Süddeutsche Zeitung - 27.08.2019

(nextflipdebug5) #1
„DieFrage,obdieFrauohneweitersschrei-
bensoll(...),wennsieglaubt,dasssiees
könnte,stehtoffen.Abersichersolltesie
sichdenEntschlusshärterankommenlas-
senalsderMann“,heißtesinErikaManns
Text„FrauundBuch“fürdieBerliner
ZeitschriftTempoimMärz1931.Undwei-
ter:„siemusssehrstarkundsehrkonse-
quentsein(...),wennsieaufdemPapier
sichdurchsetzenwill.“AuchwennErika
Manndaerstfünfundzwanzigwar,wusste
dieam9.November1905inMünchen
geboreneUrenkelinderFrauenrechtlerin
HedwigDohmundLieblingstochterdes
LiteraturnobelpreisträgersThomasMann,
NichtevonHeinrichundSchwesterdes
frühliterarischerfolgreichenKlausMann,
wovonsieschrieb.Ganzbewussthattesie
sichzunächstvom„Familienfluch“Schrei-
benferngehalten.
Allerdingsnicht,weilsiedenVergleich
scheuteoderesihranStärkeoderKonse-
quenzmangelte.Alssiesichdanndochfür
dasSchreibenentschied,konzentriertesie
sichzunächstaufReiseberichteundFeuil-
letons.DannbrilliertesiemitKinder-
büchern,Kabaretttexten,politischenBü-
chernundVorträgen,inKriegszeitenmit
ReportagenvonvordersterFront–Gen-
res,indenendieMännerderFamiliekaum
zuHausewarenodererstaufihrDrängen
hintätigwurden.

BisheutebestichtErikaMannalsviel-
seitigeundprägnanteAutorin,obsienun
schreibt,wieesist,alsFrauAutomonteur
zulernenoderanderspanischenBürger-
kriegsfrontzustehen,alsVortragsreisen-
dequerdurchsLandzureisenoderdas
befreiteBerlinwiederzusehen.IhreTexte
atmendieLeidenschaft,mitdersiegelebt
hat.Pointiertundunterhaltsammachtsie
dasvermeintlichNebensächlichewiedas
WeltbewegendezumThema.„Meine
Sicht(...)isteheremotionalalsintellektu-
ell“,schriebsieinihrerFragmentgebliebe-
nenAutobiografievon1943,„nichtdogma-
tisch,sondernmenschlich“.

FünfzigJahrenachihremTodistErika
Manndennochwenigeralseigenständige
Autorindennals„Tochter-Adjudantin“
vonThomasundeifersüchtigeNachlass-
verwalterinvonKlausMannimGedächt-
nis.DabeiwarsiedankihrerErfolgezu
Klaus’Lebzeitendiejenige,dieihnimGe-
sprächhieltundfüreinhalbwegsgeregel-
tesEinkommendeschronischklammen
Bruderssorgte.InjungenJahrenhattesie
ihreneigenenWegeingeschlagen,umsich

vomEinflussdesVatersunddenhäusli-
chenErwartungenansie,dieÄltesteund
vermeintlichVernünftigste,zuemanzipie-
ren.„DieErimussdieSuppesalzen“,laute-
teeingeflügeltesWortinderFamiliezu
ihrerRollealsErsatzmutterwährendder
häufigenKuraufenthaltederMutterKatia.

NachdemAbiturkonzentriertesiesich
aufihrSchauspieltalent,debütiertebei
MaxReinhardtinBerlin,wechselteüber-
stürztandieKammerspielenachHam-
burg,wosiedenehrgeizigenGustafGründ-
gensheiratete.DieEheplatztesoraschwie
ihrTraumvonderBühnenkarriere.Eine

WeltreisemitKlaussollteEnde1927Trost
spenden–underöffneteihreinneues
Betätigungsfeld.
Als„literaryMann-twins“tourtendie
beidenohneSprachkenntnisseundGeld
durchdieUSA.UmdesreinenÜberlebens
willenbegannErika,Reiseberichtezu
schreiben.IhrerstesmitKlausMann
geschriebenesBuch„Rundherum“(1929)
wurdeeinBestseller,esistbisheuteals
treffendeBeschreibungderdamaligen
amerikanischenGesellschaftinteressant.

ErikaMannsVerhältniszumSchreiben
bliebpragmatisch.Zunächstgriffsiezum
Stift,umGeldzuverdienen,später,um
sichpolitischGehörzuverschaffen.Von
Vorteilwar,dasssiemühelosSchauspiele-
reiundSchreibenverbindenkonnte.
gründetesiemitihrerLebensgefährtin
ThereseGiehsedasKabarett„DiePfeffer-
mühle“.EinGroßteilderTextedieses
Kabaretts,diegegenHitlerunddieGe-
schehnisseinDeutschlandStellungbezo-
gen,stammtevonihr.ImweißenPierrot-
kostümwurdesiealsConférencièredas
GesichtderTruppe.

