Süddeutsche Zeitung - 27.08.2019

(nextflipdebug5) #1
ImTaxivonBrigitteJürgensen
trifftsichdieganzeStadt.
„VomPennerbiszumYuppiefährtjedermit“,sagtsie.
FOTOS: ROBERT HAAS



S


ieweißnicht,wermitihrkommen
wird,indieserNacht.Manchmal
weißsieesnochnichteinmal,wenn
derGastschonhinterihrsitzt.Wennsiein
denSpiegelschaut,erkenntsienichtviel.
NurdasLichtderLaternenfälltaufdie
Rückbank.DieReflexederStraßenschil-
der.WenndasLichtfüreinenMomentdas
Gesichterhellt,kannsieerahnen,werein-
gestiegenist.Manchmalabererkenntsie
denGasterst,wenneraussteigt.
SiehatkeineAngst,nachtsimTaxi.Sie
sagt,mandarfkeineAngsthaben.Diean-
derenspürtendas.
SiestehtvorihremWagenamGoethe-
platz,inderrechtenHandeineZigarette.
Schichtbeginn.BrigitteJürgensennicktei-
nemKollegenzu,nach22Jahrenaufden
Straßenkenntsiedeneinenoderanderen
Fahrer.SieträgteineSilberketteumden
Hals,miteinemgroßenDrachen.Ihr
Schutzpatron.WennmanmitJürgensen
durchdieNachtfährt,merktman,dasssie
sichzubeschützenweiß.

SiesteigtviermalinderWocheinsTaxi.
Donnerstagnacht,Freitagnacht.Samstag-
nacht,Sonntagnacht.Einmalhatsieeine
FamiliebisinsRuhrgebietgefahren,ihre
weitesteStreckebislang.DieFahrtkostete
1200Euro.DieFamiliezahlteinbar.Das
sinddiegroßenAusnahmen,diemeisten
Gästewollenimmernurein,zweiViertel
weiterfahren.VoneinerKneipezurnächs-
ten,vonderKneipeindenClub.VomClub
nachHause.WennBrigitteJürgensen
Glückhat,wohnteinFahrgastamStadt-
rand.
SiedrücktdieZigaretteaus,ziehtdie
Türauf.DreiReihen.AchtSitzplätze.„Die
Leutefragendannimmer:Ja,kostetdas
mehr,wennichdadrinalleinefahre?“Kos-
tetesnicht.SiesteigtdieStufenachoben
indenBus,setztsichhinterdasLenkrad.
WennmanvonderRückbanknachvorne
indenSpiegelschaut,siehtmandasGe-
sichteinerälterenFrau.61Jahre.Kurzes
Haar.FesteHaut.FeineLinien,dievermu-
tenlassen,dasssichBrigitteJürgensen
nichtgeschonthatimLeben.
Siesagt:„IchhabevielScheißeerlebt.
DeshalbgibtesfürmichnichtsWichtige-
res,alsdasssichdieLeuteinmeinemTaxi
wohlfühlen.“Wobeisienicht„Leute“sagt,
sondern„Leid“.SieistinMünchengebo-
ren.IhrVaterhatteeinenTaxischein,ihre
zweiBrüderhabeneinen.Sieistdieerste
FrauinderFamilie,dieTaxifährt.Später
indieserNachtwirdsiesagen:„Inunserer
BranchekommenvieleRandständlerzu-
sammen,dienichtfüreinenBürojobvon
neunbisfünfUhrgemachtsind.“Siezählt
sichselbstdazu.
InDeutschlandsindmehrals53000Ta-
xiszugelassen,dieineinemJahrmehrals
430MillionenMenschenvoneinemOrt
zumnächstenbringen.EsgibtkeineStatis-
tikenzuderFrage,obindenNächtenmehr
MännerodermehrFrauenunterwegs
sind.AberwennmansichinderBranche
umhörtundvorallemumsieht,istunum-
stritten,dassesmehrMännersind.Dasbe-
stätigtsichauch,wennmanbeiderMünch-
nerTaxizentralenachfragt,obmaneinmal
miteinerFahrerinmitfahrenkönne,inder
Nacht.EsdauertdanneinpaarTage.Essei
nichtsoleichtsei,eineFrauzufinden,

