Der Standard - 24.08.2019

(lily) #1

DERSTANDARDWOCHENENDE Kultur SA./SO.,24./25.AUGUST2019| 31


FFOR FACTORY
eine Aktionvon
Maximilian Brauer,LeonardNeumann&Ensemble |UA
R: Maximilian Brauer
Premieream2.10.20 19

IM HERZEN DER GEWALT
nachdem RomanvonÉdouardLouis|ÖEA
R:Tomas Schweigen
Premieream13.11.19

KUDLICH IN AMERIKA
vonThomasKöck|UA
R: Elsa-SophieJach&ThomasKöck
Premieream11.1. 20

ANGSTBEISSER
vonWilkeWeermann|UA
R: AnnaMarboe
Premieream27. 2.20

TRAGÖDIENBASTARD (AT)
vonEwelinaBenbenek|UA
R: Florian Fischer
Premieream4.4.20

RAND
vonMiroslava Svolikova|UA
R:Tomas Schweigen
PremiereEnde April 2020


  • DASOPTIMUM
    vonMario Wurmitzer|UA
    R: Maria Sendlhofer
    Premieream31.10.19imNachbarhaus
    EineProduktion des TheaterKOSMOS Bregenz
    inKooperation mit demSchauspielhaus Wien.


WIEDERAUFNAHMEN

IMPERIUM
nachdem Roman
vonChristian Kracht|ÖEA
R: Jan-Christoph Gockel

OH SCHIMMI
vonTeresa Präauer|UA
R: AnnaMarboe

DASLEBEN DES VERNON SUBUTEX 1+2
nachden Romanenvon Virginie Despentes|ÖEA
R:Tomas Schweigen

SCHLAFENDE MÄNNER
vonMartin Crimp|ÖEA
R:Tomas Schweigen

s|ÖEA

http://www.schauspielhaus.at

DIEHAUPTSTADT
nachdem Roman
vonRobertMenasse|ÖEA
R: Lucia Bihler

WASIHR WOLLT: DER FILM
vonFUX|UA
R: Nele Stuhler &Falk Rößler (FUX)

Startenor Plácido Domingoist mitVorwürfen sexueller
Belästigungkonfrontiert. Am Sonntag tritterbei den Salzburger
Festspielen auf. Ein Gespräch mit der österreichischen Sängerin
ElisabethKulmanüber Missbrauch im Klassikbereich.

INTERVIEW:Stefan Weiss

von Macht. Da müssen wir ansetzen, neue
Strukturen schaffen, damit Missbrauch
überhaupt nicht mehr möglich wird. Zu
Ihrer Frage nach den Generationen: Grund-
sätzlich sind in meiner Wahrnehmung die
meisten Männer–objung oder alt–heute
sehr bewusst und souverän in der An-
näherung an Frauen. Sie wissen, wann ein
Nein ein Nein ist, und respektieren es, ha-
ben aber trotzdem keine Hemmungen beim
Flirten. So schwer ist das ja auch nicht.

STANDARD:Ihr kommendes Solistenkonzert
an der Wiener Staatsoper trägt den stolzen
Titel „La femme c’est moi“. Wollen Sie auch
künstlerisch mehr Feminismus in die Klas-
sik tragen?
Kulman:„Lafemme c’est moi“ ist–wenn Sie
so wollen–mein persönlicher Ausbruch
aus den oft zitierten „Zwängen des Opern-
betriebs“. Ich will mein künstlerisches
Potenzial ausschöpfen, und so habe ich mir
mein eigenes Programm auf den Leib ge-
schneidert. Wenn man von einer patriar-
chalen Welt ausgeht, so ist „La femme c’est
moi“freilichmatriarchalkonzipiert,indem
Sinn, dass die künstlerische Letztverant-
wortung bei mir liegt. Da ich bei meinem
Projekt die eigene Chefin bin, stehe auch
ich hier vor der Herausforderung und Ver-
antwortung einer Führungsposition.

STANDARD:Und wie gehen Sie selbst mit
Führung um?
Kulman:Meine Erfahrung ist, dass der Um-
gang mit Macht wirklich gelernt werden
muss. Auch ich habe da noch immer mei-
ne Lernkurven. Bei „La femme c’est moi“
lade ich alle meine Mitmusiker dazu ein,
ihre Kreativität in den Entwicklungspro-
zess einzubringen. Jeder soll sich sowohl
als individueller Künstler als auch als
Teamplayer wiederfinden. Das überträgt
sich auch auf das Publikum.

