Frankfurter Allgemeine Zeitung - 28.09.2019

(Tina Sui) #1

SEITE 18·MITTWOCH, 28. AUGUST 2019·NR. 199 Wirtschaft FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG


mj.FRANKFURT, 27. August.Kann die
Sammelwut der Digitalkonzerne und der
sozialen Netzwerke mit den Argumenten
des Wettbewerbsrechts gebremst wer-
den? Ein Kartellsenat aus Düsseldorf er-
kennt jedenfalls im Geschäftsgebaren
vonFacebookkeinen Verstoß. Nach der
vielbeachteten Entscheidung des Ober-
landesgerichts (OLG) Düsseldorf von
diesem Montag loben Fachleute den Se-
nat für seine deutlichen Worte. Sogar das
unterlegene Bundeskartellamt erhält viel
Zuspruch, obgleich die Wettbewerbshü-
ter gegen die Beschwerden des amerika-
nischen Internetkonzerns kaum Chan-
cen hatten: Facebook muss nun einer An-
ordnung aus Bonn nicht Folge leisten,
weite Teile seiner Nutzungsbedingungen
zu ändern. Dies hatte die Behörde im Fe-
bruar verfügt.
Für das Bundeskartellamt sei das bit-
ter, meint Rupprecht Podszun, Rechtspro-
fessor aus Düsseldorf. Das Verfahren ge-
gen Facebook gelte als Pionierverfahren
gegen die digitalen Giganten und habe
als „Meilenstein“ global weite Beachtung
gefunden. Podszun erinnerte daran, dass
man es mit zwei unterschiedlichen Insti-
tutionen zu tun habe – „Kartellbehörden,
die inzwischen stark ökonomisch und
vielleicht auch mit einem gewissen poli-
cy-drive arbeiten“, sowie Gerichten, in
denen unabhängige Richter das Gesetz
anwenden würden. „Wenn es in unbe-
kannte Gewässer geht, kann das einmal
aufeinanderprallen, so wie hier“, sagt
der Direktor des Instituts für Kartellrecht
an der Heinrich-Heine-Universität.
Der Mut zum Präzedenzfall sei dem Kar-
tellamt hoch anzurechnen, sagt Anwalt Mi-
chael Holzhäuser. „Viele andere europäi-
sche Wettbewerbsbehörden haben auf das
Amt und seinen Versuch geblickt, Licht
auf kartellrechtlich unbekanntes Terrain
in der digitalen Ökonomie zu werfen“,
sagt der Kartellrechtler der KanzleiAs-
hurst. Die Auswirkungen auf andere Berei-
che der digitalen Welt seien über den Fall
hinaus weitreichend. Mit der jüngsten Kar-
tellrechtsnovelle habe der Gesetzgeber die
Bedeutung von Datensammlungen aner-
kannt, indem er den Zugang zu wettbe-
werbsrelevanten Daten als Indiz für Markt-
macht etablierte. Die Grenzen des Wettbe-
werbsrechts, gerade wenn Nutzer – häufig
durch Desinteresse – in die Nutzung ein-
willigen, habe aber erst die Entscheidung
aus Düsseldorf aufgezeigt. „Eine solche
Einwilligung könne jedenfalls nicht als

Ausdruck der Marktmacht von Facebook
gesehen werden“, sagt Holzhäuser.
Unternehmen verschafft der Beschluss
Klarheit, weil sie in ihren Compliance-
Strukturen nicht zusätzliche kartell- und
verbraucherschutzrechtliche Kapazitäten
aufbauen müssen. Dies wiederum hätte
mit hoher Wahrscheinlichkeit komplexere
Nutzungsbedingungen nach sich gezogen.
Für Podszun ist der Beschluss auch ein
Weckruf an den Gesetzgeber: „Will man
Google, Amazon, Facebook & Co. regu-
lieren, reichen die bisherigen Instrumen-
te nicht.“ Gerade stehe in Deutschland
eine Neufassung des Kartellgesetzes an.
Dies sei eine Chance, rechtliche Grundla-
gen zu ändern. Außerdem müssen die Da-
tenschutzbehörden schlagkräftiger wer-
den, fordert der Rechtsgelehrte. „Denen
scheint der Löwenmut des Kartellamts
noch etwas zu fehlen“, sagt er.