heißtes.DannbekommtmandieNummer
vonBrigitteJürgensen.
EineAuffahrtzueinemgroßenHotel,
fünfSterne.VieleTaxen.Jürgensenlässt
dasFensterherunter.„SiehabeneinenWa-
genfürfünfPersonenbestellt?“DerMann
inUniformverschränktdieHändehinter
demRücken.Estueihmleid,aberdieGäs-
tehättenschoneinenanderenWagenge-
nommen.JürgensenlehntsichzumFens-
ter:„Siewissenschon,dassichfünfzigPro-
zentderAufträgezuIhremHotelvölligum-
sonstanfahre?“DerMannsagtnur:„Das

istärgerlich,aberwirbestellenamTaghun-
dertTaxenunddaskommtvielleichtbei
höchstensdreiProzentvor.DakönnenSie
gernenachfragen.“Erlächeltnicht.Brigit-
teJürgensenlässtdasFensterwieder
hoch,fährtdieAuffahrthinab.„Selbstder
WagenmeisterfühltsichalswasBesseres
alsich.“
SiefährtrausausdemBahnhofsviertel,
schleustsicheinindenVerkehrderStadt.
DieSchichtbegannmiteinemBlitz,kein
gutesZeichen.Blitz.SonennenihreKolle-
ginnenundKollegeneineFahrt,diesieum-

sonstmachen.Manchmal,sagtJürgensen,
istsieimmeramrichtigenOrt.Manchmal
steigteineraus,unddernächsteein,dann
musssiekeinehalbeStundewarten.Und
manchmalhatsieSchichtenwiediese.Die
Sonnestehttief,dieAutosschiebensich
durchdieStraßen.Siefährtweitergerade-
aus.Sieglaubtdaran,dassihrGefühlihr
schonsagt,wosiegebrauchtwird.Viel-
leichtamBusbahnhof.
DortsteigteinealteDameauseinemRei-
sebusausDresdenein,dieinsHotelGrün-
waldmuss.Danachsetztsicheinejunge
MutteraufdieRückbank,dieamStadt-
randaussteigt.IneinerStraßemitEinfami-
lienhäuserundGaragen.IndieserGegend
brauchenwahrscheinlichnichtvieleMen-
scheneinTaxi,trotzdemhältJürgensen
umsEck.„DasistderletzteTaxistandvor
derStadtgrenze.Dentestenwirjetztmal
an.“SiedrücktdieTürauf,lehntsichan
denWagen.EsmagentspanntereOrtege-
benalseinenStandstreifenaneinervier-
spurigenStraße.Trotzdemüberkommtei-
neneinGefühlvonRuhe,wieeseinemnur
dieNachtgebenkann.„IchliebedieStadt,
denLärm,dieLeute.Aberesistgut,wenn
allessogedämpftist“,sagtJürgensenund
schieltnacheinerZigarettewiederaufden
BildschirmnebendemLenkrad.KeinAuf-
trag.
SiefährtschonRichtungInnenstadt,da
leuchtetderBildschirmauf.Siewendet,
fährtrechtsran.EinekleineKneipeam
Straßenrad.EineFrausperrtgeradedie
Türab,danebenzweiMänner.Einerruft
BrigitteJürgensenzu:„BistDudieMaria?
DieMariafährtdocheinganzanderesAu-
to.“Jürgensensagt:„Nein,ichbindieGitti“
undstrecktihmdieHandentgegen.„Ich
würdeauchalleineheimfinden,aberich
willmeinenFreundheimbringen,weiß-

te!“,sagtderMann.Erwankt.SeinFreund
wohntnichtweitentfernt,steigtnachein
paarMinutenwiederausdemTaxi.Der
MannmitdengrauenHaarenaberlehnt
sichdannnachvornundlegtdenArmum
dieKopflehnederFahrerin:„Ja,fährstDu
auchrichtig?“Jürgensensagt:„Natürlich,
daskriegenwirschonhin,wirbeide.“
ErmussinsSchlachthofviertel.Erwoh-
nedortnichtnur,sondernarbeitedort
auchundwennmanihnfragt,waserarbei-
tet,schreiterdurchdenWagen:„TÖTEN!“
BrigitteJürgensensagt:„Ja,aberjetztist
Feierabend,gell.“Sieweiß,worüberihre
Fahrgästeredenwollen–undworüberlie-
bernicht.

