FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Wirtschaft DIENSTAG, 27. AUGUST 2019·NR. 198·SEITE 15
Chemnitz hat Potential – trotzdem
stehen so viele Wohnungen leer
wie nirgendwo sonst.Seite 17
Warum Mustafa Suleyman seinen
Posten im Google-Labor für
Künstliche Intelligenz räumt.Seite 20
Der Deutschland-Chef von Adecco
sagt:Eine schwere Krise wie vor
zehn Jahren ist nicht in Sicht.Seite 22
Altbau, vier Zimmer, 460 Euro Kaltgestelltes Genie „Das war abrupter, brutaler“
D
ie rot-rot-grüne Berliner Landes-
regierung tut derzeit alles, um
bürgerliche Wähler abzuschrecken.
Aus einem Gesetzentwurf der Stadt-
entwicklungssenatorin Katrin Lomp-
scher (Linke) geht hervor, dass die
Kaltmieten in Gebäuden, die vor 2014
errichtet worden sind, höchstens
knapp 8 Euro betragen dürfen und auf
diesem Niveau fünf Jahre lang einge-
froren werden sollen. Etwa die Hälfte
der Mieten müsse nach unten korri-
giert werden, erwartet Lompscher.
Möglicherweise wird der Entwurf
noch abgeändert. Dass das Gesetz
nicht kommt, ist unwahrscheinlich.
Der sozialdemokratische Regierungs-
chef Michael Müller hat den Deckel
schon Anfang Juni ausdrücklich befür-
wortet.
Damit mag Berlin als erste deut-
sche Stadt ein Instrument erschaffen,
das kurzfristig den Anstieg der Mieten
bremst. Doch durchdacht wirkt es
nicht: Investoren werden verschreckt,
und bei stetig steigenden Kosten etwa
für Handwerker fehlt durch gedeckel-
te Mieten bald das Geld, um notwendi-
ge Reparaturen durchzuführen. Diese
Folge von Mietdeckelungen war übri-
gens nicht nur in der DDR mit ihren
zahlreichen Wohnruinen zu beobach-
ten, sondern auch in Lissabon, wo die
Folgen der jahrzehntealten Decke-
lung – bröckelnde Wohngebäude –
noch heute zu besichtigen sind.
Unter Rechtskundigen ist es zwar
umstritten, ob der Mietendeckel über-
haupt statthaft ist. Allerdings dürfte
der Zug durch die Instanzen lange dau-
ern – und damit zur Unsicherheit un-
ter Vermietern, Investoren und auch
Mietern beitragen.
An den Börsen war die Ansicht
über das Berliner Vorhaben eindeutig:
An einem Tag mit überwiegend stei-
genden Kursen fielen die Wohnungs-
konzerne teils kräftig zurück, allen
voran die Deutsche Wohnen, deren
Geschäftsschwerpunkt in Berlin liegt.
Ganz offensichtlich hat die Woh-
nungspolitik in Berlin dazu geführt,
dass börsennotierte Wohnungskonzer-
ne dort schlechte Karten haben. Auch
die noch längst nicht entschiedene De-
batte um die Enteignung größerer
Wohnungskonzerne zeigt, in welche
politische Richtung der Wind in der
Hauptstadt weht. Schließlich gehört
die Anregung des Deutschen Mieter-
bundes, ein Grundrecht auf angemes-
senes und bezahlbares Wohnen zu
schaffen, zu den gutgemeinten, aber
schädlichen Vorstößen: Sie haben mit
dem Schutz des Eigentums, der Akzep-
tanz der freien Preisbildung und der
Gewinnung privater Investoren nichts
mehr zu tun.
W
o steckt eigentlich die FDP?
