SEITE N 2·MITTWOCH, 28. AUGUST 2019·NR. 199 Natur und Wissenschaft FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG
S
indKleinkinder weniger intelli-
gent, wenn ihre Mütter wäh-
rend der Schwangerschaft viel
Fluorid über das Trinkwasser
zu sich genommen haben?
Christine Till und ihre Kollegen von der
York Universität in Toronto haben Hin-
weise darauf gefunden, dass dies bei Jun-
gen der Fall sein könnte. Für Mädchen
fällt die Antwort weniger eindeutig aus.
In Teilen Kanadas, Australiens und den
Vereinigten Staaten sowie in vielen ande-
ren Ländern wird Leitungswasser fluori-
diert, um die Zähne damit vor Karies zu
schützen. In Deutschland und Europa
enthalten einige Sorten Speisesalz und
Zahnpasta Fluorid, jedoch nicht das Lei-
tungswasser. Ermittelt wurde der mögli-
che Zusammenhang zwischen der
Fluoridexposition der Mütter und dem
IQ der Kinder an 512 Mutter-Kind-Paa-
ren, von denen knapp die Hälfte in Ge-
genden Kanadas lebt, in denen das Lei-
tungswasser fluoridiert wird.
Eine Exposition, mit der sich die Kon-
zentration an Fluorid im mütterlichen
Urin um ein Milligramm pro Liter er-
höht, könnte nach den Erkenntnissen
von Till und ihren Kollegen bei Jungen
zu einem um 4,5 Punkte niedrigeren In-
telligenzquotienten (IQ) führen. Gemes-
sen wurde der IQ bei den Kindern im Al-
ter von drei bis vier Jahren. Für Mäd-
chen zeigte sich hier kein statistisch si-
gnifikanter Zusammenhang. Dieser trat
nur dann zutage, wenn die mütterliche
Fluoridexposition über die Menge an
Leitungswasser ermittelt wurde, die die
Frauen nach Selbstauskunft während
der Schwangerschaft getrunken hatten.
Auf dieser Grundlage scheint ein tägli-
ches Plus von einem Milligramm Fluorid
sowohl bei den Jungen als auch bei den
Mädchen zu einer Intelligenzminderung
von 3,66 Punkten zu führen. Der durch-
schnittliche IQ der Mädchen und Jun-
gen, die an der Studie teilgenommen ha-
ben, liegt bei einem Wert von 107. Als
lernbehindert gelten Kinder bei einem
IQ zwischen 70 und 84. Die Minderung
der Intelligenz um die von den For-
schern ermittelten Werte ist angesichts
der vielerorts üblichen Fluoridierung
des Trinkwassers nicht trivial und würde
- sollten sich die Ergebnisse bestätigen –
die Länder und Regionen erheblich un-
ter Druck setzen.
Die Studie stieß dann auch schnell
auf Widerstand. So ließ das englische
„Science Media Centre“ (www.science-
mediacentre.org) acht Experten zu
Wort kommen, die allesamt methodi-
sche Mängel an der Untersuchung an-
führen. Auch in Australien hegen die
vom dortigen „Science Media Centre“
befragten Experten vorwiegend Zweifel
(www.smc.org.au). Selbst die Fach-
zeitschrift „Jama Pediatrics“, in der die
Ergebnisse veröffentlicht worden sind
(doi: 10.1001/jamapediatrics.2019.
1729), druckte einen Begleitkommen-
tar, in dem der Chefredakteur Dimitri
Christakis erklärt, wie schwer ihm die
Veröffentlichung des Beitrags gefallen
sei. Er habe aber dafür sorgen wollen,
dass die Ergebnisse einer kritischen Be-
wertung unterzogen werden.
Bemängelt werden unter anderem die
große Streuung der Daten, die Art und
Weise, wie einige Daten erhoben wor-
den sind, und der Umstand, dass auch an-
dere Faktoren für das Ergebnis verant-
wortlich sein können. So wurde die Fluo-
ridkonzentration im Urin nur dreimal
während der gesamten Schwangerschaft
gemessen. Der Wert hängt jedoch stark
davon ab, wann die Frauen zuletzt etwas
getrunken haben und was. Abgepacktes
Wasser enthält zum Beispiel nur wenig
Fluorid, und die Substanz verschwindet
auch schnell wieder aus dem Urin. Der
Urin-Wert reflektiere im Grunde nur
das letzte Getränk, schreibt Alastair Hay
von der Universität Leeds auf der Seite
des englischen „Science Media Centre“.