Alsdie„PepperMill“nachTriumphen
inEuropaAnfang1937indenUSAscheiter-
te,nutzteErikaihreVielseitigkeitdennoch
fürihrAnliegen.InmitreißendenVorträ-
genklärtesieMillionenAmerikanerüber
dieVorgängeinEuropaauf,schworsieauf
dieNotwendigkeitdesKampfsgegen
HitlerunddenKriegseintrittderUSAein.
InBestsellernwie„ZehnMillionenKin-
der“schildertesiediefaschistischeErzie-
hungimDrittenReichundverschafftemit
Büchernwie„EscapetoLife“,diesiege-
meinsammitKlausverfasste,denaus
EuropageflohenenSchriftstellerngebüh-
rendeAufmerksamkeitinAmerika.
MitKriegsendeunddemSiegüberdas
NS-RegimewarihrZielerreicht.Zugleich
verlorsiedamitdasgroßeThema,dasüber
JahreihrEngagementgeprägthatte.Nach
demSuizidihresBrudersKlausimMai
1949widmetesiesichganzdemErhalt
seinesundspäterauchdesWerksihresVa-
ters,der1955starb.IhreigenesSchreiben
tratindenHintergrund.Schon1931hatte
siedieStärkeweiblicherAutorinnenso
beschrieben:„SiekenntdieWelt,sieweiß
Bescheid,siehatHumorundKlugheit,und
siehatdieKraft,sichauszuschalten.Fast
istes,alsübersetztesie:dasLebenindieLi-
teratur,inkeineungemeinhoheLiteratur,
aberdochineinebrauchbare,anständige,
oftmalsliebenswerte.“ 



D


assderComicüberLudwigMies
vanderRohemitdemBildeiner
nacktenFraunamens„DerMor-
gen“beginnt,istkeinBeitragzumSexis-
musderModerne,sonderngenial.Eine
Idee,dieeinerseitshineinführtindasvon
Sexismennichtgeradefreie,auchsonst
eherabgründigeLebenvonMies(nomen
estomen)alsbedeutsamenArchitekten
derModerne.Dieaberandererseitsauch
dieMissverständnisseinderRezeptiondie-
serÄrazurPointeverdichtet.
VonAnfangangelingtesdemspani-
schenCartoonistenAgustínFerrerCasas,
dervorseinerComic-KarriereArchitekt
war,denLeserzufesseln.Einemdervielen
Mies-BonmotszufolgeentstehtjaArchi-
tekturalsBaukunsterstdann,wennman
zweiBacksteinesorgfältigzusammenfügt.
IndiesemFallistzusagen:DieKunstder
GraphicNovelbeginntdort,wosichBild
undTextzujenemGanzenverbinden,das
mehristalsdieSummeseinerTeile.

Dasheißt:DieNackte,eineSkulptur
vonGeorgKolbe,diesichim1929zurWelt-
ausstellungvonMiesersonnenen,iko-
nischdas20.Jahrhundertüberstrahlen-
den„Barcelona-Pavillon“befindet,wirdso
richtigschönerstdurchdiedazugehörige
Sprechblase:„SCHÖN...“Siestammtvom
damaligenKönigvonSpanien,Alfons
XIII.,derAlfonsoLeónFernandoMaríaJai-
meIsidroPascualAntoniodeBorbónyAus-
tria-Lorenaheißtundauchsonstanstren-
gendist.Er,dervonMiesdurchdenPavil-
longeführtwird,begreiftnichtdasGe-
ringstevonderSchönheit,EleganzundRa-
dikalitätderPavillon-Architektur.
MitBlickaufdieNackteabermeintder
König:„sehrschön,ja.“SpätersagtMies,
derseineGeschichtedramaturgischge-
schicktinRückblendenerzählt:„Der
Mannverstandgarnichts.“Dazwischen

brauchtFerrernureinDutzendBilder,um
dieGeschichtedesArchitektenmitderGe-
schichtederModerneundderGeschichte
DeutschlandszwischenWeimarerZeitund
Nazi-Horrorzuverdichten.DieÖkonomie
dieserErzählweiseistverblüffend.Siebe-
dientsichsimplerSätze,währendsiesich
derLigneclaireeinesHergésannähert.
Mieswürdesagen:„Wenigeristmehr.“Da-
beiaberwirddasErzählenFerrers,derdie
narrativenundvisuellenMöglichkeitenzu
nutzenweiß,diesichausdemZusammen-
spielvonComicundArchitekturergeben,
nichtnurderKomplexitätmodernerArchi-
tektur,sondernauchderVielschichtigkeit
einerKünstlerbiografiegerecht.
ManbegreiftschonbeimBarcelona-Pa-
villonnichtnuraufAnhiebdieEntwurfs-
prinzipienvonMies,etwadieEmanzipati-
onderWandvomTrag-zumRaumele-
mentoderdenfließendenRaumalsosmo-
tischesVerwebenvoninnenundaußen,
sondernmanahntauchsogleich,dass
MiesnichtnureingenialerGeistwar–son-
dernzugleicheinmituntermieserTyp.
Einer,derdeneigenenNamenerfindet:
GeborenalsLudwigMies,SohneinesMau-
rers,schnappteersichdenNamenderMut-
ter(Rohe)underfanddasnachNoblesse
klingende„vander“dazu.Dreisterlässt
sicheinedüstereAusgangslagekaumer-
hellen.DenRestseinerKarrierealsHerz-
schrittmacherderModerneverdankte
MiesseinemriesenhaftenTalent,einerNei-
gungzumapolitischenOpportunismus–
undvorallemdenFrauen.
DassMiesimmerwiederzurZigarre,
zumDrinkoderzumnacktenWeibgreift
imComic,istfolgerichtig.DerWeiberheld
undEgomane,derfastalleverrätinsei-
nemLeben,hatnichtnurhochgebaut(wie
amSeagramBuildingzusehenist,dasals
SettingimComiczuAudreyHepburnin
„BreakfastatTiffany’s“passt);erhatsich
auchhochgeschlafen.Gestorbenvor
Jahren,am17.August1969,warMiesvan
derRoheeingroßerArchitektundein
nichtganzsogroßerMensch.Dazwischen
dieGeschichtederModernesouveränund
anschaulichzuerzählen,istaberaufjeden
FallganzgroßeComic-Kunst.

