Handelsblatt - 29.08.2019

(Dana P.) #1

„Wir haben vor, die Düngung


weiter zu reduzieren, gerade


in den Gebieten, in denen es


sehr viel Nitrat im Wasser gibt.“


Svenja Schulze, Bundesumweltministerin, gibt
sich im Düngerstreit mit der EU-Kommission
optimistisch.

„ Johnson und seine


Regierung zerstören die


Verfassung.“


Margaret Beckett, Abgeordnete
im britischen Parlament und eine
Fürsprecherin eines zweiten
Brexit-Referendums

Stimmen weltweit


Das Manöver des britischen Premiers
Boris Johnson, das Parlament kurzzeitig zu
schließen, um seinen Brexit-Plan durchzuziehen,
kommentiert die „Neue Zürcher Zeitung“:

B


oris Johnson will offenbar das Parlament
vorübergehend schließen, um den har-
ten Brexit Ende Oktober über die Zielli-
nie zu bringen. (...) Sein Kalkül könnte durch-
aus aufgehen. Zwar gibt es viele empörte Stim-
men: Es ist von Missbrauch, Verfassungsbruch
und von Rechtsklagen die Rede. Auch dürfte
Großbritannien nach dem vertragslosen Brexit
zuerst einmal in erhebliche wirtschaftliche Tur-
bulenzen geraten. Doch Johnsons dramatischer
Macht galopp hat auch viele Bewunderer. Ob er
wirklich den Verfassungsgrundsätzen wider-
spricht, wird wohl noch über Jahre hinaus Juris-
ten beschäftigen. Sicher ist: Er bringt dem Land
nach drei Jahren ermüdender Brexit-Wirren
endlich Klarheit und eröffnet ein neues Kapitel.
Nach einem Schlussstrich unter dem Brexit-
Drama sehnen sich viele. Die Opposition ist da-
gegen weiterhin zerstritten und kann sich nicht
auf eine überzeugende Variante des EU-Aus-
tritts einigen. Die Aussicht auf endlos weiter ge-
hende Brexit-Querelen ist auch keine attraktive
Alternative.

Zur italienischen Regierungskrise äußert sich
die Mailänder Tageszeitung „Corriere della Sera“
mit Blick auf eine neue Koalition skeptisch:

M


it Vorsicht, viel Misstrauen und einer
erzwungenen Schnelligkeit zeichnet
sich allmählich eine Mehrheit aus Fünf-
Sterne-Bewegung und PD (Sozialdemokraten)
unter Führung des zurückgetretenen Premiers
Giuseppe Conte ab. Aber es bleibt eine große
Unbekannte, welche Bedeutung die Bewegung
Beppe Grillos und die Partei Nicola Zingarettis
ihr zuschreiben wollen. Wenn es sich nur um ein
Manöver handelt, um Neuwahlen zu vermeiden,
die Lega-Chef Matteo Salvini gefordert hat, wird
die Regierung vielleicht ein mehr oder weniger
langes, jedoch auch streitsüchtiges und steriles
Dasein führen. (...) Wir wissen nicht, wie das
enden wird, ob der Hass zwischen Fünf Sternen
und PD zu einer Liebesheirat oder wenigstens zu
dpa, dpa, APeiner Vernunftehe führt.

Zum Versuch des französischen Präsidenten
Emmanuel Macron, beim G7-Gipfel zwischen
den USA und dem Iran zu vermitteln, meint die
Londoner „Financial Times“ am Mittwoch:

M


it dem Vorschlag direkter Gespräche
zwischen Donald Trump und dem ira-
nischen Präsidenten Hassan Ruhani hat
Emmanuel Macron direkt an das Ego des US-Prä-
sidenten appelliert. Einfach drauflos und einen
Deal machen. Einer solchen Herausforderung
kann der US-Präsident nur schwer widerstehen.
Man kann jetzt nur hoffen, dass es den Iran-Hard-
linern, die den Präsidenten umgeben, allen voran
der Nationale Sicherheitsberater John Bolton,
nicht gelingt, diese Initiative zu untergraben.
Die Welt kann sich keinen neuen Krieg im Nahen
Osten leisten. (...) Solange Trump im Weißen
Haus sitzt, wird er eine gefährliche und destabili-
sierende Kraft sein. Macron gebührt jedoch be-
trächtlicher Dank für seine Bemühungen, die
Stürme zu besänftigen.