Seit Monaten nichts mehr ge-
hört von ihr, gefühlt zumindest. Ein
Blick ins Archiv offenbart, dass sie of-
fenbar noch am Leben ist und in den
vergangenen zwei Monaten hin und
wieder sogar einen Vorschlag ge-
macht hat. Die Überschriften dazu lau-
ten: „FDP will Leihmutterschaft erlau-
ben“, „FDP will Elite-Stipendium
auch für Lehrlinge“, „FDP will Klagen
gegen Hass im Netz erleichtern“ und
„FDP will Rauchverbot auf Spielplät-
zen“. Alles ehrenwerte Vorhaben,
aber doch arg kleinteilig. Unter den
Projekten ist keines, das die Gesell-
schaft spürbar voranbringt oder we-
nigstens die Marktplätze füllt. Das
dämmert der Partei auch selbst. Vor
kurzem erst kritisierte das liberale Ur-
gestein Gerhart Baum die Konturlosig-
keit seiner Partei und fragte besorgt:
„Was ist mit meiner FDP los?“
Die Antwort darauf muss FDP-Chef
Christian Lindner liefern. Und tat-
sächlich, an diesem Montagvormittag
kam eine vielversprechende Meldung
über die Nachrichtenagenturen: „FDP
fordert Sofortprogramm gegen Wirt-
schaftsabschwung“. Na endlich, ein
kraftvolles Lebenszeichen, so der ers-
te Gedanke. Auch das Timing stimmt
- wann, wenn nicht jetzt, in diesen
wirtschaftlich turbulenten Zeiten, will
sich die FDP denn profilieren, der vie-
le Wähler noch immer eine hohe Kom-
petenz auf diesem Feld zubilligen?
Wann, wenn nicht jetzt, wo die SPD
am Boden liegt und die CDU schlin-
gert, will die FDP durchdachte Alter-
nativen aufzeigen und an den Wahlur-
nen punkten?
Allerdings folgt die Enttäuschung
umgehend. Das Sofortprogramm Lind-
ners ist in Schriftform kaum länger als
eine Seite und enthält nur altbekannte
Forderungen und Phrasen. So wirbt
die FDP dafür, den Soli vollständig zu
streichen. Sie wirbt für mehr Frei-
handel und Bürokratieabbau, für eine
marktwirtschaftliche Klimapolitik und
eine bessere Förderung von Unterneh-
mensgründungen. Als „Sofortpro-
gramm gegen den Wirtschaftsab-
schwung“ lässt sich das dünne Papier
selbst beim besten Willen nicht anse-
hen. Wer wirtschaftlich fit ist, hat so
ein Konzept in zwei Stunden runterge-
schrieben. Kurz vor den Wahlen in
Sachsen, Brandenburg und Thüringen,
wo die FDP mit der Fünf-Prozent-Hür-
de kämpft, ist das zu wenig. Die Libera-
len sollten endlich jene riesengroßen
Lücken füllen, die ihnen die schwarz-
rote Koalition lässt. Die Stichworte?
Steuern, Migration, Klima, Bildung, In-
vestitionen – um nur ein paar zu nen-
nen.
W
ozu braucht es diese Gipfel?
Diese Frage kam vor Beginn
des G-7-Gipfels in Biarritz häufiger
auf. Die Zusammenkünfte der Staats-
und Regierungschefs sind teuer, sie
lähmen die Städte, in denen sie statt-
finden, und sie enden üblicherweise
mit Erklärungen, die der unbedarfte
Beobachter für Selbstverständlichkei-
ten hält. Dass die Europäer und Do-
nald Trump durch solche Zusammen-
künfte noch zu Freunden werden,
wird wohl nicht mehr geschehen. Und
doch haben diese Gipfel ihre Berechti-
gung – nicht zuletzt in wirtschaftli-
cher Hinsicht.
Es gab in Biarritz nicht den großen
Durchbruch in Handelsfragen, wohl
aber Schritte der Annäherung auf
dem Weg dorthin. Die Vereinigten
Staaten und Japan wollen bald ein
Handelsabkommen abschließen, und
auch zwischen den Amerikanern und
ihrem Erzrivalen China stehen die Zei-
chen, zumindest kurzfristig, auf De-
eskalation. Gleiches gilt für die Ver-
handlungen mit der EU. Wenn man
Trump so reden hörte, ist erstaunlich,
dass es nicht längst ein Freihandels-
abkommen zwischen der EU und den
Vereinigten Staaten gibt. Natürlich
kann man das als die übliche Trump-
Show abtun. Aber es ist eine Ansage,
an die Bundeskanzlerin Angela Mer-
kel und die EU-Verhandlungsführer
ihn erinnern können. Merkels Worte
in ihrer Pressekonferenz dürften nicht
zufällig gewählt sein. Man könne jetzt
mit dem Verhandeln beginnen und se-
hen, wie weit man kommt, sagte sie.
