch im linken Rückraum pro-
bierte der Flensburger Trainer Maik Ma-
chulla seine Varianten Simon Jeppson
und Michal Jurecki weitgehend erfolglos
aus, so dass die SG den Supercup mehr
oder weniger ohne die hintere Reihe hol-
te. Dafür warf der neue Flensburger Ab-
wehrchef Johannes Golla acht Tore vom
Kreis und bewies seinen Wert.
„Drei Titel in zwei Jahren sind nicht
schlecht“, sagte Machulla mit einem Lä-
cheln, „wir sind ein richtig starkes Team,
aber nicht der Favorit auf den Titel.“ Er
wirkt, als hätte er richtig Spaß daran, das
Team ohne die abgewanderten Stützen To-
bias Karlsson und Rasmus Lauge weiter
umzubauen. Machulla ist als Meistertrai-
ner unantastbar in Flensburg. Eine Basis,
die sich Jicha erst erarbeiten muss.

EUROSPORT1:11.20Uhr: Skispringen, Sommer
Grand Prix in Hakuba/Japan, Einzelspringen.
14.50 Uhr: Reiten, Europameisterschaften in Rot-
terdam/Niederlande, Springreiten, Nationenpreis,
zweiter Umlauf. 19.15 Uhr: Fußball, Bundesliga
der Frauen, zweiter Spieltag: FC Bayern München




    1. FFC Frankfurt. 21.15 Uhr: Tennis, US Open in
      New York, fünfter Tag, Qualifikation.
      SPORT1:14.30 Uhr, 16.55 Uhr und 19.55 Uhr: Vol-
      leyball, Europameisterschaft der Damen in Brati-
      slava/Slowakei, Gruppe D: Deutschland –
      Schweiz, Weißrussland – Russland und Slowakei –
      Spanien.




(Durch kurzfristige Absagen oder Verschiebun-
gen können sich Übertragungszeiten ändern.)

Ergebnisse


Momente der Ohnmacht


Aus im Halbfinale


für Hockey-Herren


Coleman


droht Sperre


Bericht: Topsprinter


verpasst drei Kontrollen


Zicken und Angsthasen


Die deutschen Springreiter liegen vor dem Showdown
bei der EM in Rotterdam auf Platz zwei hinter Belgien

Sport live im Fernsehen


Ein Star und viele Leichtgewichte


Volleyball-Bundestrainer Koslowski setzt bei der EM auf die Kraft des Kollektivs


Der neue Kieler Trainer


Filip Jicha sieht bei


der Niederlage im


Supercup-Duell mit


den Flensburgern, dass


für ihn noch einiges


zu tun ist.


Von Frank Heike,


Hamburg


Schwerer Gang aufs Podium:Der THW Kiel muss der SG Flensburg gleich mal einen Titel überlassen. Foto Simon


Fehlerlos:Tobago Z und Daniel
Deußer halten Deutschland auf
Medaillenkurs. Foto Imago
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