Handelsblatt - 29.08.2019

(Dana P.) #1

Moritz Koch Berlin


A


uf Deutschlands Funk-
löcher ist Verlass. Kaum
hat Jan-Hendrik Gold-
beck „eine Netz- und
Dateninfrastruktur auf
dem Niveau eines erfolgreichen In-
dustrielands“ gefordert, bricht das
Gespräch ab. Nächster Versuch, die
Verbindung steht, für ein paar Minu-
ten zumindest. „Sehen Sie?“, sagt
Goldbeck und beeilt sich, weitere
Punkte anzusprechen.
Weniger Bürokratie bei der Vergabe
öffentlicher Aufträge, das würde sei-
ner Firma helfen, der Goldbeck
GmbH, einem Bauunternehmen aus
Bielefeld. Auch mehr ausgewiesene
Gewerbeflächen wären wünschens-
wert. Und eine Steuerdebatte, die
nicht so viel Verunsicherung erzeugt
wie derzeit der Streit über Soliabbau
und Vermögensteuer. „Wir stehen zu
unserer Steuerverantwortung, wir
zahlen gerne Steuern“, sagt Goldbeck.
Aber die Belastung müsse „stemm-
bar“ bleiben, „die Investitionskraft
darf nicht verloren gehen“. Dann
rauscht der Firmenwagen auf der Au-
tobahn bei Paderborn in das nächste
Funkloch – das Gespräch ist vorbei.
Doch Goldbeck wird bald schon
wieder Gelegenheit haben, seinen
Forderungen, Ideen und Sorgen Ge-
hör zu verschaffen. Hoher Besuch er-
wartet ihn. Bundeswirtschaftsminis-
ter Peter Altmaier (CDU) hat sich an-

gekündigt. Von Donnerstag bis
Samstag will er Betriebe besuchen,
Weltmarktführer, Start-ups und Fa-
milienunternehmer wie Goldbeck.
Durch Niedersachsen, Nordrhein-
Westfalen und Sachsen-Anhalt will er
reisen, sich mit Unternehmern aus-
tauschen und ihnen eine neue Mittel-
standsstrategie präsentieren.
In einem Entwurf, der mit Verbän-
den wie dem BDI und der DIHK ab-
gestimmt wurde, bezeichnet Altmai-
er den Mittelstand als „Geheimwaffe
Deutschlands“. Inzwischen sei das
Papier überarbeitet worden, heißt es
im Bundeswirtschaftsministerium,
zentrale Formulierungen habe man
geändert. Doch die Intention der
Strategie ist klar: Altmaier will den
Mittelstand stärken – und den Mittel-
ständlern seine Wertschätzung versi-
chern.

Wenig Wertschätzung
Letzteres ist vor allem deshalb nötig,
weil diese Wertschätzung umgekehrt
nur eingeschränkt gilt. Viele Mittel-
ständler sind nicht gut auf Altmaier
zu sprechen, seit er im Frühjahr sei-
ne Vorstellungen von einer Industrie-
politik skizziert und sich darin für
den staatsgetriebenen Aufbau von
„nationalen und europäischen
Champions“ starkgemacht hatte. Die
Folge war eine erbitterte Fehde mit
Familienunternehmern. Ihr Ver-

bandschef Reinhold von Eben-Worlée
warf Altmaier vor, eine „Anti-Mittel-
standspolitik“ zu betreiben. Urteile
wie „Totalausfall“ und „Fehlbeset-
zung“ bekam der Minister zu lesen.
Zwar sind seither Monate vergangen,
doch das Zerwürfnis hat Spuren hin-
terlassen. Altmaier gilt in Berlin als
angezählt. Neben der Zukunftsfähig-
keit des Mittelstands dürfte es ihm
auch um seine eigene gehen.
Dass kleine und mittlere Unterneh-
men gerade jetzt, da sich die Kon-
junktur eintrübt, in den Fokus rü-
cken, ist kein Zufall. Im Abschwung
gibt der Mittelstand der Wirtschaft
Halt. Mittelstand, sagen Mittelständ-
ler gern, sei keine Frage der Größe,
sondern der Einstellung. Nachhalti-
ges, über Generationen angelegtes
Wachstum ist das Leitbild vieler Un-
ternehmen, die sich in Familienhand
befinden. Nicht kurzfristige Aktio-
närsbefriedigung und das zwanghaf-
te Schielen auf das nächste Quartal.
Mittelstand bedeutet Vielfalt. Mit-
telständische Betriebe konzentrieren
sich nicht auf einzelne Ballungsgebie-
te, sie verteilten sich auf den ländli-
chen Raum und wirken so der geo-
grafischen Spaltung Deutschlands in
prosperierende Zentren und darben-
de Peripherien entgegen. Ihre Lage
kann in Zeiten des digitalen Wandels
allerdings ein Nachteil für Deutsch-
lands verborgene Champions sein –