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Irrwege
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Auswege
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Elektroroller als Haftungsrisiko
Verbraucherschützer kritisieren die Leih-
konditionen der Anbieter von Elektrorol-
lern. Teilweise müssten Kunden für Schä-
den aufkommen, die sie nicht verschuldet
haben, warnte der Verbraucherzentrale
Bundesverband (VZBV) am Dienstag. We-
gen unzulässiger Klauseln in den Nutzungs-
bedingungen hat dieser fünf Verleiher ab-
gemahnt. Dabei geht es auch darum, dass
Kunden teilweise vor Fahrtantritt Brem-
sen, Beleuchtung, Räder und Akkus auf
Mängel prüfen sollen. In der Regel könne
der Fahrer das gar nicht fachgerecht, argu-
mentiert der VZBV. Die Verleiher haben
laut Verbraucherzentrale schon reagiert:
Circ habe die geforderte Unterlassungser-
klärung abgegeben und Tier die Bedingun-
gen geändert. Andere Anbieter hätten si-
gnalisiert, dies zu tun. Anderenfalls will
der Verband klagen. jch.

Deutschland ist dicht bebaut
Kein Haus in Deutschland ist mehr als 6,
Kilometer von einem anderen Haus ent-
fernt. In 99 Prozent der Fälle hat das
nächste Haus sogar einen Abstand von
höchstens 1,5 Kilometern. Deutschland

ist also von einem dichten, zusammenhän-
genden Gebäude-Netz überspannt, wie
Wissenschaftler des Leibniz-Instituts für
ökologische Raumentwicklung in Dres-
den und des Potsdam-Instituts für Klima-
folgenforschung in einer Studie herausfan-
den. Das größte gebäudefreie Gebiet
misst den Angaben zufolge gerade einmal
12,6 Kilometer im Durchmesser. Es liegt
im Süden der Lüneburger Heide auf dem
Truppenübungsplatz Bergen. dpa

„Haben zu wenig zugehört“
Industriepräsident Dieter Kempf hat Ver-
säumnisse von Politik und Wirtschaft im
Osten eingeräumt – und einen gemeinsa-
men Kraftakt für eine bessere Infrastruk-
tur gefordert. Kurz vor den Landtagswah-
len am Sonntag in Brandenburg und Sach-
sen sagte er: „Wir haben den Menschen in
Ostdeutschland viel zu wenig zugehört
und auch zu wenig hingeguckt.“ Zu lange
sei der Fehler gemacht worden, Infra-
struktur mit Straßenbau gleichzusetzen.
Aber Infrastruktur sei „so viel mehr – das
ist auch der Internetzugang, die Dorfknei-
pe, der Bäcker und der Arzt vor Ort. Das
ist vernachlässigt worden“. dpa

