FOCUS-MONEY 35/2019 3
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„ALLES IST SCHÖNER MIT FUSSBALL.“
STEFFEN FREUND
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Foto: D. Gust/
FOCUS
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ONEY
Frank Pöpsel, Chefredakteur
S
tellen Sie sich vor, Sie wären die Leiterin eines Kinder-
gartens: Alle Kinder würden sich halbwegs vernünftig
benehmen, nur eines würde ständig aus der Reihe tanzen
und Sie hätten keine Möglichkeit, dieses Kind zu maßre-
geln. Was würde passieren? Die anderen Kinder würden
sich irgendwann auch nicht mehr an die Regeln halten
und Sie könnten den Kindergarten zusperren.
Warum ich Ihnen das erzähle? Weil es einen ökono-
mischen Hintergrund hat. Im wahren Leben heißt der Kin-
dergarten EU und das ungezogene Kind Italien. Schon
heute hält sich Italien weder an die EU-Schulden- noch an
die EU-Defizitgrenze. Die Staatsschulden sind doppelt so
hoch wie in den EU-Verträgen erlaubt, und auch die De-
fizitquote liegt über den Vorgaben aus Brüssel.
Doch es kann noch schlimmer kommen: Innenminister
und Lega-Chef Matteo Salvini hat gerade die Koalition
aufgekündigt und verspricht den Bürgern bei möglichen
Neuwahlen das Blaue vom Himmel: höhere Renten, we-
niger Steuern, kürzere Lebensarbeitszeit. Finanziert wer-
den soll das alles über neue Schulden, die – wie auch jetzt
schon – die Europäische Zentralbank (EZB) im Rahmen
ihres Anleihenkaufprogramms aufkauft.
Was könnte die EU-Kommission tun? Italien aus dem
Euro schmeißen? Als drittgrößte Wirtschaftsnation im
Euro-Raum ist das undenkbar. Die EU-Verträge sehen
das auch gar nicht vor. Italien Strafzahlungen auferle-
gen? Die finanziert es doch auch wieder mit neuen Schul-
den, für die dank der EZB wieder die anderen Europä-
er geradestehen.
Am Ende ist es wie im Kindergarten: Wenn sich einer
nicht an die Regeln hält, werden die anderen folgen. Dann
toleriert man entweder ein Tohuwabohu, oder man muss
irgendwann den Laden schließen.
Stellen Sie sich vor, Sie hätten Streit mit Ihrem Nach-
barn. Der hat Sie wegen Geruchsbelästigung durch stän-
diges Grillen vor den Kadi gezerrt und fordert, notfalls
Beugehaft gegen Sie anzuordnen, wenn der Rauch nicht
weniger wird. Würden Sie ihm dann den Gerichtsprozess
finanzieren? Sicher nicht.
Ganz anders die Bundesregierung. Die Deutsche Um-
welthilfe (DUH) hat im Streit um Fahrverbote gegen Mit-
glieder der baden-württembergischen Landesregierung
einen Antrag auf Zwangshaft gestellt. Für einen Gefäng-
nisaufenthalt könnten bei Erfolg der Antragsteller Minis-
terpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und Innenmi-
nister Thomas Strobl (CDU) in Betracht kommen. Auch
die CSU-Staatsregierung in Bayern hat der Verein im Vi-
„Kein Volk der Erde macht
uns das nach“
sier. Auf seine Klage wird der Europäische Gerichtshof
(EuGH) am 3. September über mögliche Zwangshaft ge-
gen bayerische Politiker verhandeln.
Finde ich wirklich witzig: Der größte Finanzier der DUH
ist die öffentliche Hand. Der Staat alimentiert eine um-
strittene Organisation mit millionenschweren Projektzu-
schüssen, die zwei amtierende Ministerpräsidenten in den
Knast bringen will.
Am Ende ist es wie bei Kaiser Wilhelm II. und dem
Hauptmann von Köpenick. Seine Kaiserliche Hoheit soll
bei der Lektüre des stenografischen Berichts vom Prozess
gegen den Hauptmann von Köpenick gesagt haben: „Kein
Volk der Erde macht uns das nach!“
Stellen Sie sich vor, Sie wären Journalist. Was wäre für
Sie die spannendere Meldung, die Sie Ihren Lesern mit-
teilen wollten: „Hund beißt Mann“ oder „Mann beißt
Hund“? Letztere natürlich.
Eine kürzlich in der renommierten Wissenschafts-Fach-
zeitschrift „Scientific Reports“ veröffentlichte Studie sieht
auf Grund von Zyklen im Magnetfeld und der Sonnenak-
tivität eine Abkühlung des Weltklimas von 2020 bis 2055
voraus (Titel: „Oscillations of the baseline of solar magne-
tic field and solar irradiance on a millennial timescale“).
Vorsicht für alle, die mich jetzt einen Klimaleugner nen-
nen wollen: Die Forscher aus Großbritannien und Russ-
land haben menschengemachte Einflüsse bewusst weg-
gelassen (!) und sind von den Schwankungen der letzten
Jahrtausende ausgegangen.
Mir fehlt völlig die wissenschaftliche Expertise, um die
Richtigkeit ihrer Forschung zu beurteilen. Was mir aber
auffällt: Keine einzige ernst zu nehmende deutsche Pub-
likation hat den Artikel auch nur erwähnt. Im Heimat-
land einiger der Forscher der Studie hat die Tageszeitung
„Daily Express“ darüber berichtet. Den deutschen Kolle-
gen war der Beitrag in „Scientific Reports“ dagegen keine
Zeile wert. Immerhin zählt „Scientific Reports“ laut Wiki-
pedia zu den zehn einflussreichsten Zeitschriften im Be-
reich „Multidisziplinäre Wissenschaften“.
Am Ende wäre es doch schon tröstlich gewesen, wenn
wir erfahren hätten, dass es mit der Erderwärmung mög-
licherweise doch nicht so schnell geht. Aber „Mann beißt
Hund“ scheint heute niemanden mehr zu interessieren.
FM35003A 3 16.08.19 13: