SEITE 2·MITTWOCH, 28. AUGUST 2019·NR. 199 F P M Politik FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG
Agendahoheit genutzt
„Le Monde“ (Paris) kommentiert den G-7-Gipfel in
Biarritz:
„Frankreich hatte in diesem Jahr die G-7-Präsident-
schaft inne, Macron die Wahl des Ortes und die Agenda-
hoheit, die er bestens zu nutzen verstand. Die Aktualität
hat mitgeholfen: Indem er seit Donnerstag Alarm
schlug angesichts des Dramas im Amazonas-Regen-
wald, hat er von Anbeginn das Klima zu einer Priorität
des Gipfels gemacht. Sodann, indem er dem brasiliani-
schen Präsidenten damit drohte, das Mercosur-Handels-
abkommen nicht zu unterschreiben, mit dem dieser sich
beim G-20-Gipfel in Osaka gebrüstet hatte, das aber in
Frankreich stark in der Kritik steht, hat er den internen
Gegnern den Wind aus den Segeln genommen. Macron
hat schließlich die Idee eines stärker integrativen Wachs-
tums und eines G-7-Konjunkturpaktes verteidigt. Der
Präsident ist folglich in Biarritz drei in der öffentlichen
französischen Wahrnehmung sehr sensible Themen an-
gegangen: Ökologie, Freihandel und Ungleichheit.“
Erfolg für Frankreich
„Libération“ (Paris) meint:
„Jedenfalls haben Emmanuel Macrons Aktivismus,
seine Allgegenwart, sein Sinn für Theater, seine uner-
schöpfliche Sprache, das Ergebnis des Gipfels verän-
dert. Der amerikanische Präsident verwandelte sich in
ein Lamm mit Löwenmähne, um die hartnäckigen Be-
mühungen seines Gastgebers abzusegnen. Infolgedes-
sen sind vier Themen vorangekommen: die Iran-Krise,
Amazonien, das internationale Steuerwesen und Han-
delsverhandlungen. All dies ist zerbrechlich, unsicher,
und der kleinste Ausbruch von Unmut von dem einen
oder anderen kann alles ruinieren. Aber Frankreich hat
auf der internationalen Bühne einen Punkt erzielt.“
Besser als erwartet
„El País“ (Madrid) sieht es so:
„Das Treffen der G 7 ist nicht gescheitert. Das ist die
Nachricht. Das Spannungsklima im Vorfeld des Gipfels
mit den jüngsten Strafzöllen der Vereinigten Staaten ge-
gen China und der Kontroverse mit dem Iran ließ keinen
Raum für Optimismus. Auch das Scheitern des letzten
Gipfels in Kanada, der wegen der Unnachgiebigkeit von
Trump und den Verbalattacken des Präsidenten einen
schlechten Ausgang genommen hatte, verhieß nichts
Gutes. Aber Trump verhielt sich diesmal erstaunlich ru-
hig. Er hat niemanden beleidigt und er hat auch keine
Debatte blockiert. (.. .) Es war besser als erwartet.“
Vermittlungserfolg Macrons nicht sicher
Zurückhaltend äußert sich „De Standaard“ (Brüssel):
„Ob Macron mit seinem Vermittlungsversuch Erfolg
hat, ist noch eine sehr große Frage. Trump wiederholte
die Forderung, dass Iran bei einem neuen Abkommen
auch seine ballistischen Raketen aufgeben müsse. Vor-
läufig gibt es keinerlei Hinweise, dass das islamische Re-
gime dazu bereit ist – oder was es im Gegenzug fordern
könnte. Irans Präsident Hassan Rohani und sein Außen-
minister Mohammed Dschawad Zarif mögen dem re-
formfreudigeren Flügel angehören, der das Abkommen
retten und so die Wirtschaft des Landes wiederbeleben
will. Aber da sind auch noch der ,Oberste Führer‘ Ajatol-
lah Ali Chamenei – die höchste politische und religiöse
Autorität in Iran – und die berüchtigten Revolutionsgar-
den. Die gute Nachricht ist, wenigstens vorläufig, dass