BELFAST, 27. August


W


er ins Stadtzentrum nahe
dem Hafen von Belfast fährt,
sieht unvermeidlich die bei-
den riesigen gelben Kräne:
„Samson“ und „Goliath“ heißen sie, der
eine 96 Meter, der andere 106 Meter
hoch. Als die 4000-Tonnen-Kolosse vor
vierzig Jahren aufgestellt wurden, be-
schäftigte die Werft Harland & Wolff
Tausende Arbeiter in ihren Docks. Zu ih-
ren Hochzeiten im Zweiten Weltkrieg
bauten bis zu 35 000 Mitarbeiter an ge-
waltigen Schiffen. Harland & Wolff, die
vor gut hundert Jahren die Titanic kon-
struierten, waren mal die größte Werft
der Welt.
Nun ist hier kein Mensch mehr zu se-
hen, alles ist völlig still. Vor zwei Wo-
chen hat Harland & Wolff Insolvenz an-
gemeldet, nach langem Niedergang. Zu-
letzt beschäftigte die Werft mit Repara-
turarbeiten nur noch 120 Männer. Für
viele in Belfast steht die Insolvenz der
Werft symbolhaft für den Niedergang
der alten Schwerindustrie ihrer Stadt.
Vor ein paar Monaten kündigte zudem
der Luftfahrtkonzern Bombardier an, sei-
ne nordirischen Fabriken zu verkaufen;
viele der rund 4000 Arbeitsplätze stehen
auf dem Spiel. Belfast besitzt immer we-
niger Industrie.
Die Stadt lebt inzwischen von Dienst-
leistungsbranchen. IT-Unternehmen,
Fintechs und Start-ups sind entstanden,
einige Banken wie Citigroup und die
Wirtschaftsprüfer von Deloitte haben
größere Niederlassungen. „Ein anderer
Wachstumszweig ist der Tourismus“, er-
zählt Rajesh Rana, der Chef der Handels-
kammer von Belfast. Fast 5 Millionen Be-
sucher reisten im vergangenen Jahr nach
Nordirland. Ranas Vater kam als Einwan-
derer aus Indien in den sechziger Jahren,
eröffnete 1990 in Belfast ein Hotel, als
Urlauber die Unruheprovinz noch mie-
den. „Damals war der Tourismus tot“,
sagt Rana. Heute besitzt die Familie sie-
ben Hotels, ist damit einer der größten
Spieler in der Hotellerie der Stadt.
Mitgezogen vom großen Aufschwung
des „keltischen Tigers“, der Republik Ir-
land, die mit günstigen Steuern ausländi-
sche Investoren anlockte, hat sich auch
das kleine britische Nordirland in den
vergangenen Jahren einen wachsenden
Wohlstand für seine 1,8 Millionen Ein-
wohner geschaffen. Die Arbeitslosenquo-
te liegt heute sehr niedrig, bei nur 3 Pro-
zent. Und seit zwanzig Jahren, nach Ab-
schluss des Belfast-Abkommens („Kar-
freitagsabkommen“) herrscht Frieden;
der einstige blutige Konflikt zwischen ka-
tholischen irischen Republikanern und
protestantisch-unionistischen Loyalisten
ist weitgehend eingeschlafen. Zumindest
der offene Kampf ist vorbei, aber Span-
nungen bleiben.
Groß ist nun die Unsicherheit, ob der
Brexit Ruhe und Wohlstand gefährden
wird. Nur eine Minderheit der Nordiren
hat vor drei Jahren für den EU-Austritt ge-
stimmt, nämlich die protestantisch domi-
nierten nordöstlichen Wahlkreise. Der of-
fizielle Austrittstermin am 31. Oktober
kommt rasend schnell näher. „Eine neue
Grenze wäre ein politisches Problem und
ein wirtschaftliches Problem für den Han-
del, aber auch für den Tourismus, wenn
es wieder Anschläge gäbe“, sagt Hotelier
Rana. „Schon ein kleiner Vorfall be-
kommt viel internationale Medienauf-
merksamkeit, das wollen die Typen ja
auch.“ Er hat Angst, dass Besucher weg-
bleiben, die jetzt nach Belfast kommen
wegen des Titanic-Museums oder um die
Filmstudios zu sehen, in denen „Game of
Thrones“ gedreht worden ist.
Knapp 500 Kilometer lang ist die Gren-
ze zwischen der britischen Provinz Nord-
irland und der Republik Irland, sie schlän-
gelt sich durch Hügel, Wiesen und Fel-

