Bild - 27.08.2019

(Martin Jones) #1
Santa Cruz – Erst kam das Feu-
er, dann eine Wand aus grauer, dann eine Wand aus grau-
em Rauch. In Minuten war das
Dorf San Lorenzo (100 EinwohDorf San Lorenzo (100 Einwoh-
ner), ganz im Osten Boliviens ner), ganz im Osten Boliviens
gelegen, von den Flammen eingelegen, von den Flammen ein-
geschlossen. Elba Espinoza (31) geschlossen. Elba Espinoza (31)
warf sich auf ihre drei Töchter
und wartete auf den Tod.
Die Feuersbrünste am Ama-
zonas roden nicht nur Bäume,
vernichten nicht nur Lebensraum
der Tiere. Sie bringen auch Men-
schen in Lebensgefahr. Menschen
wie Elba.
„Wir lagen auf dem Boden, „Wir lagen auf dem Boden,
bekamen keine Luft mehr“, sagt bekamen keine Luft mehr“, sagt
die Mutter, als wir sie 16 Stunden die Mutter, als wir sie 16 Stunden
nach dem Flammenmeer im Hof
der katholischen Schule „Marista der katholischen Schule „Marista
Sagrados Corazones“ treffen.Sagrados Corazones“ treffen. El-
ba hat ihre Tochter Norely (1) auf
dem Arm, noch immer Angst im
Blick und noch keine Minute ge-
schlafen. Wie auch? Wo auch?
Sie hat alles verloren, nur ihr Le-
ben behalten.
„Ein Polizist brach die Tür auf
und rief: ,Alle raus hier! ́“, erinund rief: ,Alle raus hier! ́“, erin-
nert sich Elba. „Er half uns raus,
brachte uns in Sicherheit.“ In ei-
nem Bus wurden Mutter und Kin-
der ins 60 Kilometer entfernte Ro-
boré gebracht.
Im Schulhof fanden sie UnterIm Schulhof fanden sie UnterIm Schulhof fanden sie Unter--
schlupf, nun sucht die Mutter ei-
nen Schlafplatz für ihre Kinder. Die
wenigen Matten sind belegt. Im
Flur verteilen Helfer Milchsuppe.
In den Tagen des Feuers stehen
die Menschen in Bolivien eng zu-
sammen.
Padre Hermanno Vidal (83) hatPadre Hermanno Vidal (83) hat-
te seine Schule sofort für die Feu-
erflüchtlinge geöffnet.erflüchtlinge geöffnet. „Wir müs „Wir müs-
sen Hilfe organisieren“, sagt der

alte Geistliche. „Das mit den Brän-
den ist noch nicht zu Ende.“
Elbas Familie gehört zur indige-
nen Bevölkerung der Chiquitanos.
Knapp 160000 leben in Bolivien.
Viele von ihnen haben alles verlo-
ren. Ihr Haus, ihre Tiere. Ihre Fel-
der sind zerstört. Wenn die Feuer
ausgebrannt sind, wollen sie trotzausgebrannt sind, wollen sie trotzausgebrannt sind, wollen sie trotz--
dem zurück. Wann das sein wird,
das weiß niemand in Roboré.
Immer wieder flammen im Ur-
wald Glutnester auf. Starke Winwald Glutnester auf. Starke Win-
de lassen sie zu Flammenstürmen de lassen sie zu Flammenstürmen
anschwellen. Hier in der Tiefebe Hier in der Tiefebe-
ne gibt es Hunderte Dörfer wie
das zerstörte San Lorenzo. Sie al-
le bangen jetzt.
Zehn Kilometer südlich von Ro-
boré steht Carl Aguilar (78) vor eiboré steht Carl Aguilar (78) vor ei-
nem Gatter, hinter dem seine 25 nem Gatter, hinter dem seine 25
Kühe grasen.Kühe grasen. „Ich sterbe lieber,
bevor ich meine Kühe verlasse“,
sagt der resolute Landwirt. Schon
einmal rollte die Feuerwalze auf
seinen Hof zu, bis auf fünfzig Me-
ter hatten sich die Flammen an
das alte Holzhaus herangefres-
sen. „Wir haben uns in die Mit-
te der Küche gesetzt und unsere
Gesichter mit Tüchern geschützt“,
sagt Bauer Carl. „Gott hat gewollt,
dass die Flammen nicht auf unser
Haus übergesprungen sind.“
Und wenn er das beim nächs-
ten Mal nicht will? Noch immer
glimmen Glutnester in der Nähe
des Hauses. „Die Tiere sind unse-
re Existenz“, sagt Carls Schwiegerre Existenz“, sagt Carls Schwiegerre Existenz“, sagt Carls Schwieger--
sohn Wanderley (40). „Wir können
sie nicht alleine lassen.“
Retten kann sie vor allem eins:
Regen! Den gab es gestern in der
Grenzregion Bolivien/Brasilien zum
ersten Mal seit drei Monaten –
die Hoffnung für den Regenwald.

