Süddeutsche Zeitung - 24.08.2019

(National Geographic (Little) Kids) #1
Vor vier Jahren machte er mit Kla-
vierkonzerten von Mozart Furore.
Seitdem überrascht der kanadische
Pianist Jan Lisiecki alljährlich mit
immer neuen gelungenen Einspie-
lungen klassisch-romantischer
Klavierkonzerte. Chopin, Schu-
mann, zuletzt Mendelssohn, jetzt
Beethoven. Auch hier hört man
sogleich: Lisiecki ist nicht angetre-
ten, um die Musikgeschichte neu
zu schreiben, sondern um die gro-
ßen Werke bewundernd neu zu
erzählen, um mit Liebe zur Sache
zu verführen, nicht zu überrum-
peln, und schon gar nicht, um das
Publikum auf eine bestimmte Hör-
erfahrung zu zwingen.
Das hebt ihn ab von jenen ambiti-
onierten und manchmal auch etwas
übereifrigen Kollegen, die so er-
picht darauf sind, spießigen Klas-
sikfans die Leviten zu lesen und
dabei dem Werk aber oft mehr
wegnehmen, als sie Neues und
Interessantes hinzufügen. Jan Lisie-
cki will nicht interessant sein, er
will mit dem Publikum auf For-
schungsreise gehen, um zu hören,
ob in der Musik für die Gegenwart
nicht mehr zu holen ist als gemein-
hin erwartet. Deshalb klingt Beetho-
ven bei Lisiecki weder nach ver-
schärftem Mozart noch nach ge-
dimmtem Rachmaninow, sondern
wie ein völlig eigenständiger Klang-
kosmos, der in seiner Größe und
Weite souverän Bestand hat. Da
muss nichts verkleinert und ver-
niedlicht werden, was erschrecken
könnte; da muss umgekehrt auch

nichts in Bizarre gezogen werden,
was in seiner gewollten Sperrigkeit
vielleicht angemessener und damit
meist tiefer wirkt. Kurzum: Lisiecki
weiß es nicht besser als Beethoven
und versucht in aller Seriosität und
Souveränität, dessen Hintergrün-
digkeit und Doppelbödigkeit auszu-
loten, ohne dabei den Glanz der
Oberfläche mutwillig zu beschädi-
gen. Ganz im Gegenteil: Auch der
schiere Klang ist eine Botschaft.
Manchmal, etwa im Andante des
G-Dur-Konzerts, erinnert er in
Tempo und Diktion ein wenig an
Wilhelm Backhaus, der es so meis-
terlich verstand, äußere Gelassen-
heit und innere Hochspannung zu
balancieren. Lisiecki gelingt dies
ebenfalls auf erstaunlich natürliche
Weise, gerade in den heiklen langsa-
men Sätzen, die hier ein Höchst-
maß an Konzentration und Klangbe-
herrschung verlangen. Selbst das
lieblichste melodische Detail ent-
puppt sich bei Beethoven ja oft als
tragischer Kern. helmut mauró

Von Marcel Proust sei nun wirklich
jede geschriebene Zeile auch veröf-
fentlicht, dachte man. Weit gefehlt.
In diesem Herbst ist im kleinen
Pariser Verlag de Fallois ein Band
mit acht bisher unbekannten frü-
hen Erzählungen angekündigt
unter dem Titel „Le Mystérieux
Correspondant et autres nouvelles
inédites“ (Der geheimnisvolle Brief-
schreiber und andere unveröffent-
lichte Erzählungen).
Sie sind das Werk eines jungen,
damals noch völlig unbekannten
Proust, der gerade die Arbeit an
seinem frühen Roman „Jean San-
teuil“ begonnen hatte. Dieser frühe
Proust war just das Forschungs-
thema des Verlegers Bernard de
Fallois. Dieser hatte seine literari-
sche Karriere als Proust-Forscher
und Manuskript-Entdecker ange-
fangen. In der 1960 unvollendet
liegen gelassenen Promotions-
arbeit über Marcel Prousts Anfänge
zitierte er Auszüge aus diesen Er-
zählungen, ließ die Proust-Manu-
skripte dann aber einfach in einer
Truhe liegen. Nach seinem Tod im
vergangenen Jahr kamen sie wie-
der zum Vorschein.
Warum de Fallois diese Texte
stillschweigend bei sich behielt, ist
für die Proust-Kenner ebenso ein
Rätsel wie die Frage, warum Proust
sie aus seinem frühen Erzählungs-
band „Les Plaisirs et les Jours“
(Freuden und Tage) 1896 ausge-
spart hatte. Manche vermuten, die
darin offenbar ziemlich direkt ange-
sprochene Homosexualität sei dem

