Frankfurter Allgemeine Zeitung - 28.09.2019

(Tina Sui) #1

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Wirtschaft MITTWOCH, 28. AUGUST 2019·NR. 199·SEITE 15


Zum Tode von Ferndinand Piëch,


dem früheren Vorstands- und


Aufsichtsratschef von VW. Seite 17


Ein chaotischer Brexit könnte alte


Konflikte aufbrechen lassen – und


den Wohlstand gefährden. Seite 18


Die Kritik an SUV kommt für die


Hersteller zur Unzeit: Sie weiten


ihr Angebot gerade aus. Seite 22


Ein Leben im Grenzbereich Nordirland in Sorge Es wird eng


D


ieEntscheidung darüber, wie der
Ausstoß schädlicher Klimagase
verringert werden soll, ist keine Klei-
nigkeit. Es ist schnell verlangt, einen
spürbaren Preisaufschlag auf die
CO 2 -Emissionen zu erheben, damit
Verbraucher weniger Kohle, Kerosin,
Heizöl, Benzin oder Gas verbrennen.
Viele schwieriger dagegen ist, das da-
für richtige Instrument auszuwählen.
Die Lage der Regierung ist schwierig.
Sie steht unter Zeit- und Erwartungs-
druck, und sie hat nur einen Schuss
frei. Auf dem Tisch liegen: eine zusätz-
liche Steuer auf den Verbrauch kohlen-
stoffhaltiger Energieträger oder die
Steuerung durch ein marktnahes Han-
delssystem. Im Handelssystem legt
der Staat die Menge erlaubter Zertifi-
kate fest. Was die kosten, wird durch
Angebot und Nachfrage ermittelt. Die
staatlichen Einnahmen sind damit un-
sicher. Anders ist das vor der Hand bei
einer fixen Steuer. Doch auch hier
muss das Ziel die Vermeidung von
Emissionen bleiben. Also muss die
Steuer immer wieder angehoben wer-
den, wenn der Ölpreis sinkt oder Kli-
maziele verfehlt werden. Man kann
sich die permanente Steuererhöhungs-
debatte für den Klimaschutz lebhaft
vorstellen. Ob Politik das aushält? Die
Zweifel an der CO 2 -Steuer wachsen.

V


on einer Bewährungsprobe ist
die Rede, manche sprechen sogar
von einer Schicksalswahl. Fest steht:
Selten richteten sich so bange Blicke
auf einen Landtagswahltermin wie
jetzt auf den 1. September. Sowohl
Sachsen als auch Brandenburg wäh-
len an diesem Sonntag neue Landes-
parlamente. Für die Berliner Regie-
rungsparteien verheißt das nichts Gu-
tes. Schon bei der Europawahl Ende
Mai war der Osten Deutschlands in
weiten Teilen AfD-blau gefärbt, unter-
brochen nur durch einige grüne Tup-
fer wie Leipzig, Jena und Potsdam.
Nun sieht es ganz danach aus, dass die
AfD in Sachsen zur zweitstärksten, in
Brandenburg womöglich sogar zur
stärksten Kraft aufsteigen könnte.
Bald 30 Jahre nach der Wende ist
die Unzufriedenheit vieler Ostdeut-
scher fast noch größer als in den Jah-
ren des Umbruchs, als Tausende Be-
triebe schließen mussten und die Ar-
beitslosigkeit in die Höhe schoss. Die
ist zwar seither deutlich gesunken, zu-
gleich sind die Gehälter gestiegen.
Die Renten sind in Ostdeutschland so-
gar höher als im Westen. Doch das Ge-
fühl, Bürger zweiter Klasse zu sein,
bleibt, und die Menschen werden dar-
in von der Politik noch bestärkt. Vor al-
lem die SPD wird nicht müde zu beto-
nen, dass eine Grundrente ohne Be-
dürftigkeitsprüfung das mindeste sei,
was den Menschen im Osten zustehe,
aus Respekt vor ihrer Lebensleistung,
wie es stets heißt.
Doch dieses politische Narrativ ist
fatal, unterschlägt es doch die wirt-
schaftlichen Erfolge, die es zweifellos
auch gibt. Das gilt besonders für Sach-
sen, wo der langjährige CDU-Landes-
vater Kurt Biedenkopf einst beson-
ders eifrig um Investitionen warb.
Dresden ist zu einem Zentrum der
Chipindustrie avanciert, in Leipzig er-
weitert der Autohersteller Porsche ge-
rade zum fünften Mal sein Werk.
2002, im Jahr der Eröffnung, hatte es
erst 300 Mitarbeiter, inzwischen sind
es mehr als 4000. Volkswagen macht
Zwickau zum Modellwerk für Elektro-
autos. Und DHL baut sein Frachtzen-
trum am Flughafen Leipzig/Halle wei-
ter aus, wo es anders als in Frankfurt
kein Nachtflugverbot gibt. Es stimmt,
dass dies alles nur Niederlassungen
sind und kein Dax-Konzern seinen
Sitz im Osten hat. Doch eine Dax-Zen-
trale haben auch Schleswig-Holstein
und das Saarland nicht, ohne dass dar-
über viel gesprochen wird.
In Brandenburg stellt sich die Lage
etwas anders als in Sachsen dar. Das
seit der Wiedervereinigung SPD-re-
gierte Bundesland profitiert vor allem
davon, dass es das boomende Berlin
umschließt. Nicht nur Privatleute, son-
dern auch Unternehmen, denen es in
der Hauptstadt zu teuer, zu dreckig
und überhaupt zu berlinerisch gewor-
den ist, zieht es in den Brandenburger
Speckgürtel. Der ist mit seinen vielen
Seen und Wäldern auch ein attraktives
Touristenziel. Dass am BER, der ei-

