„Bei großen Konzernen reden wir
hier über mögliche Sanktionen
bis hin zu zweistelligen
Milliardenbeträgen.“
Christine Lambrecht, Bundesjustizministerin, über
Strafzahlungen für Unternehmen bei schweren
Gesetzesverstößen
„Venture-Capital- und Private-
Equity-Fonds tendieren dazu,
einen kürzeren Atem zu haben.
Sie werden nervös, wenn es länger
dauert, bis ein Start-up Geld verdient.“
Martin Saidler, CEO und Gründer Numbrs Personal
Finance AG
D
ie Pause ist in Deutschland traditionell
der Feind des Arbeitgebers. Die gesetzli-
che Mindestpausenzeit in Deutschland
beträgt eine halbe Stunde für einen
sechsstündigen Arbeitstag. Die Pause zählt dabei
nicht einmal zur Arbeitszeit. Wenn der Arbeitneh-
mer während der Pause das Betriebsgelände ver-
lässt, tut er dies auf eigene Gefahr. Fällt ihm in dieser
Zeit ein Klavier auf den Kopf, ist er nicht über seinen
Arbeitgeber versichert. Er war ja in der Pause.
Um Pausenzeiten wird erbittert gestritten. Zuletzt
gab ein Gericht einem Angestellten recht, der ge-
klagt hatte, weil er es übertrieben fand, dass ihn sein
Arbeitgeber nach rund 20 Jahren gekündigt hatte,
weil er ihn zweimal vor Beginn der offiziellen Pau-
senzeit beim Nickerchen im Pausenraum erwischt
hatte. Der Arbeitgeber fühlte sich betrogen.
Berücksichtigt man aber die Erkenntnisse der Wis-
senschaft, sollten Arbeitgeber schlafende Arbeitneh-
mer eher loben als abmahnen. Denn wer im Job
ruht, stellt seine Arbeitsfähigkeit wieder her, um da-
nach wieder konzentriert weiterarbeiten zu können.
Tatsächlich sind Pausen dringend notwendig, um
die Arbeitskraft zu erhalten. Wer keine Pausen
macht, macht eher Fehler, verliert die Konzentrati-
on, verringert seine Möglichkeiten zur Regeneration.
Bei Fernfahrern weiß man das, wenn es allerdings
um Büroarbeit geht, ist die Sorge um die Konzentra-
tion weitaus geringer. Man kann ja nicht einen Bus,
höchstens eine Firma an die Wand fahren.
Wenn Arbeitnehmer ihre Konzentrationsfähigkeit
auf andere Weise gefährden, etwa indem sie Canna-
bis rauchen, finden Arbeitgeber das durchaus unan-
gebracht. Pausenlos zu arbeiten scheint dagegen
überhaupt kein Problem zu sein.
In deutschen Firmen herrscht eine Kultur vor, die
Pause möglichst unter den Tisch fallen zu lassen. Die
wenigsten jüngeren Unternehmen richten noch Pau-
senräume ein. Man nimmt schnell einen Salat in der
Plastikschale an den Platz, wo man ihn, Soße ver-
sprühend, in sich hineinschaufelt und gleichzeitig
E-Mails liest, damit man bloß nicht das Gefühl hat,
sich zu sehr Zeit zu nehmen. Wofür eigentlich? Für
nichts. Nichts Wichtiges. Das nämlich ist genau das,
womit man eine Pause verbringen sollte.
Tatsächlich sollte man viel öfter Pause machen,
wenn man was leisten will. Der Psychologe Karl An-
ders Ericsson will herausgefunden haben, wie Men-
schen arbeiten, die Höchstleistungen erbringen. Bei
denen kommt es nicht nur darauf an, wie viel sie
schuften, sondern auch, wie sie sich die Arbeit ein-
teilen. Sie fangen morgens an, wenn das Gehirn aus-
geruht ist – und pausieren alle 90 Minuten. Kurzes
Pausieren reicht, bei längeren Pausen nimmt der Er-
holungseffekt ab.
