Der Tagesspiegel - 24.08.2019

(Nora) #1

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Lange waren deutsche Unternehmen
skeptisch, wenn es darum ging, Daten
und Programme in fremde Rechenzen-
tren auszulagern. Doch das hat sich deut-
lich geändert: Nach einer Untersuchung
des Digitalverbandes Bitkom und der Be-
ratung KPMG nutzten im Vorjahr schon
73Prozentder Unternehmen Cloud Com-
puting, also Datenspeicher und Rechen-
leistung über das Internet.
Profiteure davon sind vor allem Ama-
zon und Microsoft. Für die US-Konzerne
gehört das Cloudgeschäft zu den großen
Wachstumstreibern. Von den Videos des
Streamingdienstes Netflix bis zu den Bil-
dern des Nasa-Marsrovers „Curiosity“
werden riesige Datenmengen auf den
Rechnern von Amazon Web Services
(AWS) gespeichert. Und nicht nur das:
Amazon bietet zahlreiche Werkzeuge,
umdie Datendann auch gleichauszuwer-
ten. So nutzt die Dating-App Tinder Bild-
erkennungstools von AWS, analysiert, ob
Fotos beispielsweise am Strand oder in
einer Bar aufgenommen wurden, und
nutzt diese Informationen, um andere
Personen zu finden, die passen könnten.
Auch zahlreiche große deutsche Unter-
nehmen verwenden die US-Cloud-
dienste. „Inzwischen setzen etwa 80 Pro-
zent der Dax30-Konzerne AWS ein“, sagt
Werner Vogels, Technikchef und Kopf
hinter Amazons Cloudgeschäft. So ist
Volkswagen derzeit dabei, die Daten aller
Maschinen, Anlagen und Systeme aus
weltweit allen 122 Fabriken in einer „In-
dustrie-Cloud“bei Amazonzusammenzu-
führen. Gemeinsam mit Microsoft baut
VW parallel eine „Automotive-Cloud“, in
der künftig die Daten der Fahrzeuge
selbst liegen und verarbeitet werden sol-
len.
Auch das ist typisch, dass Unterneh-
men nicht nur auf einen Anbieter setzen.
„Viele Kunden nutzen verschiedene
Cloudplattformen – auch strategisch, um
dieRisiken zu großer Abhängigkeit zu re-
duzieren“, sagt Frank Strecker, der für
das Cloudgeschäft bei der Telekomtoch-
ter T-Systems verantwortlich ist. Aller-
dings ist das nur in Grenzen möglich, oft
bleibt nur die Auswahl zwischen Ama-
zon, Microsoft und Google.
DiezunehmendeAbhängigkeitvonwe-
nigen amerikanischen Cloudanbietern
sorgt inzwischen die deutsche Politik.
Ein wichtiger Punkt war dabei die De-
batte um die Speicherung der Aufnah-
men von Polizeikameras bei AWS. Der
Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich
Kelber hattedas scharfkritisiert.DasPro-
blem: Es gab zum Zeitpunkt der Entschei-
dung gar keinen deutschen Anbieter, der
die nötigen Sicherheitsauflagen erfüllen
konnte.
Daher wird vor allem im Wirtschafts-
ministerium intensiv das Projekt einer al-
ternativen europäischenDateninfrastruk-
tur vorangetrieben. „DieFrage derDaten-
souveränität ist für unsere Wettbewerbs-
fähigkeit von entscheidender Bedeu-
tung“,sagt Bundeswirtschaftsminister Pe-
ter Altmaier.
„Gaia-X“ lautet der Codename des Pro-
jekts, wie die „FAZ“ am Freitag unter Be-
rufung auf ein internes Papier des Minis-
teriums berichtet hat. Dort weiß man
aber auch, dass es kaum möglich ist, eine
europäischeKopiedergroßen US-Cloud-
plattformen,der sogenannten„Hypersca-
ler“, aus dem Boden zu stampfen.
Auch die Deutsche Telekom versteht
ihre eigene Open Telekom Cloud nicht
als direkten Konkurrenten zu AWS &
Co., sondern eher alsErgänzung.DasUn-
ternehmen kooperiert daher auch mit