auf hoher Ebene miteinander geredet wird.“
Mercosur-Abkommen kann nützlich sein
„Verdens Gang“ (Oslo) blickt auf Brasilien:
„Ein Handelsabkommen zu verschrotten, dessen Ver-
handlungen 20 Jahre gedauert haben, wäre der falsche
Weg, um gegen Präsident Jair Bolsonaro und seinen
mangelnden Willen zum Schutz des Regenwaldes zu pro-
testieren. Eine andere Vorgehensweise wird bessere Re-
sultate liefern: Bis die Abkommen mit der EU und der
EFTA von den Parlamenten ratifiziert worden sind, soll-
ten sie dafür genutzt werden, stärkeren Druck auf Bolso-
naro auszuüben, um eine menschengemachte Katastro-
phe am Amazonas zu stoppen. Das Abkommen mit dem
Mercosur kann uns ein Druckmittel für lebenswichtige
Klima- und Umweltaspekte geben. Wir müssen diese
Möglichkeit aktiv nutzen.“
STIMMEN DER ANDEREN
LONDON, 27. August. Seit Boris Johnson
EndeJuli in die Downing Street gezogen
ist, versichert er, die Briten mit einem
„neuen und besseren Deal“ aus der EU zu
führen. Das glaubt er nur erreichen zu kön-
nen, wenn Brüssel überzeugt sei, dass das
Königreich notfalls auch ohne Abkommen
am 31. Oktober ausscheidet. Weil Johnson
diese Alternative, anders als seine Vorgän-
gerin, nicht nur rhetorisch im Spiel hält,
sondern die Nation ernsthaft darauf vorbe-
reitet, befürchten viele, dass es in zwei Mo-
naten zu einem „No-Deal-Brexit“ kom-
men könnte. Diesen zu verhindern, haben
sich die Oppositionsparteien vorgenom-
men. Deren Vorsitzende trafen sich am
Dienstag, eine Woche vor dem offiziellen
Ende der Sommerpause, in einem Londo-
ner Konferenzzentrum und berieten über
Strategien. Beendet wurde das Treffen mit
- so die Grünen-Abgeordnete Caroline Lu-
cas – „kompletter Einigkeit“, dass es einen
ungeregelten Brexit über eine Gesetzesini-
tiative zu verhindern gelte.
Eingeladen hatte Labour-Chef Jeremy
Corbyn, der noch kürzlich eine andere No-
Deal-Verhinderungsstrategie vorgeschla-
gen und sich als Übergangsregierungschef
angeboten hatte. Nach einem erfolgreichen
Misstrauensvotum gegen Johnson sei er be-
reit, als Premierminister bei der EU eine
weitere Verlängerung der Austrittsfrist zu
beantragen und dann rasch Neuwahlen an-
zusetzen. Aber der Vorstoß war schon an
der neuen Vorsitzenden der Liberaldemo-
kraten, Jo Swinson, gescheitert, die Corbyn
nicht ins Amt verhelfen will. Auch aus den
Reihen der europafreundlichen Tory-Abge-
ordneten erhielt Corbyn Absagen – und
ohne die funktioniert ein Machtwechsel
nicht. Corbyn müsste nach einem Misstrau-
ensvotum innerhalb von zwei Wochen eine
Mehrheit im Unterhaus hinter sich brin-
gen. Dafür bräuchte er eine ganze Reihe
von Tory-Stimmen, denn einige Brexiteers
auf den Oppositionsbänken würden den
Coup vermutlich nicht unterstützen.
Ein Misstrauensvotum gehörte den-
noch zu den Optionen, die am Dienstag
von den Oppositionsparteien durchge-
spielt wurden. Mehr Chancen hätte ein
parlamentarischer Sturz des Regierungs-
chefs womöglich, würde das Unterhaus
nicht Corbyn inthronisieren, sondern eine
parteiübergreifend respektierte Persönlich-
keit. Im Gespräch sind der „Vater“ und die
„Mutter“ des Hauses, der Konservative
Ken Clarke und die Labour-Abgeordnete
Harriet Harman. Ein Misstrauensvotum
bleibe eine Option, sagte Lucas, aber man
sei sich einig gewesen, dass es sich um die
„riskantere Strategie“ handle.