der. Fast dreihundert Grenzübergänge
gibt es, kleine Straßen, Brücken an Flüs-
sen. Wer könnte diese Grenze überwa-
chen? „Das ist eigentlich völlig unmög-
lich zu überwachen“, sagt Rana. Der Poli-
zeichef Nordirlands, Simon Smith, sieht
das auch so. Vor zwanzig Jahren waren
die kleinen Straßen geschlossen, an grö-
ßeren Übergängen gab es Militärposten.
Würden jetzt in irgendeiner Weise neue
Grenzkontrollpunkte errichtet, wäre das
ein Rekrutierungsprogramm für militan-
te Gruppen, warnte Smith, Chef des Poli-
zeidienstes PSNI, vor wenigen Tagen. In
diesem Sommer habe man in einigen
Stadtvierteln von Belfast schon die ers-
ten Unruhen erlebt, die einstigen Terror-

gruppen machen wieder auf sich auf-
merksam.
Als „The Troubles“ wird mit euphemis-
tischem Understatement der bürger-
kriegsähnliche Konflikt bezeichnet, der
von 1969 bis 1999 mehr als 3500 Men-
schen das Leben kostete, 50 000 wurden
verletzt. Spuren dieses Bürgerkriegs sind
in einigen Straßen Belfasts, nur einen Ki-
lometer westlich des Zentrums, noch im-
mer zu sehen. An Häusern prangen
Wandgemälde, man sieht gezeichnete
Maschinenpistolen und Parolen der ka-
tholisch-irischen IRA und der protestan-
tisch-unionistischen Milizen wie die Uls-
ter Volunteer Force (UVF). Auf der heuti-
gen „Friedensmauer“ nahe der Shankill

Road gibt es gerollten Stacheldraht oben
und farbige Graffiti unten.
Die alte IRA ist wohl tot, ihre Waffen
wurden vergraben. Doch es gibt abgespal-
tene Nachfolgegruppen, die Continuity
IRA und die New IRA. Letztere bekannte
sich im April, für den Tod der erschosse-
nen jungen Journalistin Lyra McKee ver-
antwortlich zu sein. Vor einer Woche
wurden Polizeibeamte der PNSI in Watt-
lebridge, in der Grafschaft Fermanagh
nahe der Grenze, in eine Falle gelockt,
wo eine Bombe explodierte. Zum Glück
wurde niemand verletzt.
Der jahrzehntelange Konflikt hatte
Nordirland damals ökonomisch enorm
geschwächt. Noch in den 2000er Jahren,
nach dem Karfreitags-Friedensabkom-
men, war die Privatwirtschaft schwach.
„Im Grunde gibt es in Nordirland nur
zweieinhalb Einnahmequellen“, sagt
noch heute boshaft ein deutscher Wirt-
schaftsvertreter auf der Insel. „Die eine
Einnahmequelle sind Subventionen aus
der EU-Agrarpolitik für die Bauern, die
zweite sind Londoner Subventionen für
den nordirischen Staatssektor. Und die
halbe Einnahmequelle ist der Schmug-
gel.“ Das ist zwar polemisch-überzogen,
doch ein Körnchen Wahrheit steckt in
der Aussage: Nordirland ist von Subven-
tionen abhängig.
Rund 11 Milliarden Pfund (gut 12 Milli-
arden Euro) im Jahr, also fast eine Milli-
arde im Monat, überweist das Londoner
Schatzamt als „Block Grants“-Transfers
in die nordirische Provinz, gemäß einem
Finanzausgleich, der die steuerärmeren
Landesteile des Vereinigten Königreichs
(auch Wales und Schottland) unterstützt.
Je Kopf der Bevölkerung erhält Nordir-
land die höchsten Transfers. London
zahlt für die recht guten nordirischen
Straßen, für Schulen und Krankenhäu-
ser. Zusätzlich profitieren die nordiri-
schen Bauern von Brüsseler Agrarbeihil-
fen, die nach einem Brexit wegfallen.
Die Landwirte sind hochbesorgt, denn
schon jetzt stehen viele Betriebe wegen
niedriger Rindfleischpreise vor dem Aus.
Die Agrar- und Nahrungsmittelindus-
trie, die in den ländlichen Gebieten ein
wichtiger Wirtschaftsfaktor ist, lebt vom
Austausch über die Grenzen. Jede Woche
werden Tausende Schafe und Lämmer
aus dem Süden in nordirischen Schlacht-
höfen verarbeitet und umgekehrt Zehn-
tausend Schweine aus dem Norden im Sü-
den geschlachtet. Aufwendige sanitäre
Kontrollen an der Grenze würden das Ge-
schäft bremsen. Und ein Großteil der
nordirischen Agrarexporte geht in die
EU. Gäbe es nach einem Brexit Export-
zölle zu zahlen, wäre das sehr schmerz-
haft. Die Farmer sind alarmiert und wün-
schen sich sehnlichst einen „Deal“, der
Grenzen und Zölle vermeidet.
Auch Hotelier Rana, der Chef der Han-
delskammer in Belfast, wünscht sich das.
„Die Business-Community in Nordirland
ist für den Backstop“, sagt er, also jene
Regelung, die eine Grenze vermeiden
soll. Als „alternative Arrangements“, um
eine harte Grenze zu vermeiden, wurden
elektronische Kontrollen für Fahrzeuge
vorgeschlagen. Doch gäbe es nur Kame-
ras an den Hauptstraßen, wäre das eine
Einladung für die Schmuggler, die schon
seit Generationen Benzin und anderes
über die grüne Grenze bringen, sagt auch
Rana. In seinen Hotels treiben ihn ganz
andere Sorgen um: Er beschäftigt viele
Osteuropäer und auch einige Südeuropä-
er, die während der Euro-Krise kamen;
nun sorgt er sich, dass es schwieriger
wird, günstige Migranten einzustellen.
„Wie soll ich für den Brexit planen? Das
ist unplanbar“, lautet sein Resümee.
„Wir wissen nicht, was kommt.“