Merkel versucht, mit Sachlichkeit
weiterzukommen. Sie will nicht über
Dinge reden, die derzeit nicht zur Dis-
position stehen – etwa die Frage, ob
das Handelsabkommen mit Mercosur
angesichts der Brände im Amazonas
blockiert werden sollte. Andere Regie-
rungschefs preschten in dieser Frage
vor, Merkel schwieg. Jetzt muss erst
einmal gelöscht werden. Doch die Fra-
ge bleibt, ob sie mit ihrem nüchternen
Stil in einer von Effekthascherei ge-
prägten Weltpolitik noch durchdrin-
gen kann. In Biarritz waren andere je-
denfalls präsenter als Deutschland.
Jetzt richten sich die Blicke auf den
G-20-Gipfel in Saudi-Arabien im kom-
menden Jahr. Dort wird es nicht zu-
letzt darum gehen, ob es gelingt, das
für Industriegüter konzipierte Steuer-
system an die digitalen Geschäfts-
modelle der Gegenwart anzupassen.
Dass sich Frankreich und die Vereinig-
ten Staaten in dieser Frage annähern,
ist eine weitere gute Nachricht von
Biarritz, aber sie reicht bei weitem
nicht aus. Internationale Lösungen
sind wichtiger denn je.
Der Deckel von Berlin
VonMichael Psotta
Unsichtbare FDP
VonChristoph Schäfer
chs.PARIS,26. August.Mit klaren Zei-
chen der Entspannung ist in Biarritz der
G-7-Gipfel zu Ende gegangen. Die Aussa-
gen von Donald Trump waren dafür der
klarste Beweis. Auf der Abschlusskonfe-
renz sagte er, dass er ein Handelsabkom-
men mit der Europäischen Union für mög-
lich halte, ohne Zölle auf europäische Au-
toimporte verhängen zu müssen. Diese
sind wegen der Exportausrichtung der
deutschen Hersteller besonders in
Deutschland gefürchtet. „Wir sind einem
Deal mit der EU sehr nahe“, sagte Trump.
Auch im Verhältnis mit Frankreich
stand die Verständigung im Vordergrund.
Auf der Suche nach einem Kompromiss
im Streit um die französische Digitalsteu-
er sind sich die Vereinigten Staaten und
Frankreich „sehr nahe“ gekommen. So
kommentierte Trump einen französi-
schen Vorschlag zur Schlichtung des Kon-
fliktes. Frankreich will den von der fran-
zösischen Steuer betroffenen Unterneh-
men die Zahlungen teilweise zurückerstat-
ten, wenn sich die internationale Staaten-
gemeinschaft auf eine Mindestbesteue-
rung der Unternehmen einigt. „Wir mo-
dernisieren das internationale Steuersys-
tem gemeinsam“, sagte der französische
Präsident Emmanuel Macron.
Das französische Entgegenkommen
soll die französisch-amerikanischen Span-
nungen der vergangenen Wochen abbau-
en. Die französische Digitalsteuer trifft
Unternehmen mehrerer Länder, doch vor
allem die Digitalriesen aus den Vereinig-
ten Staaten. Trump hatte als Gegenreakti-
on mit einer Besteuerung französischen
Weines gedroht. Vor der Presse wollte er
auf Anfrage aber nicht bestätigen, dass er
von den Weinsteuern nun absehe.
Die OECD hat von den G-7-Regierun-
gen im Juli den Auftrag erhalten, eine
Grundlage für ein neues internationales
Steuersystem auszuarbeiten. Diese soll zu
einer Mindestbesteuerung international
tätiger Unternehmen und zu einer wirksa-
meren Besteuerung der Digitalkonzerne
führen. Das Steuerkonzept der OECD
sieht vor, dass Unternehmen künftig auch
in Ländern steuerpflichtig werden sollen,
wo sie wenig oder gar keine physische Prä-
senz haben, aber dennoch mit den Bür-
gern dieser Länder viel Umsatz machen.