BRASILIENS POLIZEI ERMITTELT
GEGEN DIE ORGANISATOREN
DES „TAGES DES FEUERS“, DIE
AM 10. AUGUST GROSSE TEILE
DES REGENWALDS IN BRAND
GESTECKT HATTE. Allein im Bun-
desstaat Pará sollen sich über
70 Personen in einer WhatsApp-
Gruppe verabredet haben. „Kri-
minelle Brandstiftung am Amazo-
nas wird hart bestraft“, schrieb
Justizminister Sérgio Moro auf
Twitter. +++ SO WOLLEN DIE G
AM AMAZONAS HELFEN Die G7-
Staaten beschlossen einen Sofort-

hilfe-Fonds (20 Mio. Dollar) für die
von Waldbränden im Amazonas-
Gebiet betroffenen Länder (u. a.
Brasilien, Bolivien, Frz. Guayana).
Finanziert werden u. a. Lösch-
Hilfe, Wiederaufforstung und Hil-
fen für betroffene Bewohner. +++
WWF ERWARTET REKORD-VER-
LUSTE Die Naturschutzorgani-
sation WWF erwartet, dass die
2019 vernichtete Regenwald-Flä-
che so groß ist wie zuletzt 2005.
Damals gingen fast 20 000 Qua-
dratkilometer Urwald verloren.
Am schlimmsten brannte es 1995

(29 100 Quadratkilometer). 2018
waren es „nur“ 7900 Quadratki-
lometer. +++ WIE KANN REGEN-
WALD AUFGEFORSTET WERDEN?
„Eine sehr gute Methode ist die
Muvuca-Strategie“, sagt Roberto
Maldonado, Diplom-Forstwirt des
WWF. Dabei werden Samen über
die Fläche verteilt und nicht ein-
gegraben. Nach einem Jahr hat
sich eine geschlossene Vegetati-
onsdecke gebildet, nach 20 die
erste Generation Wald. Bis aber
Urwald entsteht, dauert es Hun-
derte von Jahren.

Düsseldorf – Wer-
be-Ikone Verona
Pooth (51) ist für ihr
fröhliches Gemüt be-
kannt, doch zurzeit
lodert in ihr die Wut.
Denn: Pooth wurde
in Bolivien (La Paz)
geboren. Und auch
in ihrem Heimatland
brennt es.
Pooth zu BILD: „Die
Brände sind eine
Welt-Katastrophe und
wir sind alle mit schuld
daran!“
Im bolivischen El Al-
to betreut Pooth ein
„SOS Kinderdorf“. Sie
ist erleichtert, dass es
den über 100 Kindern
dort gut geht. Trotz-
dem mahnt Pooth:
„Wir müssen verste-
hen, dass Umwelt-
schutz kein Hobby ist.
Man muss mehr ma-
chen, als nur nicht aus
Plastik-Strohhalmen zu
trinken.“

Betroffen zeigt sich
auch Ex-Bundesliga-
Torschützenkönig Ail-

ton (46, lebt heute in
den USA, Foto). BILD
sagte er:
„Meine
gan-
ze Fa-
milie
wohnt
in Brasi-
lien. In
einer
Woche fliege
ich nach Hau-
se. Es tut weh
für mein Land,
Brasilien. Es
brennt unser
Herz. Viele
Menschen
verlieren al-
les.“

Jede zehnte Tierart unse-
rer Erde ist am Amazonas
zu Hause. Der Regenwald
ist vielfältiger als jede an-
dere Region der Welt, weil
es dort „Hunderttausende
oder Millionen von Jahren
nie gebrannt hat“nie gebrannt hat“nie gebrannt hat“, sagt , sagt
der Arten-Spezialist Wil-
liam Magnusson in „Na-
tional Geographic“.
Doch dann legten die
Menschen Feuer. Und die
Tiere fliehen oder sterben


  • in einem bizarren Wett-
    rennen. Der US-Umwelt-
    experte Mazeika Sullivan
    beschreibt, wie schnelle Raub-
    tiere, Jaguare oder Pumas
    ebenso wie Vögel den Flam-
    men meist entkommen – wäh-
    rend Frösche, Echsen oder
    Ameisenbären oft keine Chan-
    ce haben. „Die Opferzahlen
    werden gewaltig sein“, pro-
    phezeit Sullivan. Wie gewaltig,
    lässt sich noch nicht absehen.


