Frankfurter Allgemeine Zeitung - 23.08.2019

(Barré) #1

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Politik FREITAG, 23. AUGUST 2019·NR. 195·SEITE 5


MOSKAU, 22. August. Wenn die Außen-
minister zweier Länder die Häufigkeit ih-
rer Begegnungen für ausdrücklich erwäh-
nenswert halten, kann das zweierlei hei-
ßen. Entweder soll es ablenken davon,
dass sie im Inhalt ihrer Gespräche nicht
recht vorankommen, oder es soll vermit-
teln, dass die beiden ein Maß an Vertraut-
heit erreicht haben, in dem ohne Floskeln
und diplomatische Rücksichten die Kri-
sen der Welt erörtert werden können. Für
die Gespräche des deutschen Außenmi-
nisters Heiko Maas (SPD) mit seinem rus-
sischen Kollegen Sergej Lawrow trifft
wohl beides zu. Lawrow hebt bei ihrer
jüngsten Unterredung in Moskau den
„sehr intensiven politischen Dialog“ her-
vor, den er mit dem deutschen Kollegen
inzwischen pflege, und Maas nennt „die
hohe Frequenz von gemeinsamen Tref-
fen“ ein „außerordentlich positives“ Fak-
tum. Mittlerweile sähen sie einander „na-
hezu monatlich“, fügt der deutsche Minis-
ter an und lobt, es sei „gut, dass es zwi-
schen Deutschland und Russland einen in-
tensiven Kommunikationskanal gibt“.
An dieser Stelle klingt eine innenpoliti-
sche Note durch. Ein Sendezeichen an die
vielen Freunde Russlands überall in der
deutschen politischen Arena, von der
Linkspartei über die SPD bis zur AfD, die
immer wieder fordern, mit Moskau müsse
freundlicher und zuvorkommender umge-
gangen werden. Maas hat bei seinem aktu-
ellen Aufenthalt eine ganze Melodie sol-
cher Töne in seinem Besuchsprogramm
zusammengestellt; er trifft außer dem rus-
sischen Kollegen – mit dem der Krisenzet-
tel Ukraine, Syrien, Iran und nukleare Ab-
rüstung zu erörtern ist – auch Vertreter
der deutschen und der russischen Wirt-
schaft (eine kleine Wirtschaftsdelegation
ist sogar mit ihm im Regierungsflugzeug
angereist), ferner russische Bürgerrechtler
im Sacharow-Institut, dann Repräsentan-
ten der Russischen Orthodoxen Kirche, an-
schließend Teilnehmer am deutsch-russi-
schen Jugendaustausch. Und Maas infor-
miert sich noch über den Stand der


deutsch-russischen Forschungskooperati-
on am Moskauer Skolkowo-Institut.
Alle Themen im Blick, so lautet die Bot-
schaft dieses Besuchsakkords – also die
Wirtschaftssanktionen und die Rufe nach
Lockerung derselben, die Gaspipeline
Nord Stream 2, die staatlichen Repressa-
lien gegen Oppositionsgruppen, auch die
deutsch-russischen Bemühungen, trotz al-
ler Divergenzen neue Formen der Verbun-
denheit, wie den Jugendaustausch, weiter-
zuentwickeln. Die Programmvielfalt hilft