V


or zwei Wochen Paris, heute Berlin, nächste Wo-
che Den Haag, Ende September über den Atlan-
tik nach New York: Der neue griechische Pre-

mierminister Kyriakos Mitsotakis absolviert seine An-


trittsbesuche.


Die Visite bei Angela Merkel im Kanzleramt allerdings


gilt als besonders heikel. Denn Mitsotakis hat ein kon-


kretes Anliegen: Er wünscht sich eine Lockerung der


strikten Sparauflagen, mit denen die Gläubiger Grie-


chenland vor einem Jahr aus den Hilfsprogrammen ent-


ließen. Um die Schuldentragfähigkeit zu sichern, sollen


die Griechen bis 2022 einen jährlichen Primärüber-


schuss von 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts er-


wirtschaften. Danach sind pro Jahr 2,2 Prozent verein-


bart. Mitsotakis hält die Vorgaben aber für zu strikt. Der


neue Premier fordert mehr finanziellen Spielraum, um


mit Steuersenkungen und Infrastrukturinvestitionen


die immer noch schwächelnde Konjunktur anzukur-


beln. Und er hat durchaus gute Argumente auf seiner


Seite, auch wenn in Deutschland das nach der schein-


bar ewigen Griechenlandrettung niemand hören mag.


Mitsotakis hatte einen guten Start. Er packt tatsäch-
lich Reform- und Privatisierungsprojekte an, die seine
Amtsvorgänger seit Jahren verschleppten. So ist die
jetzt beschlossene Aufhebung der letzten verbliebenen
Kapitalkontrollen, ein Erbe aus dem Krisensommer
2015, ein wichtiger Schritt zur Normalität. Er wird sich
positiv auf die Bonität des Landes auswirken. Damit
kann sich der Staat günstiger refinanzieren, die Schul-
dentragfähigkeit verbessert sich. Tatsächlich fiel die
Rendite der zehnjährigen griechischen Staatsanleihe
am Mittwoch auf den tiefsten Stand seit Einführung des
Euros. Und das hat nicht nur mit der Geldpolitik der
Europäischen Zentralbank zu tun.
Die Märkte haben Mitsotakis ihr Vertrauen ausgespro-
chen. Die öffentlichen Gläubiger aber zögern noch. Sie
wollen nicht ein Jahr nach dem Abschluss des Pro-
gramms die Konditionen schon wieder ändern. Das
Misstrauen gegenüber dem einstigen Defizitsünder
Griechenland ist immer noch groß.
Hinzu kommt die Sorge, dass Zugeständnisse an
Athen neue Begehrlichkeiten in Italien wecken könn-
ten, das derzeit mit Brüssel einen heftigen Streit über
die Etatentwicklung führt. Mitsotakis kann deshalb heu-
te noch nicht mit konkreten Zusagen der Kanzlerin
rechnen. Aber dabei sollte es nicht bleiben. Denn der
griechische Premier braucht eine Chance. Eine Locke-
rung der fiskalischen Vorgaben könnte Griechenland je-
nen Wachstumsschub geben, den es so dringend
braucht. Das wäre auch im Interesse der Gläubiger.
Denn eines ist klar: Nur wenn die Wirtschaft wächst,
können die Griechen ihre Schulden zurückzahlen.

Griechenland


Mehr Spielraum für Athen


Der griechische Premier Kyriakos
Mitsotakis wirbt für eine
Lockerung der Sparauflagen. Er
hat gute Argumente, meint Gerd
Höhler.

Der Autor ist Korrespondent in Griechenland.
Sie erreichen ihn unter:
[email protected]

Wirtschaft & Politik


DONNERSTAG, 29. AUGUST 2019, NR. 166


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