gentlich schon 2007 neue Wachstums-
chancen nach Brandenburg bringen
sollte, immer noch keine Flugzeuge
landen, damit hat man sich arrangiert.
Doch in der aktuellen politischen
Debatte geht es vor allem um ein The-
ma: den Kohleausstieg. Im Süden
Brandenburgs und Nordosten Sach-
sens liegt die Lausitz, eine Region, die
wie keine zweite ihr Selbstverständnis
aus der Kohle zieht. Entsprechend
groß ist die Wut darüber, dass in den
Tagebauen und Kraftwerken spätes-
tens 2038 die Lichter ausgehen sollen.
Jetzt nimmt die Bundesregierung dem
Osten auch noch das letzte bisschen
Wirtschaft, das noch da ist, so die

Stimmung. Entsprechend großzügig
kalkulierte die Kohlekommission
auch die Milliarden, die den Verlust
kompensieren sollen. Dabei sind von
den einst mehr als 100 000 Arbeits-
plätzen in der Lausitzer Braunkohle
ohnehin nur noch rund 8300 übrig.
Das entspricht gerade 2 Prozent aller
sozialversicherungspflichtigen Stellen
in der Region. Was stimmt: Es sind
vor allem gutbezahlte Industriearbeits-
plätze, die wegfallen. Die oft nur mit
dem Mindestlohn vergüteten neuen
Arbeitsplätze etwa im Tourismus se-
hen viele Menschen als unzureichen-
den Ersatz.
Aus der Lausitz oder gar dem ge-
samten Osten nun eine Sonderwirt-
schaftszone zu machen, wie immer
mehr Politiker es fordern, kann aber
nicht die Lösung sein. Gerade erst hat
eine Analyse führender Ökonomen ge-
zeigt, dass die vom Strukturwandel ge-
prägten Regionen in Westdeutschland
wirtschaftlich um einiges schlechter
dastehen als jene in Ostdeutschland.
Niedrigere Steuersätze, weniger Büro-
kratie: Solche Erleichterungen könn-
ten Unternehmen in beiden Teilen
des Landes dringend brauchen.
Gegen das größte Problem in Ost-
deutschland ist die Politik dagegen
weitgehend machtlos. Es ist die Über-
alterung, die aus der massenhaften
Abwanderung in den neunziger Jah-
ren resultiert. Allein in Sachsen wer-
den Schätzungen zufolge bis zum Jahr
2030 rund 550 000 Arbeitsplätze frei,
weil die Beschäftigten in Rente gehen.
Für jede vierte dieser Stellen wird es
wahrscheinlich keinen geeigneten
Nachfolger geben. Es fehlt nicht so
sehr an Geld und auch nicht an Unter-
nehmen, es fehlen vor allem Men-
schen. Diese unangenehme Wahrheit
auszusprechen, traut sich jedoch
kaum ein Politiker. Und auch nicht,
dass Zuwanderung der einzige Weg
ist, um ein Schrumpfen der Wirtschaft
zu verhindern.

