Der Tagesspiegel - 24.08.2019

(Nora) #1
Berlin- Er soll doch der Nachfolger von
Usain Bolt werden, der Sprinterlegende.
Aber für Christian Coleman beginnen
Tage des Zitterns. Wie britische Medien
berichteten, soll der US-Amerikaner in-
nerhalb von einem Jahr drei Dopingtests
versäumt haben. Sollten sich die Meldun-
gen bestätigen, drohtColeman eine zwei-
jährige Sperre. Er würde die Leichtathle-
tik-Weltmeisterschaften in diesem Jahr in
Doha sowie die Olympischen Spiele im
nächsten Jahr in Tokio verpassen. Doch
so weit ist es noch nicht. Es gibt noch
keine Bestätigung dafür. Weder vom In-
ternationalen Leichtathletik-Verband
(IAAF) noch von der US-amerikanischen
Anti-Doping-Agentur (Usada), die sich
auch auf Tagesspiegel-Anfrage bisher
nicht zu dem Vorwurf äußern wollte.
Colemans Anwälte bestreiten die Vor-
würfe. Tatsächlich sind verpasste Trai-
ningskontrollen in der Welt des Spitzen-
sports gang und
gäbe. Es muss nicht
bei jedem Versäum-
nis gleich ein Do-
pingfall vorliegen.
Die Athleten sind
verpflichtet, für je-
den Tag ihren Auf-
enthaltsort anzuge-
ben. Doch im Leben
gibt esUnwägbarkei-
ten, Termine oder
Ereignisse, die kurz-
fristig dazwischen-
kommen. Ein Punkt ist sicher auch, dass
die Sportler genervt sind von der totalen
Kontrolle der Dopingaufseher und diese
hin und wieder bewusst im Unklaren
über ihren Standort lassen. Wie es im Fall
von Christian Coleman ist, muss sich
noch herausstellen. Eine Sperre würde
die Leichtathletik schwer treffen, auch
wenn damit noch kein konkreter Doping-
fall belegt wäre.
Es gibt keinen anderen Sprinter derzeit
auf der Welt, der nur annähernd so be-
schleunigen kann wie Christian Cole-
man. Der 23-Jährige ist ein Naturereignis
im Sprint. Sein explosiver Start erinnert
an den einstigen Weltrekord- und Skan-
dalläufer Ben Johnson. Coleman gewann
in der vergangenen Saison die Dia-
mond-League-Serie, zudem stellte er ei-
nen neuen Weltrekord über 60 Meter in
6,34 Sekunden auf. In diesem Jahr läuft

es ähnlich. Coleman gewinnt fast alle
wichtigen Rennen und mit einer Zeit von
9,81 Sekunden, erzielt in Palo Alto
(USA) Ende Juni, führt er auch die Welt-
jahresbestenliste an. Er ist derzeit der un-
umstrittene König über die 100 Meter,
der große Favorit auch auf den Sieg bei
den Weltmeisterschaften in diesem
Herbstin Doha – vorausgesetzt natürlich,
er ist startberechtigt.

Zuletztwollte eram vergangenen Sonn-
tag beim Meeting in Birmingham an den
Start gehen, sagte aber zwei Tage vorher
wegen „Komplikationen nach dem Trai-
ning“ ab. Zuvor hatte er höchstens damit
ein Problem, dass er der schnellste Mann
nach der Sprinterlegende Bolt ist. Bolt
war über zehn Jahre die Überfigur in der
Leichtathletik. Er pulverisierte die Welt-
rekorde über 100 und 200 Meter. Der

1,96 Meter große Athlet rannte Zeiten,
die kaum jemand für möglich gehalten
hatte. Zudem war Bolt eine Rampensau.
Ermachte schoneine gute Show, bevor er
auf der Bahn loslegte. Wegen Bolt wur-
den in der Leichtathletik die Stadien voll
und wegen ihm schalteten Millionen die
Fernseher ein.
Coleman konnte bislang bei weitem
nicht einen solchen Hype entfachen. Er

