Der Tagesspiegel - 24.08.2019

(Nora) #1

Alles ist im Umbruch. Gesellschaft, Poli-
tik,derganzeOrientierungsrahmenunse-
res Zusammenlebens wirkt wie von ner-
vöser Unruhe erfasst. Belege dafür füllen
täglich Zeitungs-, Onlineangebote und
Nachrichtensendungen. AberMedien be-
richten nicht nur darüber. Sie sind selbst
Gegenstand tiefgreifender Veränderung.
Auch das ZDF.
Das Zappen der Zuschauer durch eine
kaum noch überschaubare Senderland-
schaft, das Surfen der Nutzer auf ständig
neuen Streamingplattformen und Porta-
len spiegeln den Zerfall des Publikums in
eine Vielfalt aus partikular interessierten
Kleingruppen. Die Branche nennt das
„Fragmentierung“ und muss kämpfen.
Die zentrale Herausforderung für jedes
Medienunternehmen lautet, in diesem
Umbruch „relevant“ zu bleiben. Für das
ZDF ist dieser Anspruch konstitutiv. Es
muss die Gesellschaft umfassend errei-
chen und dazu beitragen, das Gemeinwe-
sen ein gutes Stück zusammenzuhalten.
Das ist die Benchmark, auch in Zukunft.
Wie kann man das im Angesicht einer
Gesellschaft leisten, die an allen Ecken
und Enden auseinanderzustreben
scheint? Mit seinem Hauptprogramm ist
dasZDF im achtenJahr in FolgeMarktfüh-
rer. Seine Digitalkanäle ZDFneo oder
ZDFinfoerreichenneue, auch jüngere Pu-
blika. „Funk“, das gemeinsame Onlinean-
gebot von ARD und ZDF, eroberte auf
Youtube einen beachtlich großen werbe-
freien Raum für 14-
bis 29-Jährige. Und
die ZDFmediathek
platziert sich im
Durchschnittsalter
ihres Publikums zwi-
schen TV und
„Funk“. Im ersten
Halbjahr 2019 er-
zielte sie täglich
mehr als drei Millio-
nenBesuche.Sie ist damiteine der erfolg-
reichsten Senderplattformen in Deutsch-
land und auf vielen sogenannten Dritt-
plattformen zu finden – von FireTV bis
T-Entertain.
Niemanden im ZDF macht diese Er-
folgsbilanz selbstzufrieden. Aber sie be-
legt: Das ZDF hatnach wie vor den Fuß in
der Tür – auch zu dieser diversen Gesell-
schaft. Und sie dokumentiert die klare
Ausrichtung, Erfolg und Relevanzauf vie-
len Ausspielwegen zu suchen. „Content
is King – Distribution is King Kong“ – der
Spruchistso abgedroschenwie wahr.Die
strategisch richtige Ausspielung von In-
halten ist neben der Attraktivität des In-
halts selbst zum zentralen Erfolgsfaktor
auch des ZDF geworden.
Das Verhältnis zwischen ARD und
ZDF kann von dieser Entwicklung nicht
unberührt bleiben. Deshalb arbeiten
beide Unternehmen an einem öffent-
lich-rechtlichen Netzwerk im Onlinebe-
reich. Wir wollen einen vernetzten Raum
nonlinearer Inhalte schaffen. Natürlich
muss es bei der Pluralität und Konkur-
renz öffentlich-rechtlicher Sender unter-
einander bleiben. Sie gehört unzweifel-
haftzum FundamentunsererstabilenMe-
dienordnung. Und dennoch sollen sich
Nutzer möglichst bruchlos in diesem
Netzwerk aus Qualitätsinhalten bewegen
können. Warum sollen wir die Strategie,
Leute im eigenen Kosmos zu halten, den
großen Playern aus den USA überlassen?
Im ersten Schritt werden noch in die-
sem Jahr Suchmechanismen für unsere
Mediatheken verbunden. Wer das „Aus-
landsjournal“ bei der ARD sucht, soll in
die ZDFmediathek geschickt werden –
wer den „Tatort“ im Zweiten sucht, soll
den Link zur ARDmediathek bekommen.
Datenanalysen belegen, dass wir Tausen-


