Handelsblatt - 23.08.2019

(Rick Simeone) #1

Bulle & Bär


Kürzen ist das


Gebot der


Stunde


K


ürzen ist dieser Tage schwer in
Mode. Die US-Notenbank Fed
dürfte im September den Leitzins
kürzen. Ähnliches könnte auch die Euro-
päische Zentralbank im kommenden Mo-
nat verkünden. Und auch Khalid Al-Falih,
von manchen als Zentralbanker des Öl-
markts bezeichnet, könnte im kommen-
den Monat neue Kürzungen einfordern.
Der saudische Ölminister trifft sich Mitte
September mit Amtskollegen anderer gro-
ßer Ölstaaten in Abu Dhabi, möglicher-
weise um über die Strategie angesichts
stagnierender Ölpreise zu beraten.
Die 24 in der Opec+-Allianz zusammen-
geschlossenen Produzenten um Saudi-
Arabien und Russland stecken in einem
Dilemma: Obwohl sie die Förderung deut-
lich gedrosselt haben und die Produktion
bis mindestens März 2020 künstlich nied-
rig halten wollen, macht der Ölpreis keine
Anstalten, nach oben zu klettern. Al-Falih
steht damit vor einem ähnlichen Problem
wie EZB-Chef Mario Draghi: Damit die
Preise steigen, braucht er ein starkes Sig-
nal an die Märkte.
Zusagen für neue Förderkürzungen wä-
ren so ein Signal. Denn der Referenzpreis
für den Ölmarkt, die Nordseesorte Brent,
schwankt seit Wochen zwischen 57 und
knapp 60 Dollar pro Barrel. Die Angst vor
einem weltweiten Abschwung dominiert
auch den Ölmarkt. Selbst Berichte über
Produktionsausfälle in Venezuela und Li-
byen sowie der Beschuss einer saudischen
Pipeline durch jemenitische Huthi-Rebel-
len blieben zuletzt an den Märkten ohne
Wirkung. Ebenso verhallte eine Meldung,
die Saudis loteten bereits die Bereitschaft
anderer Ölförderer zu neuen Förderkür-
zungen aus, folgenlos.
Stattdessen büßt das Opec-Kartell im-
mer weiter Marktanteile ein. Erstmals seit
sechs Jahren standen die 14 Opec-Mitglie-
der für weniger als 30 Prozent der globa-
len Ölproduktion. Zusammen mit den
zehn weiteren Verbündeten der Opec+-Al-
lianz kommen sie auf knapp 50 Prozent.
Doch fraglich ist, wie lange die Mitglieder
der Ölallianz noch bereit sind, die Förder-
kürzungen mitzutragen, ohne Ergebnisse
zu sehen. Je länger die Preise stagnieren,
desto größer wird der Anreiz für einzelne
Mitglieder auszuscheren. Al-Falih dürfte
es daher schwer haben, die übrigen
Opec+-Länder von neuen Kürzungen zu
überzeugen.

Der tägliche Kommentar
des Handelsblatts analysiert
die Entwicklung
an den Finanzmärkten.
Von Jakob Blume

weit gilt das für Anleihen mit einem Volumen von
über 15 Billionen Dollar. Wer solche Anleihen kauft
und bis zur Fälligkeit hält, der verbucht einen ga-
rantierten Verlust.
Vor diesem Hintergrund wirkt der jüngste Ansturm
der Investoren verrückt – jedenfalls auf den ersten
Blick. „Wenn die Marktrenditen so tief oder sogar
unter null sind, dann gibt es dafür nur einen
Grund: Das ist eine Spekulation auf weitere Kursge-
winne“, sagt Tatjana Greil-Castro, Bondspezialistin
beim Vermögensverwalter Muzinich & Co. in Lon-
don. Fallen die Marktzinsen, steigen auch die Kurse
von Titeln mit Minusrenditen. Die Muzinich-Exper-
tin glaubt deshalb: „Der Ansturm auf Anleihen wird
anhalten.“ Wenn die globale Wirtschaft abrutsche,
dann werden die Anleger laut Greil-Castro Schutz
in Staatsanleihen suchen. Die Strategen von Black-
rock halten ebenfalls Wertzuwächse für möglich,
argumentieren nur etwas anders. „Sollte die Euro-
päische Zentralbank im September ein neues An-
leihekaufprogramm auflegen, dann könnten wir
durchaus weitere Kursgewinne erleben“, meint
Herrmann. Die Muzinich-Expertin ergänzt, dass ge-
rade Großinvestoren ja irgendwo anlegen müssten.
Sie glaubt deshalb nicht an ein baldiges Ende der
verrückten Anleihewelt mit Minuszinsen: „Diese
Absurdität kann uns noch Jahre begleiten.“
Suche nach Rendite
Der Blick auf die Staatspapiere liefert jedoch höchs-
tens die halbe Wahrheit. Parallel dazu gehen die
Großinvestoren ins Risiko. Sie kaufen in bisher un-
gewohnten Dimensionen Bonds mit geringerer
Bonität. Gute Staatsanleihen wie Bundespapiere
bieten Sicherheit, aber keine Einnahmen. „Die feh-
lenden Erträge kompensieren Investoren mit hoch-
verzinsten Firmentiteln und Emissionen aus Emer-
ging Markets“, erklärt Herrmann. Laut
Morning star-Berechnungen steckten die
Anleger weltweit im ersten Halbjahr
netto 106 Milliarden Dollar allein
in Bondfonds für diese beiden
Anlagegruppen. Das ist eine
dramatische Wende nach
Geldabzügen von 30 Milliar-
den Euro im zweiten Halbjahr
des letzten Jahres.
Sogar solche beeindrucken-
den Daten dürften die Realität
höchstens ansatzweise wider-
spiegeln. „Diese Zahlen unter-
schätzen die Käufe der Investoren
noch“, glaubt Manfred Schlumberger,
Fondsmanager bei Starcapital. Auch viele
breit anlegende Fonds seien händeringend auf der
Suche nach Rendite und hätten bei höher verzins-
ten Titeln zugegriffen: „An den guten Performance-
zahlen erkennt man, dass viele Produkte voll damit
sind.“
Die Morningstar-Zahlen berücksichtigen bei-
spielsweise keine Mischfonds. Solche Produkte ver-
teilen ihr Geld vor allem auf Aktien und Anleihen.
So hat etwa der Fonds „Global Multi Asset Income“