D


ie Volkswirtschaftliche Gesamt-
rechnung ist eine Wissenschaft
für sich. Sie liefert einen guten Maß-
stab für die Leistungskraft von Staat
und Wirtschaft. Aber ähnlich wie für
Unternehmensbilanzen gilt: Nicht je-
der Überschuss, den sie ausweist, kann
sofort in Euro und Cent aus der Kasse
abgerufen werden. Obwohl die Halb-
jahresbilanz des Statistischen Bundes-
amts zu den Staatsfinanzen unerwar-
tet positiv ausgefallen ist, lassen sich
daraus deshalb nicht gleich neue Haus-
haltsspielräume genau berechnen. Ein
paar Anhaltspunkte für die Debatte lie-
fert sie aber schon. Dazu gehört, dass
die Staatseinnahmen aus Sozialabga-
ben und Steuern nach wie vor stärker
steigen als die Wirtschaftsleistung; pri-
vate Investitions- und Konsumausga-
ben werden vom Staat also nicht geför-
dert, sondern gebremst. Und der An-
stieg öffentlicher Investitionen, die
den Daten zufolge kaum ein Zwanzigs-
tel aller Staatsausgaben ausmachen,
gleicht dies nicht annähernd aus. Um
Investitionen zu stärken, bietet sich da-
her zweierlei an: weniger Abgaben ei-
nerseits, Umschichtungen zugunsten
von Investitionen im Staatshaushalt an-
dererseits. Für Steuererhöhungen und
kreditfinanzierte Ausgabenprogram-
me ist jedenfalls nicht die richtige Zeit.

dc.BERLIN, 27. August. Trotz schwa-
cher Konjunktur hat der deutsche Staats-
haushalt in der ersten Hälfte dieses Jah-
res einen Überschuss von 45,3 Milliarden
Euro erzielt. Dies ist der zweithöchste
Halbjahreswert, den der Staat in der jün-
geren Geschichte erreicht hat. Zwar wur-
de der Rekordüberschuss von 52 Milliar-
den Euro aus dem ersten Halbjahr 2018
nicht mehr übertroffen, das aktuelle Zwi-
schenergebnis ist aber immer noch fast
doppelt so hoch wie der Halbjahreswert
von 2017. Das zeigen neue Daten, die das
Statistische Bundesamt am Dienstag ver-
öffentlicht hat. Deren Basis ist die Volks-
wirtschaftliche Gesamtrechnung, anhand
derer auch die Einhaltung der Eurostabili-
tätskriterien ermittelt wird.
Allein der Bund nahm demnach von Ja-
nuar bis Juni 17,7 Milliarden Euro mehr
ein, als er ausgab. Zugleich häuften die
Länder Überschüsse von 12,7 Milliarden
Euro an. Die übrigen 14,8 Milliarden Euro
an Überschüssen verteilen sich hälftig auf
Kommunen und Sozialversicherung. Wich-
tigste Triebkraft war dabei der immer
noch robuste Anstieg der Beschäftigten-
zahl, der die Einnahmen aus Sozialbeiträ-
gen und Lohnsteuern weiter sprudeln
ließ. Allein durch Sozialbeiträge flossen
dem Staat im ersten Halbjahr 289,2 Milli-
arden Euro zu, 4,4 Prozent mehr als im
Vorjahreszeitraum.
Insgesamt nahm der Staat bis Juni 792
Milliarden Euro ein und gab knapp 746
Milliarden Euro aus. Während auf der Ein-
nahmenseite vor allem die Sozialabgaben
stiegen, legten auf der Ausgabenseite die
öffentlichen Investitionen überdurch-
schnittlich zu, sogar um 10,6 Prozent auf
knapp 36 Milliarden Euro. Wegen unter-
schiedlicher Abgrenzungen sind die Daten
der Volkswirtschaftlichen Gesamtrech-


nung aber nicht deckungsgleich mit der so-
genannten Finanzstatistik, die unmittel-
bar Zu- und Abflüsse öffentlicher Kassen
abbildet. So werden Zinsausgaben und
Steuereinnahmen zu unterschiedlichen
Zeitpunkten verbucht. Laut Finanzstatis-
tik war der Bund zur Jahresmitte sogar
leicht im Defizit, wie ergänzend am Diens-
tag zu erfahren war. Nach den Maastricht-
Kriterien für den Euro hat Deutschland
insgesamt im ersten Halbjahr aber einen
Staatsüberschuss von 2,7 Prozent des Brut-
toinlandsprodukts erzielt.
Politisch bringen diese unverhofft güns-
tigen Halbjahreszahlen die Befürworter
von Steuererhöhungen und schuldenfi-
nanzierten Ausgabenprogrammen unter
neuen Erklärungsdruck. Auf der anderen
Seite leitet insbesondere die FDP daraus
eine Bestätigung ihrer Forderung ab, Bür-
ger und Unternehmen von Steuern zu ent-

lasten. Dazu gehöre es, den Solidaritätszu-
schlag zur Einkommensteuer gleich zum