den von orientierungslosen Zuschauern
damit einen guten Dienst erweisen.
Und natürlich kann das nur ein Anfang
sein. Warum sollten sich an einem sol-
chen Projekt nicht perspektivisch auch
3sat, Phoenix und Arte beteiligen? Die
Vorstellung eines durchlässigen öffent-
lich-rechtlichen Raumsfür nonlineare In-
halte ist ein ebenso nutzerfreundliches
wie auch machbares Modell. Zugleich
bleibt dieengeBindung dereinzelnen Me-
diatheken an ihre Fernseh-
sender davon unberührt. Sie
ist unerlässlich, weil der Er-
folg etwa der ZDFmediathek


  • jedenfalls zurzeit noch –
    ganz wesentlich aus dem
    Wechselspiel zwischen dem
    linearenund nonlinearen An-
    gebot entsteht.
    Beide Ausspielwege stär-
    ken sich gegenseitig. Das
    mag in Zukunft nicht so blei-
    ben. Im Augenblick belegen
    die Zahlen genau das. Auch
    deshalb zeugt übrigens der
    auf den ersten Blick so bestechend
    schlichte Gedanke einer Fusion der öf-
    fentlich-rechtlichen Mediathekenvon we-
    nig Sachkenntnis.
    Das Netzwerkmodell bietet demgegen-
    über große Chancen. Kein Staatsvertrag
    muss dafür geändert, kein kräfte-, zeit-
    und ressourcenaufwendiger Bauplan für
    einen Portalprozess gestartet werden.
    Vor allem: Keinem Zuschauerund Nutzer
    muss man vorschreiben, vielleicht mor-
    gen auf eine fusionierte Großplattform
    zu wechseln. Selbst Schritte in ein euro-
    päisches Netzwerk sind nicht ausge-
    schlossen. Stattdessen wird der Nutzer


abgeholt, wo er gerade ist und sucht. Ein
gemeinsames Log-in – allein beim ZDF
sindaktuell knappeine MillionNutzer re-
gistriert – begleitet diese erste Phase des
gemeinsamen Projekts.
Schließlich ein weiteres Argument:
Sprachsteuerung und Personalisierung
von Inhalten – diese auf mancher Strea-
mingplattform längst umgesetzte Wirk-
lichkeit – relativieren die Bedeutung re-
daktionell gebauter Startseiten. Wichti-
ger als sorgsam gebaute Por-
tale wird es, Inhalte mit ein-
heitlichen und qualitativ
sehr guten Daten zu verse-
hen. Nur so bleiben sie im
Meer der Angebote, Geräte
und Plattformen auffindbar
undauch fürden Nutzerindi-
vidualisiert nutzbar.
Und damit sind wir im
Kern des Umbruchs selbst
angekommen. Um besser zu
verstehen, was all das für ei-
nen Sender wie das ZDF be-
deutet, ist es aufschluss-
reich, sich das organisatorische Hinter-
land anzuschauen. Mediatheken sind
keine einfach neben die linearen Kanäle
installierten Plattformen, die sich nun
eben mit weiterenAusspielwegen verbin-
den. Sie können nur erfolgreich sein,
wenn sie innerhalb des Unternehmens
selbst eng mit den Planungs- und Inhalts-
verantwortlichen des Fernsehens ver-
netzt sind.
Mit Launch der ersten ZDFmediathek
im Jahr 2004 schob sich plötzlich eine
Art trojanisches Pferd (natürlich in fried-
licherAbsicht!) insHerzeiner damals gut
40 Jahre alten Fernsehanstalt. Senderre-

