Der Tagesspiegel - 24.08.2019

(Nora) #1

Die Zone um Gemäldegalerie und Kunst-
gewerbemuseum gleicht aktuell einem
Trümmerfeld.Umzäunt,aufgerissen,den
WegzurPhilharmoniesuchtmanallepaar
Wochen neu. Doch halt: Mittendrin stößt
man plötzlich auf eine Oase. Freundliche
Pflanzen wachsen auf schwarzen Felsen,
die sich annähernd zum Halbkreis ord-
nen. In regelmäßigen Abständen steigt
kühlenderWasserdampfüberdemEnsem-
ble auf, das ein wenig einer fernöstlichen
Landschaftsdarstellung gleicht.
„Das dritte Land“ ist ein Kunstprojekt
vonHan Seok HyunundKim Seung Hwoe.
Einestille,alleSinneverzauberndeästhe-
tische Initiative zum Jubiläum des deut-
schenMauerfalls,diemaninAugenschein
nehmenundanfassen kann –unddieden-
noch einen utopischen Kern in sich trägt.
Dennindem„Land“,dasdiebeidenKünst-
ler am Matthäikirchplatz noch bis zum
15.November gedeihen lassen, vereint
sichdie Floravon Nord-und Südkorea.
Berlin, einst geteilt, steht für die Sehn-
sucht des koreanischen Duos nach einem
ähnlichen historischen Ereignis im eige-
nenLand.Hans undKims Künstlergarten
fungiertalstemporäresSymboleinerEini-
gung; zumindest aufbotanischerEbene.


Das sieht so einfach aus und war doch
viel Arbeit. Das gestalterische Konzept
fußt tatsächlich auf Bildern des 17. Jahr-
hunderts, in denen der Maler Jeong Seon
dieLandschaftseinerHeimatidealisierte.
Die Felsenstruktur, auf denen die jungen
botanischenEinwanderersiedeln,istdem
Baekdu-Daegan-Gebirge nachempfun-
den, dessen Bergkette sich von Koreas
Norden in den Süden zieht. Die Pflanzen-
listeschließlichhabenderBotanischeGar-
teninBerlinunddasBaekdudaeganNatio-
nal Aboretum aus Südkorea erstellt.
Knapp 50 Arten wachsen in den Bergen
desBaekdudagen,vonNord-nachSüdko-
rea verändert sich das Profil der Natur al-
lerdings beträchtlich.
In Berlin darf das Grünzeug friedlich
koexistieren. Gerahmt wird es nicht bloß
von heimischen Gewächsen. Kuratorin
Keumhwa Kimlockt mit diversen Veran-
staltungen immer wieder in „Das dritte
Land“.Sofindetam27.8.einKonzertvon
Francesco Cavalierestatt (ab 19 Uhr) ,vom


5. bis 7. 9. installiert die japanische Künst-
lerinAtushi Fukunagaeine Klanginstalla-
tionundam6.9.schreitetderKoreanerBy-
ung Chul Kimin der Performance „Früh-
lingsputz“ (ab 9 Uhr) den Weg zwischen
den Botschaften beider Koreas nach Art
buddhistischerPilgerreisenab( http://www.face-
book.com/keumprojects
).


Dschungel und Wüsten, Südsee und Ge-
birgslandschaften haben für Maler schon
immer ihre naturgewaltige Magie gehabt.
SpätestensseitderRomantikentstehenda-
raus dann zugleich Sehnsuchts- und See-
lenlandschaften. Von äußerer Weite und
innerer Verdichtung erzählen jetzt auch
Reinhard Stangls in der Galerie Sandig &
Leo unter dem Titel „Durch Amazonien“
präsentierte Gemälde und Farbgrafiken.
Der heute 69-jährige Berliner Künstler
wirddabeimit17WerkeneinerReihevon
meist kleinformatigen Bronzeplastiken
desfastgleichaltrigenBerlinerBildhauers
Michael Jastram kontrastiert. Entstanden
sindsiezwischen2008 und 2019.
Jastrams grazil feine Figuren von Men-
schen und Tieren bleiben auf angenehme
Weise eigenständig und eigensinnig,
ohne die Wandbilder direkt zu kommen-
tieren. Das gilt, selbst wenn ein Reiter
oder ein „Fährmann“ auf einem schma-
len, gebogenen Kanu auch im Amazonas-