von Columbia Threadneedle in diesem Jahr allein
seine Quote an europäischen Hochzinstiteln auf 42
Prozent des Gesamtkapitals erhöht. Fondsmanage-
rin Maya Bhandari liefert dafür eine einfache Be-
gründung: „Wir glauben nicht an eine Rezession,
weder in diesem noch im nächsten Jahr.“ Behält sie
recht, muss sie kaum damit rechnen, dass Zah-
lungsschwierigkeiten von Emittenten deren Anlei-
hekurse stürzen lassen und die guten Renditekal-
kulationen zunichtemachen.
Ein Blick auf die aktuelle Marktlage illustriert den
optischen Reiz der Anlagen. Bonds aus Emerging
Markets werfen teilweise noch über sechs Prozent
Zins ab. Dollar-Hochzinsanleihen von Firmen errei-
chen rund fünf Prozent. Die entsprechenden
Bonds in Euro kommen auf etwa vier Prozent. Aus
der deutschen Perspektive urteilt deshalb Christian
Kopf, Leiter Anleihefondsmanagement bei Union
Investment: „Wir rechnen damit, dass deutsche
Anleger unter dem Zinsdruck künftig stärker inter-
national nach Alternativen suchen.“
Der Union-Stratege nennt ausdrücklich Schwel-
lenländeranleihen in lokaler Währung. „Ein Ex-
trembeispiel wäre die Türkei“, sagt er. Ein Staats-
papier in türkischer Lira liefere noch 15 Prozent
Rendite. Selbst wenn dann die Währung zehn Pro-
zent gegenüber dem Euro verlieren würde, bleibe
noch ein Euro-Ertrag von fünf Prozent. „Das kann
man natürlich nur bei einer Streuung solcher Anla-
gen über viele Emittenten und Währungen riskie-
ren“, warnt er. Doch nach den hohen Kursgewin-
nen mit solchen Papieren in Verbindung mit den
Konjunktursorgen sehen manche Experten jetzt
eher Probleme als weitere Chancen. „Die Investo-
ren sehen die Gefahren gar nicht mehr, nehmen
immer höhere Risiken“, meint Schlumberger. Der
Starcapital-Mann warnt: „Alle reiten auf der Welle
mit, bis zum großen Knall.“ Die Stunde der
Wahrheit komme bei einer Rezession.
Dann seien die riskanten Bonds die
am stärksten gefährdeten.
Schlumbergers Vorschau: „In ei-
ner Krise können sie keine
Hochzinstitel oder solche aus
Schwellenländern mehr ver-
kaufen. Oder nur zu extrem
tiefen Preisen – daran denken
viele nicht.“
Aymeric François macht sich
ebenfalls Sorgen. „Die Kurse ei-
niger Bonds sind sicher überzo-
gen“, glaubt der Deutschlandchef
von Investec Asset Management. Dabei
hat er auch ausdrücklich Staatstitel auf der
Liste. Er nennt konkrete Beispiele: „Eine Griechen-
land-Anleihe mit zwei Prozent Rendite halte ich für
zu teuer.“ Das gelte auch für den erwähnten Öster-
reich-Titel. Ein aktuelles und abschreckendes Bei-
spiel für potenzielle Gefahren liefert Argentinien.
Vor zwei Wochen erschreckte ein Wahlergebnis in
dem südamerikanischen Land Investoren. Die ris-
kanten argentinischen Anleihen crashten: Ihre Kur-
se verloren 40 Prozent.

So gefragt wie nie
Globale Nettoinvestments in Anleihefonds in Mrd. US-Dollar
Weltweit, davon in Europa aufgelegt
479

170


HANDELSBLATT • Jeweils Halbjahreszahlen



  1. Halbjahr 2010 1. Halbjahr 2019
    Quelle: Morningstar


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Alle reiten auf der
Welle mit,
bis zum großen Knall.
Manfred Schlumberger
Fondsmanager

Private Geldanlage


WOCHENENDE 23./24./25. AUGUST 2019, NR. 162^35


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