gewann ein Rennen nach dem anderen
und am Ende kam doch wieder die Frage,
ob er seinem Vorgänger Bolt nacheifere.
„Ich will nicht Usain Bolt sein“, sagte er
vor wenigen Wochen einem Reporter der
britischen „Sun“. „Ich will überhaupt nie-
mandanderes sein. Ich will die beste Ver-
sion von Christian Coleman sein.“
Coleman ist ein stiller, zurückhalten-
der Mann mit einem Wahnsinns-Antritt,
aber nicht unbedingt mit der Verhei-
ßung, dass er irgendwann einmal an die
bestenZeitenvon Bolt herankommt. Des-
sen Weltrekord liegt über 100 Meter bei
9,58 Sekunden, gelaufen bei den Leicht-
athletikweltmeisterschaften 2009 in Ber-
lin. Colemans Bestleistung sind die 9,79
aus dem vergangenen Jahr in Brüssel. Es
fehlt also noch ordentlich was zur Le-
gende. Auf der anderen Seite: Coleman
ist erst 23 Jahre alt. „Ich glaube nicht,
dass ich schon auf dem Höhepunkt bin“,
sagt er. „Ich habe noch ein paar Jahre vor
mir, um besser zu werden.“ Nun also
kann es sein, dass der neue Überflieger
im Sprint erst einmal raus ist aus dem
Rennen.
Der 100-Meter-Sprint hat dabei eine
ausgesprochen belastete Vergangenheit.
Immerwieder war eszu prominenten Do-
pingfällen gekommen. Ben Johnson, Lin-
ford Christie, Justin Gatlin, Tyson Gay
oder Asafa Powell und Nesta Carter, um
nur wenige zu nennen – sie alle sprinte-
ten mit Substanzen im Blut, die sie nicht
im Blut haben durften. Auch um Usain
Bolt gab es Gerüchte. Das lag in der Na-
tur der Sache. Denn warum also sollte
derAllerschnellstesaubersein?Zumalet-
licheBerichte vorlagen überdie laxenDo-
pingkontrollen in Bolts Heimatland Ja-
maika.
Der Name Christian Coleman fiel in
diesem Zusammenhang so gut wie nie. Er
galt als Saubermann, als Athlet einer
neuen, sauberen Generation im Sprint.
Als er vor zwei Jahren bei den Weltmeis-
terschaften in London am Start stand,
wurde er laut bejubelt. Sein Landsmann,
der bereits wegen Dopings gesperrte Jus-
tin Gatlin, wurde dagegen vom Londoner
Publikum gnadenlos ausgebuht. Gatlin
gewann das Rennen trotzdem. Auch in
diesem Jahr in Doha könnten nach dem
100-Meter-Sprint die Pfiffe den Jubel
übertönen. Denn wer weiß, sollte Cole-
man nicht teilnehmen, reißt im Ziel viel-
leicht erneut der alte Buhmann Gatlin die
Hände nach oben.

RADSPORT
Kittel beendet Karriere
Marcel Kittel hat seine Karriere beendet.
Der 31-Jährige begründete dies in der ak-
tuellen Ausgabe des „Spiegels“ mit Moti-
vationsproblemen. Kittel feierte insge-
samt 89 Profisiege, darunter 14 Tageser-
folge bei der Tour de France. dpa

PFERDESPORT
Silber für deutsche Springreiter
Diedeutschen Springreiterhaben beiden
Europameisterschaften in Rotterdam
Gold nur knapp verpasst. Weltmeisterin
Simone Blum mit Alice kassierte in der
insgesamt dritten Runde der EM erstmals
vierStrafpunkte, doch ihre Teamkollegen
Marcus Ehning (mit Comme Il Faut), Da-
niel Deußer (Tobago) und Christian Ahl-
mann (Clintrexo) sicherten noch Silber.
Europameister wurde Belgien, Bronze
holte Großbritannien. dpa

HOCKEY
Deutsche Frauen im Finale
Die deutschen Frauen haben das Finale
der Europameisterschaft in Antwerpen
erreicht. Durch eine in letzter Minute
von Nike Lorenz verwandelte Strafecke
setzte sich das Team mit 3:2 (1:1) gegen
Spanien durch. ImFinaletreffen die Deut-
schen auf Holland, das 8:0 gegen England
gewonnen hatte. dpa

FUSSBALL
Renato Sanches von Bayern zu Lille
Renato Sanches wechselt vom FC Bayern
MünchenzumfranzösischenVizemeister
OSCLille.DieAblösefürdenPortugiesen
soll20Millionen Euro betragen. dpa

Union hat einen Tag mehr Pause
Der 1. FC Union hat vor dem Berliner
Derby in der Bundesliga am ersten No-
vemberwochenende einen Tag mehr
Pause als Hertha BSC. Während der Auf-
steiger schon am Dienstag, 29. Oktober,
in der zweiten Runde des DFB-Pokals
beim SC Freiburg spielt (18.30 Uhr), tritt
Hertha erst am Mittwoch (20.45 Uhr) ge-
gen Dynamo Dresden an. Ts p

VOLLEYBALL
Deutschland siegt beim EM-Auftakt
Die deutschen Frauen haben ihren EM-
Auftakt gewonnen. Gegen die Schweiz
setzte sich das Team souverän mit 3:0
(25:16, 25:19, 25:21) durch. dpa

Eurosport.18.50 Radsport: Vuelta a España,


  1. Etappe (auch beiDazn).
    Sport1.17.25 Volleyball. EM der Frauen: Deutsch-
    land - Spanien.
    Sat1.13.00 Motorsport. DTM vom Lausitzring.


