Handelsblatt - 29.08.2019

(Dana P.) #1

Anthony Levandowski


Das Valley verliert


seine Unschuld


Weil er Google-Daten zu Uber


kopiert haben soll, muss sich


ein Ex-Manager vor Gericht


verantworten. Das Abgucken


hat auch im Valley Grenzen.


Larissa Holzki, Axel Postinett
Düsseldorf, San Francisco

D


ass im Silicon Valley jeder
die Technologie von jedem
nutzen und weiterentwi-
ckeln darf, gilt nicht mehr. Das zeigt
der Fall des Ex-Google-Managers An-
thony Levandowski. Nach seiner
überraschenden Festnahme am
Dienstag muss er sich vor Gericht
verantworten, weil er Firmengeheim-
nisse von Google gestohlen und zu
Uber mitgenommen haben soll.
Die Vorwürfe gegen Levandowski
wiegen schwer: Über 14 000 interne
und geheime Daten soll der frühere
Topmanager bei seinem alten Arbeit-
geber kopiert haben, um damit bei
Uber weiterzuarbeiten. Das verbietet
jeder Arbeitsvertrag. Auch Mitarbei-
ter von Start-ups und Internetunter-
nehmen dürfen Firmenwissen und
im bisherigen Job gesammeltes Mate-
rial nicht nutzen, um mit dem Unter-
nehmen zu konkurrieren, dem sie es
verdanken. Im konkreten Fall geht es
um die Lasertechnik „Lidar“, an der
sowohl beim Google-Programm für
selbstfahrende Autos, Waymo, als
auch bei Uber gearbeitet wurde.
Trotzdem sorgt der Fall für Ver-
wunderung. Bereits vor 18 Monaten
war ein zivilrechtlicher Prozess zwi-
schen Googles Muttergesellschaft Al-
phabet und Uber in der Sache einge-
stellt worden. Damals hatte sich Uber
entschuldigt und einen beträchtli-
chen Anteil in Aktien an Alphabet ge-
zahlt, ein offizielles Schuldeinge-
ständnis blieb aber aus. Der Vorgang
hatte im Silicon Valley große Verwun-
derung ausgelöst: Üblicherweise ei-
nigt man sich im Vorfeld solcher sen-
siblen Verfahren, bei denen viele
Topmanager zu Betriebsinterna aus-
sagen müssen, auf einen Vergleich.
Nun wird Levandowski in 33 Punkten
des Diebstahls von Geschäftsgeheim-
nissen angeklagt, der laut Staatsan-
waltschaft mit bis zu zehn Jahren
Haft geahndet werden könnte. Le-
vandowski plädierte vor dem Haft-
richter allerdings auf „nicht schul-

dig“, sein Verteidiger teilte mit, sein
Mandant habe zum fraglichen Zeit-
punkt vollen Zugriff auf die Daten ge-
habt, ohne dass davon etwas in den
Besitz eines anderen Unternehmens
gelangt sei.
Ob das stimmt oder nicht – einiges
spricht dafür, dass es um mehr geht
als um einen Einzelnen, der mit der
gleichen Arbeit zweimal Geld verdie-
nen wollte. In dem Prozess müssen
für beide betroffenen Unternehmen
heikle Fragen geklärt werden: Wer
wusste was bei welchem Unterneh-
men? Waren die Vorstände oder
Gründer von Uber eingeweiht? Wie
war es möglich, solche enormen Da-
tenmengen von Google-Servern zu la-
den, ohne dass Warnlampen angin-
gen?
Einiges deutet darauf hin, dass der
Silicon-Valley-Kultur des Nehmens
und Gebens ein Fall von Wirtschafts-
spionage erwachsen ist, kein Einzel-
fall, aber ein schwerwiegender.
Denn Kopieren und Verbessern ge-
hört zur DNA vieler erfolgreicher Un-
ternehmen im Silicon Valley, davon
sind auch die größten Spieler nicht
ausgenommen: Nach Aussage der
Zwillingsbrüder Tyler Howard Win-
klevoss und Cameron Howard Win-
klevoss soll Mark Zuckerberg die Idee
zu Facebook von ihrem sozialen
Netzwerk ConnectU geklaut haben.
Auch dieser Rechtsstreit zwischen
ehemaligen Kommilitonen endete
mit einem Vergleich, er kostete Zu-
ckerberg 65 Millionen US-Dollar.
Der Fall Levandowski deutet aber
auch auf eine Problematik für junge
Entwickler hin. Ein nachvertragliches
Wettbewerbsverbot von ein, zwei
Jahren mag in traditionellen Bran-
chen funktionieren, wenn die Betrof-
fenen entsprechend entschädigt wer-
den. Aber wer über zwei Jahre nicht
an den neuesten Technologien arbei-
ten darf und aus Expertenkreisen
ausgeschlossen wird, verliert Kontak-
te und Know-how. Levandowski hatte
inzwischen ein Start-up gegründet –
natürlich geht es dabei um autono-
mes Fahren –, allerdings mit anderer
Technik. „Ich habe keine Einschrän-
kungen, Lidar einzusetzen, aber ich
bin persönlich eingeschränkt, eine
Technik zu nutzen, von der ich weiß,
dass sie nicht funktionieren wird“,
sagte er dem Fachmagazin „Tech -
crunch“ auf Nachfrage.