  1. Januar 2020 vollständig abzuschaffen,
    auch für Handwerk und Mittelstand, be-
    tonte der stellvertretende FDP-Fraktions-
    vorsitzende Christian Dürr. Der neue
    Überschuss „zeigt deutlich, dass die aktu-
    ellen Debatten um Steuererhöhungen an
    der Realität vorbeigehen“, betonte er. Das
    gelte erst recht für die Pläne der SPD,
    eine neue Vermögensteuer einzuführen.
    Die Bundesregierung aus CDU/CSU
    und SPD hatte in der vergangenen Woche
    ihre Pläne für eine Teil-Abschaffung des
    „Soli“ beschlossen. Damit sollen auf der
    einen Seite rund 95 Prozent der Steuer-
    zahler entlastet werden. Auf der anderen
    Seite sollen die verbleibenden rund 5 Pro-
    zent weiter rund 10 Milliarden Euro jähr-
    lich zahlen; das ist mehr als die Hälfte des
    bisherigen Gesamtaufkommens. Die Uni-


on hatte dafür plädiert, den Zuschlag
auch ihnen schrittweise zu erlassen, sich
aber aus Rücksicht auf den Koalitionsver-
trag an die Position der SPD gehalten.
Für die Linksfraktion leitete deren Vize-
chef Fabio De Masi aus den neuen Zahlen
hingegen einen Vorwurf an Finanzminis-
ter Olaf Scholz (SPD) ab: Dieser häufe
Überschüsse an, statt durch Neuverschul-
dung „das historisch günstige Zinsumfeld
zu nutzen und dringend notwendige massi-
ve Investitionen zu tätigen“. Parteichef
Bernd Riexinger forderte salopp „saubere
Schulklos statt schwarzer Null“. Finanz-
fachleute staunten indes darüber, wie
stark die Halbjahresdaten der Volkswirt-
schaftlichen Gesamtrechnung und der Fi-
nanzstatistik für den Bundeshaushalt aus-
einanderlaufen. Bis zum Jahresende dürf-
te klarer werden, wie viel Geld dort tat-
sächlich zur Verfügung steht.

Der Kohleausstieg ist das
geringste Problem für die
Wirtschaft in Sachsen
und Brandenburg.

ami.BERLIN, 27. August. Die Entschei-
dung darüber, ob eine Steuer oder ein Sys-
tem des Emissionshandels besser zur Ver-
meidung klimaschädlicher Emissionen ge-
eignet ist, will Ottmar Edenhofer der Poli-
tik nicht abnehmen. Richtig ausgestaltet
entfalteten beide die gewünschte Wir-
kung, sagt der Klimaökonom und Berater
von Bundeskanzlerin Angela Merkel
(CDU). Aber Edenhofer ist skeptisch,
dass die Politik in der Lage ist, eine Steuer
so auszugestalten, dass sie die Emissio-
nen im gewünschten Umfang reduziert.
Er stützt damit eher die derzeitige Posi-
tion der Union, die zu einem Emissions-
handel tendiert – im Gegensatz zu SPD
und Grünen, die eine Steuer bevorzugen.
Vier Wochen, bevor die Regierung im
„Klimakabinett“ entscheiden will, mit
welchen Methoden und Verfahren sie die
Klimaziele für 2030 und darüber hinaus


einhalten will, tobt ein Streit der Gutach-
ter. Kaum ein Tag vergeht ohne Forderun-
gen an die Politik. Sieben Umweltorgani-
sationen verlangten gerade eine „ökolo-
gisch wirkungsvolle und sozialverträg-
liche CO 2 -Bepreisung im Verkehrs- und
Gebäudesektor über eine Steuerreform“.
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsfor-
schung (DIW) befürwortet eine Steuer
statt des nationalen Emissionshandels.
„Sie wäre schneller umsetzbar, ist auch
ökologisch und ökonomisch effizient und
daher aus heutiger Sicht eindeutig die
überlegene Option.“ Das Ökoinstitut
warnt, den Emissionshandel einzuführen
brauche Jahre; die Zeit habe man nicht.
Sowohl die nationale Abgabe als auch
der Emissionshandel würden jene Wirt-
schaftssektoren umfassen, die nicht wie
Energie und Industrie schon heute dem
europäischen Emissionshandel unterwor-

