Handelsblatt - 29.08.2019

(Dana P.) #1

Kathrin Witsch London


S


o etwas sieht man im edlen St.-James-
Viertel inmitten von London nicht jeden
Tag: Ein rotes Transparent zieht sich
quer über die Balustrade der Zentrale
von BP, einem der größten Ölkonzerne
der Welt. „Climate Emergency“ (zu Deutsch „Kli-
manotstand“) steht dort in weißen Lettern ge-
schrieben. Zeitgleich verbarrikadieren sich Aktivis-
ten in mehreren Containern auf dem Bürgersteig
und blockieren den Eingang des aristokratisch an-
mutenden Hauses. Stundenlang legen sie so das
Hauptquartier des Milliardenkonzerns lahm. Sie
verlangen den sofortigen Stopp aller neuen Öl- und
Gasaktivitäten des britischen Unternehmens. Die
Bilder gingen Ende Mai um die Welt – die Proteste
richteten sich gezielt gegen BP. Und sie halten an.
Bei Dev Sanyal lösen die radikalen Forderungen
nur ein Kopfschütteln aus. Sein Büro ist auf der an-
deren Seite der meterhohen gläsernen Empfangs-
türen, in der St. James Street in London. Das lange
graue Haar trägt er streng zurückgekämmt, er
wirkt entspannt. Nach über 30 Jahren bei BP kann
den gebürtigen Inder so viel nicht mehr scho-
cken. Seit 2016 ist er unter anderem für die Ge-
schäfte mit alternativen Energien verantwortlich.
Dass BP zurzeit besonders im Kreuzfeuer der Akti-
visten steht, kann er nicht verstehen. Zwischen
den Zielen der Umweltschützer und denen des Öl-
konzerns sieht er keinen großen Unterschied. „Ak-
tivitäten blind einzustellen ist nicht hilfreich“, sagt
er im Gespräch mit dem Handelsblatt.
Mehr tun könne man immer, aber „wir können
nicht etwas aufbauen, dass sich dann nicht wirt-
schaftlich lohnt und damit unseren Investoren kei-
ne Rendite bringt“, ist der 53-Jährige überzeugt.
Letztlich sei man schließlich „nur ein Unterneh-
men“. Das sind klare Aussagen in Tagen, in denen
die junge Aktivistin Greta Thunberg den Atlantik
per Segelschiff überquert, um für mehr Klima-
schutz zu demonstrieren.
Der dritte europäische Ölmulti zeigt sich damit
deutlich zurückhaltender als die Konkurrenten
Shell und Total. Die sehen sich unter dem Druck
von Politik, Aktivisten und klimabewussten Inves-
toren gezwungen, ihr Geschäftsmodell für die Zu-
kunft radikal umzubauen: Die britisch-niederländi-
sche Shell will mithilfe von grünem Strom zum
weltweit größten Energiekonzern werden, die fran-
zösische Total immerhin 20 Prozent der Gewinne
bis 2040 mit Erneuerbaren erwirtschaften.

BP liegt hinter den anderen zurück


Das einzige Ziel, dass BP sich bislang gesetzt hat:
die eigenen Emissionen in den nächsten Jahren
nicht zu erhöhen. „Keiner der großen Ölkonzerne
schmeißt sich an die vorderste Front, aber selbst
nach diesem Maßstab liegt BP hinter den anderen
zurück“, beobachtet John Feddersen, Ölexperte
des Beratungsunternehmens Aurora Energy Re-
search.
Dabei steht das Geschäftsmodell der lange Zeit
mächtigsten Branche der Welt vor fundamentalen
Veränderungen. Zwar wächst die weltweite Ener-
gienachfrage weiter, aber der BP-Konzern selbst
prophezeit in seinem jüngsten „Energy Outlook“
ein Ende des Erdölbooms ab 2040. Die Frage ist
längst nicht mehr, ob die Energiewende kommt,
sondern nur noch, wie schnell sie da ist und ob die
fossilen Giganten dann noch eine Zukunft haben.
Keine andere Energieform wird in den nächsten
zwanzig Jahren so rasant wachsen wie die Erneuer-
baren. Auch das steht im hauseigenen BP-Bericht.
„Die Geschwindigkeit, mit der erneuerbare Ener-
gien im globalen Energiesystem Fuß fassen, ist
schneller als bei jedem anderen Energieträger in
der Geschichte“, heißt es dort. Über kurz oder lang
bricht den erfolgsverwöhnten Erdölkonzernen das
gewinnbringende Geschäftsmodell weg.
Und Big Oil reagiert. Seit Jahren investieren Öl-
konzerne wie Exxon Mobil, Chevron, Shell und To-
tal immer mehr Geld in Gas und Chemie. Allein bei

Der

zaudernde

Ölriese

Auf Druck von Aktivisten und Anlegern investiert


auch BP in erneuerbare Energien. Vor einer klaren


Strategie schreckt der britische Ölkonzern aber


zurück – im Gegensatz zur Konkurrenz.


Gasflamme im Golf von
Mexiko: BP prophezeit
selbst ein Ende des
Erdölbooms ab 2040.

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DONNERSTAG, 29. AUGUST 2019, NR. 166


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