so speziellen Eiweißwirkstoffen gegen
Krebs – nutzen wollen, geht es in der
Kooperation mit Celgene ausschließ-
lich um potenzielle Zelltherapien. Sol-
che Therapien, bei denen spezielle
Immunzellen (T-Zellen) von Patienten
im Labor genetisch modifiziert und
anschließend zurückinjiziert werden,
zeigten bisher bei verschiedenen Blut-
krebsarten, etwa der akuten lymphati-
schen Leukämie, überraschend große
Erfolge.

Nummer zwei im Onkolo-
giegeschäft als Partner
Bei soliden Tumoren wie etwa Lun-
gen-, Nieren- oder Magenkrebs haben
diese sogenannten „Car-T-Zell-Thera-
pien“ bisher jedoch weitgehend ver-
sagt. Diese Schwächen wollen Celgene
und Immatics mit ihrer Forschung
überwinden.
Celgene ist vor allem mit dem sehr
erfolgreichen Blutkrebsmedikament
Revlimid groß geworden und erzielte
zuletzt rund 15 Milliarden Dollar Um-
satz. Anfang 2018 vollzog das US-Un-
ternehmen mit der neun Milliarden
Dollar teuren Übernahme der Bio-
techfirma Juno den Einstieg in die Ent-
wicklung von Zelltherapien gegen
Krebs. Inzwischen steht Celgene aber
selbst vor der Übernahme durch den
Pharmakonzern Bristol-Myers Squibb
(BMS), der damit zur Nummer zwei
im Onkologiegeschäft aufsteigen wird.
Immatics gewinnt insofern eines der
absoluten Schwergewichte in der
Krebstherapie als neuen Partner.
Darüber hinaus arbeitet das Tübin-
ger Unternehmen in Kooperation mit
der US-Krebsklinik MD Andersen aber
auch an eigenen Zelltherapien gegen
Krebs. Diese Projekte befinden sich in
der Anfangsphase der klinischen Tests
und zeigten beim Einsatz an den ers-
ten Patienten ermutigende Ergebnis-
se, wie Immatics im Juli berichtete.
Immatics wurde im Jahr 2000 ge-
gründet und gehört heute mit 180 Mit-
arbeitern zu den größeren deutschen
Biotechfirmen. Neben der Mainzer
Biontech und der ebenfalls in Tübin-
gen ansässigen Firma Curevac ist Im-
matics zugleich einer der führenden
deutschen Akteure in der Erforschung
von Immuntherapien gegen Krebs.
Grundlage ist dabei vor allem ein
von Mitgründer Hans-Georg Rammen-
see entwickeltes Verfahren, mit dem
kurze Eiweißfragmente, sogenannte
Peptide, auf der Oberfläche von
Krebszellen identifiziert werden kön-
nen. Mit dem Versuch, aus diesen
Peptiden eigene Krebsimpfstoffe zu
entwickeln, ist Immatics vor vier Jah-
ren zwar gescheitert. Von diesem
Rückschlag konnte sich das Unterneh-
men aber dank der Erfolge bei der Er-
forschung tumorspezifischer Rezepto-
ren weitgehend erholen. Diese Fähig-
keit nutzte Immatics für eine Reihe
neuer Partnerschaften und den Auf-
bau einer eigenen neuen Pipeline an
Entwicklungsprodukten.
Zielstrukturen auf Krebszellen sind
für Pharmaforscher extrem wichtig als
potenzielle Angriffspunkte von Medi-
kamenten und Zelltherapien. Denn ei-
ne maßgebliche Herausforderung für
solche Therapien besteht darin, dass
sie möglichst nur auf solche molekula-
ren Mechanismen einwirken, die spe-
zifisch für Tumorzellen sind. Ansons-
ten droht die Gefahr, dass gesunde
Zellen zu sehr angegriffen werden