Maas in Berlin, in seiner eigenen Partei
die russlandpolitische Linie der Bundesre-
gierung zu erklären und zu halten, sie
hilft ihm aber auch in Moskau, im Aus-
tausch mit Lawrow, die untere Gesprächs-
ebene des permanenten Austauschs ge-
genseitiger Vorwürfe zu überwinden. Es
ist der Lockerung der Gesprächsatmo-
sphäre dienlich, wenn nicht bloß über rus-
sische Machtprojektionen im Osten der
Ukraine und in Syrien gesprochen wer-
den muss, sondern auch über neue For-
men wissenschaftlicher Kooperation gere-
det werden kann.
Trotz solchen Beiwerks bleibt die Erör-
terung der internationalen Konflikte, an
denen Russland Anteil hat, das Hauptge-
schäft der deutsch-russischen Ministerbe-
gegnungen. Beiden Ländern komme da
„eine hohe Verantwortung zu“, stellt
Maas fest und sagt an Lawrow gerichtet,
es sei ja „in den letzten Monaten bedauer-
licherweise nicht gelungen, auch nur ei-
nen einzigen Konflikt einer Lösung zuzu-
führen“. Immerhin scheint es bei den Frie-
densbemühungen nun eine Chance auf
Fortschritte zu geben; Maas spricht unter
Hinweis auf die neue politische Führung
in der Ukraine davon, nun gebe es Gele-
genheiten, die vor einem Jahr nicht vor-
handen gewesen seien; Lawrow bekennt
sich ausführlich zur „vollständigen“ und
„nachhaltigen“ Verwirklichung der Mins-
ker Vereinbarungen, die den Weg zu ei-
nem friedlichen Ausgleich im Osten der
Ukraine festgelegt haben. Zum ersten
Mal seit langer Zeit wird wieder über ein
Gipfeltreffen im „Normandie-Format“ ge-
sprochen – jener Runde, in der einst die
deutsche Kanzlerin und die Präsidenten
Frankreichs, Russlands und der Ukraine
die Minsker Verträge aushandelten.
Vor mehr als einem Jahr ist Maas zum
ersten Mal bei Lawrow zu Besuch gewe-
sen, in dem neogotischen Gästehaus des
russischen Außenministeriums, das auch
jetzt wieder die Kulisse ihrer Unterredun-
gen bietet. Der Umgangston zwischen ih-
nen – mittlerweile zwischen „Heiko“ und

„Sergej“ – ist nicht unbedingt herzlicher,
aber ernsthafter geworden. Gegen die
Ruppigkeit, mit der Lawrow auf Vorhal-
tungen reagiert, setzt Maas eine bestimm-
te Hartnäckigkeit. Aus der Art und Weise,
wie beide nach ihrer Begegnung der Öf-
fentlichkeit über die Gesprächsthemen be-
richten, entsteht nicht der Eindruck, als
sei der Tagungsraum vom Duft diplomati-
scher Rücksichtnahmen erfüllt gewesen.
Stattdessen kamen dort auch die Straßen-
proteste und Demonstrationen in der
Moskauer Innenstadt zur Sprache, bei de-
nen jüngst von russischen Sicherheitskräf-
ten auch zwei für deutsche Medien akkre-
ditierte Journalisten vorübergehend fest-
genommen worden waren. Die Sache bot
den Anlass für ein öffentliches Geplänkel
zwischen den beiden Ministern.
Während Maas äußerte, er sei auch mit
Blick auf solche Vorfälle froh, dass Russ-
land wieder die volle Mitgliedschaft im
Europarat wahrnehme, also auch dessen
Grundsatzwerten von Meinungs-, Presse-
und Versammlungsfreiheit zu folgen
habe, sagte Lawrow abwiegelnd, viel-
leicht seien in den fraglichen Fällen „ein-
fach nur die Ausweise geprüft“ worden.
Dann griff der russische Minister zum üb-
lichen Argumentationsmuster eines Ge-
genvorwurfs und sagte, es verstoße ja
auch gegen Verpflichtungen des Europa-
rates, wenn etwa russische Massenme-
dien wie Sputnik oder Russia Today – die
beide stets die Sicht des Kremls verbrei-
ten – in Frankreich keine Akkreditierung
beim Amt des Staatspräsidenten erhiel-
ten und dadurch in ihrer Arbeit behindert
würden. Da meldete sich nochmals Maas
zu Wort und sagte, in Deutschland könne
er solche Blockaden oder Behinderungen
für Mitarbeiter von Russia Today jeden-
falls nicht erkennen, „sonst stünden die
nicht immer schon überall dort herum,
wo ich hinkomme“. Die vollständige
Rückkehr Russlands zu den Mitglieds-
pflichten des Europarates war ein Anlie-
gen des deutschen Außenministers, das er
auch gegen deutliche Kritik aus der Ukrai-
ne verfolgte.