„Eine Welt-


Katastrophe, an der wir


alle mit schuld sind“


Ein aussichtsloser
Kampf: Bei
Rio Branco
(Brasilien)
versucht ein
Feuerwehrmann,
die Flammen
einzudämmen

Feuerwehrleute
haben einen
Papagei gerettetPapagei gerettet

Völlig erschöpft
ist ein Kind in der
Schule von Roboré
eingeschlafen

Verzweifelte
Helfer
bekämpfen
Brandnester
mit einfachsten
Mitteln

Bauer Wanderley (40)
und sein Schwieger­
vater wollen ihre Kühe
nicht zurücklassen

Auf den Fluren
der Schule geben
Freiwillige
Milchsuppe aus

November 2004:
Verona Pooth besucht
das SOS­Kinderdorf
„El Alto“ (Bolivien),
welches sie
mitfinanziert
hat und das auf
4050 Meter
Höhe liegt

Was wird da angebaut und wofür?
SOJA: Jeder Deutsche
hat 300 Quadratmeter
Fläche für den Sojaanbau
in Brasilien „gepachtet“.
Diese Fläche braucht es,
um hier Teile des Futtermit­
tels bereitzustellen für die
60 Kilogramm Fleisch, die
jeder Deutsche im Schnitt
im Jahr isst.
FLEISCH: Brasili­
en ist der größte Rind­

fleischexporteur der Welt
(fast 40 Mio. Rinder jähr­
lich). Davon landen ca.
11 000 Tonnen auf deut­
schen Tellern.
PALMÖL: 19 376 Tonnen
Palmöl wurden 2018 aus
Brasilien nach Deutschland
exportiert. Das Öl steckt in
fast jedem zweiten Super­
marktprodukt – vom Scho­
koriegel bis Handcreme –
und in Biodiesel.

„Wer Fleisch aus der in-
dustriellen Massentier-
haltung kauft, macht
sich leider mit
schuldig an dem
Inferno.
Denn: Die Wäl-
der am Amazo-
nas werden vor
allem brandge-
rodet, um Platz
für Soja-Plantagen zu
schaffen und für riesi-

ge Rinderfarmen. Ur-
wälder voller Vielfalt,
die Lungen unserer
Erde, werden geop-
fert für den schnel-
len Profit mit Tie-
ren, deren Fleisch
zu immer niedri-
geren Preisen
in die Welt ver-
schifft wird.
Gemästet wird meist
mit Soja-Kraftfutter, wie

es weltweit im Einsatz
ist. Dafür werden immer
größere Flächen abge-
holzt. Zerstört wird der
Wald, dann die Böden,
am Ende unser globa-
les Klima.
Einziger Ausweg: Einziger Ausweg:
Biofleisch aus der ei-
genen Region kaufen! genen Region kaufen!
Am besten von Kühen, Am besten von Kühen,
die mit Grasprodukten die mit Grasprodukten
gefüttert wurden.“gefüttert wurden.“

Brennt der Wald, weil ich gern


Steak esse, Frau Wiener?


haltung kauft, macht
sich leider mit-
schuldig an dem

die Lungen unserer
Erde, werden geop
fert für den schnel
len Profit mit Tie
ren, deren Fleisch
Von
Starköchin
SARAH
WIENER (57)

Brandstifter verabredeten sich per WhatsApp


Fotos: ANDREAS THELEN, FIREFIGHTERS ACRE HANDOUT/EPA-EFE/REX, AP PHOTO, DAVID MERCADO/REUTERS, AIZAR RALDES/AFP, NICOLAS QUINTEROS/DPA PICTURE-ALLIANCE, GÜNTHER PICHLKOSTNER/DPA PICTURE-ALLIANCE


WIR

KRIEGEN


KEINE LUFT


MEHR“


WIE DIE MENSCHEN


AM AMAZONAS LEIDEN


Verona Pooth über
die Brände in ihrer
Heimat Bolivien

Das Feuer


wird für


Tiere zur


Todesfalle


In einem abgebrannten
Waldstück suchen
Rinder Schatten unter
einem der letzten
verbliebenen Bäume

Aus dem KatastrophenAus dem Katastrophen-
gebiet berichten (v.l.):
AVZIN ARBILLY,
JEFFERSON (GUIDE),
ANDREAS THELEN,
PAUL RONZHEIMER,
PETER HELL, TOBIAS
BAYER, ANNA ESSERS,
GIORGOS MOUTAFIS
und MORITZ WEDEL

BILD DEUTSCHLAND • 27. AUGUST 2019 ● SEITE 7

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