Nur wenige Mütter hatten sehr hohe
Fluorid-Konzentrationen im Urin. Mit
Fluorid im Trinkwasser lag der Durch-
schnittswert bei 0,7 Milligramm pro Li-
ter, sonst bei 0,4, also unterhalb von dem
für die Intelligenzminderung kritischen
Wert von einem Milligramm pro Liter.
Ein weiterer Vorwurf: Till und ihre
Kollegen hätten gar nicht überprüft, wie
zuverlässig die Selbstauskünfte der Müt-
ter über die Menge des getrunkenen Lei-
tungswassers seien. Es sei auch nichts
über den mütterlichen IQ oder die häus-
lichen Verhältnisse bekannt, in denen
die Kinder aufwachsen. Die Forscher
um Christine Till haben nur den Bil-
dungsabschluss der Mutter und die Ein-
kommensverhältnisse erfragt. Es fehlen
auch Daten zur allgemeinen Entwick-
lung des Kindes und wie viel Fluorid es
selbst nach der Geburt zu sich genom-
men hat. Es sei also völlig offen, ob die
vor- oder die nachgeburtliche Fluorid-
exposition die mögliche Ursache sei,
schreibt Rick Cooper von der Universi-
tät London. Die Studie zeigt auch eine
ungewöhnlich breite Streuung der IQ-
Werte. Zwei Jungen haben einen IQ-
Wert von unter 60. Es sei nicht klar, wel-
chen Einfluss diese beiden Werte auf
das Gesamtergebnis der Untersuchung
hätten, so Cooper weiter.
Die Kritiker bemängeln auch, dass die
Forscher die unterschiedlichen Ergebnis-
se für Mädchen und Jungen nicht erklä-
ren können. Wenn Fluorid ein Nerven-
gift sei, müssten beide Geschlechter glei-
chermaßen betroffen sein, schreibt Alas-
tair Hay. Mehrere Kritiker vermuten zu-
dem, dass die Auswertung nach Ge-
schlechtern erst vorgenommen wurde,
nachdem sich unabhängig vom Ge-
schlecht der Kinder kein statistisch signi-
fikanter Zusammenhang mit der Fluorid-
konzentration im Urin der Mütter ge-
zeigt hatte. Das wäre dann aber eine
nachträgliche Subgruppenanalyse und
hätte als solche gekennzeichnet werden
müssen, so einige Kritiker.
Für die Studienergebnisse von Till
und ihren Kollegen spricht allerdings,
dass schon andere Untersuchungen ei-
nen Zusammenhang zwischen der müt-
terlichen Fluoridexposition und dem
kindlichen IQ gefunden haben – zuletzt
eine mexikanische Studie vor zwei Jah-
ren. Allerdings hat man auch diesen Ar-
beiten methodische Mängel vorgewor-
fen. Fest steht nach der Veröffentlichung
jedoch, dass dringend mehr Geld in die
Klärung der Frage fließen muss, ob die
Fluoridierung des Leitungswassers dazu
führt, dass Kinder mit einen niedrigeren
IQ zur Welt kommen oder nicht. Schwan-
gere, die diese Antwort nicht abwarten
wollen, könnten in Regionen, in denen
das Leitungswasser fluoridiert wird, auf
abgepacktes Wasser zurückgreifen.