ANZEIGE


MORGEN IN

BERUF UND CHANCE

Kostenloses Probeabo
069 7591-3359, http://www.faz.net/probeabo

BEIRUT, 22. August


D


ie Lage ist katastrophal“, schreibt
Adbul Karim Omar in einer Text-
nachricht. Er arbeitet in der Selbst-
verwaltung der syrischen Provinz Idlib.
Mehr als drei Millionen Menschen harren
in der letzten Bastion der Gegner von Ba-
schar al Assad im Nordwesten des Landes
aus. Viele leben unter erbärmlichen Bedin-
gungen in Flüchtlingslagern. Brigaden ra-
dikaler Islamisten haben die Macht an sich
gerissen. Aus der Luft greifen syrische und
russische Bomber an, treffen Wohnviertel,
Märkte oder Krankenhäuser. Jetzt hat sich
der Druck noch einmal erhöht. Aus dem
Süden rücken Assads Truppen vor – und
die Bevölkerung flieht.
„Allein in den vergangenen zehn Tagen
wurden 120 000 Leute vertrieben“, berich-
tet Abdul Karim Omar. Dutzende Dörfer
seien zerstört und entvölkert worden.
„Die Menschen schlafen an der Schnell-
straße in Richtung Norden.“ Seine Schilde-
rungen decken sich mit Angaben von Hilfs-
organisationen. Bilder aus der Provinz, die
in den vergangenen Tagen verbreitet wur-
den, zeigen Schlangen voll beladener Au-
tos und Kleinlaster. Westliche Diplomaten
sprechen von einer „Verbrannte-Erde-
Kampagne“ Assads. Seit Ende April versu-
chen dessen Streitkräfte, die Linien der Re-
bellen in Idlib und im Norden der Provinz
Hama zu durchbrechen. Der syrische
Machthaber würde gerne die langgestreck-
te Ghab-Ebene als Pufferzone kontrollie-
ren, denn die Rebellen im Nordwesten be-
drohen das Kernland der Alawiten, der Be-
völkerungsgruppe seines Clans. Außer-
dem will Assad die Kontrolle über die Au-
tobahn M5 wieder erlangen, die die Haupt-
stadt Damaskus mit der nördlichen Groß-
stadt Aleppo verbindet.
Lange hat es so ausgesehen, als könnten
die Aufständischen das blutige Kräfte-
gleichgewicht aufrechterhalten. Als An-
fang August ein Waffenstillstand verein-
bart wurde, gab es unter den Assad-Geg-
nern schon Jubel darüber, Damaskus und
Moskau erfolgreich die Stirn geboten zu ha-
ben. Abu Muhammad al Dschaulani, der
Anführer der in Idlib herrschenden Islamis-
tenallianz Haiat Tahrir al Scham (HTS), un-
ter deren Banner auch Al-Qaida-Dschiha-
disten kämpfen, verkündete während eines
kraftstrotzenden Auftritts, sich nicht an
die Abmachung zu halten. Der Feind sei ge-
scheitert, erklärte er. „Warum sollten wir
ihm Frieden geben?“ Aber die Feierstim-
mung währte ebenso kurz wie die Feuer-
pause. Inzwischen meldet die syrische
Staatspresse tatsächliche Erfolge, die As-
sad seinen militärischen Zielen deutlich nä-
her gebracht haben. Seine Truppen sind un-