jungen Schriftsteller zu heikel vor-
gekommen. Andere meinen, ihr Stil
habe ihm schon nicht mehr gefal-
len. Wie dieser Stil genau aussieht,
weiß außer dem Verlag und dem
Herausgeber noch niemand. Umso
ergiebiger zirkulieren nun die Spe-
kulationen darüber, wie der Autor
des Jahrhundertwerks „Auf der
Suche nach der verlorenen Zeit“ in
diesen frühen Bagatellen geschrie-
ben hat. Am 9. Oktober wird das
Geheimnis gelüftet, dieser Tag ist
als Erscheinungsdatum angekün-
digt. joseph hanimann

Wasser ist das zentrale Element. Es dauert
keine zwei Minuten, bis der Film „Crawl“
trockenen Boden verlässt und sich ins
Wasser begibt. Man sieht einen Schwimm-
wettkampf von unten, in Zeitlupe demons-
triert er die Kraft der Schwimmerinnen, ih-
ren vertrauten Umgang mit dem Element,
in dem sie fast so gut zurechtkommen wie
an der Luft. Die einzigen anderen Lebewe-
sen in „Crawl“, die sich im Wasser ähnlich
geschmeidig bewegen, sind Alligatoren.
Sehr große Alligatoren.
Bis zu deren Erscheinen allerdings gibt
es noch etwas Charakterstudie. Haley
(Kaya Scodelario), eine der Schwimmerin-
nen, verliert den Wettkampf, und sie ist
keine gute Verliererin. Wütend steigt sie in
ihr Auto, wütend macht sie Dummheiten,
fährt mitten hinein in einen Orkan mit
Sturzregen, der gerade über Florida her-
einbricht. Zwar sieht sie, dass die Bevölke-
rung wegen Hochwassers evakuiert wird,
aber das hindert sie nicht daran, illegal bis
zu der Kleinstadt vorzudringen, in der ihr
Vater wohnt und nicht ans Handy geht.
Das ist Haleys Entschuldigung: Sie will
nachsehen, ob alles okay ist beim Dad.
So zeugt ihre Wut auch von Ausdauer
und Erfindungsreichtum, das wird sich
später lohnen. Vorerst bringt sie das ins
ehemalige Haus ihrer Familie, das am
Rand der Sümpfe leer steht. Tatsächlich
liegt dort ihr Vater verletzt im Keller,
einem vermüllten, halbhohen Zwischen-
raum zwischen Erdboden und Erdge-
schoss, dafür gedacht, bei Überschwem-
mungen vollzulaufen. Mit Haley, die
durch den düsteren Raum robbt, entwirft
Regisseur Alexandre Aja den Grundriss
für seinen Film – ab jetzt bedient er das
Horrorgenre.

Für den Anfang, mit Ekel: Schleim am
Boden, Ratten, Dreckwasser, das herein-
tropft. Sobald Haley da einmal durch ist,
kennt man sich im Keller aus. Falls man
das nicht schlagartig wieder vergisst,
wenn der erste Alligator ins Bild kracht.
„A big one“, sagt der Dad (Barry Pepper)
dazu, ziemlich unprätentiös, und so ist es:
Riesenzähne, ein Riesentier. Da haben
sich Vater und Tochter bereits hinter ein
paar Rohren verschanzt, hungrige Reptili-

en blockieren alle Ausgänge, draußen ist
niemand mehr, Regen und Sturm lassen
nicht nach. So bedrohlich ist die Lage, die
Alexandre Aja Stück für Stück enthüllt,
aber noch ist erst der Boden des Kellers
voll Wasser. Die Alligatoren müssen
kriechen. Ein Handicap, das dem Regis-
seur Zeit gibt, ein paar Querverweise zu
anderen Horrorschockern einzubauen,
den Familienhund vorzustellen, visuelle
Krokodilspäße im Hintergrund aufblitzen
zu lassen. Alexandre Aja hat Humor, auch

