Sandra Louven Madrid
A
ls ich 2015 nach Madrid
zog, war die Lage für
meine Wohnungssuche
günstig: Die Preise wa-
ren nach dem Platzen
der Immobilienblase 2008 landes-
weit um gut ein Drittel gesunken und
hatten Anfang 2014 ihren Tiefstand
erreicht. Das führte dazu, dass ich
mir eine Altbauwohnung im Zentrum
leisten konnte. Die deutsche Bot-
schaft ist nur ein paar Straßenzüge
entfernt, und auch zu vielen anderen
Terminen kann ich zu Fuß gehen.
Damals beherzigte ich den Rat ei-
ner spanischen Freundin: „Nimm
niemals eine Wohnung, wenn es in
der Straße eine Kneipe oder ein Res-
taurant gibt.“ Mir leuchtete das zwar
nicht ein – ich sah es eher als Vorteil,
wenn man schnell mal was trinken
gehen will. Aber ich hielt mich daran
und bin heute heilfroh darüber.
Denn Lärm ist ein wichtiges The-
ma in Madrid. Auf den Straßen wird
gehupt, was die Mechanik hergibt,
und auch die Unterhaltungen zwi-
schen Spaniern sind um einige Dezi-
bel lauter als die von Deutschen. Da
auch in spanischen Kneipen nicht
mehr geraucht werden darf, finden
sich vor Bars und Restaurants stets
Gruppen von temperamentvoll dis-
kutierenden Gästen.
Auch in den Wohnungen teilt man
sein Leben ein gutes Stück weit mit
den Nachbarn: Ich weiß dank der
dünnen Wände stets, wann Real Ma-
drid spielt oder einer der Kleinen ne-
benan einen Zahn kriegt. Vor Mitter-
nacht ins Bett zu gehen ist unmög-
lich, weil dann im Innenhof noch
gegessen wird, in meinem Schlafzim-
mer Frittier-Geruch hängt oder die
Dame über mir in Stöckelschuhen
durch die Wohnung läuft.
Trotzdem liebe ich mein Barrio,
das Viertel Chamberi. Die Straße ist
voller alter, hoher Bäume, und wenn
ich auf meinem kleinen Balkon sitze,
habe ich das Gefühl, ich gucke in ei-
nen Wald. Die lauten Spanier sind of-
fen und kommunikativ, und nach ein
paar Tagen grüßte mich schon der
Café-Besitzer an der Ecke, wenn ich
vorbeiging. Es ist leicht, sich in Ma-
drid zu Hause zu fühlen.
Eigentümerland Spanien
Allerdings hat das Leben in der
Hauptstadt seinen Preis: In den ruhi-
gen, aber dennoch zentralen Vierteln
wie meinem liegen die Kaufpreise im
Schnitt bei knapp 6200 Euro pro
Quadratmeter. Im edlen Recoletos,
gleich am Stadtpark Retiro, müssen
Käufer mehr als 7900 Euro berap-
pen. Dort hat der Quadratmeterpreis
sein Allzeithoch aus dem Jahr 2006
bereits überschritten. In Madrid ins-
gesamt ist das zwar noch nicht der
Fall. Aber hier wie auch in Barcelona
nähern sich die Preise stark dem Ni-
veau von vor der Krise. Die spanische
Zentralbank erklärte bereits, sie be-
obachte die Entwicklung in den bei-
den Städten „sehr genau“.
Für das ganze Land aber sehen bis-
lang weder die Zentralbanker noch
die spanische Regierung die Gefahr
einer neuen Blase. Seit meiner An-
kunft sind die Preise für einen Haus-
oder Wohnungskauf in Spanien im
Schnitt zwar um 27 Prozent gestie-
gen. Der Immobiliensektor machte
im vergangenen Jahr aber nur noch
5,8 Prozent der gesamten Wirt-
schaftsleistung aus und ist damit nur
halb so groß wie vor der Krise. Zu-
dem sind die Banken heute restrikti-
ver mit der Vergabe von Hypotheken.
Die Entwarnung gilt allerdings
nicht für die Mieten: Die sind in der
Krise nicht so stark eingebrochen wie
die Kaufpreise, haben seitdem deut-
lich zugelegt und in Madrid die Werte
aus der Boomphase schon über-
schritten. Seit Anfang 2015 sind die
Mieten in der Hauptstadt um 47 Pro-
zent nach oben geschnellt. Die Zen-
tralbanker fordern deshalb, es müsse
eine „Priorität“ der Politik sein, das
Angebot an Mietwohnungen zu för-
dern. Eine Mietpreisbremse, wie sie
etwa die linkspopulistische Partei Po-
demos fordert, halten sie jedoch für
falsch – unter anderem, weil sie das
Angebot verknappe.
Und das ist bereits klein: 24 Pro-
zent der Spanier wohnen zur Miete,
alle anderen im Eigenheim. In
Deutschland dagegen wohnt rund die
Hälfte der Bevölkerung zur Miete. Da-
bei ist der Anteil der Mieter in Spa-
nien bereits gestiegen: 2005 lebten
nur 19 Prozent zur Miete. In den lan-
gen Jahren des Booms bis 2008 galt
der Wohnungs- und Hauskauf als si-
chere Geldanlage, weil die Preise von
Jahr zu Jahr stiegen. Doch bedingt
durch die Krisenfolgen und die vor-
sichtigere Vergabe der Banken von
Hypotheken, können sich viele Spa-
nier eine eigene Wohnung nicht
mehr leisten und steigen auf die Miet-
wohnung um. Steigende Nachfrage
und geringes Angebot sind ein fataler
Mix für die Preise. In meinem Viertel
zahlen Mieter pro Quadratmeter 18
Euro, aber das ist nur der Durch-
schnitt. Je kleiner, desto teurer wird
es: Für eine Wohnung mit Balkon
und 80 Quadratmetern zahlt man
1700 Euro Kaltmiete und mehr, also
über 21 Euro pro Quadratmeter.
Einige Experten machen auch
Kurzzeitvermietungen über Plattfor-
men wie Airbnb für den Preisanstieg
verantwortlich. Statistisch belegen
lässt sich ein Zusammenhang zwar
nicht. Die ehemalige Bürgermeisterin
von Madrid beschloss dennoch, dass
in der Hauptstadt nur noch solche
Wohnungen als Urlaubsdomizile ver-
mietet werden dürfen, die einen se-
paraten Eingang zur Straße besitzen.
De facto kommt das an den meisten
Standorten einem Verbot gleich.
Wohnen in Madrid
Boom der Mieten
Der spanische Immobilienmarkt hat harte Zeiten hinter sich. Die Hauspreise
sind im ganzen Land eingebrochen. Inzwischen steigen sie in der Hauptstadt
wieder rasant an. Die Mieten erreichen bereits Rekordhöhen.
Wie lebt es sich
eigentlich in einem
anderen Land? Wie
finde ich dort eine
Wohnung? Wie teuer
ist Wohnraum? Wie
steht es um die
Wohnqualität? Sind
Käufer oder Mieter im
Vorteil?
Diese und andere Fra-
gen stellen sich
Expats, wenn sie für
ihr Unternehmen ins
Ausland gehen.
Unsere Korrespon-
denten berichten von
ihren persönlichen
Erfahrungen und
beschreiben, was sie
an ihren neuen Wohn-
orten schätzen – und
was sie vermissen.
Zwei Zimmer,
Küche, Ausland
Im Herzen der Hauptstadt:
Blick über Madrid von
den Dächern des Palacio
de Comunicaciones.
© Facto Foto
Immobilien
(^28) WOCHENENDE 23./24./25. AUGUST 2019, NR. 162
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