Handelsblatt - 23.08.2019

(Rick Simeone) #1

D


ass Adyen rasant wächst, lässt sich
unschwer am Hauptsitz des Zah-
lungsdienstleisters im Zentrum von
Amsterdam ablesen. Erst kam die
Firma mit wenigen Etagen aus, seit
Jahresbeginn hat sie das ganze Gebäude gemietet.
Typisch niederländisch radelt Chef und Co-Grün-
der Pieter van der Does fast jeden Tag ins Büro.
1 900 Kilometer hat er so binnen eines Jahres zu-
rückgelegt. Für sein zweites sportliches Hobby,
Klettern, bleibt allerdings nicht mehr genug Zeit,
denn seit dem Börsendebüt vor gut einem Jahr hat
sich Adyen zu einem Liebling der Investoren entwi-
ckelt. Zu den Kunden des Wirecard-Konkurrenten
gehören Internetriesen wie Facebook, Netflix und
Spotify.

Herr van der Does, die Welt des Zahlungsverkehrs
wandelt sich rasant. Unternehmen wie Adyen pro-
fitieren vom Trend zum bargeldlosen Zahlen.
Wird das Bargeld in den nächsten zehn Jahre ganz
verschwinden?
Keine Frage, wir bewegen uns in Richtung einer bar-
geldlosen Gesellschaft. Das ist ein Trend. Aber La-
denkassen werden nicht binnen weniger Jahre ver-
schwinden. Die Menschen verändern ihr Zahlungs-
verhalten nur langsam, und die Entwicklung läuft
von Land zu Land unterschiedlich. Das wird kein ge-
radliniger Prozess sein, sondern wir werden Sprün-
ge erleben. Als Zahlungsdienstleister versuchen wir,
uns an die Spitze dieser Veränderungen zu setzen.

Welche anderen Trends werden Ihre Branche in
den kommenden Jahren prägen?
Zahlungen müssen noch reibungsloser laufen. Das
betrifft Transaktionen über verschiedene Kanäle
hinweg – online und an der Ladenkasse – und Zah-
lungen über Ländergrenzen. Reibungslosere Zah-
lungen bedeutet, dass ein Kunde in einem Laden
direkt beim Verkäufer bezahlt und nicht mehr zur
Ladenkasse geschickt wird. Über verschiedene Ka-
näle bedeutet, dass ein Händler einen Kunden, der
ins Geschäft kommt, bereits durch die Bank- oder
Kreditkarte erkennt, wenn dieser Kunde vorher bei
ihm etwas online gekauft hat. Und einfachere Zah-
lungen über Ländergrenzen hinweg ist eine Forde-
rung der Händler, die in verschiedenen Ländern
aktiv sind und einen Dienstleister brauchen, der
auch international unterwegs ist.

Die Anforderungen an die Zahlungsdienstleister
steigen, viele versuchen, möglichst viele Länder
abzudecken. Auch deshalb gibt es derzeit sehr vie-
le Fusionen und Übernahmen in der Branche. Ha-
ben Sie Pläne, Wettbewerber aufzukaufen?
Nein, wir glauben nicht daran, dass eine Fusion
zwischen zwei Zahlungsfirmen es einfach macht,
ihre Systeme zusammenzulegen und den Händlern
bessere Dienstleistungen anzubieten. Wir denken,
es ist für die Händler besser, mit einem Zahlungs-
dienstleister zusammenzuarbeiten, der alles in ei-
ne Plattform investiert. Ich habe bei Worldpay ge-
arbeitet, als das Unternehmen Zukäufe getätigt hat,
und das war sehr kompliziert.

Warum ist es so wichtig für Adyen, mit einer einzi-
gen Zahlungsplattform zu arbeiten?
Wenn man 14 Plattformen hat, denkt man ständig
darüber nach, in welche man seine Mittel inves-
tiert. Der Ertrag aus einer Arbeitsstunde eines Pro-
grammierers oder Softwareentwicklers ist höher,
wenn man nur eine Plattform hat – und 40 Prozent
unserer Mitarbeiter sind IT-Ingenieure. Für einen
Händler ist es wichtig, dass er all seine Daten an ei-
nem Ort abgelegt hat. Wir arbeiten zum Beispiel
für Händler, deren Kunden in einem Laden in New
York einkaufen und die Ware in Amsterdam um-
tauschen können. Das funktioniert nicht, wenn der
Händler mit zwei Plattformen operiert, einer in
den USA und einer in Europa.

Hilft es, dass Adyen als Neugründung ohne tech-
nologische Altlasten wie zu komplexe IT-Systeme
an den Start gehen konnte?
Ja, das ist ein Vorteil für uns. Wir sehen, dass unse-
re neuen Kunden oft von Banken oder etablierten
Zahlungsverkehrsunternehmen zu uns kommen.

Adyen ist eines der erfolgreichsten europäischen
Start-ups. Der Aktienkurs ist nach dem Börsen-
gang im Juni 2018 um 170 Prozent gestiegen. Das
Kurs-Gewinn-Verhältnis mit Blick auf 2019 liegt
bei 102 – dreimal so viel wie beim deutschen Kon-
kurrenten Wirecard. Sind die Erwartungen an die
Branche inzwischen zu hoch?
Wir haben die Firma als Unternehmer aufgebaut,
wir sind keine Experten für Unternehmensbewer-
tung. Wir hatten Adyen für den Börsengang bewer-
tet – und dann hat der Markt das anders gesehen.
Ich betrachte das als Tatsache.

Adyen wird oft mit Wirecard verglichen. Ist das ein
fairer Vergleich?
Wir denken nicht so sehr darüber nach, was ande-
re Zahlungsdienstleister im Detail machen. Wir ver-
suchen, uns nicht durch den Blick auf Wettbewer-
ber oder Übernahmen in der Branche ablenken zu
lassen, sondern bauen und liefern weiter das, was
die Händler wollen. Das ist das Beste für uns.

Es gibt noch immer den Verdacht von Bilanzunre-
gelmäßigkeiten bei Wirecard in Singapur. Hat das
Folgen für Adyen? Werden Kunden misstrauisch?
Es ist nie gut für eine Branche, wenn Unternehmen
unter Verdacht stehen – zu Unrecht oder zu Recht.
Das kann zur mehr Schwankungen in den Aktien-
kursen in der Branche führen.

Adyens Geschäft mit seiner einen Plattform
scheint für Investoren einfacher verständlich zu

„Wir glauben nicht


an Fusionen“


Der Zahlungsdienstleister Adyen gilt als eines der erfolgreichsten
Start-ups. Der Chef und Gründer will den Konkurrenten von
Wirecard auch ohne Zukäufe auf Wachstum trimmen.

Pieter van der Does


Finanzen


& Börsen


(^24) WOCHENENDE 23./24./25. AUGUST 2019, NR. 162
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