das lernt man in diesem Film. Trotzdem
bleibt er durchgehend nah dran an der
Gefahr, er verzieht sich nicht in die Paro-
die oder ins Übernatürliche, nicht einmal
Schusswaffen haben in seiner Geschichte
großen Nutzen. Ganz archaisch wird mit
Schraubenziehern gekämpft, mit Spaten,
mit dem Verstand, der im Horrorfilm
sonst nicht so gern benutzt wird.
Die Art, wie Vater und Tochter über die
Alligatoren reden, lässt den Film glaub-
hafter und gruseliger gleichzeitig wirken.
Sie kennen das Verhalten der Tiere, sie
schmieden einen Plan, um nicht gefressen
zu werden, bevor sie womöglich ertrinken.
Haley, die Schwimmerin, muss versuchen,
selber Alligator zu sein, sobald das Wasser
so hoch steigt, dass die echten Alligatoren
schwimmen können.
Alexandre Aja hat schon in diesem Gen-
re gedreht, eher lustig, wie beim Remake
von Joe Dantes berüchtigtem „Piranhas“.
Er weiß, wie schnell die Handlung repeti-
tiv wird, wie viele Gliedmaßen ein Protago-
nist maximal ironisch verlieren kann. In
„Crawl“ macht er es anders. Er sorgt für
schmerzhafte Etappensiege der Men-
schen, er wechselt zu den Gefahren des
Wassers oder der Enge, die den Figuren
rechtzeitig neue Aufgaben stellen. Hier
kümmert er sich um stete, beklemmende
Spannung, und damit um etwas sehr
Ehrenwerteres: Er gibt dem Genre die
Wirklichkeitsnähe zurück, die es mit den
„Sharknado“-Fernsehwitzchen über die
Jahre verloren hat. doris kuhn

Crawl, USA 2019 – Regie: Alexandre Aja. Mit Kaya
Scodelario, Barry Pepper. Paramount, 88 Minuten.

Felix Brummer, bekannt als Front-
mann derBandKraftklub, ist unter
seinem richtigen Nachnamen
Kummer solo unterwegs. Jetzt hat
er die zweite Single aus seinem im
Oktober erscheinenden Album
„KIOX“ veröffentlicht. Der musika-
lisch gangsterraptypisch dröhnen-
de Song „Nicht die Musik“ ist eine
Kritik an der Darstellung und Ver-
marktung von Männlichkeit im
Deutschen Rap: „Echte Männer
weinen nicht“. Vor allem Kollegah

muss in Text („Eine Generation an
Selbstoptimierern – King“) und
Bild einstecken. Das Musikvideo, in
dem der Musiker in zwei Minuten
zum Bodybuilder mutiert, par-
odiert Hip-Hop-Videos wie Kolle-
gahs „Alpha“. Also Waffen, Mus-
keln, Autos, Frauen. Kummers
Antwort „Ich mach Rap wieder
weich, ich mach Rap wieder trau-
rig“ beweist: Deutscher Rap kann
mehr. kevin scheerschmidt

Ein Brautkleid schwebt über dem
Grund des Toten Meers. Trüb ist
das Wasser, dick und grün, das
Sonnenlicht dringt dennoch herein,
die Wasseroberfläche ist nah. Fünf
großformatige Fotos hängen neben-
einander, die die Verwandlung des
Kleids zeigen. Ganz links ist es
noch eine schwarze Robe, wie sie
die Schauspielerin Hanna Rovina
trug, die vier Jahrzehnte lang in Tel
Aviv die Leah in An-Skis Stück „Der
Dibbuk“ spielte. Nach rechts wird
es immer heller, Salz lagert sich auf
dem Stoff ab, bis es ganz rechts
zum weißen, dick mit Salz über-
krusteten Brautkleid geworden ist,
irreal und wunderschön.
Sigalit Landau, geboren 1969 in
Jerusalem, ist seit zwei Jahrzehn-
ten fasziniert vom Toten Meer. Im
Museum der Moderne in Salzburg
kann man diese Faszination an
zwei Orten miterleben: Oben im
Museum auf dem Mönchsberg
werden Objekte gezeigt, die Landau
in den vergangenen fünf Jahren
vom Wasser des Meers und dessen
hohem Salzgehalt verwandeln ließ,
unten in der Stadt, im Rupertinum,
sind Videoarbeiten von Landau zu
sehen, darunter einige ältere, die
zeigen, wie sehr sie früher von
Schiele oder auch von den Wiener
Aktionisten beeinflusst war – ihre
Familie war in Österreich alteinge-
sessen, eine Großmutter Tänzerin
ein Wien, ein Großvater Dichter
und Journalist aus der Bukowina.
Landaus Eltern überlebten den
Holocaust knapp.

Diese Künstlerin schockiert. Im
Jahr 2000 stellt sich Sigalit Landau
nackt an den Strand von Tel Aviv
und lässt einen Reifen aus Stachel-
draht um die Hüften kreisen, im
Hintergrund sieht man Angler und
Badende, die Kamera zoomt auf die
Wunden am Bauch – „Barbed Hu-
la“ heißt das Video. Nackt ist sie
auch im Video „Dead Sea“ (Foto)
aus dem Jahr 2005.