Sonderwege
Raumschiffe am Ostseestrand:
Schätze der DDR-Architektur

rit.ZÜRICH, 27. August. Die SPD will
die Vermögensteuer in Deutschland wie-
der einführen. Die Debatte tobt, die Kri-
tik aus der Union folgte prompt. Der
bayerische Ministerpräsident und CSU-
Vorsitzende Markus Söder erteilte der
Idee eine Absage und begründete dies
zum Beispiel mit der schwächer geworde-
nen gesamtwirtschaftlichen Entwick-
lung in Deutschland. Die Sozialdemokra-
ten wiederum haben schon am Wochen-
ende signalisiert, wie sie sich diese Steu-
er vorstellen, und vor allem, an wem sie
sich dabei orientieren: an der Schweiz.
Doch was ist das „Schweizer Modell“?
Eigentlich ist die Vermögensteuer ein
Auslaufmodell. Im Jahr 1990 gab es im
Club der 36 reichsten Länder (OECD)
dieser Erde noch zwölf Staaten, die eine
allgemeine Vermögensteuer erhoben –
im Jahr 2017 waren es nur noch vier, dar-
unter die Alpenrepublik.
In der Eidgenossenschaft wiederum
holt sich der Fiskus schon seit dem 19.
Jahrhundert einen Anteil am Vermögen
seiner Bürger: Die Einnahmen von zu-
letzt 7 Milliarden Franken im Jahr flie-
ßen ausschließlich in die Kassen der 26
Kantone. Diese stehen untereinander im
Steuerwettbewerb, daher fallen die Sätze
von Kanton zu Kanton unterschiedlich
hoch aus – die Spanne reicht von 0,2 Pro-
mille bis zu knapp 1 Prozent.
Der Vermögensteuer sind unter ande-
rem Unternehmensbeteiligungen, Bar-
guthaben, Wertpapiere, Immobilien, Au-
tos, Schmuck, Kunstwerke, Pferde, Yach-
ten und Immobilien unterworfen, wobei
Letztere zum jeweils aktuellen Verkehrs-
wert zu bewerten sind. Von den kumulier-
ten Vermögenswerten dürfen die Schul-
den abgezogen werden, was den Anreiz
erhöht, Kredite aufzunehmen. Zumin-