gebiet vorstellbar sind. Wobei das Kanu
eher einer Wippe ähnelt und es bei dem
stehenden Schiffer vor allem um die Ba-
lance gehen könnte. Das bleibt in einer
reizvollen Schwebe.
Ohne direkt politisch zu wirken, fällt
einem bei Reinhard Stangls Dschungel-
und Wasserlauf-Bildern allerdings sofort
die Bedrohung eines viel größeren
Gleichgewichts ein: durch die fortschrei-
tende Rodung und die Brände im amazo-
nischen Regenwald. Spätestens seit sich
Brasiliens neuer, rechtsradikaler Präsi-
dent Bolsonaro einen Teufel schert um
die „Lunge des Planeten“, ist die ver-
meintlich grüne Hölle zugleich zum ge-
fährdeten Paradies geworden.
Stangls farbschöne, in kraftvollen,
doch nie plakativen Farbtönen gehaltene
Bilder sind die Frucht zahlreicher Brasi-
lien-Reisen des Malers, der zuletzt auch
mit Ausstellungen in Rio de Janeiro oder
Bahia Aufmerksamkeit und Sammler ge-
fundenhat. Bereitsfrüherist Stanglja mit

suggestiv arkadischen Parklandschaften
hervorgetreten–ganzimGegensatzzusei-
nen mitunter stark erotischen Paarsze-
nen, seinen die Hopper’sche Melancholie
in einen berlinisch gegenwärtigeren Ge-
stusübersetzendenBar-Bildernodereini-
genbrillantexpressivennächtlichenGroß-
stadtpanoramen.
Auch die neuen Impressionen sind voll
tropisch leuchtender Formen und Farbig-
keit, bisweilen wie von der Luftfeuchtig-
keitmitleichtemNebeldurchzogen.Dane-
ben werden einzelne aufflammende Blü-
tengleichzubuntenExplosionen.Aufden
größeren Ölbildern und einigen Arbeiten
aufPapierbehauptensichRot-,Gelb-und
Blautöne gegen die Schwärze von Holz-
stämmen und das Grün der Schlingpflan-
zen. Es ist allemal ein virtuoses Spiel von
Stimmungen, Valeurs, einbrechenden
Lichtstrahlen oder Schlagschatten in den
Bildern einer meist menschenleeren Na-
tur. Doch gerade die Abwesenheit von

PersonenmachtdieAmazonas-Ansichten
zu Projektionsflächen des Betrachters.
KeineBilder,diemansichschnellan- und
absieht. Vielmehr dringt der Blick gleich-
sam ein in den farbigen Dschungel, in die
nicht traurigen, eher stolzen Tropen, und
dann beginnt im Kopf noch ein zweites
Spiel. Man kann in den zwischen Impres-
sion und Abstraktion changierenden Na-
turformen lesen und sie in je persönliche
Fantasiegemälde verwandeln. Das ist von
hohemästhetischenReiz.
SolädtdieseitzweiJahrenvonJörgSan-
dauundDorisLeoanderEckeTucholsky-
und Auguststraße neu installierte Gale-
rie zu einer ganz eigenen Reise „Durch
Amazonien“. Mit Preisen von 500 Euro
(für Lithografien) und 2200 bis 11000
Euro für die Ölgemälde von Stangl so-
wie 2200 bis 16000 Euro für Jastrams
Bronzeskulpturen. Peter von Becker

— Sandau & Leo Galerie, Tucholskystraße
38; bis 21. September, Di–Sa von 12–18 Uhr