Als Grund gab die Grüne an, dass John-
son ein Misstrauensvotum nutzen könnte,
um seinerseits Neuwahlen einzuleiten.
Diese wiederum könnte er so legen, dass
der Wahlkampf, in dem der Parlamentsbe-
trieb traditionell ruht, in die letzten Okto-
berwochen fällt. Damit hätten die Abge-
ordneten keine Möglichkeit mehr, einen
ungeregelten Brexit zu verhindern. Ris-
kant erscheint ein Misstrauensvotum aus
Sicht der Opposition vermutlich aber
auch, weil sein Erfolg alles andere als si-
cher wäre und Johnson sogar stärken könn-
te. Ebenso ungewiss ist allerdings, ob die
Opposition mit ihrer Gesetzesinitiative
durchkommt und den Erfolg vom Früh-
jahr wiederholen kann, als sie Theresa
May gezwungen hatte, einen Aufschub in
Brüssel zu beantragen. Eine „Kontaktgrup-
pe“ soll nun den Wortlaut und den Zeit-
plan der Gesetzesinitiative koordinieren.
Die Geschäftsordnung des Unterhauses
macht den Abgeordneten einen solchen
Schritt schwer. Die Regierung hat Möglich-
keiten, ihn zu verhindern, und auch der
„Speaker of the House“, John Bercow,
müsste mitspielen. Schließlich ist unklar,
ob ein solches Gesetz von genügend To-
ries unterstützt würde. Unter den Konser-
vativen ist der Respekt für Johnson eher ge-
wachsen. Selbst seine Gegner bescheini-
gen ihm Tatkraft und einen vernünftigen
Ton gegenüber der EU. Nur wenige wollen
Johnsons neuen Ansatz torpedieren.
Johnson hat in den vergangenen Tagen
wiederholt an die Abgeordneten appel-
liert, das Referendum von 2016 zu respek-
tieren. „Es ist die Aufgabe eines jeden im
Parlament, die Sache zu erledigen“, sagte
er auf dem G-7-Gipfel in Biarritz. „Es ist
das, was die Leute wollen. Ich glaube übri-
gens auch, dass es unsere Freunde und
Partner auf der anderen Seite des Kanals
wollen.“ Abermals verteidigte er seine
Strategie: „Ich glaube, dass die EU dazu
neigt, erst ganz am Ende eine Überein-
kunft zu finden.“ Kompromissbereitschaft
in Brüssel erwartet Johnson nur, wenn die
EU die Blockade eines ungeregelten Bre-
xits durch das Unterhaus für nicht mehr
realistisch hält. Ein Sprecher Johnsons for-
mulierte das so: „Der Premierminister hat
den Staats- und Regierungschefs der EU
sehr klargemacht, dass die Idee, der Brexit
könnte gestoppt werden, unkorrekt ist.“
Johnsons Reisen nach Berlin und Paris so-
wie sein Auftritt in Biarritz wurden im Kö-
nigreich vielfach positiv kommentiert.
Gutgeschrieben wird ihm, dass die tonan-
gebenden Akteure in der EU rhetorisch
von ihrer Linie abgerückt sind, nicht mehr
über das Austrittsabkommen zu verhan-
deln. Sowohl Angela Merkel als auch der
französische Präsident Emmanuel Macron
gaben Johnson zu verstehen, dass der
„Backstop“ – der im Vertrag enthaltene
Notfallmechanismus, um Grenzkontrollen
zwischen Irland und Nordirland zu vermei-
den – verhandelbar ist, sofern London Al-
ternativvorschläge präsentiert.