DerMannsagtdannnurnoch:„Naklar
stinktesnachScheiße,wenndieZulieferer
mitdenTierenkommen.Daswillkeiner
riechen,abereinpaniertesRinderschnit-
zelwillschonjederfressen.“Erlehntsich
wiedernachvorne,legtdenArmumdie
Kopflehne:„Ichlangdichnichtan,ichbin
nichtgeiloderböseoderso.“Nachdemer
ausgestiegenist,sagtJürgensen:„Dem
mussmaneinbisschenGrenzensetzen,
aberderistharmlos.“Siekenntdieande-
renNächte.
EinmalstiegeineGruppeMännerein
undforderte:„Jetztfahrunsmalzuden
FotzeninsP1,damitdieunslutschen.“Bri-
gitteJürgensenentgegnete:„Hey,hier
sitztaucheineFrau.“DieRückfragewar:
„WasisteigentlichmitdeinerFotzen?“Sie
fuhrrechtsran,dieGruppemussteausstei-
gen.EinanderesMalöffneteeinFahrgast

nebenihrseineHose.Jürgensenblickte
nachvorneaufdieStraßeundsagte:
„Wenndudasnichtsofortlässt,holeich
diePolizei.“ErmachtedenHosenstallwie-
derzu.
Sieweißsichzuschützen.AberdasPro-
blemistja,dasssiedasüberhauptmuss.
AmLöwenbräukellersteigendreijunge
Männerein,relativnüchtern.Einermuss
insHotel,dieanderenwollendurchdie
Nachtziehen.Einervonihnentipptauf
demHandyherum.Dannsagter:„Ein
FreundvonmirmachteinePartyineinem
ClubnamensLeierkasten.Istdasgut?“Die
MännerkommenausVietnam,sindinder
Stadt,umGeschäftezumachen.Brigitte
JürgensenblicktindenRückspiegel.Sie
sagtnur:„Istokay“undfährtzudemHaus
anderIngolstädterStraße,dessenFenster
rotindieNachtstrahlen.Dasgehöredazu,
sagtsieaufdemRückweg,Jungsinden
Puffzufahren.Passiereallerdingsnicht
mehrsooftwiefrüher.
SpäterindieserNachtistihrletzterHalt
dieTheresienwiese,wieimmer.Sieschal-
tetdenMotoraus,daskleineLichtüber
demLenkradan.SiemussnochdieBilanz
dervergangenenStundennotieren.Um-
satz:150Euro.Schichtbeginn:18Uhr.
SieziehtdieFußteppicheausderzwei-
tennachdraußen,ausderdrittenReihe,
klopftdieSpurenderNachtheraus.Zum
GlückkeineKotzbröckelchen,derenGe-
ruchsolangeinderLüftungbleibt,son-
dernnureinpaarBrösel.„Wareinesaube-
reFahrt.“SieholtihrenRucksackausdem
Kofferraum,lehntsichgegendenWagen
undzündetsicheineletzteZigarettean.Sie
hatsechsFahrtenhintersich,neunGäste.
NeunLeben.
Jetztkehrtsiezurückinihreigenes.
Schichtende:2Uhr.

SchichtmitSchutzpatron


BrigitteJürgensenisteinederwenigenFrauen,dieinderNachtmitdemTaxidurchdieStadtfahren.Sieweißnie,


wereinsteigt–undhatgelernt,sichzuschützen.DasProblemistnur,dasssiedasüberhauptmuss


EineWandvollerBilderrahmen,abernur
zweidavonsindauchmitBildernausge-
füllt?Daskenntmandoch,indieserGe-
gend...Klar,vomHolzkranichanderGeor-
genstraße.HiernunsindwirinderNeu-
reutherstraße21,wofrüherdieBarBruck-
mann’swar.SeitMitteAugustheißtsieDer
kleineKranich,undauchdagibtessoeine

Bilderrahmenwand–aufdassmangleich
erkenne:Wirgehörenzusammen.
DiekleineBaristalsoeinAblegerfür
Leute,dieesgerneeinbisschenintimerha-
ben:40Personenpassenrein,dannistes
aberschonrechtkuschelig.WaszumAmbi-
entedurchauspasst,dieEinrichtungver-
strömtdenCharmederFünfziger-und