daktionen beäugten den Vorgang durch-
aus skeptisch. Sie waren Könige. Ihr
Reich bestand aus guten Sendeplätzen
und niveauvollen Inhalten. Jetzt kamen
diese von Sendeschema und Beitragslän-
gen freien Digital-Hippies daher und pre-
digten zeitsouveräne Nutzung und Frei-
heit von linearer Zwangsherrschaft.
Jahre später hat die Mediathek die
Wirklichkeit im ZDF nachhaltig verän-
dert. Das Portal selbst hat eine themen-
und genreorientierte Struktur. Seine Do-
kumentationen, Filme und Informations-
formate werden platziert, egal ob sie aus
dem Hauptprogramm, von ZDFinfo oder
ZDFneo kommen. Allein potenzielle
Reichweite, Relevanz und Attraktivität
für den Nutzer sind entscheidend.
Insgesamt plant das Unternehmen
seine Inhalte nicht mehr primär Sender
für Sender. Vielmehr werden für sie Le-
benszyklen und Reiserouten durch die
verschiedenen Ausspielwege entworfen.
Noch eineEbene darunter, imMaschinen-
raum, gewährleisten Datensysteme und
erste KI-Anwendungen möglichst opti-
male und effiziente Prozesse. Sie sorgen
für intelligente Planung und dafür, dass
Inhalte aufeinen Klick gefunden undaus-
gespielt werden – ob nun im Fernsehen,
der Mediathek oder über eine sprachge-
steuerte Alexa. Auch im ZDF wächst die-
ser innovative technologische Unterbau
erst heran. Es ist ein Projekt, das Jahre
dauert. Erfolg und künftige Relevanz des
ZDF hängen davon ab. Es verändert die-
sesMultimediaunternehmen Tag fürTag.
Ein Aufbruch mitten im Umbruch.

— Der Autor ist Leiter der Hauptredaktion
Neue Medien im ZDF.

CD ARD UND ZDF


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Ob Urlaubsgruß, Werbung, Unterhal-
tung oder Propaganda: Die Postkarte ist
in den 150 Jahren seit ihrer Erfindung
schonMediumfürvieles gewesen. In Zei-
ten von Whatsapp & Co. ist es kaum
mehrvorstellbar, dass das kleineStück Pa-
pier früher einmal das Mittel der Wahl
war, um sichschnelle Botschaftenzu schi-
cken – und doch begründete dies ihren
Anfangserfolg.
Im Berliner Museum für Kommunika-
tion ist die erste weltweit verschickte
Postkarte zu sehen. Sie diente der Verab-
redung eines Besuchs und wurde am 1.
Oktober 1869 im damaligen Öster-
reich-Ungarn von Perg bei Linz nach
Kirchdorf geschickt. Das Museum feiert
den runden Geburtstag ab Mittwoch mit
der Ausstellung „Mehr als Worte. 150
Jahre Postkartengrüße“.
Zu sehen sind rund 500 Exemplare:
reine Textkarten, wie sie zu Beginn üb-
lich waren, aber auch neuere Urlaubs-
oder Jux-Motive. Postkarten spiegelten
als Medium stets auch die Gesellschaft.
Dazu gehört Erotik ebenso wie zensierte
Lebenszeichen aus Konzentrationsla-
gern. Selbst Nachrichten wurden früher
noch nach wenigen Tagen auf Postkarten
gebannt. So wird in der Schau eine Karte
ausgestellt, die den Brand des Hambur-
ger „Michels“ im Jahr 1906 zeigt.
Der Erfolg der Postkarte sei schnell ge-
kommen, erzählt Sammlungsleiter Veit
Didczuneit. In den ersten drei Monaten
nach ihrer Einführung wurden in Öster-
reich bereits drei Millionen Stück ver-
schickt. Im Deutsch-Französischen Krieg
von 1870/71 schrieben Soldaten und
ihre Angehörigen die „Correspon-
denz-Karte“ millionenfach als kostenlose
Feldpostkarte.
DabeihattenKritiker am Anfangdurch-
aus Bedenken. Von einer „unanständigen
Form der Mitteilung auf offenem Post-
blatt“ war die Rede. Man befürchtete zu-
rückgehende Einnahmen der Post, dass
dieDienerschaftNachrichtenan dieHerr-
schaft lesen könnte und dass die Post-
karte der „Totengräber des Briefes“ sein
würde, sagt Didczuneit.
Die Vorteile lagen allerdings auf der
Hand: Postkarten trafen den Nerv der
Zeit, sie erfüllten anders als der strengere
Brief ein Bedürfnis nach vereinfachtem
und raschem Informationsaustausch, wie
der Sammlungsleiter erläutert.
Auch Unternehmen erfreuten sich der
neuen Möglichkeiten. Mit fünf Pfennig
kostete die Karte nur halb so viel Porto