ELISABETH KULMAN isteine österreichische
Sängerin und engagiert sich u. a. bei „Art but fair“.

„Unwahrscheinlich,


dass vonDomingo


Gefahr ausgeht“


S


ie ist eine der engagiertesten Stimmen
der Klassikwelt. Als der Intendant von
Erl, Gustav Kuhn, sexueller Verfeh-
lungen bezichtigt wurde, gründete Elisa-
beth Kulman „Voice it!“, einen Ableger von
#MeToo. Die Initiative steht laut Kulman
für eine „Kultur der Würde, des Respekts
und der Gerechtigkeit“.


STANDARD:Sie standen auf allen wichtigen
Bühnen der Klassikwelt. Wie viel Macht-
missbrauch gibt es in der Branche?
Kulman:Über ein Drittel aller Künstler und
Künstlerinnen ist von Machtmissbrauch
betroffen. Das geht aus einer Art-but-fair-
Studie aus dem Jahr 2016 hervor. Die Zahl
ist alarmierend und weist auf ein massives
strukturelles Problem hin. Mit den #Me-
Too-Fällen wurde dieses Problem auf dra-
matische Weise sichtbar. Wichtig ist dabei,
zu verstehen, dass sexuelle Übergriffe nur
eine Spielart des Machtmissbrauchs sind,
die eher wenige betrifft, etwa fünf Prozent.
Wenn jetzt aber die verschont gebliebenen
95 Prozent beginnen, die mutmaßlichen
Täter lautstark zu verteidigen, ist das ein
Schlag ins Gesicht der Opfer: Sie werden
als Lügnerinnen abgestempelt.


STANDARD:Aktuell machen acht Sängerin-
nen und eine Tänzerin Plácido Domingo
Vorwürfe. Von unerwünschten Umarmun-
gen ist die Rede, von Küssen auf den Mund
oder von nächtlichen Telefonanrufen. Wie
schätzen Sie den Fall ein?
Kulman:Die Anschuldigungen decken sich
mit den Gerüchten, die man seit vielen Jah-
ren hinter vorgehaltener Hand erzählt be-
kommt. Da sie nun öffentlich wurden, sto-
ßen sich viele daran, dass die Anklägerin-
nen anonym bleiben. Ich verstehe die Angst
dieser Frauen gut, möchte aber trotzdem
ermutigen, aus der Deckung zu treten. Bei
uns, in der Causa Kuhn, sind die Frauen mit
einem Offenen Brief an die Öffentlichkeit
gegangen, mit schlotternden Knien, aber
mitvollenNamen.DashatdenUmschwung
in ihrer Glaubwürdigkeit gebracht.


STANDARD: In Domingos Fall sollen die
angeblichen Vorfälle größtenteils 30 Jahre
zurückliegen. Finden Sie es richtig, erst jetzt
damit an die Öffentlichkeit zu gehen?
Kulman:Besserspät als nie! Vor 20 oder
30 Jahren wären die Opfer mit ihrer Ge-
schichte niemals durchgekommen. Auch
die gegen Harvey Weinstein nicht. Die Zei-
ten mussten sich erst ändern,
um eine offene Diskussion zu
ermöglichen. Außerdem wis-
sen wir, dass die Opfer von
Machtmissbrauch und Über-
griffen sehr lange, oft Jahre
und Jahrzehnte, brauchen,
um diese Verletzungen und
ihre Scham zu überwinden.