ter anderem in Khan Scheikhoun einge-
rückt, in jenen strategisch wichtigen Ort,
in dem 2017 mindestens 92 Menschen
durch einen Giftgasangriff zu Tode kamen,
den eine UN-Sonderkommission Assad
zur Last gelegt hat. Die Rebellen mussten
sich zurückziehen, um nicht eingekesselt
zu werden. „Das Regime hat nach dem Waf-
fenstillstand einen Zangenangriff gestar-
tet, der nicht zu stoppen war“, sagt ein frü-
herer Rebellenkämpfer, der mit Weggefähr-
ten im Kampfgebiet in Kontakt steht.
Die jüngsten Geländegewinne des Re-
gimes haben mehrere Gründe. Zum einen
mussten die Rebellen dem langen Abnut-
zungskampf Tribut zollen. Außerdem hat
sich nach Berichten von Rebellen die
Kampfkraft der Truppen des Regimes er-
höht. Die zwangsrekrutierten ehemaligen
Assad-Gegner, die im Nordwesten einge-
setzt wurden, waren leicht in die Flucht zu
schlagen. Nun heißt es aus den Reihen der
Aufständischen von mehreren Seiten, Mili-
zionäre der kampferprobten libanesi-
schen Hizbullah seien in die Gefechte ein-
gebunden; sie berufen sich auf abgehörten
Funkverkehr. Vor allem aber hat Moskau
seine Unterstützung deutlich verstärkt.
Von Rebellenkommandeuren heißt es, der
Feind führe mit Hilfe russischer Nachts-
ichttechnik Angriffe im Schutz der Dun-
kelheit, die schwieriger abzuwehren seien.
Moskau setzt laut übereinstimmenden Be-
richten zudem Drohnen ein, die es ermög-
lichen, Artilleriebeschuss, Luftangriffe
und Vorstöße am Boden effektiv zu koordi-
nieren. Außenminister Sergej Lawrow
machte am Dienstag ferner offiziell, was
von Moskau zunächst bestritten worden
war: dass russische Truppen am Boden in
die Kämpfe eingreifen.
Von einer entscheidenden Wende wol-
len syrische und westliche Beobachter
trotz allem noch nicht sprechen. Es hänge
einiges davon ab, ob sich Russland und die
Türkei, die Schutzmacht der Rebellen, wie-
der einmal handelseinig werden, heißt es
von Diplomaten. Von der im vergangenen
Jahr unter russisch-türkischer Regie erziel-
ten Übereinkunft, welche die Gewalt in Id-
lib eindämmen sollte, ist jedenfalls nicht

mehr viel übrig. Ankara hält seine schüt-
zende Hand über die Aufständischen und
hatte zuletzt dafür gesorgt, dass sich das
Kräfteverhältnis auf dem Schlachtfeld
nicht zu stark zugunsten des Regimes än-
derte. Schon deshalb, weil ein Sieg Assads
eine neue Flüchtlingswelle in Richtung
der türkisch-syrischen Grenze hervorru-
fen würde. Der russische Präsident Wladi-
mir Putin hatte zunächst auch keine An-
stalten gemacht, die strategische Zweckge-
meinschaft mit dem türkischen Präsiden-
ten Recep Tayyip Erdogan auf dem syri-
schen Schlachtfeld zu opfern. Moskau tole-
rierte sogar den türkischen Unwillen, die
HTS-Islamisten einzudämmen.
Doch das änderte sich, als die türkische
Regierung Mitte August verkündete, man
habe sich im Nordosten Syriens mit Ame-
rika arrangiert und auf die Einrichtung ei-
ner Sicherheitszone geeinigt. Washington
unterstützt dort kurdische Kader der
PKK-Organisation als Partner im Kampf
gegen den „Islamischen Staat“ (IS). Erdo-
gan sieht diese als Terroristen an und be-

