Handelsblatt - 29.08.2019

(Dana P.) #1

Bulle & Bär


Wette auf


dauerhafte


Niedrigzinsen


R


ekorde haben an den Anleihe-
märkten derzeit eine geringe
Halbwertszeit. Bis vor einigen Mo-
naten hätten es nur wenige für möglich
gehalten, dass Italien einmal geringere
Zinsen zahlen muss als die USA. Negative
Renditen auf Bundesanleihen galten als
Ausrutscher – und hundertjährige Anlei-
hen als Zockerei verantwortungsloser
Haushälter. Doch es zeigt sich immer
mehr, wie sehr sich die Maßstäbe an den
Anleihemärkten verschoben haben.
Am Mittwoch hat die Rendite der zehn-
jährigen italienischen Staatsanleihe erst-
mals die Marke von einem Prozent unter-
schritten. Die zehnjährige Bundesanleihe
hat mit minus 0,72 Prozent ebenfalls ein
neues Rekordtief aufgestellt. Die 30-jähri-
ge US-Staatsanleihe ist auf 1,9 Prozent ge-
fallen und liegt damit erstmals unterhalb
des Leitzinses der US-Notenbank Fed.
Und Schweden prüft nach Angaben des
Chefs des Schatzamts die Auflage eines
Bonds mit hundertjähriger Laufzeit.
Die Entwicklungen sind der vorläufige
Höhepunkt einer Rally an den Anleihe-
märkten, die von vielen Marktexperten
schon länger als Blase bezeichnet wird.
Die Investoren wetten hemmungslos da-
rauf, dass die Zinsen dauerhaft niedrig
bleiben. Von sinkenden Leitzinsen profi-
tieren langlaufende Anleihen überpropor-
tional stark. Doch die Jagd auf die Lang-
läufer ist gefährlich: Denn die wenigsten
Investoren dürften die Papiere kaufen,
um sie bis zur Endfälligkeit zu halten. Im
Umkehrschluss bedeutet das: Es wird ei-
nen Ausverkauf am Anleihemarkt geben –
die Frage ist nur wann.
Besonders die Pläne Schwedens, einen
hundertjährigen Bond aufzulegen, sollten
Anleger aufhorchen lassen. Denn der
schwedische Staat enthüllt auf diese Weise
implizit seinen Blick auf die Märkte und
sagt: Tiefer als heute werden die Zinsen in
hundert Jahren nicht fallen. Die Liste pro-
minenter Finanzexperten, denen die
Bond rally nicht mehr geheuer ist, wird
daher zunehmend länger. Allianz-Chef Oli-
ver Bäte hatte am Dienstagabend verkün-
det, dass sein Haus keine Bundesanleihen
mehr kauft. Anleger sollten sich also gut
überlegen, ob die Aussicht auf kurzfristige
Kursgewinne das Risiko eines Ausverkaufs
bei steigenden Zinsen noch kompensiert.
Dieser dürfte bei langlaufenden Anleihen
besonders heftig ausfallen.

Der tägliche Kommentar
des Handelsblatts analysiert die
Entwicklung an den Finanzmärkten.
Von Jakob Blume

Infrastructure erzielen, gehören die Energiever-


sorger NextEra Energy und Exelon Corporation


aus den USA sowie Iberdrola, ein spanisches


Stromvertriebsunternehmen.


Allerdings sind auch Titel von Infrastruktur-


konzernen nicht risikolos. Eine Gefahr, der sich


Anleger bewusst sein müssen, sind die Folgen


von Naturkatastrophen. Die verheerenden Wald-


brände in den USA im Winter 2017 etwa hätten


gezeigt, wie stark Netzbetreiber von solchen Ka-


tastrophen getroffen werden können, sagt


Fondsexperte Riemann. Das gilt vor allem für


Stromversorger mit ihren Überlandnetzen, die


oftmals Sturmschäden erleiden. Und vor rund ei-


nem Jahr stürzte in Italien die Morandi-Brücke in


Genua ein, was 43 Menschenleben forderte. Rie-


mann sagt: „Deshalb ist ein regional diversifizier-


tes Portfolio unabdingbar.“


Viele Infrastrukturwerte notieren aktuell auf


oder nahe ihren Höchstständen – wenn man


zwölf Monate oder drei Jahre zurückschaut. Doch


Anlageexpertin Reisch sieht darin kein Hindernis.


Je nach Sektor sei die Bewertung nicht besonders


teuer. Als Beispiel führt die Expertin klassische


Telekommunikationswerte mit eigenem Netz und


somit monopolistischer Struktur an, etwa Orange


oder Deutsche Telekom. Sie seien verglichen mit


dem breiten Markt unterbewertet und zudem


durch die Konjunkturunabhängigkeit attraktiv in


reifen Märkten – Stichwort „late cyclical“.