An der Küste des Toten Meers
treffen Jordanien, palästinensische
Autonomiegebiete und Israel auf-
einander. Das ökologisch gefährde-
te Meer ist für Landau auch der Ort
einer Utopie des Miteinanders.
Derzeit arbeitet sie an der Idee
einer schwimmenden Brücke, die
die drei Anrainerstaaten verbinden
soll.
Diese Idee steckt voller Poesie,
wie die zwei Räume im Mönchs-
bergsmuseum, die wie eine Installa-
tion, fast wie stummes Theater
wirken: Schuhe, Fischernetze, über-
zogen mit Salz wie Artefakte einer
verschwundenen Zivilisation. Dane-
ben Gebilde aus Stacheldraht, de-
nen das Salz jede Schärfe, jede Ge-
walt nimmt. egbert tholl

von jakob biazza

D


ie Zahlen sagen hier ja schon
so viel. Alles fast. 120 Millio-
nen Menschen folgen Taylor
Swift auf Instagram. Knapp
85 Millionen sind es auf Twit-
ter – 20 Millionen mehr als bei Donald
Trump, und man sollte sich das von hier
an dringend sehr buchstäblich als Macht
vorstellen. Wenn die 29-Jährige etwas
sagt oder postet, hat das Gewicht, was na-
türlich ein Euphemismus ist. Gewicht ha-
ben Leitartikel. Swifts Follower-Zahlen
grenzen an demokratische Legitimation.
Man versteht das Phänomen hinter ihr
nicht, wenn man das nicht bei allem im
Hinterkopf hat.
Die Sache mit solchen Irrwitz-Superlati-
ven ist schließlich die: Man versammelt,
wenigstens im Pop, nicht das Äquivalent
eines ziemlich großen Landes hinter sich,
wenn man sich zu früh zu eindeutig
äußert, und Swift hat das sehr früh sehr
viel besser verstanden als quasi jeder
sonst. Deshalb blieb sie ungreifbar. Oder
genauer: Sie wurde für fast jeden ein biss-
chen greifbar – und damit eben für nie-
manden wirklich.
Man kann sich ihre Karriere ein biss-
chen wie ein Aktien-Portfolio vorstellen:
Jedes Album, jeder Karriereschritt, jede
optische Verwandlung addierte einen wei-
teren Posten. Erst viel Country-Sweet-
heart mit Nashville-Glaubwürdigkeit.
Dann etwas mehr Pop-Queen-Attitüde.
Dann noch etwas mehr. In Summe also:
viel Mädchen von nebenan. Aber doch im-

mer auch mit der leicht schnippischen Dis-
tanz der Kunstfigur.
Zuletzt war dann alles ästhetisch noch
etwas düsterer geworden. Eine Spur von
Zynismus und Selbstzerfleischung hatte
sich ins Werk geschlichen. Das war unge-
fähr zu jener Zeit, als der damals noch
mehr als Künstler und weniger als Dauer-
provokateur relevante Kanye West als letz-
te Eskalationsstufe einer längeren Fehde
über Swift rappte, er habe „that bitch“
überhaupt erst „famous“ gemacht. Und
dann ergänzte, er sei aber überzeugt, dass
sie beide trotz der Querelen irgendwann
noch Sex haben könnten.

Und man muss sagen, dass der Pop-
Gott in solchen Dingen ja manchmal doch
fair ist: West ging aus dem Zweikampf je-
denfalls als der Halb-Irre heraus, für den
ihn aktuell ungefähr eine Hälfte der Welt
hält. Swift als eine Art Empowerment-Iko-
ne (wahrscheinlich für dieselbe Hälfte).
Wie es bei einem stabilen Fonds eben
läuft: Schwächelte ein Bereich, fängt ein
anderer die Verluste auf. Was bleibt, ist ste-
tes Wachstum.
Oder noch mal in Zahlen: Mit 25 Jahren
hatte Swift sieben Grammys gewonnen.
Niemand schaffte das bislang so früh.
Schon im Jahr 2010 hielt dieTimessie für
eine der 100 einflussreichsten Personen
des Jahres. 2016 veröffentlichte das US-

