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or 50 Jahren wurde der Schalter für
eine Technologie umgelegt, die
heute alle gesellschaftlichen Berei-
che, auch das Arbeitsleben, beein-
flusst. Als sich am 30. August 1969
vier amerikanische Universitäten vernetzten, war
dies der Startschuss für ein Netzwerk, das heute
Internet heißt. Nur einen Tag später, am 1. Sep-
tember desselben Jahres, trat in Deutschland das
Berufsbildungsgesetz, kurz BBiG, in Kraft. Um
Widerstand gegen Missstände in der Ausbildung
zu organisieren, hatten sich Ende der Sechziger-
jahre immer mehr Jugendliche zur sogenannten
Lehrlingsbewegung verbündet. Ihr Engagement
und das vieler Gewerkschafter trugen letztlich
zum Entstehen des BBiG bei. Bis heute bildet es
die Grundlage für die duale Berufsausbildung,
die inzwischen vielfach als Garant für die im Ver-
gleich niedrige Jugendarbeitslosigkeit in Deutsch-
land gilt. Junge Menschen gut in Praxis und
Theorie auszubilden, im Betrieb und in der Be-
rufsschule – dieses Modell kann offenbar über-
zeugen. Zumal mit dem BBiG bundeseinheitliche
Bestimmungen gelten, die eben Standards set-
zen. Auch die geregelte Zusammenarbeit der So-
zialpartner mit Bund und Ländern trägt zum ho-
hen Ansehen der dualen Ausbildung bei.
Noch ist das so. Es kann sich aber ins Gegenteil
umkehren. Denn es gibt Qualitätsmängel bei der
Ausbildung in den Betrieben einiger Branchen,
etwa im Lebensmittelhandwerk, in Hotels und
Gaststätten oder bei den Friseuren. Deshalb und
auch, um die duale Ausbildung fit zu machen für
die digitale Arbeitswelt, braucht es jetzt eine mu-
tige Reform des Berufsbildungsgesetzes. Im Zeit-
alter der Digitalisierung werden gute Qualifika-
tionen, wird eine gute Ausbildung für die Jugend-
lichen immer wichtiger. Das ist durchaus ein
Thema, dem sich diese Bundesregierung wid-
met. Doch der von Bildungsministerin Karliczek
vorgelegte Gesetzentwurf für eine Novelle des
BBiG reicht nicht. Die Reform wird verstolpert,
falls das Parlament nicht noch kräftig nachbes-
sert.
Ein wichtiges Signal ist sicherlich die geplante
Mindestausbildungsvergütung. Sie wird es er-
schweren, Auszubildende auszubeuten, weil end-
lich eine Untergrenze bei den Vergütungen ein-
gezogen wird. Das ist vor allem dort wichtig, wo
sich die Arbeitgeber weigern, Tarifverträge abzu-
schließen. Aber die Azubis brauchen noch mehr.
Zum Beispiel ist die Freistellung für den Berufs-
schulunterricht so vage im Gesetz formuliert,
dass es immer noch Auszubildende gibt, die
nach der Schule zurück in den Betrieb müssen.
Selbst vor Abschlussprüfungen ist das so. Inak-
zeptabel. Der Gesetzgeber sollte dies klar regeln.
Gerade weil es aufgrund des digitalen Wandels
künftig viel stärker auf Qualifikation und Weiter-
bildung ankommt, sind vor allem drei Herausfor-
derungen zu nennen, denen weder das aktuelle
BBiG noch der vorliegende Gesetzesentwurf zu
seiner Novellierung gerecht werden.
Erstens zeigen Prognosen, dass insbesondere
Einfacharbeitsplätze durch die Digitalisierung im
hohen Maße ersetzbar werden. Vor allem Be-
schäftigte mit zweijährigen Berufsabschlüssen ar-
beiten heute so. Sie haben zunehmend schlech-
tere Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Deshalb ist
es wichtig, die Möglichkeit verbindlicher Durch-
stiege von zwei- in dreijährige Ausbildungsberufe
im BBiG zu regeln. Bislang hängt es vom Gutdün-
ken des Arbeitgebers ab, ob er seinen Azubis diese
Möglichkeit bietet.
Zweitens werden die Abschlussprüfungen der
dualen Ausbildung heute von über 300 000 eh-
renamtlichen Prüferinnen und Prüfern abgenom-
men. Ihnen fällt es jedoch immer schwerer, dieses
Ehrenamt auszuüben. Immer öfter werden sie
nicht mehr von ihren Betrieben freigestellt. Gera-
de angesichts des hier anstehenden Generationen-
wechsels muss das Prüferehrenamt attraktiver
werden. Wer es erhalten will, muss die bezahlte
Freistellung für Prüfungen und für Weiterbil-
dungszeiten ins BBiG schreiben.
Zum Dritten gibt es immer mehr dual Studieren-
de, also junge Menschen, die sich für eine Kombi-
nation aus betrieblicher Ausbildung und Studien-
anteilen entschieden haben. Obwohl auch sie wie
die Azubis im Betrieb lernen, gilt das Berufsbil-
dungsgesetz nicht für diese Jugendlichen. Dabei
lernen inzwischen über 100 000 junge Menschen
in dieser Bildungsform. Auch sie sollten von den
gesetzlichen Schutzbestimmungen oder den Eig-
nungs- und Qualitätssicherungskriterien der dua-
len Berufsbildung profitieren. Die dual Studieren-
den nicht in das BBiG zu integrieren spaltet letzt-
lich die jungen Beschäftigten im Betrieb. Dies gilt
es unbedingt zu verhindern. Im aktuellen Reform-
entwurf ist das Thema aber ausgespart.
Um die duale Ausbildung zu sichern und sie für
die Zukunft zu gestalten, ist eine Reform des
BBiG wichtig. Es wäre jedoch fatal, wenn die Bun-
destagsabgeordneten diese Mängel durchgehen
ließen.
Wettbewerbsvorteil
duale Ausbildung
50 Jahre nach Einführung des Berufsbildungsgesetzes
müssen wir die duale Ausbildung in das digitale Zeitalter
überführen, meint Elke Hannack.
Die Autorin ist stellvertretende
DGB-Vorsitzende.
DGB [M]
Beschäftigte
mit zwei -
jährigen
Berufsab -
schlüssen
haben
zunehmend
schlechtere
Chancen
auf dem
Arbeitsmarkt.
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Gastkommentar
DONNERSTAG, 29. AUGUST 2019, NR. 166
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