kämpft sie erbittert. „Russland hatte im
Zuge der Astana-Gespräche massiv dar-
auf gedrungen, bei den Verhandlungen
über den Nordosten Syriens mit am Tisch
zu sitzen“, sagt Malik al Abdeh, ein erfah-
rener syrischer Beobachter mit guten
Kontakten in die Opposition. Das sei ihm
unter anderem aus der Astana-Delegati-
on der Assad-Gegner berichtet worden.
„Moskau zahlt es Ankara jetzt im Nord-
westen heim, im Nordosten ausgeschlos-
sen worden zu sein“, sagt er.
Und Putins Rache ist schmerzhaft für
Erdogan – nicht nur wegen der Niederla-
gen der Rebellen. Am Montag wurde ein
türkischer Militärkonvoi in Syrien aus der
Luft angegriffen. Wohl von syrischen
Kampfflugzeugen. Er war auf dem Weg in
den Ort Morek, wo einer der türkischen
Stützpunkte liegt, die im Zuge der Deeska-
lationsübereinkunft zur Überwachung der
Front eingerichtet worden waren. Dem
Stützpunkt droht nun, vom Regime einge-
kreist zu werden. Türkische Kampfflugzeu-
ge, die als Warnung an Assad in syrischen
Luftraum eindrangen, wurden durch Russ-
land schnell zum Abdrehen gezwungen.
Die türkische Führung sei außer sich vor
Wut angesichts dieser Demütigungen,
heißt es von mit Syrien befassten Diploma-
ten. Derzeit verhandelten Moskau und An-
kara darüber, wie es weitergehe.
In Idlib schauen die Leute genau dar-
auf, ob die Türkei ihrem Versprechen treu
bleibt, die Stützpunkte – auch den in Mo-
rek – nicht zu räumen. „Wenn sie es tun,
wäre das ein Zeichen dafür, dass Assad Id-
lib scheibchenweise seinem Reich einver-
leiben darf“, sagt der frühere Rebellen-
kämpfer. Auf den Westen dürften sie in Id-
lib jedenfalls kaum hoffen. Dessen Ohn-
macht hatte sich erst am Wochenende wie-
der offenbart, als Putin den französischen
Präsidenten Emmanuel Macron traf. Ma-
cron appellierte an Moskau, die Militär-
kampagne zu stoppen. „Die Bevölkerung
in Idlib lebt unter Bomben, Kinder wer-
den getötet“, sagte er. Putin tat den Appell
schulterzuckend mit den Worten ab: „Wir
haben niemals gesagt, dass sich Terroris-
ten in Idlib wohl fühlen werden.“

Alles Lüge oder was?
Der Mensch schwindelt sich durch den
Arbeitsalltag. Denn alles andere ist
nicht bürotauglich.

Als Arbeiterkind an die Uni
Wenn Mama und Papa nicht studiert
haben, kämpfen junge Menschen an
der Hochschule oft mit Zweifeln.

rüb.ROM, 22. August. In Rom streben
die beiden maßgeblichen Linksparteien
die Bildung einer Koalition an. Der Par-
teichef des sozialdemokratischen Parti-
to Democratico (PD), Nicola Zingaretti,
sagte nach seinem Treffen mit Staatsprä-
sident Sergio Mattarella am Donners-
tag, seine Partei wolle die Allianz mit
der Fünf-Sterne-Bewegung aber nicht
„um jeden Preis“. „Was wir brauchen, ist
eine Regierung der Umkehr – mit einem
neuen Programm und als Alternative
zur Rechten“, sagte Zingaretti.
Am Mittwochabend hatte der Vor-
stand des PD dem Parteichef einmütig
die Befugnis zu Sondierungsgesprächen
mit der linkspopulistischen Fünf-Sterne-
Bewegung erteilt. Zugleich nannte der
PD-Vorstand fünf Bedingungen für die
Bildung einer Koalition mit den Fünf
Sternen: das Bekenntnis zur loyalen Mit-
gliedschaft in der EU und zu einem er-
neuerten Europa der Menschenrechte,
der Solidarität und der Nachhaltigkeit;
das Bekenntnis zur repräsentativen De-
mokratie und zur zentralen Rolle des Par-
laments; Investitionen für ein nachhalti-
ges und umweltverträgliches Wirtschafts-
wachstum; eine fundamentale Neuorien-
tierung in der Migrationspolitik, gegrün-
det auf die Prinzipien der Solidarität, der