nämlich dann, wenn es dem Staat
nicht gelingt, die infrastrukturellen
Mängel wie Funklöcher zu beheben.
Er hoffe, „dass Herr Minister Alt-
maier offen auf die ihm vorgetrage-
nen Themen und Probleme eingeht“,
sagt Theodor Herrmann, Gründer
des Bauelektronik-Herstellers Krah,
der mit dem Slogan „Freude am Wi-
derstand“ für sich wirbt und Altmai-
er am Freitagmorgen empfängt. Eine
gewisse Widerstandslust kann man
auch aus seinem Statement herausle-
sen, selbst wenn Herrmann bemüht
ist, diplomatisch zu bleiben: Einen
„ehrlichen Dialog“ verspricht er sich.
Ein solcher Dialog sollte für einen
deutschen Wirtschaftsminister eigent-
lich selbstverständlich sein, meinen
die Mittelständler. Zumal „Mittelstand“
und „deutsche Wirtschaft“ praktisch
Synonyme sind: 99,5 Prozent aller Un-
ternehmen in Deutschland sind dem
Mittelstand zuzurechnen. Mittelständ-
ler stellen 60 Prozent aller Arbeitsplät-
ze und mehr als 80 Prozent aller Stel-
len für Auszubildende.

Fachkräfte gesucht
Was der Mittelstand braucht, hat der
BDI im Sommer in einem Thesen -
papier zusammengefasst. Neben der
Forderung nach einer Stärkung des
ländlichen Raums finden sich darin:
steuerliche Entlastung, eine Begren-
zung der Energiepreise und Zuwande-
rungserleichterungen für Fachkräfte.
Ähnliches wird Altmaier zu hören be-
kommen, wenn er am Donnerstag-
morgen beim Audiotechnik-Anbieter
Sennheiser die erste Zwischenstation
seiner Reise einlegt. „Wir wünschen
uns, dass in Deutschland mehr die
Chancen neuer Technologien gesehen
werden und weniger die Risiken“, sagt
Daniel Sennheiser, der das Unterneh-
men mit seinem Bruder Andreas führt.
Damit Deutschland innovativ bleibe,
seien drei Punkte wichtig: Investitio-
nen, Gesetzgebung und Bildung. „Wir
müssen dafür sorgen, dass unsere In-
frastruktur fit für die digitale Welt ist“,
mahnt Andreas Sennheiser. Auch
Fachkräftemangel bereitet den Senn-
heiser-Brüdern Sorgen. Das Bildungs-
system müsse verbessert werden, und
gleichzeitig müssten „gezielt qualifi-
zierte Arbeitskräfte aus dem Ausland
nach Deutschland“ gebracht werden.
Die Erwartungen des Mittelstands
sind riesig, aber Altmaiers Mittel sind
begrenzt. Er wird mit seinem Strate-
giekonzept die Wirtschaftspolitik
nicht neu erfinden können. Ein neu-
es Förderprogramm vielleicht, ein
paar Absichtserklärungen – sehr viel
mehr ist nicht zu erwarten. Immer-
hin: Es soll einen regelmäßigen
Staatssekretärsausschuss geben, der
sich um die mittelständischen Belan-
ge kümmert, wie das Handelsblatt er-
fuhr. Damit ist das Thema auf höchs-
ter Beamtenebene aufgehängt und
soll eine Querschnittsaufgabe in den
Ministerien Wirtschaft, Bildung, Fi-
nanzen, Verkehr werden.
Ein besonderer Programmpunkt
erwartet Altmaier am Freitag, wenn
er in Waltrop im Blumenladen von
Birgit Honvehlmann vorbeischaut.
Honvehlmann hat sich den Ruf einer
Vorzeigeunternehmerin erarbeitet,
weil sie Menschen mit Behinderung
fördert. Ja, die Bürokratie sei ziem-
lich „verwirrend“, sagt sie. Aber wer
selbstständig sei, müsse halt selbst
anpacken – und nicht so viel me-
ckern. Das wird Altmaier, der Vielge-
scholtene, gern hören.

Sommerreise


Altmaier entdeckt


den Mittelstand


Mit einer neuen Strategie will Wirtschaftsminister Altmaier die


Zukunftsfähigkeit des Mittelstands sichern – und seine eigene.


Wirtschaftsminister Altmaier:
Viele deutsche Mittelständler sind
nicht gut auf den CDU-Politiker
zu sprechen.

Florian Gaertner/imago images/photothek

Wir stehen


zu unserer


Steuerver -


antwortung,


aber die


Investitions -


kraft darf


nicht


verloren


gehen.


Jan-Hendrik Goldbeck
Goldbeck GmbH

Wirtschaft & Politik
DONNERSTAG, 29. AUGUST 2019, NR. 166

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