und die Nebenwirkungen zu stark
sind. Das gilt nicht zuletzt auch für die
Immuntherapien, die darauf zielen,
T-Zellen gegen Krebs zu aktivieren.
„Wir sind überzeugt, dass wir über
die beste Plattform verfügen, um neue
Targets oder Zielstrukturen für die
Krebsimmuntherapie zu identifizie-
ren“, sagt Firmenchef und Mitgründer
Singh, der das Tübinger Unterneh-
men seit Anfang Juli leitet. Der promo-
vierte Immunologe ist ein Schüler
Rammensees und war zuvor bereits
als Chief Scientific Officer für die For-
schung von Immatics verantwortlich.
Auch was die Erforschung von T-Zell-
Rezeptoren angeht, sieht sich Imma-
tics unter den führenden Firmen.
Als wichtiges Indiz für das wachsen-
de Interesse an der Technologie von
Immatics wertet Singh auch die stei-
genden Vorabzahlungen, die Pharma-
firmen für die Targets aus der Imma-
tics-Forschung leisten. Während Am-
gen vor zwei Jahren noch 15 Millionen
Dollar pro Ziel zahlte, sind es im nun
vereinbarten Deal mit Celgene bereits
25 Millionen Dollar.
Einer der Vorzüge der Immatics-
Technologie besteht aus Sicht des Fir-
menchefs darin, dass sie auch solche
Angriffspunkte bei Krebszellen identi-
fizieren kann, die innerhalb von Tu-
morzellen auftreten und auf der Zell -
oberfläche nur durch kleine Eiweiß-
fragmente repräsentiert sind.
Dadurch erhöhe sich die Zahl der po-
tenziellen Targets um den Faktor fünf.
Immatics hat nach eigenen Anga-
ben inzwischen gut 100 solcher tu-
morspezifischen Angriffspunkte iden-
tifiziert, die für neue Krebsimmunthe-
rapien interessant sein könnten. Nur
ein kleiner Teil davon wird bisher im
Rahmen von Partnerschaften oder in
den eigenen Forschungsprojekten be-
arbeitet. Singh sieht daher Potenzial
für weitere Allianzen nach dem Vor-
bild der bisherigen Deals.

Börsengang nicht
ausgeschlossen

Mit 180 Mitarbeitern und drei Projek-
ten in der Klinik habe man zwar er-
heblichen Finanzbedarf. Nach der
letzten Finanzierungsrunde und den
Deals mit Amgen, Genmab sowie nun
auch Celgene sei das Unternehmen
aber auch sehr gut finanziert.
„Wir können daher aus einer Positi-
on der Stärke operieren und sind
nicht gezwungen, in eine bestimmte
Richtung zu gehen, um unseren Kapi-
talbedarf zu decken“, so Singh. „Wir
sind voll auf unsere eigentliche Missi-
on konzentriert, unsere Produktkan-
didaten voranzutreiben und die Kraft
der T-Zellen für die Patienten zu mobi-
lisieren.“ Einen Börsengang oder eine
weitere private Finanzierungsrunde
schließe man nicht aus. Es gebe dafür
aber keine konkreten Pläne.
Bisher hat Immatics in fünf Finan-
zierungsrunden rund 230 Millionen
Euro eingeworben. Hauptfinancier
und mit rund 38 Prozent größter An-
teilseigner ist die Dievini Hopp Bio-
tech Holding von SAP-Gründer Diet-
mar Hopp. Neben Dievini sind bei Im-
matics die MIG-Fonds, die Brüder
Strüngmann und Wellington Partners
mit jeweils rund zehn Prozent sowie
eine Reihe weiterer Investoren mit
kleineren Anteilen beteiligt.

Immatics > Kommentar Seite 28


Wir können


aus einer


Position der


Stärke


operieren


und sind nicht


gezwungen,


in eine


bestimmte


Richtung zu


gehen, um


unseren


Kapitalbedarf


zu decken.


Harpreet Singh
Immatics-Chef

Anthony Levandowski: Dem Technikexperten droht eine Haftstrafe.


AP

Unternehmen & Märkte
DONNERSTAG, 29. AUGUST 2019, NR. 166

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