Handelsblatt - 29.08.2019

(Dana P.) #1

Die Politik


der EZB


verursacht


immense


Kosten.


Die Möglich -


keiten der


Spar kassen,


das abzu -


puffern, sind


endlich.


Der Banker Schleweis
verbrachte sein
gesamtes Berufsleben
bei den Sparkassen.
Von 2002 bis 2018
führte er die Spar-
kasse Heidelberg.
Dann folgte er als
Präsident des Deut-
schen Sparkassen-
und Giroverbandes
auf Georg Fahren-
schon, der über einen
Steuerskandal stol-
perte.

Die Gruppe Die Zahl
der Sparkassen
schrumpft seit Jahren.
381 gibt es noch in
Deutschland. Gemein-
sam kamen sie 2018
auf eine Bilanzsumme
von 1,2 Billionen Euro.

Vita
Helmut Schleweis

Die Geldpolitik der EZB hebelt die bisherigen Re-


geln aus. Ein negativer Zinssatz für Einlagen und


ein positiver für Kredite waren bisher nicht vor-


stellbar – aus gutem Grund. Deshalb ist unsere gel-


tende Rechtsordnung darauf auch nicht vorberei-


tet. Das Problem ist aber: Der Markt fordert das


jetzt. Deshalb muss man sich vorsichtig vortasten,


was möglich und erlaubt ist.


Und wie sieht dieses Vortasten aus?


Negativzinsen für Einlagen widersprechen der


Grundüberzeugung eines jeden Sparkassenvor-


stands. Aber die EZB hat die wirtschaftlichen Be-


dingungen genau so aufgestellt – gegen unseren Rat


und unsere Kritik. Wir befürchten, dass die Euro-


Zone auf sehr lange Zeit nicht mehr aus diesen un-


gesunden Bedingungen herausfinden wird. Die Er-


gebnisse können wir in Japan besichtigen, das in


diesem Bereich langjährige negative Erfahrungen


hat: Andauernde wirtschaftliche Stagnation, grund-


legende Veränderungen des Finanzsektors, deut-


lich steigende Kosten für Bankkunden sind die Fol-


gen. Ich befürchte, dass wir dies auch in Deutsch-


land erleben werden.


Sie haben in einem offenen Brief die EZB hef-


tig kritisiert. Würden Sie sich angesichts der


massiven gesellschaftlichen Auswirkungen der


Geldpolitik eine stärkere politische Kontrolle


der Notenbank wünschen?


Eine Notenbank muss unabhängig sein – Punkt.


Das kann sich aber immer nur auf das Mandat zur


Geldwertstabilität beziehen. Eine unabhängige No-


tenbank darf deshalb nicht Staatsfinanzierung be-


treiben, wesentlich in Kapitalmärkte eingreifen


und wirtschaftliche Strukturen gänzlich verändern.


„Whatever it takes“ ist vor diesem Hintergrund ei-


ne sehr problematische Aussage. Ich befürchte,


dass die EZB mit einer uferlosen Geldschwemme


selbst eine Diskussion über ihre Unabhängigkeit


provoziert. Denn in einer Demokratie muss politi-


sche Macht begrenzt und kontrolliert werden.


Im Sparkassengesetz ist festgeschrieben, dass


Ihre Finanzgruppe dem Spargedanken ver-


pflichtet ist. Schließt das Negativzinsen für Pri-


vatkunden nicht aus?


Man muss ehrlich sagen: Vieles ist rechtlich nicht


abschließend geklärt. Aber eines wird man nicht


wegdiskutieren können: Wenn es langfristig Geld


kostet, Einlagen anzunehmen, und wenn man


gleichzeitig Kreditnehmern Zinsen mitgeben muss,


wird das irgendjemand bezahlen müssen. Vor die-


sen grundlegenden wirtschaftlichen Zusammen-


hängen kann man sich nicht mit rechtlichen Erwä-


gungen verstecken.


Einzelne Sparkassen fordern ja bereits Straf-


zinsen von vermögenden Kunden. Wo liegt Ih-


rer Meinung nach die richtige Schwelle für sol-


che Modelle, bei einer Million Euro, 500 000


Euro, 100 000 Euro?


Ich darf keine Empfehlungen zu Preisen von Spar-


kassen geben, das entscheidet jedes Institut selbst.


Und ich würde auch niemanden motivieren wol-


len, gegen unsere Grundüberzeugung zu handeln.


