Bild der Frau - 16. August 2019

(Barré) #1
Die Deutsch-Russin Anna Sorokin (28, o.) gibt sich
in New York als reiche Erbin aus, erschleicht sich ein
Luxusleben. Rachel DeLoache Williams (31, r.) denkt,
Anna sei ihre Freundin. Dabei ist sie nur ein Opfer ...

Ich war zutiefst enttäuscht.
Ich hatte Panikattacken,
schlief nicht, brauchte Unter-
stützung von Freunden ...
Sie mussten über 55 000 Euro
fürs Hotel bezahlen. Haben Sie
das Geld je wiedergesehen?
Meine Bank schützte mich
letztlich davor, tatsächlich
bezahlen zu müssen. Zum
Glück! Ich bin erleichtert, dass
Anna im Gefängnis sitzt.
Werden Sie jemals wieder
anderen vertrauen können?
Ja! Ich finde es natürlich und
gesund, an die Ehrlichkeit und
Güte anderer zu glauben. In
Zukunft werde ich aber vor-
sichtiger sein und meinen
eigenen Instinkten vertrauen.
HELLA HOOFDMANN

L


iebe Rachel, Anna führte
ein Leben, von dem viele
nur träumen können ...
Anna war furchtlos, tat was
sie wollte. Ich mochte sie. Ihr
Leben schien luxuriös. Sie
bestellte Essen, Kleidung, Kos-
metikartikel ... Faszinierend.
Anna bezahlte sogar Ihren
Fitnesstrainer! Warum haben
Sie das zugelassen?
Am Anfang zahlten wir
abwechselnd und machten
Aktivitäten, die ich mir leisten
konnte. Aber Anna
hatte einen teuren
Geschmack, war
sehr überzeu-
gend. Sie wollte
immer schö-
nere Restau-

rants und teurere Dinge, wie
den Fitnesstrainer. Es schien
ihr Freude zu bereiten, großzü-
gig zu sein. Sie sagt, es würde
sie glücklich machen, für mich
zu bezahlen. „Du arbeitest här-
ter für dein Geld als ich
jemals“, sagte sie. Und ich
nahm sie beim Wort.
Fanden Sie es nie merkwürdig,
dass Anna so viel Geld hatte?
In New York ist es nicht unge-
wöhnlich, wohlhabende Per-
sonen zu treffen. Anna war
ungewöhnlich, aber ich ahnte
nicht, dass sie ein Leben voller
Lügen führte.
Als Sie mit Anna im Urlaub in
Marokko waren, konnte Anna
nichts bezahlen. Sie merkten:
Anna ist eine Betrügerin!

Diplom-Psychologin Nathalie
Krahé aus Frankfurt am Main:
Niemand rechnet damit, einem
Hochstapler aufzusitzen. Denn wir
denken: Wenn jemand so dreist
ist, das würde mir sofort auffallen!
Tatsächlich schöpft man aber
selten Verdacht, wenn sich
ein angeblicher Freund nicht
außergewöhnlich verhält. Ist es
zum Beispiel, wie im Fall Anna
Sorokin, völlig normal, dass
Luxushotels gebucht oder teure
Restaurants besucht werden,

dann wundert man sich überhaupt
nicht, wenn sich jemand so etwas
locker leisten kann.
Ist die Gefahr größer, wenn es
um Luxus geht, den ich mir
selbst nicht leisten kann?
Das ist verführerisch, absolut! Und
kaum jemand kann behaupten,
nicht von ein bisschen mehr Gla-
mour und Geld angezogen zu sein.
Ein etwas besseres Leben ist
auch kein schlechtes Ziel, sollte
aber niemals die Triebfeder für
eine Freundschaft sein.

„My friend Anna – Die wahre Geschichte,
wie Anna Sorokin mich und halb New York
aufs Kreuz legte“, von Rachel DeLoache
Williams, 10 Euro, Goldmann

BUCH-TIPP


Verrat der Woche


Als Anna
16 Jahre alt
war, zog ihre
Familie
von Russ-
land nach
Deutsch-
land

Das könnte mir nie passieren, oder?


Da waren sie
noch Freunde:
Rachel mit
Hochstaplerin
Anna (l.).
„Nach dem
Prozess sagte
Anna, der
Betrug tue ihr
nicht leid“,
ist Rachel (r.)
fassungslos

Fotos: Action Press, dpa, Nick Rogers, Twitter/Rachel DeLo


ache Williams


AKTUELL Psychologie


„Ich fiel auf eine


Hochstaplerin rei n“


Der Fall Anna Sorokin
Die Deutsch-Russin Anna
Sorokin gab sich in New York
jahrelang als reiche Erbin Anna
Delvey aus und behauptete,
53 Millionen Euro in einem Treu-
handfonds ihrer Eltern zu be -
sitzen. Sie erschlich sich durch
geschickte Lügen, gefälschte
Dokumente und ein selbst-
sicheres Auftreten mindestens
250 000 Euro von Banken, Hotels
und Freunden. Ein Gericht in New
York verurteilte sie dafür zu einer
Gefängnisstrafe von mindestens
vier bis 12 Jahren – über das
genaue Strafmaß entscheidet
noch ein Gremium.
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