AD Architectural Digest - September 2019

(Ron) #1

überallemschwingensanftsiebenschmaleSchienenimSom­
merwind,die,ebenfallsausStahl,aneinanderbefestigtsindwie
einMobilevonAlexanderCalderoderBrunoMunari,einemder
LieblingsdesignerdesHausherren.EsisteinLeuchter,denPeerfür
dieMailänderGalerieNilufardesignte.MitanderenWorten,die­
ses 200 QuadratmetergroßeApartmentistwieeineReiztherapie:
PeerhatunzähligefeinevisuelleAkupunkturnadelngesetzt,um
dieWahrnehmungdesBetrachterszustimulierenund ihn in einen
ZustanderhöhterAufmerksamkeitzuversetzen.
„Es stimmt“, sagtHannesPeer,derseineLaufbahnindenBü­
rosvonRemKoolhaasundZviHeckerbegann.„IchliebeKontras­
te.Undichmagesauchsehr,wennmichFreundefragen:‚Sah
eshierschonimmersoausoderistdasvondir?‘“Peer,derne­
benseinerTätigkeitalsArchitekteinmaldieWochean derNuo­
vaAccademiadiBelleArtiInteriordesignlehrt,hatdafürsogar
einenBegriffgeprägt:„nostalgischeUtopie“.EsisteinBlickzu­
rückimKonjunktiv,beidemerdasVorhandeneprüft,modifiziert
undergänzt,biserandemPunktangelangtist,andem„ichsa­
genkann,sohätteesgewesenseinkönnen“.Konkretbedeutet
dies,dasserseinApartmentzwarvollkommenverändert,esin
gewisserWeiseaberaucherhaltenhat.Wennmansowill,hater
esrepariert,ähnlichwieeinjapanischerKunsthandwerker,der
zerbrocheneGefäßeinderKintsugi­TechnikmitGoldlackwieder
zusammenfügt.„DasfindeicheinesehrromantischeIdee“,sagt
HannesPeer,„dassDingeauch Fehler haben dürfen und man sie
trotzdeminEhrenhält.“
IndieserWohnunggibteseineMengesolcherBruchlinien.
ZumBeispielhatPeerdasLivingvergrößert,indemerdieWand
zueinemderaltenKinderzimmereinriss– umdieStellezukenn­
zeichnen, verlegte er im Boden ein Messingband. In einem der


KorridorefällteinembeimRundgangeinQuerträgerauf,derda
relativunvermitteltausderMauerhervorkragt.„DerGanghatte
eineabgehängteDecke.Alsichsieentfernenließ,kamdieserTrä­
gerzumVorschein.IchhattenundieWahl,alleswiederzuver­
kleidenoderihnsooffendastehenzulassen.Wodasendete,se ­
henSieja“,sagtdergebürtigeSüdtirolerundtätscheltzärtlichden
T­Träger,derheuteimÜbrigeneineDinggewordeneErinnerung
daranist,dassdiesesHausimJahr 1900 das erste Gebäude aus
StahlbetoninMailandwar.
Eine ähnliche Überraschung hatte manschon amEingang
erlebt:DortwirkteeineWandmitihremrohenBetonwieein
WerkderArtepovera,währenddieandereeinflachesReliefzeig­
te,scheinbarebenfallsausBeton(tatsächlichliegtnureinedünne
SchichtdavonaufeinerHolzkonstruktion),aufdemeineReihe
vonFigurenmitdemHintergrundverschmelzen.EsisteineAr­
beitderKünstlerinUrsulaHuber,derMutterdesDesigners.
Mit seinemStil,ArchitekturwiebeieinemPalimpsestalsSum­
me vieler übereinanderliegender Schichtenzuverstehen,hatPeer
vorallemineinerSzeneErfolg.„Die
meistenmeinerAuftraggeberkommen
ausderFashionbranche“,bestätigter.
„Dortistmanbesondersneugierigund
weltoffen, das kommt mirsehr ent­
gegen.“ Und womöglich charakteri­
siertihndasbesseralsallesandere;
wieinderModestammenseineEin­
flüsseundInspirationenvonüberall,
siesindbuchstäblichgrenzenlos.Han­
nesPeerbrauchtdafür nur die geeig­
nete Hardware.

BrunoMunarinannte
seineMobile„unnütze
Maschinen“– Hannes
Peerließsichdavonzu
demLeuchteranregen,
denerfürdieGalerie
Nilufargestaltete.Auch
dieGlastüreundden
verstellbarenEsstisch
haterentworfen.Dass
dieStühle(vonWilly
Rizzo) 50 Jahreälter
sind, fällt gar nicht auf.

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