Rechtssicherheit und der gemeinsamen
europäischen Verantwortung; schließ-
lich eine Neuausrichtung der Wirt-
schaftspolitik nach den Grundsätzen der
Umverteilung und der sozialen Gerech-
tigkeit. Sollte die Fünf-Sterne-Bewegung
auf alle diese Bedingungen eingehen,
würde dies eine Abkehr von ihren basis-
demokratischen, europaskeptischen, in-
stitutionsfeindlichen und migrationskriti-
schen Ursprüngen bedeuten. Matteo Sal-
vini, Parteichef der rechtsnationalisti-
schen Lega, der die Koalition mit der
Fünf-Sterne-Bewegung am 8. August auf-
gekündigt hatte, bezeichnete deren Son-
dierungsgespräche mit dem PD als
„Klüngelei der Verlierer“. PD und Fünf
Sterne stemmten sich aus „Angst vor
dem Urteil der Italiener“ gegen Neuwah-
len. Der frühere Ministerpräsident Silvio
Berlusconi nannte die mögliche Linksre-
gierung eine Gefahr für die Wirtschaft
und die Bürgerfreiheiten.
Präsident Mattarella will seine Gesprä-
che mit den Parteien am Dienstag fortset-
zen. Er hatte in der Vergangenheit dar-
auf gepocht, dass es eine funktionieren-
de Regierung für die Fertigstellung des
Etats bis Ende Oktober und die folgen-
den Verhandlungen mit der EU-Kommis-
sion über den Haushaltsplan Roms ge-
ben müsse.

Mit der Bäuerin im Hofcafé
Den Traum von der Selbständigkeit
ganz romantisch auf dem Land haben
viele. Angelika Prem lebt ihn.

Nachdem der Vormarsch


lange stockte, feiern


Assads Kräfte nun Erfolge


im Nordwesten Syriens.


Den Aufständischen


bleibt die Hoffnung auf


eine Einigung zwischen


der Türkei und Russland.


Von Christoph Ehrhardt


WIEN, 22. August. Im österreichischen
Wahlkampf rücken die Parteispenden an
die ÖVP von Sebastian Kurz in den Fo-
kus der Öffentlichkeit. Die Partei veröf-
fentlichte diese Woche eine Liste ihrer
Spender dieses und des vergangenen
Jahrs, offensichtlich um einer Pressever-
öffentlichung zuvorzukommen. Insge-
samt erhielt die Partei in dieser Zeit 1,
Millionen Euro an Spenden. Die größte
Summe einer einzelnen Spenderin kam
von der Kaufhaus-Erbin und Milliardä-
rin Heidi Goëss-Horten, die in diesem
Zeitraum der ÖVP insgesamt mehr als
900 000 Euro überwies. Parteispenden
über 50 000 Euro mussten nach der da-
maligen Rechtslage unmittelbar an den
Rechnungshof gemeldet werden, womit
sie öffentlich wären. Goëss-Horten spen-
dete aber in einzelnen Tranchen von mo-
natlich 49 000 Euro, wie die Zeitung
„Der Standard“ berichtete.
Diese Umgehung der sofortigen Veröf-
fentlichung war nicht unrechtmäßig;
auch wäre sie spätestens mit der Veröf-
fentlichung des Rechenschaftsberichts
in diesem Herbst bekanntgeworden. Es
ist unklar, warum Goëss-Horten so vor-
ging, zumal erst nach der Ibiza-Affäre
im Mai beschlossen wurde, dass am 29.
September vorzeitig gewählt wird, was
zu Beginn des Spenden-Dauerauftrags
in keiner Weise absehbar war. Dennoch