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Berlin- Es ist noch nicht ganz 15.30
Uhr, als Johannes Thiemann sagt: „Jetzt
geht’s dann bald auch wieder ins Bett.“
Nein,derBasketballprofivonAlbaBer-
linhatsichnichtinderUhrzeitvertanund
leidetauchnichtunterakutenMüdigkeits-
schüben. Thiemann befindet sich seit
Donnerstag in Tokio, und dort ist der Tag
schon sieben Stunden weiter. In Ostasien
akklimatisiert er sich mit dem National-
teamfürdieWMinChina.Am1.Septem-
ber steht das Auftaktspiel gegen Frank-
reichan.Es wird alsolangsamernst.
DasgiltbesondersfürThiemann.Denn
derzähltzudenSpielern,diesichnichtsi-
cher sein können, dass sie zum Turnier-
start tatsächlich zum Team gehören. Am
Samstag will Bundestrainer Henrik Rödl
bekanntgeben, wen er als letzten Spieler
noch aus dem Aufgebot streicht. Und die
Konkurrenz im Kader ist groß, besonders
aufThiemannsPosition unterdem Korb.
Der 25-Jährige sieht die Situation des-
halb realistisch: „Mir war von vornherein
bewusst, dass ich nicht zur National-
mannschaft komme und da meine 20, 25
Minuten spiele“, sagt er. Schafft Thie-
mann den Sprung in den Kader, wäre er
dort neben dem gesetzten Niels Giffey
der zweite Spieler von Alba Berlin. Auch
aus der Ferne verfolgen beide, was bei ih-
rem Klub so los ist. „Wir quatschen viel,
auch über die Saison, die neuen Spieler,
die Vorbereitung“, erzählt Thiemann.
Der Fokus gilt nun jedoch dem Natio-
nalteam. „Wir haben jetzt alle langsam
richtig Bock auf die WM“, sagt Thie-
mann. Alle fünf bisherigen Vorberei-
tungsspiele gewannen er und seine Kolle-
gen, zuletztam Freitag89:70 gegenTune-
sien. Die ganz großen Gegner haben die
Spieler dabei aber noch nicht gesehen.
Johannes Thiemann hat damit keine
Probleme: „Ich glaube, es ist gut, wie wir
das aufgebaut haben“, lobt er den Plan,
das Niveau der Testspielgegner nach und
nach anzuheben. Der größte Brocken der
Vorbereitung wartet am kommenden
Mittwoch mit Australien. „Da werden
wir sehen, wo wir letztendlich stehen“,
sagt Thiemann. Ob er dann noch dabei
sein darf, entscheidet sich bereits an die-
sem Wochenende. Leonard Brandbeck


Katastrophe statt Naturereignis


Christian Coleman ist derzeit der schnellste Mann der Welt. Doch nun droht dem US-Sprinter eine Sperre


Berlin- Christina Obergföll kann auf
eineerfolgreicheKarriere zurückblicken.
Bei der WM 2013 holte die Speerwerfe-
rin die Goldmedaille, zwei weitere Male
gewann sie Silber. Außerdem gab es da
noch diesen dritten Platzbei den Olympi-
schen Spielen 2008 in Peking. Vor ihr la-
gen lediglich die tschechische Siegerin
Barbora Spotakowa und Marija Abaku-
mowa aus Russland. Bis das Internatio-
nale Olympische Komitee (IOC) vor drei
Jahren einige der Blut- und Urinproben
erneut untersuchte.
Das Ergebnis: Die zweitplatzierte Aba-
kumowa hatte gedopt. Am Samstag er-
hält Obergföll deshalb nun nachträglich
die Silbermedaille – für ein Ereignis, das
elf Jahre zurücklieg. „Naürlich freue ich
mich über die Auszeichnung“, sagte sie
dem Tagesspiegel. „Aber für echte
Freude ist tatsächlich schon zu viel Zeit
vergangen. Eine wirklich Genugtuung
gibt mir das nicht. Das sind nun mal die
zwei Seiten der Medaille.“ Obergföll
hatte ihre Karriere nach dem Istaf 2016
beendet.
Im Organismus der disqualifizierten
AbakumowawurdeimNachhinein Dehy-
drochlormethyltestosteron nachgewie-
sen – ein starkes Anabolikum, das den
Muskelaufbaufördert.Die Nebenwirkun-
gen sind teilweise verheerend, insbeson-
dere wenn das Mittel regelmäßig genom-
men wird. In DDR-Leistungszentren
wurde die Substanz ab Mitte der 70er
Jahre im großenStilverabreicht–auch an
Minderjährige, bei denen das Anaboli-
kum besonders großen Schaden anrich-
tet. Als Nebenwirkungen können unter
anderem erhöhterBartwuchs,eine Vertie-