Dieses Entgegenkommen ist auch ein
Versuch, Johnsons Bestreben zu durch-
kreuzen, der EU die „Schuld“ für ein Schei-
tern der Gespräche zuzuweisen. Sollte es
zu keinem Ergebnis bis zum 31. Oktober
kommen, könnte die EU nunmehr darauf
verweisen, dass es nicht an ihrer Bereit-
schaft gemangelt habe, sondern an brauch-
baren Vorschlägen aus London. Johnson
hat nun aber auch den Raum, um alternati-
ve Vereinbarungen ins Gespräch zu brin-
gen. Am Dienstag schickte er seinen Bre-
xit-Unterhändler David Frost nach Brüssel
und telefonierte mit EU-Kommission-
schef Jean-Claude Juncker. Die Zeitung
„Daily Telegraph“ zitierte einen Mitarbei-
ter Johnsons mit den Worten: „Wir haben
den Eindruck, dass es einen Wandel gege-
ben hat in der EU, verglichen mit einem
Monat zuvor, als sie den Backstop und das
Austrittsabkommen für sakrosankt erklärt
hat.“ Der Kurswechsel sei nicht substan-
tiell, aber er gebe die Gelegenheit, „jetzt
das Tor zu Verhandlungen aufzustoßen“.
Junckers Sprecherin wiederum teilte mit,
die EU werde alles tun, um einen ungere-
gelten Brexit zu vermeiden. Aber „ein No-
Deal-Szenario wird ausschließlich die Ent-
scheidung des Vereinigten Königreichs
sein, nicht die der EU“.
Druck erhielt Johnson auch vom ande-
ren Ende des Spektrums. Nigel Farage, des-
sen Brexit Party im Mai als Siegerin aus
den Europawahlen hervorgegangen war,
kündigte an, die Konservativen bei Neu-
wahlen in jedem Wahlkreis herauszufor-
dern, sollte Johnson einen neuen Deal mit
der EU verhandeln. Nur wenn der Premier-
minister den „Mut“ aufbringe und einen
„harten Bruch“ mit Brüssel herbeiführe,
werde die Brexit Party mit den Konservati-
ven zusammenarbeiten, sagte Farage.
FRANKFURT, 27. August
D
er iranische Präsident Hassan Ro-
hani schließt ein Treffen mit dem
amerikanischen Präsidenten Do-
nald Trump nicht aus. Doch am Dienstag
bekräftigte er erst einmal seine Vorbedin-
gung – eine Bedingung, von der er weiß,
dass Washington sie nicht erfüllen will:
die Aufhebung aller von der Trump-Regie-
rung verhängten Sanktionen gegen Iran.
Allein für einen Fototermin mit Trump
stehe er nicht zur Verfügung, sagte Roha-
ni. Der Schlüssel für eine Verbesserung
der Beziehungen liege in Washington.
Vermutlich hatte Emmanuel Macron
gewusst, dass sich Iran nicht ausgerech-
net jetzt bedingungslos auf ein erstes ira-
nisch-amerikanisches Gipfeltreffen seit
der Erstürmung der amerikanischen Bot-
schaft im Jahr 1979 einlassen würde. Im-
merhin war Rohani selbst einem Treffen
mit Trumps Vorgänger Barack Obama,
dem wichtigsten Vater des Atomabkom-
mens von 2015, aus dem Weg gegangen.
Doch als G-7-Gastgeber hatte der franzö-
sische Präsident am Montag in Biarritz
Zweckoptimismus verbreitet: Rohani
habe sich für Gespräche mit Trump „of-
fen gezeigt“, sagte Macron mit Bezug auf
einen reichlich vagen Satz, in dem der ira-
nische Präsident die grundsätzliche Fried-
fertigkeit und Dialogbereitschaft der Isla-
mischen Republik bekundet hatte. Ma-
cron gab sich überzeugt, dass die Bedin-
gungen für ein Treffen der Präsidenten
„in den nächsten Wochen“ geschaffen sei-
en – auch wenn er zugab, dass zwar „ge-
wissermaßen ein Fahrplan bestimmt,
aber nichts in Stein gemeißelt“ worden
sei.
Trump drückte sich auf der Pressekon-
ferenz mit Macron vorsichtiger aus. Unter
den „richtigen Umständen“, so der Ameri-
kaner, wäre er zu einem Treffen bereit.