Wenn sich Sparkassen aber aus eigener wirtschaft-


licher Verantwortung letztlich dazu gezwungen se-


hen, dann sollten sie aus ihrem Gründungsauftrag


heraus sozialpolitische Überlegungen berücksichti-


gen.


Ein anderer Weg, die Zinspolitik der EZB aus-


zugleichen, wären höhere Gebühren. Im euro-


päischen Vergleich sind Bankdienste in


Deutschland noch immer günstig. Wird sich


das ändern?


Wenn man nüchtern analysiert, was Girokonten


heute leisten, dann kommt man tatsächlich zu dem


Schluss, dass die Preise in Deutschland im europäi-


schen Vergleich noch sehr moderat sind.


Das heißt, die Sparkassenkunden müssen sich


auf höhere Gebühren einstellen?


Auch hier gilt: Das entscheidet jede Sparkasse


selbst. Man wird sich aber vor einer grundlegenden


Erkenntnis nicht verschließen können: Die Politik


der EZB verursacht immense betriebswirtschaftli-
che und volkswirtschaftliche Kosten. Das muss je-
mand bezahlen. Die Möglichkeiten der Sparkassen,
das abzupuffern, sind endlich.

Muss der Staat helfen, die negativen Neben-
wirkungen der Geldpolitik für das Sparen und
die private Altersvorsorge auszugleichen? Es
gibt ja Vorschläge für Staatsanleihen für Klein-
anleger mit Mindestverzinsung oder einen
Staatsfonds, in den alle Bürger einzahlen und
der in höher rentierliche Anlagen investiert.
Die aktuelle politische Diskussion verstehe ich so,
dass man sich Gedanken macht, wie gerade bei
kleinen Einkommen und Vermögen geholfen wer-
den kann. Das unterstützen wir sehr. Die öffentli-
che Hand hat durch die Geldpolitik bisher Zinsvor-
teile von rund 360 Milliarden Euro. Die privaten
Sparer haben rund 300 Milliarden Euro verloren.
Es läge nahe, durch finanzielle Anreize zur Vermö-
gensbildung einen Teil dieser Mittel an die Bürge-
rinnen und Bürger zurückzugeben.

Was wären die richtigen Instrumente hierfür?
Ich könnte mir vorstellen, das Wertpapiersparen
durch eine modernisierte Arbeitnehmersparzulage
attraktiver zu gestalten. Und die Bundesländer et-
wa könnten den Immobilienerwerb durch geringe-
re Grunderwerbsteuern fördern. Bei bis zu 6,5 Pro-
zent gehen bei vielen jungen Familien ja heute be-
reits große Teile des angesparten Eigenkapitals bei
Haus- oder Wohnungskauf allein für diese Steuer
drauf.

Wie stark belasten die Negativzinsen ganz kon-
kret die Sparkassen?
Wir merken das sehr deutlich – und zunehmend.
Denn gerade Kreditinstitute mit einer Ausrichtung
auf die breite Kundschaft und damit auf traditionel-
les Einlagen- und Kreditgeschäft sind betroffen.
Uns fehlen erhebliche Teile des Zinsüberschusses,
und wir zahlen auch jährlich einen dreistelligen
Millionenbetrag an Negativzinsen an die EZB. Im
Moment sind wegen der guten Konjunktur die
Wertberichtigungen im Kreditgeschäft niedrig.
Aber das wird auch nicht so bleiben. Alle Sparkas-
sen müssen deshalb deutlich einsparen.

Vor Kurzem warnte Dieter Bauhaus, der Chef
der Sparkasse Mittelthüringen, dass sich für
die Sparkassen in zehn bis 15 Jahren die Exis-
tenzfrage stelle, wenn die EZB an ihrem Kurs
festhält. Teilen Sie diese Einschätzung?
Die Sparkassen haben das Kaiserreich, zwei Dikta-
turen und zwei Inflationen erlebt. Ich denke, wir
werden auch die aktuelle Geldpolitik überstehen.
Das geht aber nur mit grundlegenden Veränderun-
gen in unserer Gruppe.

Was heißt das konkret?
Unnütze Doppelarbeiten können wir uns spätes-
tens jetzt nicht mehr leisten. Wir müssen jeden
Stein umdrehen und auch die Strukturen der Ver-
bundunternehmen so verändern, dass wir weiter-
hin wettbewerbsfähig bleiben.