dest teilweise erklärt dies wohl die ver-
gleichsweise hohe Verschuldung der pri-
vaten Haushalte in der Schweiz.
Wer auf ein Nettovermögen von weni-
ger als 200 000 Franken kommt, zahlt we-
gen der Freibeträge praktisch keine Ver-
mögensteuer. Von einer Million Franken
an aufwärts wird sie deutlich spürbar.
Auf der anderen Seite sind die Einkom-
mensteuern in der Schweiz relativ nied-
rig. Die Erbschaftsteuer fällt beim Verer-
ben zu Ehegatten, Kindern und Enkeln
fast gar nicht ins Gewicht.
Gemäß den Analysen der OECD sum-
mierten sich die Vermögen- und Erb-

schaftsteuern in der Schweiz 2017 auf
7,1 Prozent aller Steuereinnahmen. In
Deutschland betrug der Anteil der Besitz-
steuern 2,7 Prozent, im Durchschnitt der
OECD-Staaten sind es 5,7 Prozent.
Aus Sicht vieler Schweizer Unterneh-
mer ist die Vermögensteuer nicht nach-
ahmenswert. „Die Vermögensteuern be-
lasten die Familienunternehmen“, sagt
Christian Frey, stellvertretender Leiter
Finanz und Steuern im Wirtschaftsdach-
verband Economiesuisse. Um die Ver-
mögensteuer, die sich aus der Teilhaber-
schaft an einem werthaltigen Unterneh-
men ergebe, bezahlen zu können, seien

viele Familienunternehmer dazu ge-
zwungen, sich eine Dividende aus den
schon versteuerten Gewinnen auszube-
zahlen. Diese Dividenden unterlägen ih-
rerseits der Einkommensteuerpflicht.
„Durch diese Substanzsteuer werden
den Eigentümern Mittel entzogen, die
sie ansonsten in das Wachstum ihres Un-
ternehmen hätten investieren können“,
sagt Frey.
Auch Stefan Kuhn, Leiter Steuer- und
Rechtsberatung bei KPMG Schweiz,
sieht die Sache kritisch: „Die Vermögen-
steuer hat ein konfiskatorisches Ele-
ment.“ Nach Kuhns Ansicht steht die De-
batte darüber quer in der Landschaft:
„Es gibt rund um den Globus die Ten-
denz, die Unternehmen zu entlasten. Da
täte sich Deutschland sicherlich keinen
Gefallen, wenn es die Steuern erhöhte.“
Auch unter den vermögenden Privatleu-
ten in Deutschland könnte die Einfüh-
rung einer Vermögensteuer Fluchtin-
stinkte wecken. „Der ein oder andere Mil-
lionär in Deutschland wird sich überle-
gen, ob er dann nicht lieber ins Ausland
zieht. In Ländern wie Schweiz, Monaco
Großbritannien oder Dubai werden Rei-
che deutlich weniger beherzt besteuert.“
Die Schweizer selbst haben sich an die
Vermögensteuer offensichtlich gewöhnt.
Derzeit läuft keine Initiative zu deren Ab-
schaffung. Das dürfte vor allem daran lie-
gen, dass die Gesamtsteuerbelastung in
der Schweiz niedriger ist als in vielen an-
deren Ländern: Unternehmen zahlen im
Durchschnitt etwas mehr als 20 Prozent
Steuern. Nach Umsetzung der vor weni-
gen Monaten von der Bevölkerung ange-
nommenen Unternehmensteuerreform
sinkt der Durchschnittssteuersatz auf we-
niger als 20 Prozent. In Deutschland sind
es rund 30 Prozent.