den US-Cloudanbietern und hilft als
Dienstleister seinen Kunden beim Daten-
management auf verschiedenen Plattfor-
men. Das eigene Cloudangebot der Tele-
kom legte zuletzt mit einer dreistelligen
Wachstumsrate zu. Doch beim Ausbau
stößt der Konzern schnell an Grenzen.
„Der größte limitierende Faktor ist das
Personal“, sagt Strecker. „Es gibt zu we-
nig qualifizierte Leute, die komplexe
Cloudumgebungen aufsetzen und mana-
gen können.“
Das dürfte auch für das Gaia-X-Projekt
eine Herausforderung werden. Die Idee
dahinter ist, einen „virtuellen Hypersca-
ler“ aufzubauen. Also ein Netzwerk aus
verschiedenen kleineren Cloudanbie-
tern, die ihre Kapazitäten bündeln. Für
das Netzwerk soll eine eigene Organisa-
tion gegründet werden, mit der die Kun-
den dann auch Verträge abschließen. Die
Bundesregierung und die öffentliche
Hand sollen dabei selbst einer der gro-
ßen Kunden werden. „Eine starke Nach-
frage durch die öffentliche Hand kann

der europäischen Cloud zu der notwen-
digen Größe und Skalierbarkeit verhel-
fen“, erklärt die Deutsche Telekom zu
den Plänen.
Mögliche Partner sind neben der Tele-
kom auch SAP, Software AG, Bosch, Sie-
mens und andere Unternehmen, die in
der Plattform Industrie 4.0 organisiert
sind. Womöglich in der kommenden Wo-
che sollen dazu schon abschließende Ge-
spräche geführt werden, der nächste Ter-
min ist für Dienstag anberaumt.
Zu Details und der Frage, wie das Pro-
jekt finanziell unterstützt werden soll,
wollte sich das Ministerium gegenüber
dem Tagesspiegel nicht äußern, erklärte
aber: „Wir sind zuversichtlich, in den
nächsten TagenhierzunähereSchrittebe-
kannt geben zu können.“
Ein zentraler Punkt bei Gaia-X wird
auch sein, dass Unternehmen ihre Daten
dort nicht nur sicher speichern, sondern
auch austauschen und analysieren kön-
nen. Denn Altmaiers Vision einer euro-
päischen Cloud ist es, einen „Datenpool
für künstliche Intelligenz (KI)“ zu schaf-
fen. Denn entscheidend für die selbst ler-
nenden KI-Systeme sind große Daten-
mengen, doch da können viele Mittel-
ständler nicht mithalten. Altmaier ver-
gleicht deren Datenbestände gerne mit
Teichen –würdemandiese aber miteinan-
der verbinden, entstünde ein virtueller
Datenozean. Oliver Voss