Sechzigerjahre.DiealteNussbaumwand
hinterderBaristgeblieben,aufderSeite
gegenüberbefindetsichjetzteinegoldene
Tapete.LinksimEckstehteinaltesRöhren-
radioderMarkeConcertino,dieSofassind
einfachundmutmaßlichvomFlohmarkt,
jedenfallsauszweiterHand.Bis23Uhr
kannmanauchdraußensitzen.Datreffen

sichdannauchdieNachbarngerneaufein
Bier.DasistauchSinnderSache,sagtBar-
keeperPhilippSchwarz,„wirwollenja
aucheineNachbarschaftsbarsein“.Undei-
nefürGruppen:„GeradefürGeburtstags-
feiernistunsereGrößeideal.“
GanznormaleBargängersindnatürlich
erstrechtwillkommen.PhilippSchwarz
gingdieserBeschäftigungjaselbstlange
„leidenschaftlichgernenach“,wieersagt.
JetzthatersichmitdenHolzkranich-Be-
treibernMichaelMeleschko,RobertBenke
undMichaelPointlzusammengetanund
kümmertsichumdenkleinenKranich.Er
istgewissermaßenaufdieandereSeitedes
Tresensgewechselt.„VomGinzumGym“,
sagterundgrinst,dennseiteinigerZeit
trinkternichtmalmehrAlkohol,sondern
sporteltwiederviel.
DieBarbesuchermüssenesihmnicht
gleichtun–esgibtnatürlichdieKlassiker
vonWodkaLemonüberMoscowundMu-
nichMulebishinzuCubaLibreundGinTo-
nic–allefürjeweils8,50Euro,aberauch
AusgefallenereswiedenG-StringMule
mitErdbeer-Vanille-InfusedGin,Zitrone
undGingerBeeretwa.OdereineHalbe
Bier(Ayinger)fürzivile3,50Euro–Was-
ser,SpeziundLimokostengenausoviel.
Fürden(eherkleinen)Hungergibtesdie
Brotzeit-AufstricheausderHolzkranich-
Küche,zwölfverschiedene,vonBasilikum
überLachsfrischkäsebishinzumSchwei-
zerWurstsalat.MitdieserGrundversor-
gungmüsstemanlockerdurchdieNacht
kommen.ImkleinenKranichdauertdie
bisdreiUhr. 

WiebeiOmaaufdemSofa:ImkleinenKranichsollmansichentspanntwohlfühlen,
beiklassischenundanderenDrinks. FOTO: CATHERINA HESS

EsgibtdieHarmlosen.Fahrgäste,


denenmanGrenzensetzenmuss.


Unddieanderen.


FürNachbarnundandere


„DerkleineKranich“isteineausgewachseneBarundsetztaufdenCharmeeinesSechzigerjahre-Wohnzimmers


NACHTGESCHICHTEN


AndréMeieristBarchefimTheHigh(Blu-
menstraße15,dienstagsbisdonnerstags
20biseinUhr,FreitagundSamstag20bis
dreiUhr).Überseinen„KissfromaRose“
sagter:„DieserschnellgemixteDrinkistei-
neAbwandlungeinesAperitifsaufunserer
Karte,derauchmitRosenwasserundeiner
Rosenblüteserviertwird.DieBegeiste-
rungindenAugenderGästeistimmer
groß,wennderDrinkmiteinerBlumeser-
viertwird,undsowirdesdenGästenaufih-
rerGartenpartyhoffentlichebenfallsge-
hen.Fallsdereineoderanderenochmehr
Aufmunterungbraucht,kanndiesefri-
sche,selbstgemachteRosen-Rhabarber-

LimonadeeinfachmitvierclweißemWer-
mutergänztwerden.Cheers!“

Zutaten:
3clfrischerZitronensaft
2clRhabarbersirup
1clRosenwasser
10clSoda

Zubereitung:
500mlBio-Rhabarbersaftmit400gZu-
ckeraufkochen.DannmitdenanderenZu-
tatenineinHighball-Glasgeben.Auffüllen
mitCrushedIce.MitStrohhalm,Beeren
undeinerRosenblüteservieren. 

„KissfromaRose“The High


VerschlafenesMünchen?


Vonwegen:ImDunklen


wirdesvielerorts
erstsorichtigspannend

SZ-Serie·Folge15


Neureutherstraße21,
http://derkleinekranich.de

Drinks:ordentlich,auchimPreis
Publikum:Eherunter30
Atmosphäre:locker-gemütlich
Öffnungszeiten:
Do.-Sa.von18bis3Uhr

DER KLEINE
KRANICH

Happy
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BARKEEPER UND IHRE SOMMER-COCKTAILS


R2 MÜNCHEN Dienstag,27.August2019,Nr.197 DEFGH


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