schä. FRANKFURT, 27. August. Die
meisten Führungskräfte in Deutschland
bescheinigen sich selbst hohe moralische
Werte, trotzdem handeln sie im Alltag ver-
gleichsweise häufig nicht danach. Nur je-
der vierte Manager denkt beispielsweise
regelmäßig über moralische Fragen nach.
Und immerhin jeder fünfte gibt unum-
wunden zu, nur teilweise oder aber gar
nicht nach seinen moralischen Überzeu-
gungen zu entscheiden. Das ist das Ergeb-
nis der „Führungskräftebefragung 2019“,
die von der Wertekommission und der
Technischen Universität München durch-
geführt wird.
Hinter der Wertekommission steht der
Verein „Initiative Werte Bewusste Füh-
rung“, der seit 2006 in regelmäßigen Ab-
ständen Studien zum Wertebewusstsein
von Führungskräften macht. An der dies-
jährigen Umfrage haben sich 545 Mana-
ger aus Deutschland beteiligt, fast alle da-
von gehören zur oberen oder mittleren
Führungsebene.
Die höchste Bedeutung messen die Ma-
nager der Studie zufolge dem Wert „Ver-
trauen“ zu. Dahinter folgen Verantwor-
tung, Integrität und Respekt. Bemerkens-
wert ist, dass nachhaltiges Handeln für
die Manager nur an fünfter Stelle steht.
Gerade mal jeder zwanzigste Manager
sagt, dass für ihn Nachhaltigkeit der wich-
tigste persönliche Wert sei. Angesichts
der seit einem Jahr sehr intensiv geführ-
ten Debatte über Klimapolitik und die

langfristigen Auswirkungen unseres Wirt-
schaftens sprechen die Studienautoren
von einem „bemerkenswerten“ Ergebnis.
Auffällig ist auch, was die Führungs-
kräfte zur ethischen Kultur in ihrem Un-
ternehmen zu sagen haben. Fast 80 Pro-
zent der Befragten geben an, dass die ethi-
schen Normen in ihrem Betrieb klar sei-
en. 70 Prozent erklären, dass sich das Ma-
nagement seiner Vorbildfunktion be-
wusst ist und vollkommen (34 Prozent)
oder „eher“ (37 Prozent) danach handelt.
Allerdings gibt fast jeder zweite Manager
zu, dass es in seinem Unternehmen nur
eingeschränkt möglich sei, Regelverstöße
und unethisches Verhalten aufzudecken.
Und etwas weniger als die Hälfte der Um-
frageteilnehmer sagt, dass aufgeflogene
Verstöße gegen Ethik und Moral meistens
oder immer bestraft würden.
Dazu passt, dass fast jede dritte Füh-
rungskraft nach eigenen Angaben dazu
neigt, in bestimmten Situationen morali-
sche Ansprüche zurückzustellen und
ethisch fragwürdig zu agieren. „Die ethi-
sche Kultur zeigt in vielen Unternehmen
Deutschlands Defizite“, erklärt die Werte-
kommission zu den Ergebnissen der Stu-
die. Dies gelte insbesondere mit Blick auf
das Identifizieren und Sanktionieren un-
ethischer Verhaltensweisen. „Ethisches
Verhalten muss daher mit noch mehr
Nachdruck eingefordert und unterstützt
werden“, fordert Sven Korndörffer, der
Vorsitzende des Vorstands der Wertekom-
mission.

Kurze Meldungen


Gerichtsurteil erfreut Facebook


Juristen loben Mut des unterlegenen Kartellamts


Das große Zittern


in Nordirland


Sightseeing in Belfast: Nordirland lebt auch vom Tourismus. Foto Schapowalow


So funktioniert die Vermögensteuer in der Schweiz


Für Familienunternehmen ist sie ein Ärgernis – allgemeinen Widerstand gibt es aber nicht


Nur jeder vierte Manager denkt


regelmäßig über Moral nach


Umfrage unter Führungskräften / Nachhaltigkeit unwichtig


Ein chaotischer Brexit droht, alte Konflikte wieder


aufbrechen zu lassen. Wirtschaftlich ist Nordirland


von Transfers abhängig, aus London und Brüssel.


Von Philip Plickert


Wanderwege
Heldengeschichten mit Kabeljau:
Der East Coast Trail in Neufundland

Auch Autos unterliegen hier der Vermögensteuer: Ferrari in Genf Foto Magnum

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