Wissenschaftler sagen, dass im Entspannungszu-
stand im Gehirn die Alphawellen aktiv werden, die
auch dafür sorgen, dass man unverhofft auf kreative
Einfälle kommt, die im angespannten Zustand unter-
drückt werden.
Nicht auszudenken, welche Innovationskräfte in
Deutschland frei würden, würde man öfter mal Pau-
se machen. Zum Entspannen reicht es übrigens an-
geblich schon aus, länger auf eine Fototapete zu gu-
cken. Leider findet man solche in deutschen Unter-
nehmen auch immer seltener.
Prüfers Kolumne
Ein Lob auf das Nichts(tun)
Tillmann Prüfer
beschreibt, warum
Pausen bei der
Arbeit so
unentbehrlich für
Konzentration,
Produktivität und
Innovation sind.
Der Autor ist Mitglied der Chefredaktion des
„Zeit-Magazins“. Sie erreichen ihn unter:
Illustration: Max Fiedler [email protected]
Musterklage
Jeder Tag
zählt – für VW
E
s ist ein elendes Schauspiel,
das der Verbraucher viel zu
oft erlebt. Ein Politiker ent-
deckt ein Thema, von dem er sich
eine Schärfung seines Profils ver-
spricht. Einen Missstand, der Tau-
sende von Menschen belastet. Mo-
nate, teils Jahre zieht der Politiker
dann durch die Lande, um sich als
Botschafter der Besserung vorzu-
stellen. Manchmal ergeht tatsäch-
lich in diesem Sinne ein Gesetz.
Und dann bleibt alles so, wie es ist.
„Kostenlos und schnell“ nannte
die ehemalige Justizministerin Kata-
rina Barley (SPD) die sogenannte
Musterfeststellungsklage. Der Ver-
braucherschutz würde damit revo-
lutioniert. Musste früher jeder Ge-
schädigte etwa eines Pharmakon-
zerns einen Anwalt nehmen, ihn
bezahlen und dann klagen, konnten
sich nun die Betroffenen zusam-
menschließen und als Gruppe Zeit
und Geld sparen, wenn sie um ihr
Recht kämpften.
Die erste Feuerprobe soll die Mus-
terklage im Dieselskandal bestehen.
Mehr als 430 000 VW-Kunden kla-
gen gemeinsam auf Schadensersatz,
weil der Konzern ihnen Dieselfahr-
zeuge verkaufte, die den Produkt-
versprechen und Umweltauflagen
nicht entsprachen. Das Verfahren in
Braunschweig könnte ein Meilen-
stein für den Verbraucherschutz
werden. Wird es aber nicht.
Bis 2023 mag sich das Verfahren
gegen VW hinziehen, prognostizie-
ren Experten. Jeder Tag ohne Urteil
ist ein guter Tag für Volkswagen.
Weil die Gerichte bei der Berech-
nung der Schadenshöhe in aller Re-
gel einen Betrag abziehen für den
Umstand, dass der Kunde das Fahr-
zeug ja fuhr, spart der Konzern im-
mer mehr, je länger das Verfahren
dauert. Dieser Nutzungsersatz
bringt VW je nach Schätzung bis zu
1,2 Millionen Euro – pro Tag.
Dabei ist 2023 nicht einmal das
Zahljahr. Gelingt per Musterklage
die generelle Feststellung, dass VW
schadensersatzpflichtig ist, muss je-
der der 430 000 Kunden anschlie-
ßend doch wieder selbst klagen, um
die Schadenshöhe feststellen zu las-
sen. Wer das Verbraucherschutz
nennt, kann kein Verbraucher sein,
vielleicht Justizministerin.
Am Beispiel Volkswagen zeigt sich,
dass die Musterfeststellungsklage
Verbrauchern nicht hilft, meint
Volker Votsmeier.
Der Autor ist
Investigativ-Reporter.
Sie erreichen ihn unter:
[email protected]
Unternehmen & Märkte
WOCHENENDE 23./24./25. AUGUST 2019, NR. 162^23
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