„Aber in der Zwischenzeit müssen sie
sich gut benehmen.“ Dass sich diese Zwi-
schenzeit nicht unbedingt, wie von Ma-
cron nahegelegt, bloß in Wochen bemisst,
machte Trump einige Sätze später deut-
lich: „Ich habe ein gutes Gefühl. Ich glau-
be, wir werden etwas machen. Vielleicht
nicht sofort, aber ich glaube, letztendlich
werden wir etwas machen.“ Eine Gelegen-
heit böte sich im September, denn dann
wird Trump wie Rohani zur Generaldebat-
te der UN-Vollversammlung in New York
erwartet. Doch nicht nur Teherans Forde-
rung nach vorheriger Aufhebung der
Sanktionen steht neuen Verhandlungen
entgegen. Trump bekräftigte in Biarritz
auch, dass ein neues Abkommen mit lang-
fristigen Bestimmungen zudem Irans Ra-
ketenprogramm regeln müsse. Das hat Te-
heran umgehend abgelehnt.
Womöglich ist Macrons Vision eines
amerikanisch-iranischen Gipfeltreffens
und eines neuen „Deals“ ohnehin eher
eine Art Ablenkungsmanöver, in dessen
Windschatten einige weniger spektakulä-
re Deeskalationsschritte getan werden
könnten. Darauf deutet ein Bericht des
iranischen Nachrichtensenders Press TV
hin, der als Organ der Regierung Rohani
gilt, also derjenigen Kräfte in Iran, die an
einer Rettung des Atomabkommens in-
teressiert sind. Der Sender beruft sich auf
ungenannte Quellen in Teheran. Dem-
nach wäre Iran bereit, sich wieder an alle
Bedingungen des Nuklearpakts zu halten,
wenn ihm eine Kreditlinie von 15 Milliar-
den Dollar gewährt würde, die dem Land
wieder Handel ermöglichen würde.
Überraschenderweise hatte Trump in
Biarritz das von Macron angekündigte
Vorhaben einer solchen Kreditlinie unter-
stützt. Der Präsident des Landes, dessen
einseitig verhängte Sanktionen Iran an
den Rand der Zahlungsunfähigkeit getrie-
ben haben, gab sich nun geradezu mitleid-
voll: „Kann sein, dass sie etwas Geld brau-
chen, um sie durch eine schwierige Phase
zu bringen.“ Da Iran viel Öl habe, das als
Sicherheit dienen könne, sehe er kein Pro-
blem, dem Land finanziell auszuhelfen.
Es blieb unklar, ob sich Amerika selbst
daran beteiligen würde oder ob Trump
nur europäischen Staaten die Möglichkeit
zubilligen wollte, trotz der Sanktionen ei-
nen Kredit oder eine Bürgschaft zu verge-
ben. Trump versicherte, das Geld „käme
von vielen Ländern“ und es werde „sofort
zurückgezahlt und sehr schnell“.
Seit einigen Monaten verletzt Iran of-
fen einige Auflagen des Atomabkom-
mens, um dagegen zu protestieren, dass
es wegen Trumps Politik wirtschaftlich
nicht von dem Pakt profitiert. So lagert
Iran inzwischen mehr als die im Abkom-
men zugestandenen 300 Kilogramm
schwach angereicherten Urans; es rei-
chert das Material zugleich stärker an als
vorgesehen. Bisher sind das geringfügige
Grenzverletzungen, die leicht rückgängig
zu machen wären. Hätten Irans Revoluti-
onsführer Ali Chamenei und die Hard-
liner das Atomabkommen aufkündigen
wollen, hätten sie sich damit nicht zufrie-
dengegeben. Allerdings hat Iran für Sep-
tember die Verletzung weiterer Regeln an-
gekündigt. Im Gespräch mit der „Süddeut-
schen Zeitung“ bekräftigte Außenminis-
ter Dschawad Zarif kurz vor seinem Über-
raschungstreffen mit Macron in Biarritz
am Sonntag, dass manche Kräfte in Iran
dann eine stärkere Eskalation anstrebten
- sollte es Europa bis dahin nicht gelun-
gen sein, sich von Amerika unabhängig
zu machen und mit Iran Handel zu trei-
ben.