wie der Brief. Selbst mit den zusätzlichen
Kosten fürdieKartevonzehnbis 20 Pfen-
nig war sie unschlagbar günstig. Beim da-
mals noch üblichen Telegramm wurden
dagegen laut Didczuneit für ein einziges
Wort schon fünf Pfennig fällig.
Dass die Postkarte auch als schnelles
Medium nutzbar war, dafür sorgten die
Zusteller, diezu Hochzeitenin derKaiser-
zeit inGroßstädtenmehrmalsam Tag aus-
lieferten. Am 22. Juni 1904 erhielt etwa
ein „Fräulein Anna“ von einem Verehrer
–beide lebteninKarlsruhe –vier Postkar-
ten an einem Tag. Jeweils zur passenden
Tageszeit hieß es „Guten Morgen!“, „Gu-
ten Tag!“, „Guten Abend!“ und „Gute
Nacht!“, garniert mit einem Liebesgruß.
Den wahren Durchbruch brachte indes
noch etwas anderes. „Die Postkarte kam
zum Erfolg, indem sie zur Ansichtskarte
wurde“, meint der Museumsexperte. Auf
der Adressseite
aufgeklebte Bild-
chen kurbelten
schnell den Ver-
kauf an, wurden
immer größer, bis
sich das Aussehen
der Postkarten
der heutigen Form
annäherte.Die Bil-
der wanderten zu-
nächst auf die Mitteilungsseite, bevor
sich – in Deutschland ab 1905 – die ge-
schriebene Mitteilung auf einer Seite den
Platz mit der Adresse teilen musste.
Inzwischen ist die Bedeutung der Post-
karte jedoch gesunken. Beförderte die
Bundespost 1982 noch 877 Millionen
Stück,waren es zuletzt meistdeutlichwe-
niger als 200 Millionen im Jahr. Doch
auch in Zeiten von Messenger-Apps schi-
cken einer Bitkom-Umfrage zufolge noch
55 Prozent der Deutschen aus dem Ur-
laub eine Karte. Glaubt man Witzen, gel-
ten die Deutschen indes nicht nur als
Reise-, sondern auch als Postkartenwelt-
meister. Kurator Didczuneit weiß einen:
„Herr und Frau Müller kommen in den
Himmel. Was machen sie? Sie verlangen
nach Ansichtskarten, um nach Hause zu
schreiben.“ Alexander Riedel (KNA)

— „Mehr als Worte. 150 Jahre Postkarten-
grüße“. Bis 5. Januar 2020. Museum für
Kommunikation Berlin, Leipziger Straße

16. Dienstag, 9 bis 20 Uhr, Mittwoch bis
Freitag 9 bis 17 Uhr, Samstag, Sonntag und
Feiertage 10 bis 18 Uhr; mehr Infos unter
http://www.mfk-berlin.de


Die Zukunft des
öffentlich-rechtlichen
Rundfunks

Für Westdeutsche war ein Besuch West-Berlins quasi staatsbürgerliche Pflicht. Auf dem
Motiv von 1970 darf das Brandenburger Tor mit der Mauer nicht fehlen. Foto: MfK

55 Prozent der
Deutschen

schreiben
weiterhin
Urlaubsgrüße

Da geht was! Bei sportlichen Großereignissen wie der Fußball-Weltmeisterschaft 2018 in Russland arbeiten ARD und ZDF eng zusammen.
Darüber freuen sich nicht nur ARD-Programmdirektor Volker Herres (links) und ZDF-Chefredakteur Peter Frey. Foto: dpa

Content


ist King



  • Distribution


aber ist


King Kong


Mehr oder


weniger?


30 DER TAGESSPIEGEL MEDIEN NR. 23 924 / SONNABEND, 24. AUGUST 2019


„Unanständige Form


der Mitteilung“


Seit 150 Jahren werden Postkarten verschickt.


Ausstellung im Berliner Museum für Kommunikation


Die Kraft der zwei Herzen


Die ARD unterhält eine eigene Mediathek, das ZDF unterhält eine eigene Mediathek.


Warum eigentlich? Plädoyer für ein Netzwerk öffentlich-rechtlichen Fernsehens / Von Eckart Gaddum


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