Mit Tiefenhirnstimulationen , die durch
Gleichstrom über der Schädeldecke er-
zeugt werden, scheint es zu gelingen, die
Durchblutung von Hirntumoren merk-
lich zu drosseln. Eine solche Wirkung be-
sitzt die Strombehandlung offenbar so-
wohl bei Hirnmetastasen als auch bei
Glioblastomen, den besonders bösarti-
gen Hirntumoren. Hinweise darauf ha-
ben Forscher um Emiliano Santarnecchi
vom Brain Investigation & Neuromodula-
tion Laboratory der Universität in Siena
jedenfalls in der Zeitschrift „Science Ad-
vances“ vorgelegt. Ob die verminderte
Blutzufuhr die Krebsgeschwulste aushun-
gert und die hohe Sterblichkeit der Be-
troffenen damit verringert, ist noch of-
fen. Denn bislang haben die Wissen-
schaftler das Verfahren erst bei acht Pa-
tienten getestet. (N.v.L.)
Der Planet Jupiter könnte kurz nach sei-
ner Entstehung mit einem Planetenem-
bryo kollidiert sein, dessen Masse dem
Zehnfachen der Erdmasse entsprach.
Dieses Szenario schlagen Astronomen
in „Nature“ vor, um die von der Juno-
Sonde der Nasa festgestellte inhomoge-
ne Elementenverteilung in Jupiters Hül-
le zu erklären: Im inneren Teil der Was-
serstoff-Helium-Hülle, angrenzend an
den zentralen Kern, findet sich den Mes-
sungen gemäß ein hoher Anteil schwere-
rer Elemente. Dies ist deshalb überra-
schend, weil die Hülle flüssig und kon-
vektiv ist – wie ein Topf kochenden Was-
sers. Unter verschiedenen Modellen der
Entstehung des Gasplaneten kann die-
ser beobachtete Aufbau der Hülle durch
ein frühes Kollisionsszenario reprodu-
ziert werden, bei dem die Kerne beider
kollidierender Körper verschmelzen und
sich teilweise mit der Hülle des Jupiter
mischen. Tatsächlich scheinen Kollisio-
nen von Protoplaneten im Sonnensys-
tem nicht selten aufgetreten zu sein.
Nicht nur der Erdmond entstand offen-
bar auf diese Weise, auch die Neigung
der Rotationsachsen von Saturn, Uranus
und Neptun könnten durch frühere Kolli-
sionen erklärt werden. (sian)
Terrestrische Exoplaneten , die sich auf ei-
ner deutlich engeren Bahn um ihre Son-
ne bewegen als die Erde, scheinen ange-
sichts der dort wirkenden Sonnenwinde
zum Verlust ihrer Atmosphäre zu nei-
gen. Diese auf theoretischer Modellie-
rung beruhende Erwartung hat sich jetzt
in Beobachtungen des 49 Lichtjahre ent-
fernten Exoplaneten LHS 3844b, dessen
Größe dem 1,3-fachen Erdradius ent-
spricht und der alle elf Stunden seinen
Hauptstern umkreist, bestätigt. Auf der
Grundlage von Beobachtungen des Spit-
zer-Infrarot-Weltraumteleskops unter-
suchten die Astronomen die „Phasenkur-
ve“ des Systems – die Variation des
Lichts, die man beobachtet, während der
Planet in Sichtlinie vor und hinter dem
Stern vorbeizieht. Die Strahlungsbeiträ-
ge von Stern und Planet können sepa-
riert werden, da der Beitrag des Planeten
verschwindet, wenn er vom Stern ver-
deckt wird. Durch Subtraktion des stella-
ren Anteils wird dann die thermische
Strahlung des Planeten ermittelt. Für
LHS 3844b ließ sich diese durch ein Mo-
dell reproduzieren, in dem der Gesteins-
planet keinerlei Atmosphäre besitzt. Für
mögliches Leben wäre LHS 3844b damit
keine geeignete Heimat. (sian)
Mindert Fluorid
den IQ von Kindern?
Kopfschmerzen werden auch bei Kin-
dern nach wie vor oft nicht als „echte“
Krankheit wahrgenommen und nicht ad-
äquat therapiert. Immer noch werde das
Thema banalisiert, sagt die Neurologin
Gudrun Goßrau vom Universitätsklini-
kum Dresden. Jeden Monat sehen sie
und ihre Kollegen der Kinderklinik Dut-
zende von Kindern, die nicht wissen, wie
sie mit ihren Schmerzen umgehen sollen.
