Handelsblatt - 29.08.2019

(Dana P.) #1

Handel


EU beharrt auf


Mercosur-Vertrag


Die Brände am Amazonas


gefährden das Freihandels-


abkommen. Brüssel erhöht


jetzt den Druck auf die


Regierung in Brasilien.


Torsten Riecke Berlin


E


s soll die größte Freihandels-
zone der Welt werden. Als die
EU und die vier Mercosur-
Staaten Argentinien, Brasilien, Para-
guay und Uruguay nach 20 Jahren ih-
re Verhandlungen Ende Juni erfolg-
reich beendeten, sprach Kommissi-
onschef Jean-Claude Juncker von ei-
nem „historischen Moment“. Zwei
Monate später ist die Euphorie ver-
flogen: Die Brände im Regenwald des
Amazonas könnten auch das „wich-
tigste Handelsabkommen aller Zei-
ten“ ( Juncker) verschlingen. Mit Ir-
land, Frankreich und Luxemburg
drohen bereits drei EU-Staaten da-
mit, das Abkommen zu blockieren.
Grund ist der zögerliche Umgang des
brasilianischen Präsidenten Jair Bol-
sonaro mit den Waldbränden.
„Das Abkommen ist für Europa so-
wohl wirtschaftlich als auch geostra-
tegisch sehr wichtig“, betonte Sabine
Weyand, Generaldirektorin Handel
der EU-Kommission in Berlin. Die
Deutsche, die seit Mai im Amt ist,
versucht derzeit, die politischen Aus-
wirkungen der Amazonas-Brände zu
begrenzen. Weyand wies darauf hin,
dass die EU als erste Wirtschaftsregi-
on einen Zugang zu dem Markt mit
260 Millionen Menschen ausgehan-
delt habe. „Das ist gut für Industrie-
güter, für öffentliche Aufträge, aber
auch für Agrarprodukte aus der Ge-
meinschaft.“ Fast noch wichtiger sei
es jedoch, dass die EU damit Bolso-
naro auf die Seite des Freihandels
gezogen habe.
Die EU hat aus den bitteren Erfah-
rungen mit dem nordamerikani-
schen Freihandelsabkommen TTIP
und Ceta gelernt, dass wirtschaftliche
Vorteile allein ein Abkommen nicht
retten. Weyand versuchte deshalb,
die politischen Bedenken gegen Bol-
sonaro aufzunehmen und den Druck
auf den Brasilianer zu erhöhen: „Das
Verhalten der brasilianischen Regie-
rung zu den Waldbränden im Amazo-
nas-Gebiet könnte Einfluss auf den
Ratifizierungsprozess in der EU ha-
ben“, warnte die Generaldirektorin.
Da es sich bei dem Freihandelsver-
trag um ein gemischtes Abkommen

handelt, müssen neben dem EU-Par-
lament auch die nationalen Regierun-
gen zustimmen.
Die EU-Beamtin wollte noch nicht
von einer „Trendwende in Brasilien“
sprechen, zeigte sich aber zuversicht-
lich, dass die Regierung auch auf
Druck der mächtigen Gouverneure
ihr Verhalten ändern werde. „Die
Mercosur-Staaten haben sich zu einer
effektiven Umsetzung des Pariser Kli-
maschutzabkommens rechtsverbind-
lich verpflichtet“, sagte Weyand.
Sanktionsmöglichkeiten biete der
Vertrag allerdings nicht. Es gebe le-
diglich einen Streitschlichtungsme-
chanismus. „Wir können den Regen-
wald nicht ohne oder gar gegen die
Länder in der Region retten“, hob die
Deutsche hervor und erinnerte da-
ran, dass auch Europa seine Hausauf-
gaben beim Klimaschutz noch nicht
erledigt habe.
Konkret rechnet Weyand damit,
dass das Mercosur-Abkommen nach
einer rechtlichen Prüfung besten-
falls im Herbst 2020 unterschriftsreif
sein könnte. Das anschließende Rati-
fizierungsverfahren auf nationaler
Ebene könne dann mehrere Jahre
dauern. „Bislang habe ich aus kei-
nem Land gehört, dass es das Ab-
kommen ablehnen will“, sagte die
EU-Vertreterin.
Der französische Präsident Emma-
nuel Macron fühlt sich jedoch von
Bolsonaro hintergangen und droht
mit Opposition. Auch Irland und Lu-
xemburg haben angekündigt, gegen
den Mercosur-Vertrag zu stimmen,
sollte sich Brasilien nicht an seine Kli-
maschutzverpflichtungen halten. Die
Bundesregierung will hingegen an
dem Abkommen festhalten. Weyand
glaubt nicht, dass es zu Nachver-
handlungen kommen wird. „Die Ver-
handlungen sind abgeschlossen“,
sagte sie. Im politischen Prozess wer-
de es aber sicher Erklärungen und
Klarstellungen auch zum Klima-
schutz geben.
Bolsonaro hatte die Bedeutung der
Waldbrände erst heruntergespielt,
dann Umweltschützer dafür verant-
wortlich gemacht und internationale
Hilfe abgelehnt. Inzwischen hat er
das Militär zur Brandbekämpfung an
die Feuerfront geschickt. Umwelt-
schützer vermuten, dass Brände be-
wusst von Agrarunternehmern gelegt
wurden, um die Fläche wirtschaftlich
nutzbar zu machen. Die Agrarlobby
gehört zu den politischen Unterstüt-
zern des Präsidenten.

Sabine Weyand, Generaldirektorin für Handelspolitik:
Die EU-Kommission will das Abkommen mit den Mercosur-Staaten retten.

imago images/Reiner Zensen

Das


Bewertungs -


system soll


auch


ausländische


Unternehmen


dazu bringen,


sich in


voraus -


eilendem


Gehorsam


zu üben.