STANDARD:Domingo hat die
Darstellung der Frauen zu-
rückgewiesen. Er will jedoch
„anerkennen, dass sich heu-
tige Regeln und Standards
von denen der Vergangenheit
unterscheiden“. Ist so eine Ein-
sicht nicht sogar mehr wert als
ein mögliches gerichtliches Nachspiel?
Kulman: Ich werte diese Fähigkeit zur
Einsicht positiv, vor allem im Vergleich zu
Kuhns Reaktion,der bis heute alles weg-
lacht und jedes Schuldeingeständnis ver-
missen lässt. Ein tragischerFall. Da bin ich
bei Plácido hoffnungsvoller. Ein Umdenken
und neue Modelle sind dringend nötig. Füh-
rungskräfte müssen daringeschult werden,
MachtmitVerantwortungundUmsichtaus-
zuüben. Es muss ein Korrektiv geben,Auf-
sichtsräte, die die Macht von Intendanten,
Intendantinnen, Regisseuren, Regisseurin-
nen, Dirigenten und Dirigentinnen auf das
angemessene Maß beschränken.


STANDARD: Warum enden #MeToo-Ge-
richtsfälle oft in Vergleichen?
Kulman:Was die justiziäre Handhabbarkeit
betrifft, treffen wir auf große Schwierig-
keiten. Sexuelle Übergriffe, ja sogar Verge-
waltigungen sind oft schwer nachweisbar,
es steht Aussage gegen Aussage, nicht sel-
ten endet alles „im Zweifel für den Ange-
klagten“, und das Opfer muss damit leben,
dass der Täter frei herumläuft. Auch hier
müssten die gesetzlichen Richtlinien zu-
gunsten der Opfer optimiert werden.


STANDARD:Einige US-Konzerthäuser ha-
ben Domingo-Konzerte abgesagt, bei den
Salzburger Festspielen hält man an dem für


Sonntag geplanten Auftritt fest. Wie würden
Sie vorgehen?
Kulman:Nachmeinem heutigen Wissens-
stand ist es eher unwahrscheinlich, dass
von Domingo derzeit Gefahr ausgeht.
Deshalb halte ich die Konzertabsagen der
US-Häuser und ihre Begründungen für
übertriebene Vorsicht.

STANDARD: Das Publikum
wird kommen, es kam auch
bei Kuhn ohne Misstöne.
Kulman:Im Fall Kuhn waren
es fünf nicht anonyme, sehr
konkrete Aussagen, die von
schweren sexuellen Übergrif-
fen, die zum Teil sogar schon
gerichtlich protokolliert wa-
ren, und von massivem struk-
turellem Machtmissbrauch
über Jahrzehnte hinweg be-
richteten. Hier hätten die Ver-
antwortlichen sofort reagieren
und Kuhn suspendieren müs-
sen. Stattdessen geschah über
Wochen und Monate nichts,
keine Untersuchungen, kei-
ne Kontaktaufnahme mit den Opfern, ein
unverzeihliches Versäumnis seitens der
Tiroler Festspiele und der Politik. Selbst als
Kuhn nicht mehr in Erl dirigieren durfte,
lud ihn Hans Peter Haselsteiner, der
Erler Festspielpräsident, ein, zwei Extra-
veranstaltungen in Erl zu dirigieren. Eine
wohl bewusst gesetzte Provokation für
die Opfer.

STANDARD:Ist mediale Vorverurteilung bei
#MeToo unvermeidbar?
Kulman:Wir leben heute im digitalen Zeit-
alter, in einer zunehmend transparenten
Welt. Etwas zu verbergen wird immer
schwieriger. Die Menschen sind an diese
Durchsichtigkeit aber noch nicht gewöhnt,
deshalb gibt es jedes Mal einen kollektiven
Aufschrei, wenn einem ihrer Idole der ima-
ginierte Heiligenschein weggerissen wird.
Etwas mehr Nüchternheit könnte helfen:
Niemand ist unfehlbar, die reinweiße
Weste ist eine Illusion.

STANDARD: #MeToo-Vorwürfe werden
überwiegend Männern gemacht, die heute
älter als 40 oder 50 sind. Ist es ein Gene-
rationenproblem?
Kulman:#MeToo ist zuallererst ein Macht-
problem. Laut Statistiken geht es in 90 Pro-
zent der sexuellen Übergriffe nicht vor-
rangig um Sex, sondern um die Ausübung

„Neue gesetzliche Richtlinienzugunsten der Opfer“: Das
fordert Sängerinund „Voice it!“-Initiatorin Elisabeth Kulman.

Foto:Kulman

Es gibtjedes Mal
einenkollektiven
Aufschrei,wenn
einemIdol
der imaginierte
Heiligenschein
weggerissen wird.


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