Die Welt Kompakt - 28.08.2019

(Brent) #1
Ansonsten gehörte seine Zeit
dem Staat. Es galt schließlich,
den Kommunismus aufzubau-
en. Doch während der Peres-
troika in den späten 80er-Jah-
ren, so zeigten Studien, ver-
brachten Väter dennoch immer
mehr Zeit mit ihren Kindern.
An der Doppelbelastung der
sowjetischen Frauen durch Ar-
beit und Familie änderte das
freilich wenig.
Diese Entwicklung sei durch
die Transformationsperiode
der 90er unterbrochen worden,
sagt Avdeeva: „Die Menschen
konzentrierten sich auf das
physische Überleben.“ Selbst
viele Mütter hatten kaum Zeit
für ihre Kinder. Nun ändert sich
das wieder – zumindest in den
russischen Millionenstädten
und innerhalb der Mittel-
schicht. Mehr Bildung und hö-

heres Einkommen gehen auch
in Russland mit engagierter Va-
terschaft einher. So nehmen Vä-
ter aktiv an der Erziehung teil,
statt sich darauf zu beschrän-
ken, mit dem Kind an einem
Sonntag in den Zoo zu gehen.
In der Provinz hingegen hal-
ten die Väter noch am älteren
Familienmodell fest. Sie verste-
hen sich vor allem als Ernährer
und sind gerade ihren Söhnen
gegenüber wenig emotional,
aus Sorge, aus ihnen würden
sonst keine „richtigen Män-
ner“. Das geht aus der For-
schung der Soziologin Aleksan-
dra Lipasova hervor. Dennoch:
In den vergangenen Jahrzehn-
ten hat Russland enorme Fort-
schritte gemacht. „Alles hat
sich verändert“, sagt Ober-
schwester Koslowa, die seit 40
Jahren im Beruf ist. „Die Medi-
zin ist heute viel offener als zur
Sowjetzeit. Früher ging es nur
um Verbote – hier darf man
nicht rein, das darf man nicht.
Auf die Geburt wurden nicht
einmal die Mütter vorbereitet.
Da kam eine junge Frau aus
dem Geburtshaus mit ihrem
Baby auf dem Arm und wusste
nicht, was tun damit?“
Noch in den 80er-Jahren, er-
zählt Koslowa, bekamen Mütter
ihre Babys vor der Entlassung
oftmals nur eine halbe Stunde
lang zu sehen, von den Vätern
ganz zu schweigen. Doch in
Russland gehört das der Ver-
gangenheit an. Diese neue Of-
fenheit, glaubt sie, lässt auch
die Väter ihre Rolle ernster neh-
men. Partnergeburten, in
Deutschland seit mehr als 30

lich, glaubt Wladimir, geht es
ihr um etwas anderes. „Nach
der Sitzung heute habe ich ver-
standen: Meine Frau braucht
nicht einen Aufpasser, sondern
einfach emotionale Unterstüt-
zung während der Geburt. Das
ist doch das Gute an der Part-
nergeburt.“ Schließlich seien
sie beide für das Kind verant-
wortlich.
„Allmählich setzt sich in
Russland die Vorstellung durch,
dass Väter am Leben ihrer Kin-
der teilhaben sollten“, sagt die
Soziologin Anna Avdeeva, die
an der Universität Helsinki
über Geschlechterrollen in
Russland forscht. Begonnen hat
dieser Trend ausgerechnet in
der späten Sowjetzeit. In der
UdSSR waren Kinder Frauensa-
che, der Vater war für das mate-
rielle Auskommen zuständig.

T


atjana Koslowa hält
Mascha fest umklam-
mert, fast als wäre die
Puppe ein echtes Baby.
Berufsreflex, sagt die Ober-
schwester. Im pompös einge-
richteten Konferenzraum des
Geburtshauses Nr. 4 im Süden
Moskaus, zwischen falschen
Säulen aus Putz und goldig
schimmernden Gardinen, ler-
nen normalerweise werdende
Mütter, wie man Mädchen und
Jungs den Po wäscht.