Sie werben seit knapp einem Jahr für die Kon-
solidierung der Landesbanken und für eine
einzige Sparkassenzentralbank – möglichst oh-
ne Beteiligung der Bundesländer. Seitdem hat
sich allerdings wenig getan.
Das ist eine der notwendigen Veränderungen. Die
Sparkassen wollen und brauchen nur ein einziges
Zentralinstitut.

Und wann werden wir Ergebnisse sehen?
Wenn ich allein entscheiden könnte, würde ich Ih-
nen jetzt alles darlegen. Tatsächlich besteht meine
wesentliche Aufgabe darin, andere von dieser Not-
wendigkeit zu überzeugen. Das mache ich in per-
sönlichen Gesprächen, nicht in Interviews.

Sind Sie der EZB womöglich sogar etwas dank-
bar für ihre Zinspolitik, weil sie den Leidens-
druck erhöht bei den Eigentümern der Lan-
desbanken, die bisher Widerstand gegen eine
Sparkassenzentralbank leisten?

Zur EZB fällt mir vieles ein – „Dankbarkeit“ eher
seltener. Aber es stimmt: Unsere Handlungsnot-
wendigkeiten haben durch die unnatürlichen
Marktbedingungen nochmals deutlich zugenom-
men.

Die NordLB, die sich mit Schiffskrediten ver-
hoben hatte, wurde gerade erst von den Spar-
kassen und vom Land Niedersachsen mit ins-
gesamt 3,6 Milliarden Euro Eigenkapital und
Garantien gerettet. Welche Rolle wird sie bei
der Konsolidierung des Sektors spielen?
Alle deutschen Sparkassen helfen mit sehr viel Geld
bei der Neuaufstellung der NordLB. Dazu ist ein kla-
rer Geschäftsplan notwendig – und der geht davon
aus, dass das Institut eigenständig fortbesteht. Aller-
dings hat der niedersächsische Finanzminister
Reinhold Hilbers (CDU) betont, dass das Land als
Haupteigentümer einer Konsolidierung in der Spar-
kassen-Finanzgruppe gegenüber aufgeschlossen ist.

Es gibt derzeit noch 381 Sparkassen, ihre Zahl
ist im ersten Halbjahr nicht weiter gesunken.
Ist das ein Zeichen dafür, dass es künftig weni-
ger Fusionen geben wird?
Die Konsolidierung wird moderat weitergehen.
Sich an veränderte Marktbedingungen anzupassen
sind die Sparkassen gewohnt. Für falsch halte ich
es aber, wenn Fusionen durch zu hohe bürokrati-
sche Auflagen politisch erzwungen werden. Denn
die meisten der kleinen Sparkassen sind sehr bür-
gernah und erfolgreich im Wettbewerb.

Angesichts der schwierigen Lage der deut-
schen Banken: Wäre es nicht an der Zeit, das
strikte Drei-Säulen-System aus Privat- und Ge-
nossenschaftsbanken sowie Sparkassen aufzu-
brechen? Sollte es nicht auch möglich sein,
dass beispielsweise die Commerzbank die Bay-
ernLB übernimmt, die ja derzeit über ihre
künftige Aufstellung nachdenkt?
Ich habe bisher noch nichts davon gehört, dass die
Commerzbank die BayernLB übernehmen möchte.
Und umgekehrt bestehen nach meiner Kenntnis
auch keine Interessen. Die Privatisierung der HSH
Nordbank hat gezeigt, dass es bei uns keine ideolo-
gischen Vorbehalte gibt. In vielen Jahren haben ich
aber auch die Erfahrung gemacht, dass solche De-
batten immer dann vom Zaun gebrochen werden,
wenn einzelne Marktteilnehmer geschäftspolitisch
ratlos sind. Deshalb will ich klar sagen: Fusionen
sind kein Ersatz für eine eigene Geschäftsstrategie.
Und weniger Wettbewerb nützt in aller Regel den
Kunden nicht. Ich messe die Effektivität eines Ban-
kenmarkts nicht an der Größe von Banken, son-
dern an der Wettbewerbsintensität. Und da sind
wir in Deutschland doch sehr gut aufgestellt.

Herr Schleweis, vielen Dank für das Interview.


Die Fragen stellten Elisabeth Atzler, Frank Drost
und Michael Maisch.

Marko Priske für Handelsblatt

Warnung der Sparkassen


DONNERSTAG, 29. AUGUST 2019, NR. 166


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