rückt der Vorgang die ÖVP in ein ungüns-
tiges Licht. Die SPÖ behauptete, dass
„98 Prozent der ÖVP-Spenden von Milli-
ardären und Konzernen“ stammten. Die
FPÖ, die bislang selbst Fragen nach
Spenden zu beantworten hatte, fragte
nach „Gegenleistungen für diese fürstli-
chen Spenden“. Die liberalen Neos ver-
wiesen kritisch auf „die eine oder andere
Postenbesetzung“. Schon früher war be-
kanntgeworden, dass Unternehmen des
Industriellen Klaus Ortner in den vergan-
genen Jahren jeweils mehrere hundert-
tausend Euro an die ÖVP gespendet hat-
ten, teilweise ebenfalls gestückelt; eine
Tochter Ortners wurde während der
ÖVP-FPÖ-Regierungszeit in den Auf-
sichtsrat der Staatsbeteiligungen-Hol-
ding Öbag berufen. Zu den Großspen-
dern gehört der Unternehmer Peter Mit-
terbauer (rund 200 000 Euro in zwei Jah-
ren), dessen Tochter für die ÖVP im Na-
tionalrat sitzt. Wolfgang Berndt und Ehe-
frau spendeten 2019 40 000 Euro – er
sitzt seit diesem Jahr dem Aufsichtsrat
des Mineralölkonzerns OMV vor. Teresa
Pagitz, inzwischen im Aufsichtsrat des
Bahnkonzerns ÖBB, spendete 2019
15 000 Euro. Inzwischen hat der Natio-
nalrat gegen die Stimmen von ÖVP und
Neos Einzelspenden über 7500 Euro pro
Jahr verboten und insgesamt eine Decke-
lung bei 750 000 Euro eingezogen.

sat.WASHINGTON, 22. August. Die
amerikanische Regierung will künftig
Familien, die illegal über die amerikani-
sche Grenze gelangt sind, für die gesam-
te Dauer des Asylverfahrens in Gewahr-
sam nehmen. Bisher konnten Erwachse-
ne unbegrenzt, Kinder aber nur zwanzig
Tage lang festgehalten werden. Danach
wurden sie Einrichtungen des Gesund-
heitsministeriums übergeben – zumin-
dest theoretisch. Faktisch saßen sie auf-
grund von Kapazitätsengpässen häufig
viel länger in den Übergangsunterkünf-
ten der Grenzschutzbehörden des Hei-
matschutzministeriums – und zwar zum
Teil unter skandalösen Bedingungen.
An diesem Freitag will der kommissa-
rische Heimatschutzminister der Verei-
nigten Staaten, Kevin McAleenan, eine
Verordnung veröffentlichen, die Ab-
schiebehaft für illegale Migranten neu
regelt. Präsident Donald Trump glaubt
damit einen Weg gefunden zu haben, Mi-
granten abzuschrecken, ohne aber Fami-
lien zu trennen. Darüber war er im Früh-
jahr mit seiner bisherigen Heimatschutz-
ministerin Kirstjen Nielsen in Streit ge-
raten, woraufhin diese ihren Rücktritt
einreichte.
„Der Anreiz, die Grenze illegal mit ei-
nem verletzlichen Kind zu überqueren,
muss ein Ende haben“, sagte McAlee-
nan bei der Vorstellung seiner Initiative.
Die Verordnung wurde nötig, da eine ge-
setzliche Regelung am Streit zwischen
Republikanern und Demokraten im
Kongress scheiterte. Sie soll eine gericht-
liche Vereinbarung aus dem Jahr 1997
ersetzen, die Standards für die Gewahr-
samnahme minderjähriger Migranten re-
gelte. Die neue Verordnung soll in zwei
Monaten in Kraft treten. Ein Bundesge-
richt in Los Angeles, das bisher die Ein-
haltung der sogenannten Flores-Verein-
barung aus der Amtszeit von Präsident
Bill Clinton überprüft, muss zunächst
die neue Regelung begutachten. Zudem
werden Klagen erwartet.
Die Trump-Regierung hatte im Rah-
men ihrer Null-Toleranz-Politik an der
Grenze zu Mexiko im April 2018 damit
begonnen, Kinder illegaler Migranten
von ihren Eltern zu trennen. Aufgrund
des öffentlichen Protestes stoppte
Trump die Familientrennung im Juni
2018 wieder. Dennoch blieben viele Kin-
der und Jugendliche in staatlichen Unter-