D


urch die vielen Aufträge kann
Sven Schubert nicht immer vor
Ort sein – muss er aber auch nicht.
Dennper Webcam verfolgt der Steinmetz
die Baustellen live mit und betreut paral-
lel andere Arbeiten im Betrieb. Schubert
beobachtete beispielsweise von Dresden
aus, wie die mehr als tausend handgefer-
tigten Elemente aus Stein zur Fassade des
Berliner Stadtschlosses zusammenge-
setzt wurden. Seine Firma trug in den
letzten Jahren einen Großteil zur Rekon-
struktion des Bauwerks bei.
Dass sich in Sachen Digitalisierung
auch im Handwerk einiges verändert,
kann man im Steinmetzbetrieb von Schu-
bert gut beobachten. Eigentlich wollte er
Künstler werden, als er seinen Betrieb
1990 auf einem Hinterhof in Dresden
gründete. Heute hat der Steinbildhauer je
nach Auftragslage 20 bis 25 Mitarbeiter
unter Vertrag, die mit einem modernen
Maschinenpark arbeiten.
Angefangen hat alles mit einer compu-
tergesteuerten Brückensäge, die ihm das
Schneiden von Sandstein und Granit er-
leichterte. Hinzukamen eineSäulendreh-
maschine für Balustraden und eine CNC-
Maschine, die mit-
hilfe moderner
Steuerungstechnik
inderLage ist, Werk-
stücke präzise und
automatisch herzu-
stellen. Statt um-
ständlich Schablo-
nen einzuspannen,
werden die Anwei-
sungen einfach pro-
grammiert. Schu-
bert investierte im-
mer mehr in digitale Technik, wodurch
erein zunehmendgrößeresAuftragsvolu-
men abarbeiten konnte.
DieVollendung einesObjekts aus Sand-
stein, Marmor oder anderen Naturstei-
nen ist für Schubert der schönste Mo-
ment seiner Arbeit. Doch die Vorberei-
tung der Steine, das grobe Fräsen, ist kör-
perlich anstrengend und kräftezehrend.
Deshalb übernehmen mittlerweile zwei
Roboter dieseAufgabe.„EinarmigeBandi-
ten“ nennt Schubert seine digitalen Hel-
fer. Die mannshohen Roboter greifen
sich Blöcke, fräsen, schleifen und sägen,
bis der Stein Gestalt annimmt.
Am Computer werden Rekonstrukti-
onspläneentwickelt, 3-D-Kopien desOri-
ginals erstellt und die Daten an die Robo-
ter übermittelt. Vor allem wenn es umdie
Herstellung von Prototypen im Bereich
der Restaurierung oder Denkmalpflege
geht, spart die Technik Zeit und schont
die Gesundheit. Schubert und seine Mit-
arbeiter haben so mehr Raum für ihr
künstlerisches Handwerk. Denn die Fein-
arbeit bleibt Aufgabe der Steinmetze und
Bildhauer: „Kreativ ist der Mensch, die
Maschine übernimmt den schweißtrei-
benden Teil“, sagt Schubert. Schätzungs-
weise rund ein Drittel der Steinmetzbe-
triebe sind mit moderner Computertech-
nikausgestattet, heißtes beim Bundesver-
band Deutscher Steinmetze.
Viele Handwerksberufe sind nach wie
vor klassisch geprägt. Doch immer mehr
Arbeitsprozesse lassen sich durch die Di-
gitalisierung vereinfachen und verkür-
zen. Und viele Gewerke nutzen die Chan-
cen: Dachdecker nehmen eine erste In-
spektion des Daches mit Drohnen vor,
Smart Homes werden von Elektrotechni-
kern nicht nur installiert, sondern auch
ferngewartet, SattlereienvermessenPfer-
derücken per 3-D-Scanner, Tischlereien
visualisieren ihre Produkte mit Virtual-
Reality-Brillen und Fleischereien benut-
zen Social Media als virtuellen Verkaufs-
tresen. Zudem können auch die Kunden-


beziehungen verbessert werden, etwa in-
demman Kundeninformationen inDaten-
banken speichert und auswertet oder
durch eine eigene Webseite neue Kunden
generiert. Auswertungen des Zentralver-
bands des Deutschen Handwerks zeigen:
Gut ein Viertel der Betriebe hat konkrete
Digitalisierungsmaßnahmen umgesetzt.
Im vergangenen Jahr erhielten 45 Pro-
zentder befragtenHandwerksbetriebe ei-
nen Mehrwert aus Maßnahmen der Digi-
talisierung. Der Nutzen übertraf also die
Kosten. Zu diesem Ergebnis kommt eine
im Auftrag der Deutschen Telekom er-
stellte Studie über das Handwerk. Insge-
samt wurden knapp 2500 kleine und mit-
telständische Unternehmen befragt. Das
Ergebnis: Der Digitalisierungsindex des
Handwerks liegt im vergangen Jahr mit
56 Punkten leicht über dem Durch-
schnitt aller Branchen aus dem Mittel-

stand. Vorallem Banken undVersicherun-
gen erzielten einen hohen Digitalisie-
rungsgrad, wohingegen das Baugewerbe
und der Handel unter dem Durchschnitt
von 55 Indexpunkten liegen. Um diesen
Index zu ermitteln, wurden die Bereiche
Kundenbeziehungen und Services, digi-
tale Geschäftsmodelle, IT-Sicherheit und
Datenschutz sowie Produktivität im Un-
ternehmen analysiert. 100 Punkte würde
ein Unternehmen erreichen, „wenn es
sämtlichen digitalen Handlungsfeldern
die höchste Relevanz zuordnen würde
unddabeimaximalzufrieden mitderUm-
setzung wäre“.
Die traditionelle Handwerksbranche
schöpftdiePotenziale derDigitalisierung
zwar noch nicht voll aus, befindet sich
aber mitten im Wandel, so das Fazit der
Studie. Demnach finden sich auch immer
mehr auf bestimmte Segmente speziali-