fung der Stimme sowie schwere Schädi-
gungen der Leber auftreten.
Als Konsequenz auf die anhaltenden
Dopingfälle in Russland hatten viele
Sportler gefordert, das Land von den
Olympischen Spielen 2016 in Rio de
Janeiro auszuschließen – unter anderem
auch Christina Obergföll. Das IOC rea-
giertezumindestmiteinerTeilsperre,von
den nominierten russischen Leichtathle-
tenwurdenbisaufeineAusnahmealleab-
gelehnt. Auch Athleten anderer Sportar-
ten wurden gesperrt, die Gewichtheber
beispielsweise gar komplett. Ob das Do-
ping in Russland inzwischen eingestellt
wordenist,wirdvonvielen,geradewestli-
chen Sportverbänden bezweifelt. „Ich
gehe nicht davon aus, dass sich das Pro-
blemvollständigerledigthat“,sagtOberg-
föll. „Im Sport geht es weiterhin um sehr
vielGeldundsehrvielPrestige.Einewirk-
licheSicherheit gibtesda nicht.“
Ob sie bereits damals beim Wettkampf
vermutet hatte, dass irgendwas nicht mit
rechten Dingen zugeht? „Ja, tatsächlich
schon“, sagt Obergföll: „Inzwischen
würde ich auf so einen Verdacht auch an-
ders reagieren. Man darf aber nicht ver-
gessen, dass selbstverständlich nicht alle
russischen Sportler dopen. Es wäre zu
wünschen, dass die Kontrollen so konse-
quent sind, dass die Sportlerinnen und
Sportler nicht unter Generalverdacht ge-
stellt werden. Das ist auch kein angeneh-
mes Stigma für die Beteiligten.“
Feiern wirdsie ihrennachträglichen Er-
folg aber dennoch. Im kleinen Kreis, mit
ihrem Mann und ihrem Sohn. Silber
bleibt Silber. Egal, wie die andere Seite
der Medaille aussieht. Paul Gäbler

Richtig


Bock


auf China


Albas Johannes Thiemann


träumt von der WM


Schleierhaft. Christian Coleman ist in dieser Saison schon 9,81 Sekunden über 100 Meter gelaufen. Er gilt als der legitime Nachfolger von
Usain Bolt – auch wenn er Vergleiche mit dem Jamaikaner überhaupt nicht mag. Foto: Sven Hoppe/dpa

Coleman
soll
in einem Jahr

drei
Dopingtests
versäumt
haben

Linke Tour ganz links.
Marija Abakumowa
erschummelte sich in
Peking Silber.
Christina Obergföll
ahnte da schon was,
wird aber jetzt erst offi-
ziell entschädigt.
Foto: Jens Buettner/dpa

EF FERNSEHTIPPS


22 DER TAGESSPIEGEL SPORT NR. 23 924 / SONNABEND, 24. AUGUST 2019


Von Martin Einsiedler

Zwei Seiten der Medaille


Elf Jahre nach den Spielen von Peking bekommt


Christina Obergföll Olympia-Silber verliehen


EF NACHRICHTEN


Aufruf zum


Schülerschreibwettbewerb


Der Schreibwettbewerb:Erzählt uns Eure und erzählen Sie Ihre Familiengeschichten
zu Revolution und Mauerfall, große und kleine. Schülerinnen und Schüler interviewen
Großeltern und Eltern und schreiben Mauerfall-Geschichten ihrer Familien auf.

Der Preis:Die besten Texte und Interviews werden von einer Jury ausgewählt, bei einer
Feierstunde im Abgeordnetenhaus am 8. November prämiert sowie im Tagesspiegel
digital und print veröffentlicht. Das „Theater an der Parkaue“ plant ein Theaterstück für
Jugendliche auf Basis der Texte.

Jetzt mitmachen: Wer sich als Schülerin oder Schüler, als Klasse oder Schule,
als Familie oder Freundeskreis beteiligen will, schicke seine Geschichte bitte bis Ende
September an den Tagesspiegel ([email protected]; Post: Der Tagesspiegel,
Berlin-Redaktion, 10876 Berlin) – Stichwort: „Schülerwettbewerb Mauerfall“.
Teilnehmen können alle Schülerinnen und Schüler aus Berlin und Brandenburg.

Foto : imago/

SMI

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