DaserzählendeZusammenschauenvon
derArchitekturalsjenerBildkunst,diewie
keineandereöffentlichkeitswirksamist,
unddenkongenialpopulärenMechanis-
menderBilderweltimComicgelingtauch
demArchitektur-Krimi„DerPavillon“.
AuchhieristderZeichner,AndreasMüller-
Weiss,einstudierterArchitekt.Erhatsich,
umdieletztenLebensmonatevonLeCor-
busierdramaturgischzufassen,einenKri-
mi-Plotsamt„Ich-glaube-er-ist-tot“-Lei-
chenfund(MesserinderBrust,allerdings
istesnichtdievonCorbusier)ausgedacht.
WobeiderPlotdenHeidi-Weber-Pavillon

inZürich,mittlerweileumbenanntinCen-
treLeCorbusier,mitdemvonEileenGray
entworfenenundvonLeCorbusiermit
Wandbildern(übrigensgegendenWillen
vonGray)ausgestattetenHaus„E.1027“,al-
somitderberühmtenMaisonenBordde
MeranderRiviera,aufetwaskomplizierte
Weisezusammenschaltet.Anderalsbeim
Mies-ComicerscheintbeimCorbusier-Car-
toon,derebenfallssoebenveröffentlicht
wurdeundeineganzeigeneBildsprache
entwickelt,einVorab-Wissenumarchitek-
turgeschichtlicheZusammenhängeunab-
dingbar.

BeidenComicsgemeinsamistaber,
dassdieBiografienderArchitekturlegen-
denMiesundCorbusierkenntnisreichaus-
gedeutetwerden.Vorallemauchdort,wo
demLichtderModerneeinSchattendes
PersönlichenzurSeitesteht.Warfrüher
dieArchitekturimComic,wieetwabeiden
DystopienvonFrançoisSchuitenundBe-
noîtPeeters,TeildesSettings,sowirdder
großeBilderlieferantderGegenwart,die
Architektur,nunselbstzumProtagonis-
ten.Genaurechtzeitiginsofern,dadieAr-
chitekturgrößenderModerne,sozusagen
diealtenweißenMänneramBau,alsoLeu-

tewieCorbusieroderMies,alsschillernde
„Stars“des20.Jahrhundertsallmählich
altmodischerscheinen.Eserscheintlo-
gisch,dasssienunimComicreanimiert
werden,ineinerBildkunst,dieebenfalls
das20.JahrhundertalseigentlichesZuhau-
sekennt.

AgustínFerrerCasas:MiesvanderRohe–einvisio-
närerArchitekt.Carlsen,176Seiten,20Euro.
AndreasMüller-Weiss:DerPavillon–Mordander
PromenadeLeCorbusier.EditionModerne,72Sei-
ten,29Euro.

LeCorbusierertrank1965beiCapMartin,woereinFerienhausbesaß.ImComic
preisterdieHorizontalitätdesTodes,dieauchdemMeereigenist. FOTO:EDITIONMODERNE

Mies’SeagramBuildingwurde1958inNewYorkgebaut.157Meterhochüberragt
esdieandereStil-IkonejenerZeit,AudreyHepburn,kaum. FOTO:CARLSEN

ErikaMannbeimAufbruchzueinemAutorennen,mitCopilotRickiHallgarten.
DasFotoerschienam4.6.1931inderZeitschrift„Tempo“.FOTO:ULLSTEINBILD/GETTYIMAGES

VomSalzenderSuppezumDrehenderPfeffermühle


AutorschaftalsEmanzipation:VorfünfzigJahren,am27.August1969,starbErikaManninZürich


DieMänner


vomBau


ArchitekturalsProtagonistin:GraphicNovelsüber


MiesvanderRoheundLeCorbusier


VonArchitekturverstehtder


Königwenig,dieNackte


aberfindeter„sehrschön,ja“


IhreEhemitGustafGründgens


platztesoraschwieihrTraum
vonderBühnenkarriere

MitBüchernwie„EscapetoLife“


warbsieindenUSAfürdie
EmigrantenausEuropa

(^12) LITERATUR Dienstag,27.August2019,Nr.197 DEFGH
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