KUNST Stücke


ANZEIGE

Friedenspflanze


Michael Zink ist keiner von den Ent-
täuschten. Als seine Galerie 2003 in
Kreuzberg eröffnete – mit dem japani-
schen Malerstar Yoshitomo Nara –, war
Berlin sehr wohl ein Versprechen. Doch
mit der Hauptstadt selbst wurde Zink
nicht warm. Als die Galerie, inzwischen
in der Linienstraße, im Sommer 2016
schloss, pendelte er längst zwischen Ber-
lin und seiner bayerischen Heimat. Zinks
Galeriepartner Florian Kromus leitete
die Geschäfte, sein Weggang nach Paris
machte die Entscheidung am Ende leicht:
Schluss mit den Räumen. Was aber nicht
bedeutet, dass die Arbeit mit der Kunst
nun abgeschlossen ist. Sie hat sich bloß
verändert.
Michael Zink lebt mit seiner Familie
inzwischen auf dem Land. In Waldkir-
chen, einem alten Wallfahrtsort auf ei-
nem Hügel in der Oberpfalz. Das Pfarr-
haus neben der Kirche ist ein eindrucks-
volles Stück Geschichte – und die neu
erbaute Scheune, in der sich hinter höl-
zernen Lamellen ein White Cube für
Ausstellungen verbirgt, möglicherweise
ein Modell mit Zukunft. Für Galeristen
wie Michael Zink, der sich mit Blick auf
den Bayerischen Wald immer wohler
als in Berlin gefühlt hat.
Dass es viel mehr Stadtflüchtige gibt,
wennauchnurfüreinWochenende,hater
inzwischen gelernt. Daraus erwuchs ein
Plan, der neben vielem anderen Mut und
Investitionen verlangt: Die Galerie Zink
gibt es offiziell wieder. Seit ihrer Eröff-
nungimAprilresidiertsiedort,woWald-
kirchen2 als Adresse genügt. Die krum-
men Straßen streben ohnehin zur Wall-
fahrtskirche, die man schon von weitem
sieht. Daneben erhebt sich das Pfarrhaus
und mit ihm der anspruchsvolle Anbau
derSchweizerArchitektenMathieuRobi-
tailleundTamaraHenry,diealsAtelierDi-
manchetätig–undselbstSammler–sind.

Netzwerke, das wurde Zink schon mit
derersten GalerieinRegensburgklar,bil-
den die Basis seiner Tätigkeit. Damals
halfen ihm Künstler wie German Steg-
maier, der noch heute bei ihm ausstellt
und Anfang der neunziger Jahre beste
Kontakte zu Kollegen und wichtigen
Sammlern pflegte; ein Gewinn für beide.
Nun ist Zink selbst in der Situation eines
Galeristen von internationalem Ruf, der
ein Atelier für seine Künstler in New
York unterhielt, zahllose Messen absol-
viert und Kunstkäufer in der ganzen Welt
von seinem Programm überzeugt. Wie
sonstwäre es zu erklären, dass Javier Cal-
lejas großäugigen Kindsköpfe schon vor
der Ausstellung – der zweiten Schau im
neuenHaus – ausverkauftwaren?Bei Prei-
sen bis 35000 Euro
für die großen Ge-
mälde des Spaniers.
Die globale Distri-
bution von Kunst,
ihre digitale Verbrei-
tungmachen esmög-
lich, von fast jedem
Standort aus zu han-
deln. Viele, vor al-
lem jüngere Samm-
ler kaufen nach einem Blick auf Instag-
ram und vielleicht einen zweiten auf eine
Bilddatei per Mail. Die Kommunikation
erfolgt über alle Kanäle. Auch das wusste
Michael Zink, bevor er sich für den An-
bau und einem Atelier entschied, in de-
nen Künstler auf Zeit arbeiten können.
Von den Gästen allein, die sich nach
Waldkirchen aufmachen, und den Samm-
lern der Umgebung kann er nicht leben.
Reisen sind dennoch ein großes
Thema. Zink; Jahrgang 1968, ist selbst
viel unterwegs, auch Messebeteiligungen
solles künftigwieder verstärktgeben. Da-
rüber hinaus vertritt er Künstler wie Mi-
chael Sailstorfer, Rinus Van den Velde
oder das Duo Muntean/Rosenblum, die
inrenommiertenMuseenwie Kunstverei-