sierte Vermittlungsplattformen auf dem
Markt. Aktuell arbeiten 22 Prozent der
Handwerker mitsolchen Start-ups zusam-
men. Weitere 29 Prozent planen eine Ko-
operation, ummit digitalen Geschäftsmo-
dellen wettbewerbsfähig zu bleiben.
Dergrößte deutscheVermittlerfür Pro-
dukte und Dienstleistungen rund ums Ei-
genheim ist das Berliner Start-up
„Aroundhome“. Das Portal bringt On-
line-Kundenmit „Offline-Firmen“ zusam-
men und hat bereits zehn Jahre Erfahrung
am Markt. Auf der Webseite beschreiben
Kunden ihre Wünsche und erhalten an-
schließend eine Empfehlung für regio-
nale Fachfirmen, die zum jeweiligen Pro-
jekt passen. Rund 12000 Handwerksbe-
triebe aus ganz Deutschland sind nach ei-
genen Angaben bei Aroundhome regis-
triert. Im Moment bietet die Plattform
vor allem ein Netzwerk für neu gegrün-
dete Betriebe. „Bezüglich der Saisonali-
tät wollen wir versuchen zu glätten, in-
dem wir Aufträge in schlecht gebuchten
Zeiten haben“, sagt der Gründer Robin
Behlau. 2018 wurden 1,8 Millionen An-
fragen vermittelt. Unter den 30 „Produk-
ten“ der Berliner Plattform bestehe aktu-
ell vor allem große Nachfrage für hand-
werkliche Leistungen in den Bereichen
Küche, Fassadendämmung, Heizung und
Solaranlagen, erzählt Behlau.
Doch warum ist ein Großteil der Bran-
che noch nicht ausreichend digitalisiert?
Behlau meint, dass es vielen Handwerks-
betrieben einfach zu kompliziert sei. Das
Know-how fehle, zudem bestehe eine
große Unsicherheit in puncto Cybersi-
cherheit, bestätigt Stephan Blank vom
Kompetenzzentrum Digitales Handwerk.
Hinzu komme die gute Auftragslage in
vielen Gewerken. Doch beide sind sich
einig, dass dieDigitalisierung eine immer
wichtigere Rolle spielen wird: „Irgend-
wann wird der Punkt kommen, da müs-
sen Handwerker online sichtbar sein, um
Kunden zu gewinnen“, sagt Behlau.

Wirtschaftsminister Altmaier sorgt sich um
die Datensouveränität. Foto: Imago

Der Dresdner Ralf Knie legt letzte Hand an. Die Feinarbeit bleibt Aufgabe der Steinmetze und Bildhauer. Am Computer werden Rekon-
struktionspläne entwickelt, 3-D-Kopien des Originals erstellt und die Daten an die Roboter übermittelt.

Roboter greifen sich Blöcke, fräsen, schleifen und sägen, bis der Stein Gestalt annimmt.
Mit digitalisierten Prozessen kann Sven Schubert mehr Aufträge abwickeln. Fotos: promo(3)

Das


Handwerk


insgesamt


schöpft die


Potenziale


nicht aus


SONNABEND, 24. AUGUST 2019 / NR. 23 924 DIGITAL DER TAGESSPIEGEL 19


Altmaiers Traum


vom Datenozean


Die Pläne des Bundeswirtschaftsministers zu einer


europäischen Cloud nehmen konkrete Formen an


Von Sarah Birkhäuser

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Maschinen übernehmen die schwere Arbeit der Steinmetze. Ein Viertel der Handwerksbetriebe ist digital


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Campus Benjamin Franklin,
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Erwin Rüddel, MdB
Vorsitzender des Ausschusses für
Gesundheit, Deutscher Bundestag

Prof. Dr. Ulrich Thiem
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© Albertinen-Krankenhaus / Albertinen | Charité | Bethel | Dieter Klaas, photoklaas | Annette Koroll
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