VON PAVEL LOKSHIN
AUS MOSKAU

Das Publikum heute ist aller-
dings ein anderes. In einem
Stuhlkreis sitzen zwölf Männer,
genauer gesagt werdende Väter.
Sie hören konzentriert zu, wäh-
rend Koslowa ihre Vorführung
immer wieder für kurze Exkur-
se unterbricht, etwa über den
Apgar-Index, der den Gesund-
heitszustand von Neugebore-
nen beschreibt. Heute sind die
Geburt und die ersten Tage da-
nach das Thema, andere Sitzun-
gen behandeln etwa die
Schwangerschaft und ihre Risi-
ken für Frauen.
Die Männer treffen sich hier
montags nach der Arbeit, ihre
Rucksäcke und Aktentaschen
sind unter den Stühlen ver-
staut. Es gibt süßen russi-
schen Schwarztee und Ge-
bäck. In zwei Stunden versu-
chen sie, so viele Information
wie möglich aufzunehmen.
Die Fragen hören nicht auf:
Wie schädlich ist Zugluft für
Neugeborene? Welche Imp-
fffungen bekommen Babys?ungen bekommen Babys?
In Deutschland wäre das kein
ungewöhnliches Bild.
Crashkurse für werdende Väter
sind hierzulande keine Selten-
heit. Doch was sich an Montag-
abenden einer ruhigen Moskau-
er Seitenstraße abspielt, bricht
mit vielen Konventionen. Der
durchschnittliche russische Va-
ter ist nicht gerade dafür be-
kannt, viel Zeit mit seinem
Kind zu verbringen. Doch das
ändert sich langsam. „Wir ha-
ben so eine große Nachfrage“,
sagt Koslowa. „An manchen Ta-
gen wollen zwei Dutzend Män-
ner kommen, vielen müssen wir
absagen.“ Das Angebot des
staatlichen Spitals ist kosten-
los, das Team von Ärzten und
Krankenschwestern macht das
ehrenamtlich. Es gibt auch an-
dere Anbieter, aber bei privaten
Elternschulen kosten Sitzun-
gen für werdende Väter leicht
50 Euro – selbst im wohlhaben-
den Moskau ist das viel Geld.
Der IT-Spezialist Wladimir
kam hierher, weil er sich über
sich über die Partnergeburt in-
formieren wollte. „Meine Frau
brachte mich auf die Idee“, sagt
der 33-Jährige. Viele in Russ-
land haben wenig Vertrauen in
die Medizin. Auch Wladimirs
Frau macht sich Sorgen, da der
Geburtstermin immer näher
rückt. Sie befürchtet, im Kreiß-
saal schroffen Ärzten ausgelie-
fert zu sein und schlecht ver-
sorgt zu werden. Doch eigent-

Jahren erlaubt, sind in Russland
erst seit 2011 möglich. Koslowas
Spital bot sie damals als eines
der ersten in Russland an, heute
machen sie dort bereits etwa
die Hälfte der Geburten aus –
eine überraschend hohe Zahl.
Koslowa freut das, denn sie ist
sich sicher: Wer als Vater bei
der Geburt dabei ist, baut eine
einmalige Verbindung zu sei-
nem Kind auf.
Heißt das nun, dass Russlands
neue Väter dem Land den Weg
in eine geschlechtergerechte Zu-
kunft ebnen? Nicht unbedingt.
Der Alltag erinnert weniger an
skandinavische Länder als viel-
mehr an Großbritannien. Enga-
gierte Väter schließen von ihrer
Rolle in der Familie selten auf
Gleichberechtigung im Beruf,
ebenso wenig die Partnerinnen
von engagierten Vätern. Und
selbst für die gebildete Mittel-
schicht in den Millionenstädten
gilt: An der Ernährerrolle wird
kaum gerüttelt.
„Das gibt Russlands Famili-
enpolitik gar nicht her“, sagt
die Soziologin Avdeeva. Das El-
terngeld in Russland beträgt
umgerechnet maximal 300 Eu-
ro, unabhängig vom Einkom-
men. Gerade für viele Besser-
verdiener in den Großstädten
lohnt sich ein Vaterschaftsur-
laub nicht, denn Männer be-
kommen auch in Russland im
Schnitt höhere Löhne als Frau-
en. Je nach Region entscheiden
sich zwischen zwei und vier
Prozent der Väter für die El-
ternzeit, sagt Avdeeva. Von ei-
ner Väterrevolution ist Russ-
land also noch weit entfernt.

„Alles hat sich verändert“: Oberschwester Tatjana Koslowa zeigt angehenden Vätern, wie man ein Baby richtig badet

PAVEL LOKSHIN

„Meine Frau


braucht mich


bei der Geburt“


In Russland kümmert sich traditionell


die Mutter um die Kinder. Aber das


ändert sich gerade: Männer machen


Kurse zum Umgang mit Babys, die


Nachfrage ist enorm. Manche gehen


sogar noch einen Schritt weiter


6 POLITIK DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT MITTWOCH,28.AUGUST


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rückt. Sie befürchtet, im Kreiß-

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Frau macht sich Sorgen, da der
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Geburtstermin immer näher

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