Lisa - 14. August 2019

(Nora) #1
Report
Vier Frauen

gestehen in LISA:


„Das ist mein größtes Geheimnis, das ich noch nie erzählt habe“


Manche Dinge macht man lieber mit sich


alleine aus. Doch manchmal quälen diese


Heimlichkeiten so sehr, dass wir uns


immer schlechter fühlen. Dann kann es


helfen, sich zu offenbaren – selbst wenn


es völlig anonym ist ...


Marie genießt längst
nicht mehr nur ein Glas
Wein am Abend ...

Caroline konnte lange
Zeit keine Liebe für ihr
Baby empfinden

Janine hat Angst,
potenzielle Partner
mit ihrem Geheimnis
zu vergraulen

Friseurtermin,
elegante Kleidung –
Friederike versucht um
jeden Preis, den
Schein zu wahren

A


ber ihr verratet nicht, wie
ich wirklich heiße oder
aussehe!“, bittet die junge
Frau, die nicht wirklich Janine
heißt, im Gespräch mit LISA. Und
dabei sieht man ihr an, wie sehr
sie ihr Geheimnis quält.

Er hat mich betrogen „Ich hat-
te noch nie Sex!“, bricht es aus der
32-Jährigen heraus. „Meinen ers-
ten Freund hatte ich so mit 13.
Damals habe ich mich viel zu
jung dafür gefühlt. Und nachdem
wir uns getrennt hatten, hat es
lange gedauert, bis ich wieder
einen Jungen getroffen habe, der
mir gefiel.“ Erst mit 17 verliebt
sich Janine erneut. Er ist etwas
älter als sie. Diesmal will sie auch
den letzten Schritt gehen, denn
ihre Freundinnen ziehen sie
damit auf, dass sie Jungfrau ist.
„Und dann ist etwas passiert.
Ich habe ihn mit einer anderen
im Bett erwischt. Mein Herz war

gebrochen, ich konnte nieman-
dem mehr vertrauen. Gut zehn
Jahre lang habe ich mich danach
nur auf meinen Beruf konzent-
riert. Annäherungsversuche von
Männern habe ich abgeblockt.“

Es ist peinlich Lange merkt Ja-
nine nicht, dass ihr etwas fehlt:
„Ich kannte das Gefühl ja nicht,
von jemandem auf diese Weise
begehrt zu werden.“ Mit der Zeit
will sie aber doch einen Partner,
jemanden, mit dem sie Leben
und Liebe teilen kann. Aber es
bleibt schwierig für sie, Männer
kennenzulernen. Hat sie mal ein
Date, ist sie gehemmt. „Wie soll
ich denn sagen, dass ich noch
Jungfrau bin? Oder soll ich es ver-
schweigen? Das merken die
doch!“ Und so steckt die junge
Frau in einem Dilemma fest.
„Denn im Grunde ist es mir mit
jedem Tag peinlicher, mein
Geheimnis zu offenbaren ...“

L


iebe LISA-Redaktion“,
schreibt Caroline. „Heute
möchte ich mein Geheim-
nis mit euch teilen, denn ich weiß
nicht, wem ich es sonst erzählen
soll. Als ich vor sechs Jahren
schwanger wurde, ging mein
größter Lebenstraum in Erfül-
lung. Doch dann kam alles an-
ders! Erst war mir in der Schwan-
gerschaft oft schlecht. Kein Tag
verging ohne Übelkeit. Dann lag
mein Sohn verkehrt und musste
per Not-OP geholt werden. “

Keine Mutter-Gefühle „Als ich
aus der Narkose erwachte und
mein Kind zum ersten Mal sah,
war ich entsetzt: Ich fand ihn
hässlich! Ich schloss die Augen,

schaute ihn wieder an. Kopf,
Nase, Ohren – alles dran, aber
nichts gefiel mir. Als ich mit mei-
nem Sohn nach Hause ging,
konnte ich ihn kaum ansehen.
Was war nur los mit mir? Ich
nahm ihn in den Arm, doch ich
fühlte nichts. Mein Mann merkte,
dass etwas nicht stimmte. Auch
wenn er mich nie darauf an-
sprach, kümmerte er sich hinge-
bungsvoll um unseren Sohn. Gab
ihm all die Liebe, die ich ihm
nicht geben konnte.
Heute wird unser Kleiner fünf.
Mit seiner liebenswerten Art hat
er mein Herz inzwischen erobert.
Ich kann selbst nicht verstehen,
was damals mit mir los war – und
schäme mich furchtbar.“

V


or der Familie kann ich mein
Geheimnis nicht mehr lange
vertuschen, aber meine Nie-
derlage eingestehen, fällt so schwer“,
erzählt Friederike. Die 52-Jährige ist
ein Karrieremensch, zuletzt war sie
Managerin in einer kleinen Firma.