Damit geraten besonders die Digitalkon-
zerne ins Visier der Steuerbehörden, die
heute wegen ausgeklügelter Steuersyste-
me wenig Abgaben leisten.
Die zweite Säule des OECD-Modells be-
steht darin, die Nutzung der Steuerpara-
diese weniger attraktiv zu machen. So sol-
len die Finanzbehörden in den Ländern
der Muttergesellschaften von den Unter-
nehmen Nachzahlungen verlangen dür-
fen, die der Differenz zwischen dem loka-
len Steuersatz und einem internationalen
Mindeststeuersatz entsprechen. Die Ame-
rikaner beschreiten seit der Steuerreform
Trumps diesen Weg: Sie setzen für die
amerikanischen Unternehmen einen Min-
deststeuersatz von 13,1 Prozent an.
In Biarritz hat die französische Regie-
rung den Vereinigten Staaten nun vorge-
schlagen, dass die Unternehmen alle Zah-
lungen zurückerhalten, die über die inter-
nationale Mindeststeuer hinausgehen.
Wenn also etwa für das Jahr 2021 das
neue internationale System greife, werde
Frankreich die Differenz für die Jahre
2019 und 2020 zurückerstatten. Sobald
eine internationale Lösung vorliege, wol-
le Paris seine Digitalsteuer auch abschaf-
fen.
In Handelsfragen gab es ebenfalls Zei-
chen des Spannungsabbaus. Trump berich-
tete, dass China Gespräche mit Amerika
suche. Er sei optimistisch, dass eine Eini-
gung möglich sei. „Ich begrüße es sehr,
dass sich China gemeldet hat. Zum ersten
Mal sehe ich, dass sie wirklich einen Deal
wollen. Ich denke, das ist ein sehr positi-
ver Schritt.“ In einer Abschlusserklärung
sprachen sich die G-7-Staaten für einen
„offenen und gerechten Welthandel“ aus.
Die Welthandelsorganisation (WTO) müs-
se „gründlich“ reformiert werden, damit
intellektuelles Eigentum besseren Schutz
erhalte. „Illoyale Handelspraktiken“ müss-
ten schneller beendet und Streitfälle
schneller beigelegt werden.(Der Handels-
krieg wird emotional, Seite 16.)
Die Trump-Show
VonJulia Löhr
tih./mars. FRANKFURT, 26. August.
Eine der mächtigsten und einflussreichs-
ten Führungsfiguren in der Geschichte
der deutschen Wirtschaft ist tot: Ferdi-
nand Piëch, der frühere Vorstands- und
Aufsichtsratsvorsitzende von Volkswa-
gen, starb am Sonntagabend im Alter von
82 Jahren. Das berichtete die „Bild“-Zei-
tung am Montagabend unter Berufung
auf das Rosenheimer Klinikum. Piëch
war demnach auf einer Reise nach Ober-
bayern, um an einer Veranstaltung teilzu-
nehmen. Wie die Zeitung schreibt, soll
Piëch in einem Rosenheimer Restaurant
zu Abend gegessen haben. Der frühere
Manager sei gegen 21.45 Uhr vor den Au-
gen seiner Ehefrau Ursula „unvermittelt
kollabiert“. Danach wurde Piëch dem-
nach ins Rosenheimer Klinikum geliefert,
wo er starb. Die Ursache seines Zusam-
menbruchs sei unklar, hieß es.