Versorger gelten als teuer


Versorger sind laut Reisch diejenigen Titel, die


tendenziell am teuersten eingestuft würden. Sie


hätten aber in den vergangenen Jahren ihr Risi-


koprofil verbessert. „Dazu hat zum Beispiel der


zunehmende Fokus auf das schnell wachsende


Segment der erneuerbaren Energien beigetra-


gen, aber auch die Implementierung digitaler


Strategien zur Kostenoptimierung“, ergänzt die


Managerin. Man könne also durchaus einen Auf-


schlag auf den langfristigen durchschnittlichen


Kurs vertreten. Für Aktieninvestoren könne er-


neuerbare Energieinfrastruktur eine vielverspre-


chende Anlage sein, nicht zuletzt weil die Zahl


der Anbieter sowohl für Hochspannungskabel


einschließlich Photovoltaikkabel zur Solarener-


gieerzeugung als auch für Offshore-Windturbi-


nen begrenzt ist, meint Maarten Geerdink, Head


of European Equities bei NN Investment Part-


ners. Eines der wesentlichen Argumente für die


Infrastruktur-Papiere ist die Widerstandsfähig-


keit der Unternehmen in unruhigen Marktpha-


sen. Viele solcher Unternehmen mögen „teuer“


erscheinen, das Augenmerk der Anleger sollte


aber nicht auf der kurzfristigen Bewertung lie-


gen, sondern darauf, dass Unternehmen mit


Wachstums- und Qualitätsmerkmalen gut posi-


tioniert sind, um ihre Cashflows noch viele Jahre


lang zu steigern.


Trotz der verstärkten Nachfrage in Phasen des


konjunkturellen Abschwungs gibt es also noch


Kurspotenzial. Laut Bantleon-Strategin Reisch


sind beispielsweise Orange und der Energie-


dienstleister Atlantica Yield aussichtsreiche Wer-


te. Top-Positionen im Infrastruktur-Fonds Bantle-


on Select Infrastructure sind im Bereich Trans-


port die spanische Ferrovial und die französische


Vinci. Unter den Versorgern nehmen die franzö-


sische Veolia sowie die italienische Enel Spitzen-


positionen ein.


Reisch betont allerdings auch, dass für den Er-


folg der Anlageklasse die Definition von Infra-


struktur ausschlaggebend sei. So griffen breite In-


frastruktur-Indizes das Thema oft zu umfassend


auf. Hier werde bisweilen auch in Randbereiche


investiert, von Bauunternehmen über Minenbe-


treiber bis zu Fluggesellschaften. Es lohnt sich al-


so, die Zusammensetzung der größten Positionen


der Fonds und Indizes zu studieren. Wer sich al-


lerdings auf die Basis-Infrastruktur fokussiert,


sprich Transport, Versorger, Kommunikation, der


kann aus einem Universum mit defensiven Port-


foliocharakteristika wählen – und von relativ ge-


ringen Kursschwankungen profitieren.


Stetige Gewinne, hohe Kurse

Aktienkurs in Euro

Iberdrola

Börsenwert

KGV 2019

Veränderung
seit 1.1.2018

Aktien aus dem Sektor Infrastruktur

9,30 €

17,8

+45,0 %

59,19 Mrd. €

Börsenwert

KGV 2019

Veränderung
seit 1.1.2018

26, 7

+43,4 %

107,3 Mrd. US$

Börsenwert

KGV 2019

Veränderung
seit 1.1.2018

14, 7

+17,3 %

44,9 Mrd. US$

Börsenwert

KGV 2019

Veränderung
seit 1.1.2018

16,8

+13,5 %

58,8 Mrd. €

Börsenwert

KGV 2019

Veränderung
seit 1.1.2018

16, 7

+1,2 %

12,2 Mrd. €

HANDELSBLATT

KGV = Kurs-Gewinn-Verhältnis

1.1.2018 28.8.2019

Quelle: Bloomberg

10

9

8

7

6

5

Aktienkurs in US-Dollar

Nextera 223,54 US$

1.1.2018 28.8.2019

240

220

200

180

160

140

Aktienkurs in US-Dollar

Exelon 46,33 US$

1.1.2018 28.8.2019

55

50

45

40

5

Aktienkurs in Euro

Vinci 96,64 €

1.1.2018 28.8.2019

100

90

80

70

Aktienkurs in Euro

Veolia 21,58 €

1.1.2018 28.8.2019

24

22

20

18

16

Private Geldanlage


DONNERSTAG, 29. AUGUST 2019, NR. 166


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