Selbstverliebt „Ich war immer
stolz auf meinen Beruf, auf meine
Karriere.“ Als die Kinder kamen, trat
ihr Mann kürzer. Vor Familie und
Freunden berichtete sie, wie gut es
sich anfühlte, erfolgreich zu sein.
„Seit einem Jahr habe ich viel Zeit,
darüber nachzudenken, wen ich
mit meinen Worten vor den Kopf ge-
stoßen habe und wie selbstverliebt
ich war. Denn seitdem habe ich
keinen Job mehr ...“ Was passiert ist,
will Friederike nicht erzählen, nur

dass es Einsparungen gab. „Ich
wusste nicht, was ich machen soll.
Also ging ich wie immer morgens
aus dem Haus.“

Große Scham Da ihr Mann und
sie schon immer getrennte Konten
hatten, fällt ihm nicht auf, dass kein
Gehalt mehr eingeht. Ihr Haus ist
längst abbezahlt. Da Friederike gut
verdient hat, ist sie zunächst in
keiner schlechten Lage: „Doch jetzt
sind meine Ersparnisse aufge-
braucht. Denn den Schein zu wah-
ren, kostet viel Geld.“ Dass Friederi-
ke einen neuen Job findet, bezweifelt
sie: „Tatsächlich ginge es uns auch
so ganz gut. Mein Mann hat nie viel
Wert auf Geld gelegt, die Kinder
stehen auf eigenen Beinen, aber ich
schäme mich wahnsinnig!“

Janine H. (32)*, Hamburg


„Noch nie im Leben hatte ich Sex“


Caroline M. (42)*, Frankfurt am Main


„Ich fand mein Baby hässlich“


Friederike K. (52)*, Köln „Sogar mein Mann


ahnt nichts von meiner Arbeitslosigkeit“


B


eim Telefonat mit Marie
merkt man ihr die Ver-
zweiflung an: „Vielleicht
ist es gut, dass ich mich schlecht
fühle und dass ich zum Hörer
gegriffen habe. Denn es muss sich
dringend etwas ändern!“

Verzweiflung Die 47-jährige
Bürokraft führte ein unbeschwer-
tes Leben. Mit ihrem Partner ging
sie gern aus, machte Reisen. Alko-
hol spielte dabei auch eine Rolle.
„Wir tranken Wein zum Essen.
Und auch Cocktails. Aber alles in
Maßen. Erst als mein Freund
mich verließ, wurde es mehr.“
Marie war am Boden zerstört,
als er von einem Tag auf den an-
deren verschwand. Bis heute
weiß sie nicht, warum er gegan-
gen ist. Eine einzige SMS ist ihr
geblieben: „Ich lese sie immer
wieder. Er schreibt, dass es ihm
leid tut. Aber dass er einen ande-
ren Weg gehen möchte. Von

diesem Moment an habe ich nie
wieder etwas von ihm gehört.“

Zukunftsangst Am Abend, an
dem Marie die Nachricht erhielt,
betrank sie sich zum ersten Mal,
bis sie sich übergeben musste.
Der folgende Arbeitstag war eine
Qual. „Und doch habe ich nach
Feierabend wieder eine Flasche
Wein geöffnet und sie unter Trä-
nen ausgetrunken“, flüstert sie.
Das ist zwei Jahre her. Der Alko-
hol ist seitdem Maries ständiger
Begleiter. Aus dem Wein wurden
inzwischen härtere Sachen. Ma-
rie ahnt, dass die Kollegen hinter
ihrem Rücken tuscheln. Wenn sie
in den Spiegel schaut, weiß sie
auch warum. Ihre Haut ist fahl,
dunkle Schatten liegen unter
ihren Augen, die immer glasig
sind. „Wenn ich ehrlich zu mir
selbst bin, weiß ich, dass ich et-
was ändern muss. Ich hoffe, dass
ich die Kraft dazu aufbringe.“

Marie W. (47)*, Mühlheim a.d. Donau


„Gleich nach Feierabend trinke ich“


*Namen von der Redaktion geändert; Fotos (Szenen nachgestellt: Fotolia (4)


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