Ferdinand Piëch war viele Jahre der do-
minante Mann im Volkswagen-Reich – bis
er turbulent abtrat, im Streit mit der Fami-
lie und dem Unternehmen. Sein Aktienpa-
ket am VW-Porsche-Imperium verkaufte
er. Zuvor hatte der Ingenieur eine einzigar-
tige Laufbahn absolviert. Er startete seine
Karriere in den 1970er Jahren bei Por-
sche, wo er später gezwungenermaßen sei-
nen Platz räumen musste, weil der damali-
ge Porsche-Chef Ferry Porsche verfügt hat-
te, dass alle Familienmitglieder aus der Fir-
ma weichen mussten, weil es mit ihnen
nur Streit und Zwietracht gebe. Später
ging er zu Audi. Von 1993 bis 2002 führte
er Volkswagen als Vorstandsvorsitzender
und danach lange Zeit den Aufsichtsrat
des Unternehmens. Er galt als maßgebli-
cher Protagonist der Familien Porsche und
Piëch, der VW-Großaktionäre. Seine
Macht schien zeitweilig unbegrenzt: 2012
hievte er sogar seine Frau Ursula in den
VW-Aufsichtsrat. Piëch galt als mächtiger
Strippenzieher und Königsmacher hinter
den Kulissen. Sein größter Triumph war
es, die feindliche Übernahme von VW
durch Porsche zu vereiteln, den Spieß um-
zudrehen und am Ende doch dem Clan die
Macht im integrierten Großkonzern zu si-
chern. Ein weiterer Erfolg: Er schaffte es,
mehr als zehn Millionen Fahrzeuge in ei-
nem Jahr zu verkaufen.
Der detailverliebte Autonarr lenkte das
immer größer werdende VW-Imperium
schließlich zusammen mit dem damali-
gen Konzernchef Martin Winterkorn mit
strenger Hand, ehe er sich von seinem Le-
benswerk entfremdete. Im Jahr 2015 zog
sich der Enkel des „Käfer“-Konstrukteurs
Ferdinand Porsche zurück, nachdem er zu-
vor vergeblich versucht hatte, Winterkorn
aus dem Amt zu drängen. Nach der Ära
Piëch/Winterkorn und nach dem VW-Ab-
gasskandal blieb im Konzern kaum ein
Stein auf dem anderen. Die Mitarbeiter
sollten nicht mehr zittern vor einem Patri-
archen wie Piëch, der in Wolfsburg auch
„der Alte“ genannt wurde.
Handschlag der Hoffnung auf dem G-7-Gipfel?Die Präsidenten Trump und Macron kommen sich in Biarritz näher. Foto dpa
csc./mj./pso. DÜSSELDORF/FRANK-
FURT, 26. August. Die Pläne für eine rigi-
de Mietenobergrenze in Berlin haben am
Montag die Anleger verschreckt. Der Ak-
tienkurs von Deutschlands größtem Woh-
nungskonzern Vonovia verlor zeitweise
knapp zwei Prozent und war damit
Schlusslicht im Leitindex Dax. Noch stär-
ker fiel die Börsenreaktion bei der Deut-
sche Wohnen SE aus, die in Berlin rund
110 000 Wohnungen vermietet und dort
klarer Marktführer ist. Das im M-Dax no-
tierte Papier büßte seit Juni ein Drittel sei-
nes Wertes ein.
Nach den am Sonntag bekanntgeworde-
nen Plänen von Stadtentwicklungssenato-
rin Katrin Lompscher (Linke) soll die
Kaltmiete in Berlin auf 7,97 Euro je Qua-
dratmeter begrenzt werden. Gelten soll
die Obergrenze für alle vor dem Jahr 2014
gebauten Häuser. Derzeit beträgt die
Durchschnittsmiete in Berlin 6,72 Euro je
Quadratmeter, wie der Verband Berlin-
Brandenburgischer Wohnungsunterneh-
men berichtet. Im Juni hatte der rot-rot-
grüne Senat schon grundsätzlich beschlos-
sen, die Berliner Mieten für fünf Jahre ein-
zufrieren. Die Obergrenze blieb seiner-
zeit noch offen. Am 15. Oktober soll der
Senat über das Gesetz abstimmen, in
Kraft treten soll es am 1. Januar 2020.