nenausstellenund derenWerk eineinten-
sive Betreuung verlangt. In den eigenen
Räumen hat er gerade neue Werke von
Gegory Forstnergehängt,dessen Ausstel-
lung am 6. September eröffnet. Vorder-
gründig verschmilzt der Maler Tier und
Mensch, tatsächlich spielen seine Sujets
auf die Kunstgeschichte und Geschichte
des Dritten Reichs an. Trotz der immer
noch zahlreichen Aufgaben, meint Zink,
habe er etwas zurückgewonnen, das er in
den vergangenen Jahren schmerzlich ver-
misste. In Waldkirchen ist Platz für eine
(Wieder-)Beschäftigung mit der Kunst.
Wer zu ihm in die Galerie kommt, der
bringt Zeit und Interesse mit. Beides war
vor allem in den letzten Berliner Jahren
rar undder Besuch der Ausstellungenent-
weder ein Schnelldurchlauf oder mate-
riellgeprägt: Sind dieseBilderauch garan-
tiert eine Investition?
„Thinking with my Hands“ hießt die
Schau zur Eröffnung der neuen Räume in
Waldkirchen auch deshalb, weil plötzlich
wieder Platz für Experimente ist. Für
Künstler wie den gelernten Goldschmied
Karl Fritsch oder die abstrakten Kerami-
ken eines Johannes Nagel, in denen
„Kunstwerk und Handwerk“zusammen-
kommen, wie Zink im Vorwort zum Aus-
stellungskatalog schreibt. „Eine Abgren-
zung vom Handwerker zum Künstler ist
nicht möglich und vor allem auch nicht
notwendig.“ Wie zum Beweis führt der
Galerist einen zu zwei Schalen von
Fritsch, geformt aus je einem Kilo Gold
und Silber: roh, archaisch, konzeptuell.
Kann sein, dass man solche Dinge erst er-
kennt, wenn man die Ruhe hat, um darü-
bernachzudenken. Geöffnet hat dieGale-
rie schließlich nur sonntags, aber man ist
flexibel: Durchreisende sind auch an an-
deren Tagen willkommen.

— Galerie Michael Zink, Waldkirchen 2,
92358 Waldkirchen in der Oberpflalz,
http://www.zink-waldkirchen.de

ANZEIGE


Online Oberpfalz


Der Ex-Berliner Galerist Michael Zink fängt auf dem Land neu an


Tropische Themen.
Im Jahr 2018
entstand das
farbgewaltige
und fast schon
abstrakte Bild
„Rio Miranda“ von
Reinhard Stangl.
Foto: Galerie Sandau & Leo

Im Farbdschungel


Die Galerie Sandau & Leo kombiniert Bilder von


Reinhard Stangl mit Michael Jastrams Bronzen


Frische Brise. Im Kunstprojekt „Das dritte
Land“ wird Wasser vernebelt. Foto: Frey


Christiane Meixner sieht Dampf
am Kulturforum aufsteigen

Ein anderes
Modell,

das viel
Flexibilität

verlangt


28 DER TAGESSPIEGEL KUNST & MARKT NR. 23 924 / SONNABEND, 24. AUGUST 2019


Von Christiane Meixner

Fette Beute. Galerist Michael Zink (l.) mit dem Künstler Gregory Forstner vor der neuen Ausstellung, die Anfang September eröffnet.
Foto: Erich Spahn/ VG Bildkunst, Bonn 2019

Halle

statt

Malle

Das neue


Reisemagazin


48 Stunden:


16 Städte,


die man leicht


ohne Flugzeug


erreicht


vorbestellen


und 25 %


sparen


Ab 30.08.2019 im Handel.
Jetzt versandkostenfrei vorbestellen:
http://www.shop.tagesspiegel.de
zum Subskriptionspreis für nur 7,35 € statt 9,80 €.
Angebot gilt nur bis 29.08.201 9

29693 Ahlden. Schloss. Tel.: 05164-80100. Fax: 05164-522. [email protected]

GROSSE KUNSTAUKTION



  1. & 8. September 2019


Vorbesichtigung:
25.08. - 05.09., tgl. 14 - 18 Uhr

Katalog € 20,- & online unter


Repräsentanz Berlin. Kantstraße 29
Tel.: 030-3124186. [email protected]

http://www.schloss-ahlden.de


Paar seltene Potpourrivasen.
Entw. Michel Victor Acier.
Meißen. 19. Jh. H. 35 cm.
Free download pdf