„Das Problem ist nicht zwischen uns
und den USA“, sagte Zarif, „das Problem
ist zwischen uns und Europa.“ Das darf
man als rhetorische Figur betrachten. Wie
sehr der amerikanische Druck den Ira-
nern zu schaffen macht, zeigt schon die Irr-
fahrt des iranischen Öltankers „Adrian
Darya 1“, der Anfang Juli wegen Schmug-
gelverdachts in Gibraltar festgesetzt wor-
den war, vor kurzem aber freigegeben wur-
de. Washington hat dafür gesorgt, dass das
Schiff in keinem Anrainerland des Mittel-
meers seine Ladung von 2,1 Millionen Bar-
rel Rohöl im Wert von 130 Millionen Dol-
lar löschen kann. Offenbar hat es nun die
Heimreise in den Persischen Golf angetre-
ten. Iranische Medien berichten, ein ano-
nymer Käufer wolle die Schiffsladung nun
in Qatar löschen.
Hinter der kompromisslosen amerika-
nischen Haltung vermutet Iran Trumps Si-
cherheitsberater John Bolton. Dazu passt
es, dass sich Trump in Biarritz nach ei-
nem Essen mit Macron, bei dem keine Be-
rater zugegen waren, konzilianter zeigte.
In Iran wird ein Treffen Rohanis mit
Trump trotz aller Bedenken nicht mehr
ausgeschlossen. Denn zum einen ist die
iranische Wirtschaft am Ende. Trotz um-
fassender Ausgabenkürzungen beläuft
sich das Haushaltsdefizit auf 50 Prozent.
Um die Ausgaben zu finanzieren, druckt
die Zentralbank zusätzliches Geld, was
die Inflation anheizt. Der Verfall des irani-
schen Rials ist zwar gestoppt, doch das ist
für die Führung in Teheran kein Trost: Es
liegt nur daran, dass die Nachfrage nach
Devisen dramatisch zurückging, seit der
Import zum Erliegen gekommen ist und
die Zentralbank den Verkauf von Devisen
an Iraner erheblich eingeschränkt hat.
„Die Sanktionen tun ihnen furchtbar
weh“, sagte Trump in Biarritz und beteu-
erte: „Das will ich nicht.“ Deshalb sage
ihm sein „Bauchgefühl“, so Trump, dass
Iran verhandlungsbereit sei. Tatsächlich
heißt es in Iran, der Weg zu Gesprächen
sei nun dadurch etwas leichter geworden,
dass Trump seine Bestandsgarantie für
die Islamische Republik in Biarritz erneu-
ert habe. Erst als Obama Iran ein Recht
auf Urananreicherung zugestanden hatte,
waren die Verhandlungen in Fahrt gekom-
men, die 2015 zu dem Atompakt geführt
hatten. Nun hat Trump hervorgehoben,
er strebe in Iran keinen Regimewechsel
an, sondern dauerhaft gültige Einschrän-
kungen der Atom- und Raketenprogram-
me des Landes.
Doch eine Trump-Pressekonferenz
reicht nicht aus, um Irans Misstrauen zu
beseitigen. Die Hardliner in Teheran war-
nen vor Trumps „Tricks“. Sie zitieren Prä-
sident Rohani, der vor vier Monaten ge-
sagt hatte, er werde nie mit einem „Mes-
serstecher“ verhandeln. Schon vor zwei
Jahren hatte Rohani überdies gesagt, ver-
handeln mit Washington wäre „Unsinn“.