Albrecht
von der Hagen
Familienunternehmer-
Verband

schutz- und Umweltauflagen auch


politische Kriterien einbezogen wür-


den. „Das birgt für Unternehmen


und Management unkalkulierbare Ri-


siken“, sagte Bingmann.


Vor allem kleinere Unternehmen


haben nicht die Mittel, um sich im


Detail durch den Dschungel an Vor-


schriften zu kämpfen, die dem Sys-


tem zugrunde liegen – zumal bei


manchen Regeln offenbar auch noch


unklar ist, was genau gemeint ist. So


soll ein Unternehmen auch dann ein


schlechtes Rating bekommen, wenn


sich „Schlüsselpersonen“ im Unter-


nehmen gesetzwidrig verhalten und


zum Beispiel Steuern hinterziehen.


Allerdings ist nicht klar, wie genau


„Schlüsselpersonen“ definiert sind.


„Die Umsetzung der Anforderun-


gen für ein solch umfassendes Sco-


ring-System kann für kleine und mitt-


lere Unternehmen aus Kapazitäts-


gründen aufwendig sein“, warnt Jens


Hildebrandt, Chef der Deutschen Au-


ßenhandelskammer in Peking, im


Gespräch mit dem Handelsblatt.


Schon mit den bestehenden Um-


welt-, Steuer- und Zollratings seien


viele kleine und mittlere Unterneh-


men nur unzureichend vertraut.


Sorgen bereitet den Unternehmen


auch die enorme Ansammlung von


Daten, die durch das System beim


chinesischen Staat von den Firmen


gesammelt werden. Einzeln genom-


men stellten die Daten, die transfe-


riert werden müssen, zwar keine sen-


siblen Informationen dar. Allerdings


könne die Zusammenführung der


Daten beim Staat ein Problem wer-


den. „Die Regierung ist dann ausge-


stattet mit einem kompletten Bild der


genauen Performance und Kapazität


eines Unternehmens“, heißt es in der


Sinolytics-Studie.


Das System könnte zudem für poli-


tische Zwecke missbraucht werden.


Zwar sei es bislang nicht explizit vor-


gesehen, dass etwa Unternehmen


sanktioniert werden, wenn sich Mit-


arbeiter des Unternehmens politisch


engagieren. In der Zukunft wäre das


aber vorstellbar, sagt Mirjam Meiß-
ner von Sinolytics, mit Björn Conrad
eine der Autoren der Studie. „Prinzi-
piell würden das die Mechanismen
erlauben.“
So gibt es in den Plänen der chine-
sischen Regierung Hinweise, dass
schon ein Verstoß gegen die „Interes-
sen der Konsumenten“ in China, so ist
es dort formuliert, dazu führen kann,
dass ein Unternehmen als vertrauens-
unwürdig eingestuft wird. In der Ver-
gangenheit hat China des Öfteren die
Gefühle der chinesischen Konsumen-
ten vorgeschoben, wenn es darum
ging, Unternehmen für eine politisch
unerwünschte Haltung zu bestrafen.
In den vergangenen Wochen hat Pe-
king auch Unternehmen unter Druck
gesetzt, ihre Mitarbeiter davon abzu-
halten, sich politisch zu den Protesten
in Hongkong zu äußern. Im Fall der
Hongkonger Fluglinie Cathay mussten
sogar mehrere Mitarbeiter das Unter-
nehmen verlassen.

Protest könnte helfen


EU-Kammerpräsident Wuttke rät den
Unternehmen, sich mit dem System
zu beschäftigen, um besser vorberei-
tet zu sein. Außerdem empfiehlt er
ihnen, ihre Bedenken bei der chinesi-
schen Regierung vorzutragen.
In der Vergangenheit hatte die
deutsche Wirtschaft durchaus Erfolg,
wenn sie protestierte. So beschwer-
ten sich Unternehmen über ein Ge-
setz, welches das Nutzen von VPN-
Tunneln unmöglich machte. Diese
Datenleitungen sind notwendig, um
die chinesische Zensur zu umgehen
und etwa Google, Facebook und viele
ausländische Medien zu nutzen. An-
gesichts des Protests machte Peking
einen Rückzieher und beteuerte, es
habe Missverständnisse gegeben.
Zwar wird sich am Ratingsystem
nichts Grundlegendes mehr ändern,
da sind sich Experten einig. Aber die
deutsche Wirtschaft sollte den Dialog
mit der chinesischen Regierung su-
chen, um das Schlimmste noch abzu-
wenden.

Auf dem Höchststand


Deutsche Direktinvestitionen in China


Bestand in Mrd. Euro*
81,0 Mrd. €


51,4 Mrd. € 19 ,6 Mrd. €


10,0 Mrd. €


Aufteilung der Direktinvestitionen 2017
Bestand nach Branchen in Mrd. Euro

HANDELSBLATT Quelle: Deutsche Bundesbank


*Mittelbare und unmittelbare; ab 2010 Berechnungsmethode nach den aktuellen Vorgaben der OECD Benchmark Definition


1997 2017


80


60


40





0

Verarbeitendes
Gewerbe

Herstellung von ...


... Kraftwagen/Kraftwagenteilen


... elektrischen Ausrüstungen


... chemischen Erzeugnissen


Maschinenbau


29,


7, 2


5,


4,


davon:


Erbringung von
Finanz- und Ver-
sicherungsdienst-
leistungen

Sonstiges


Wirtschaft & Politik
DONNERSTAG, 29. AUGUST 2019, NR. 166


9

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