MagazinForbesseine Liste der 100 bestver-
dienenden Prominenten, in der neben Mu-
sikern auch Sportler, Schriftsteller und
Schauspieler geführt werden. Platz eins:
exakt. Geschätztes Vorsteuereinkommen:
170 Millionen US-Dollar. 26 war sie da. Ein
Star für alle. Und da ist schon das Problem.
Wer sich nie positioniert, droht in einer
Welt, in der der politische Lagerkampf die
bestimmende Seuche ist, in die Risse zu
plumpsen, die in der Gesellschaft immer
größer und tiefer reißen. Heißt hier: Die
Alt-Right-Bewegung, die radikale Rechte
in den USA, versuchte irgendwann, sie als
eine der ihren auszugeben. Sie wider-
sprach dem. Genug jedenfalls, um für libe-
rale Fans hörbar zu bleiben. Aber für
Trump-Anhänger eben auch noch.
Das wäre dann etwa der aktuelle Stand.
Wer auf ewig ungreifbar bleibt, der ent-
gleitet aber auch leicht. Die große Frage
zum neuen Album war also: Positioniert
sie sich? Bekommt man Swift endlich zu
fassen?
Die verkürzte Antwort darauf lautet:
Nein. Dafür ist „Lover“ – anders als die Vor-
ab-Singles hatten vermuten lassen – zu
kalkuliert. Und seltsam vorsichtig. Es ver-
sucht doch noch sehr, alles, was man an
der Sängerin mögen kann, auch zu bedie-
nen: Country („Soon You’ll Get Better“, mit
den wunderbarenDixie Chicks), Karamell-
Pop („I Think He Knows“, „Cruel Sum-
mer“), balladiges Schwelgen („Lover“),
Empowerment („The Man“), latent unge-
sunde Überreflektion („Afterglow“).
18Songs braucht Swift dafür, und das ist –
wenn man denn in Alben denkt, viel zu

lang, streckenweise also himmelschrei-
end fad. Und immer wieder erstaunlich ba-
nal (man höre stellvertretend das sogar
musikalisch steinblöde „Paper Rings“).
Andererseits: Wer denkt heute schon
noch in Alben? Im Streaming-Zeitalter, in
dem jeder Song einzeln erfasst wird und je-
der Click auf Chartplatzierungen einzahlt,
ist es klug, viel für viele anzubieten.
Außerdem setzt das Album doch auch
ein paar grandiose Wirkungstreffer: Die
Single „You Need to Calm Down“ etwa fei-
ert im dazugehörigen Video nicht nur die
wunderbar schwulste Teeparty des Jah-
res, sondern enthält auch die weithin groß-
artige Aufforderung an alle Twitter-Kra-
keeler, dem Drang zu widerstehen, wegen
allem herumzubrüllen, das sie hassen:
„Cause shade never made anybody less
gay“ – niemand sei schließlich weniger ho-
mosexuell geworden, weil er sich im Dun-
keln versteckt.
Die bessere Antwort auf die Frage nach
der Positionierung Swifts lautet also wohl:
Doch, da ist etwas. Ein inbrünstiger, von je-
der Ironie befreiter Kampf für die Liebe.
Und damit gegen vieles, was sie vergiftet:
geifernde Internet-Trolle etwa, Feindlich-
keit gegenüber der LGBTQ-Community,
bigotte und sexistische Doppelstandards
und die Ablehnung alles Fremden. In Zei-
ten, in denen mit Hass Politik gemacht
wird, taugt das ja schon fast zum politi-
schen Statement. In Zeiten, in denen ein
US-Präsident für alles steht, wogegen
Swift ansingt, könnte man beinahe von
Widerstand sprechen – wenn man ihr
gewogen ist.

Wer auf ewig
ungreifbar bleibt,
der entgleitet aber auch leicht

Das große Knabbern


Vater, Tochter und sehr viele Alligatoren:


der ausgezeichnete Horrorfilm „Crawl“


Nach all den Horrorparodien
der letzten Jahre gibt der Film
dem Genre seinen Thrill zurück

VIER FAVORITEN DER WOCHE


Raus aus dem Schatten


Taylor Swift, die wohl einflussreichste Sängerin dieser Tage, bezieht endlich Position:


Für die Liebe zwar nur, aber in Zeiten des Hasses ist das ja fast ein politisches Statement


„Ein Großer“, sagt der Vater fast
schon lakonisch, und so ist es:
Riesenzähne, Riesentier

16 FEUILLETON HF2 Samstag/Sonntag, 24./25.August 2019, Nr. 195 DEFGH


Pianist Jan Lisiecki mit Beethoven


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Marcel Prousts Frühwerk


Everybody’sDarling? Superpopstar Taylor Swift macht es irgendwie allen recht. FOTO: KRISTIN CALLAHAN/ACE PICTURES

FOTO: STUDIO SIGALIT LANDAU

FOTO: HULTON ARCHIVE/GETTY IMAGES

FOTO: DG

Kummer Sigalit Landau in Salzburg


Haley (Kaya Scodelario) ist eine geübte Schwimmerin. Was bei der Flucht vor Alliga-
toren von Vorteil ist, wie sich bald zeigen wird. FOTO: PARAMOUNT

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