künften – weil ihre Eltern weiterhin in
Haft waren oder weil sie aufgrund chaoti-
scher Zustände nicht ihren Eltern zuge-
ordnet werden konnten. Auch kamen
weiterhin neue Minderjährige an, etwa
solche, die von ihren Eltern allein über
die Grenze geschickt worden waren,
oder solche, bei denen die Behörden die
angeblichen Familienbande bezweifel-
ten.
McAleenan baute gegen Kritik vor,
dass Kinder nun unbegrenzt in Haft ge-
nommen werden können: Die Behörden
hätten keinerlei „Anreiz“, Familien lan-
ge in Gewahrsam zu halten. Im Schnitt
könnten die Verfahren in knapp zwei Mo-
naten abgewickelt werden, sagte er. Die
neue Regelung ermögliche es, alle Kin-
der im Gewahrsam der Behörden „wür-
devoll“ und „respektvoll“ zu behandeln.
Trump selbst äußerte die Hoffnung,
dass die künftige Regelung zusammen
mit anderen Maßnahmen Leute aus
Zentralamerika abschrecke, sich auf die
gefährliche Reise zu begeben. „Wenn
sie merken, dass man nicht mehr ins
Land gelangen kann, werden sie sich
nicht mehr auf den Weg machen“, sagte
der Präsident am Mittwoch im Weißen
Haus. Neben der künftigen Abschiebe-
haftregelung verwies er auf die Einfüh-
rung der Drittstaatenregelung für Asyl-
verfahren, den fortschreitenden Bau
des Grenzzauns und die verstärkte
Grenzsicherung durch Mexiko, die zu ei-
ner erheblichen Reduktion der Migran-
tenzahlen geführt habe, wofür er dem
südlichen Nachbarland dankbar sei.
In Mexiko selbst reagierte man be-
sorgt. Mit der neuen Regelung könnten
Kinder und Jugendliche auf unbestimm-
te Zeit festgehalten werden. Mexiko wer-
de betroffenen Landsleuten konsulari-
schen Beistand geben und die Bedingun-
gen in den Zentren beobachten, hieß es
in einer Stellungnahme der Regierung.
Deutlicher wurde Nancy Pelosi, die rang-
höchste Demokratin im Kongress: Die
Regierung strebe an, „Kindesmisshand-
lung“ rechtlich zu kodifizieren, äußerte
sie. Sie rechne damit, dass das Bundesge-
richt die Verordnung für nichtig erkläre.
Sollte das Gericht so entscheiden, wird
erwartet, dass die Regierung in Beru-
fung geht. Rechtsexperten erwarten ein
monate-, wenn nicht jahrelanges Verfah-
ren.

Verbrannte Erde in Idlib


Flucht vor den Bomben:Syrer verlassen die von den Rebellen gehaltenen Gebiete im Norden des Landes. Foto AFP


Viel Geld und ein paar Posten


ÖVP wegen Spenden kritisiert / Von Stephan Löwenstein


Nicht herzlicher, aber ernsthaft


Außenminister Maas besucht abermals seinen russischen Kollegen Lawrow in Moskau / Von Johannes Leithäuser


Linke Regierung in Rom möglich


Sozialdemokraten stellen Linkspopulisten Bedingungen


Trump will Kinder von Migranten


länger in Gewahrsam nehmen


Neue Verordnung / Scharfe Kritik von Demokraten


Provinz
IDLIB

Provinz
HAMA

SYRIEN

TÜRKEI

Idlib

GhabEbenGhab-Ebene Khan Scheikhoun

MaarMaarat an-Numanat an-Numan

Hama

AleppoAleppo
Antakya

Mittel-
meer

50 km
F.A.Z.-Karte sie.

Rebellengruppenllengruppen

M 4

M^4

M 4

M
5

M
5

Morek M 5

Mittelmeer

SYRIENSYRIEN

TÜRKEI

100 km

ZYPERN Raqqa
Latakia

Aleppo

Afrin

Idlib
IDLIB
HAMA
Hama

Assadsee
Free download pdf