fen sind: Gebäude und Verkehr, die Berei-
che mit dem größten Nachholbedarf an
CO 2 -Einsparungen.
Edenhofer, der auch an dem im Juli vor-
gelegten Gutachten der Wirtschaftssach-
verständigen mitgearbeitet hat, sagt, eine
Steuer sei nur im ersten Schritt das überle-
gene System zur Verbrauchssteuerung.
Ihre Schwachstellen zeigten sich erst mit
der Zeit. So müsse die Steuer am Preis
von Öl und Gas ausgerichtet werden. Sin-
ke der Ölpreis, was eine emissionsstei-
gernde Nachfrage anregen würde, müsse
die Politik mit höheren Steuern gegensteu-
ern. Zudem müsse sie die Steuer in den
Folgejahren immer wieder anheben, weil
sie ihre CO 2 -Ziele verschärfen wolle. Es
gebe aber „historisch kaum Beispiele, wo
permanent Steuersätze erhöht wurden“.
Da sei der Emissionshandel, in dem die
Politik nur die Zahl der zu versteigernden

Rechte senken müsse, das praktikablere
Instrument. Große Preisschwankungen,
die Investoren irritierten oder Betriebe
überforderten, will er mit einem Mindest-
und einem Höchstpreis ausschalten. Das
könne man so konstruieren, dass ähnlich
hohe Einnahmen wie bei der Steuer ent-
stünden. Die könnten dann auf unter-
schiedliche Weise an die Gesellschaft zu-
rückfließen – und über einen „Härte-
fonds“ die entschädigen, die von einem
CO 2 -Preis am stärksten belastet würden:
Pendler, Betreiber von Ölheizungen und
Einpersonenhaushalte. Zum Start schlägt
Edenhofer einen CO 2 -Preis von 50 Euro
je Tonne vor, etwa das Doppelte des aktu-
ellen Preises. Bis 2030 sollte er auf 130
Euro je Tonne steigen. Entscheidend sei,
dass es von 2030 an einen Emissionshan-
del in ganz Europa gebe, in den alle Bran-
chen integriert seien.

Hat gut lachen: Bundesfinanzminister Olaf Scholz Foto Imago


Zweifelhafte Klimasteuer


Von Andreas Mihm


Alterung Ost


Von Julia Löhr


loe. BERLIN, 27. August. Seit die Pläne
von Berlins Bausenatorin Katrin Lomp-
scher (Linke) zum Mietendeckel konkre-
ter werden, schlagen die Wellen hoch.
7,97 Euro kalt je Quadratmeter will
Lompscher als Obergrenze festlegen, dar-
unter gibt es je nach Alter und Ausstat-
tung weitere Stufen. Wer mehr zahlt, soll
beim Bezirksamt eine Senkung der Miete
beantragen können. Doch abgesehen da-
von, ob solch gravierende Eingriffe in das
Privateigentum überhaupt rechtlich mög-
lich wären, stellt sich noch eine andere
Frage: Für wen macht Lompscher da ei-
gentlich Politik?
Von ihrem Plan würden vor allem die
Besserverdiener profitieren, die in einem
der angesagten und entsprechend teuer
gewordenen Szeneviertel als Mieter le-
ben. So lag in Friedrichshain-Kreuzberg
die durchschnittliche Angebotsmiete für
neue Verträge zuletzt bei 12,94 Euro. In
Mitte waren es 12,51 Euro, in Charlotten-
burg 12 Euro und in Pankow mit dem be-
liebten Prenzlauer Berg 10,97 Euro. Dies
geht aus einem Bericht der landeseige-
nen Investitionsbank Berlin hervor. Wer
in einem bis 1918 errichteten Altbau lebt,
soll seine Miete nach Lompschers Plan