Lompscher hat am Montag das Ziel des
rot-rot-grünen Senats bekräftigt, den An-
stieg der Wohnkosten mittels eines Mie-
tendeckels zu stoppen. „Wir wollen ein
Stoppzeichen setzen gegen Spekulatio-
nen, für leistbare Mieten und eine soziale
Stadt“, sagte sie. Ziel sei, eine sozial ge-
mischte Stadt auch für die Zukunft zu si-
chern. „Dazu ist es erforderlich, in die Be-
standsmieten einzugreifen.“
Sollte es zu einer Mietobergrenze von
knapp acht Euro kommt, rechnet Vonovia
vom kommenden Jahr an mit Auswirkun-
gen auf das Geschäft in Berlin. Die dorti-
gen Mieteinnahmen könnten in diesem
Fall um 20 bis 25 Millionen Euro niedri-
ger ausfallen, teilte das Bochumer Unter-
nehmen am Montag mit. Dies entspreche
10 Prozent der Mieteinnahmen in Berlin
oder einem Prozent der Gesamtmiete. Vo-
novia ist auf dem angespannten Berliner
Wohnungsmarkt mit 40 000 Wohnungen
vertreten. Die ursprünglich für Berlin vor-
gesehenen Investitionen will Vonovia
jetzt einer Prüfung unterziehen.
Rechtlichen Widerstand gegen den Ent-
wurf des Mietendeckels fordert der Spit-
zenverband Zentraler Immobilien Aus-
schuss (ZIA). Dessen Präsident Andreas
Mattner nannte Lompschers Pläne einen
„Angriff“ auf die Branche und alle Eigentü-
mer. „Hier soll Enteignung durch die Hin-
tertür in großem Stil eingeführt werden.
Wir werden uns wehren“, wird Mattner am
Montag in einer Erklärung zitiert. Er for-
derte den Bund zum Handeln auf. Nach
derzeitigem Kenntnisstand sei der Mieten-
deckel verfassungswidrig – für solche Fälle
gebe es die Normenkontrollklage. „CDU
und FDP in Berlin wollen den Weg gehen,
aber auch die Bundestagsfraktionen soll-
ten nun handeln“, erklärte Mattner.
Die von Verbandsseite in Rede gebrach-
te Verfahrensart kommt immer dann ins
Spiel, wenn Meinungsverschiedenheiten
über die Vereinbarkeit von Normen des
Bundes- oder Landesrechts mit dem
Grundgesetz, im Fall von Landesrecht zu-
dem mit sonstigem Bundesrecht bestehen.
Prominente Beispiele sind laut Bundesver-
fassungsgericht die Verfahren zum ZDF-
Staatsvertrag und zum Länderfinanzaus-
gleich. In einer „abstrakten“ Normenkon-
trolle ist es nicht Voraussetzung, dass ein
Rechtsstreit an einem deutschen Gericht
anhängig ist oder der Antragssteller die
Verletzung eines seiner Rechte darlegen
muss. Entsprechend begrenzt ist aber der
Kreis derjenigen, die einen solchen An-
trag in Karlsruhe initiieren könnten. Eine
abstrakte Normenkontrolle kann nur von
der Bundes- oder einer Landesregierung
eingeleitet werden oder einem Viertel der
Mitglieder des Bundestages; letztere um-
wirbt ZIA-Präsident Mattner offensiv mit
seinen Aussagen vom Montag.
Die offensichtliche Verfassungswidrig-
keit des Mietendeckels hatte Ende Juni
auch der wissenschaftliche Dienst im Bun-
destag in einem Gutachten gerügt. Darin
sprachen sich die Bundestagsjuristen für
eine Sperrwirkung der Bundeskompetenz
in der Gesetzgebung aus. Sie wiesen dar-
auf hin, ein Verbot von Mieterhöhungen
führe faktisch zu einem Wertverfall und
damit zu einem Eingriff in das Eigentums-
recht.
Trump macht Europa Hoffnungen
Berliner Mietendeckel verschreckt die Anleger
Kursverluste der Wohnungskonzerne / Immobilienverband fordert Normenkontrollklage
VW-Patriarch Ferdinand Piëch gestorben
Früherer Vorstands- und Aufsichtsratschef von Volkswagen wurde 82 Jahre alt / Zusammenbruch in Restaurant
Ferdinand Piëch Foto Reuters
Auf dem G-7-Treffen
stellt der amerikanische
Präsident einen Verzicht
auf Autozölle in
Aussicht. Paris lenkt
bei der Digitalsteuer ein.