In Teheran wird weithin angenommen,
dass Chamenei Zarifs Reise nach Biarritz
gebilligt habe; schließlich hat der Oberste
Führer das letzte Wort. Dennoch berichte-
te die Zeitung „Kayhan“, ein Sprachrohr
der Hardliner, Zarif sei auf eigene Faust
gereist. So wollte sich Chamenei wohl
eine Tür offen halten, falls Zarifs Mission
scheitern würde. Der Ajatollah hätte
dann sein Gesicht gewahrt, die Verant-
wortung aber auf Präsident Rohani und
dessen Außenminister abgewälzt. Spiele
dieser Art haben in Iran eine lange Tradi-
tion.
reb.DÜSSELDORF, 27. August. In
Presseauskünften der nordrhein-west-
fälischen Polizei soll künftig die Natio-
nalität aller Tatverdächtigen genannt
werden, wenn sie zweifelsfrei feststeht.
Das kündigte Innenminister Herbert
Reul (CDU) an. Dafür werde derzeit
der Medienerlass zur Presse- und Öf-
fentlichkeitsarbeit der Polizei überar-
beitet. „Wir werden in Zukunft alle Na-
tionalitäten, die wir sicher kennen, be-
nennen – auch die der deutschen Tat-
verdächtigen“, sagte Reul. Dann könn-
ten die Medien selbst entscheiden, ob
sie die Informationen verwenden woll-
ten oder nicht. Anhand der Pressemit-
teilungen, die auch online verfügbar
sind, kann aber zudem künftig jeder In-
teressierte die Herkunft von Verdächti-
gen nachvollziehen. „Ich bin der festen
Überzeugung, dass Transparenz das
beste Mittel gegen politische Bauern-
fängerei ist“, sagte der Innenminister.
Der nordrhein-westfälische Landes-
vorsitzende der Polizeigewerkschaft
DPolG, Erich Rettinghaus, begrüßte
Reuls Ankündigung. Mit der Überar-
beitung werde Klarheit und Rechtssi-
cherheit geschaffen. Die Nennung der
Nationalität eines Tatverdächtigen kön-
ne Stammtischparolen, Spekulationen
und Verschwörungstheorien entgegen-
wirken und extremistischen Kreisen
den Wind aus den Segeln nehmen, sag-
te Rettinghaus der Nachrichtenagentur
epd. Dagegen verwies der Landesvor-
sitzende des Deutschen Journalisten-
Verbands, Frank Stach, auf die Verant-
wortung von Journalisten, die selbst
die Entscheidung treffen müssten, ob
sie die Herkunft eines Täters nennen
oder nicht. Im Pressekodex gebe es da-
für klare Regeln. Der Presserat hatte
die entsprechende Richtlinie 12.1 vor
zwei Jahren geändert. Seither fordert
sie statt eines „begründbaren Sachbe-
zugs“ ein „begründbares öffentliches
Interesse“ als Voraussetzung für die
Nennung der Herkunft von Tatverdäch-
tigen. Unverändert blieb die Aufforde-
rung, besonders darauf zu achten,
„dass die Erwähnung Vorurteile gegen-
über Minderheiten schüren könnte“.
Die frühere Praxis war spätestens seit
der Kölner Silvesternacht 2015/2016 in
die Kritik geraten, bei der es zu massen-
haften sexuellen Übergriffen durch
eine große Männergruppe überwie-
gend arabischer und nordafrikanischer
Herkunft gekommen war. Seither ist in
Internetdebatten immer wieder davon
die Rede, dass ein angebliches Schwei-
gekartell aus Journalisten, Polizisten
und Politikern die ausländische Her-
kunft von Tatverdächtigen verheimli-
chen wolle.
Nur für einen Fototermin ist der Iraner nicht zu haben
Nicht ohne Vorbedingungen: Irans Präsident Hassan Rohani am Sonntag in Teheran Foto EPA
Generalprobe für den Aufstand gegen Johnson
DieOppositionsparteien in Großbritannien wollen einen ungeregelten Brexit verhindern / Von Jochen Buchsteiner
Polizei in NRW
nenntNationalität
von Verdächtigen
Hassan Rohani reagiert
abwartend auf die Idee
eines Treffens mit
Donald Trump. Aber
womöglich sind
Fortschritte in anderen
Bereichen möglich.
Von Rainer Hermann
und Andreas Ross
Erfolglos: Jeremy Corbyn Foto dpa