theoretisch sogar bis auf 6,03 Euro je Qua-
dratmeter reduzieren dürfen. Das käme
für viele Mieter mit neueren Verträgen
mehr als einer Halbierung gleich. In der
Linken-Hochburg Marzahn-Hellerdorf
dagegen liegen die Angebotsmieten im
Mittel nur bei 7,77 Euro.
Michael Voigtländer, Ökonom und Im-
mobilienfachmann am Institut der deut-
schen Wirtschaft in Köln, kann diese Poli-
tik nicht nachvollziehen. „Die Mittel-
schicht und die Oberschicht profitieren,
sie könnten ihre Mieten reduzieren.“ Aller-
dings, so gibt Voigtländer zu bedenken,
könnte die Berliner Linke mit ihrem Plan
womöglich ein ganz anderes Ziel verfol-
gen. Denn alle, die in den vergangenen Jah-
ren zu vergleichsweise hohen Preisen
Mehrfamilienhäuser in Berlin gekauft ha-
ben, könnten diese für maximal 8 Euro je
Quadratmeter kaum noch gewinnbringend
vermieten. „Sie werden versuchen, die
Wohnungen zu verkaufen“, sagt Voigtlän-
der. Nun gibt es in den meisten Innenstadt-
vierteln Milieuschutzverordnungen, nach
denen der Bezirk ein Vorkaufsrecht hat.
Das Kalkül könnte also sein, auf diesem
Weg Wohnungen zu einer landeseigenen
Wohnungsbaugesellschaft zu bugsieren.

Ein anderes Beispiel dafür, dass von
Forderungen aus dem linken Parteien-
spektrum nicht zuletzt die bürgerliche
Mitte profitieren würde, ist die von der
SPD forcierte Grundrente ohne Bedürftig-
keitsprüfung. Dieser stellte das Ifo-Insti-
tut am Dienstag ein vernichtendes Zeug-
nis aus. „Verlogen“, nennt Joachim Rag-
nitz das Konzept von Bundessozialminis-
ter Hubertus Heil (SPD). In dieser Form
stelle die Grundrente „nur eine kleine
Gruppe von Altersrentnern besser, die in
der Erwerbsphase wenig verdient haben,
aber anderweitig abgesichert sind, zum
Beispiel über Ehepartner oder Vermö-
genseinkünfte“. Ragnitz, der die
Dresdner Niederlassung des Ifo-Instituts
leitet, wundert sich deshalb auch, dass die
SPD die Grundrente ohne Bedürftigkeits-
prüfung vor allem mit Blick auf die nahen-
den Landtagswahlen in Ostdeutschland
fordert. „Die ganz Bedürftigen, die lange
arbeitslos waren, die immer nur Minijobs
hatten, die erreicht man damit überhaupt
nicht.“ Besonders in den Lebensläufen
der Ostdeutschen gibt es aber vielfach die-
se langen Phasen der Arbeitslosigkeit und
der Minijobs. „Eigentlich müsste die Füh-
rungsspitze der Partei das sehen“, sagt
Ragnitz.

Der Mainzer Parteienforscher Jürgen
Falter ist sich da nicht so sicher. „Parteien
sind manchmal erschreckend uninfor-
miert“, sagt er. SPD und Linke würden
sich derzeit einen wahren Überbietungs-
wettbewerb liefern, um sich in der Öffent-
lichkeit möglichst sozial zu zeigen – unge-
achtet dessen, dass es womöglich sozialer
wäre, eine Bedürftigkeitsprüfung zu ma-
chen und das so gesparte Geld dafür zu
nutzen, um die wirklich Bedürftigen bes-
ser zu unterstützen. Falter spricht von ei-
ner Umverteilung von „Mittelschicht zu
Mittelschicht“. Dies sei aber kein neues
Phänomen in der Politik.
Bleibt die Frage, ob die Wähler sich
durch die Vorschläge beeindrucken las-
sen. Mit Blick auf die Mietobergrenze der
Linken sagt IW-Ökonom Voigtländer: „In
Berlin trifft das schon einen Nerv, in ande-
ren Städten ist das aber schwer vorstell-
bar.“ Die Strahlkraft der Grundrente ohne
Bedürftigkeitsprüfung hält sich bislang in
Grenzen: In Sachsen kommt die SPD letz-
ten Umfragen zufolge auf 8 Prozent, in
Brandenburg liegt sie mit 21 Prozent
gleichauf mit der AfD und anders als vor
vier Jahren nur noch wenige Prozentpunk-
te vor der bürgerlichen CDU.

Merkel-Berater sieht CO 2 -Steuern skeptisch


Ökonom Edenhofer bevorzugt den nationalen Emissionshandel – und stützt damit die Position von CDU und CSU


Hoher Staatsüberschuss befeuert Steuerstreit


Zeit für Investitionen


Von Dietrich Creutzburg


Der Mietendeckel hilft vor allem Besserverdienern


Auch bei anderen Vorhaben machen SPD und Linkspartei Wahlkampf an ihrer Klientel vorbei


Gute Nachricht in der


Konjunkturflaute: Der


Staat nimmt weiter


mehr ein, als er ausgibt.


Die FDP sieht ihre


Forderung nach Steuer-


entlastungen bestätigt.

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