Mehr als zwei von drei Kindern, so ergab
kürzlich Goßraus Umfrage unter 5419
Schülern, leiden regelmäßig unter Kopf-
schmerzen. Bei den Oberschülern sind es
sogar fast acht von zehn (doi: 10.1177/
0333102419837156). Zwar hat nur jeder
zweite Schüler den Fragebogen ausge-
füllt, doch die Ergebnisse bestätigen älte-
re Studien. So hat bereits 2010 eine Ana-
lyse von 50 Studien aus der ganzen Welt
mit insgesamt 80 876 Teilnehmern eine
ähnliche Häufigkeit herausgefunden,
und auch Umfragen des Robert-Koch-In-
stituts oder der Deutschen Migräne- und
Kopfschmerzgesellschaft bestätigen die-
se. „Die Gesellschaft tut zu wenig, um
das Problem anzugehen“, klagt Goßrau.
Am häufigsten leiden die Kinder unter
Spannungskopfschmerzen und Migräne,
auch Kleinkinder. Die Symptome sind oft
kürzer und weniger ausgeprägt als bei Er-
wachsenen – das macht die Diagnose
schwierig. So treten bei Kindern Migrä-
ne-Attacken mit den heftigen, stechen-
den Schmerzen im Gegensatz zu Erwach-
senen öfter beidseitig auf, und sie dauern
meist nicht so lange. Leider gibt es kei-
nen Test und keine Untersuchung, die die
Diagnose bestätigen. Die Kinderärzte
sind auf die Beschreibung der Beschwer-
den angewiesen. Ältere Kinder können
zwar die dumpfen, drückenden Schmer-
zen beim Spannungskopfschmerz gut be-
schreiben. Aber Kleinkinder mit Migräne
sagen eher, es tue überall im Kopf weh,
statt die Schmerzen stechend zu nennen.
Statt typischer Migränekopfschmerzen
haben manche Kinder Attacken mit Übel-
keit und Erbrechen oder „Bauch-Migrä-
ne“ mit Bauchweh und Appetitlosigkeit.
Andere leiden immer wieder unter
Schwindelattacken.
In der Dresdner Studie gaben 80 Pro-
zent der Kinder, die mehr als zweimal im
Monat unter Kopfschmerzen litten, an,
nicht zum Arzt zu gehen. „Viele Eltern
nehmen die Schmerzen nicht ernst und
können sich zum Beispiel nicht vorstel-
len, dass Migräne auch bei Kindern vor-
kommt“, sagt Stefan Evers, Neurologe
am Krankenhaus Lindenbrunn in Cop-
penbrügge. Er halte aber nichts davon,
dass Kinder mit Kopfschmerzen regelmä-
ßig zum Arzt gehen sollten. „Es genügt,
einmal die Diagnose stellen und sich er-
klären zu lassen, was man tun soll.“
In Studien litten bestimmte Kinder
häufiger unter Kopfschmerzen: diejeni-
gen mit zu wenig Bewegung, Schlaf oder
Freizeit, Übergewichtige und Teenager,
die zu viel Kaffee oder Alkohol tranken
und rauchten. In der Dresdner Studie
kam noch übermäßige Nutzung von Mo-
biltelefon oder Computer hinzu. „Hoher
Leistungsdruck und zu viel Freizeitaktivi-
täten können Kopfschmerzen auslösen“,
sagt Evers, „aber beweisen lässt sich das
kaum.“ Auch Streit in der Familie oder
eine Scheidung erhöhen das Risiko, und
bei Migräne spielt Vererbung eine Rolle.
Evers rät zunächst zu mehr Schlaf, weni-
ger Stress und viel Bewegung an der fri-
schen Luft, und erst, wenn das nicht hilft,
zu Medikamenten. „Mit einer Änderung
des Lebensstils kann man vor allem bei
Spannungskopfschmerzen viel errei-
chen“, sagt er. Bei Migräne kommt man
oft um Medikamente nicht herum.
„Die Werbung der Schmerzmittelher-
steller suggeriert, dass jeder seine Kopf-
schmerzen selbst therapieren kann und
man keine Diagnose vom Arzt benötigt“,
sagt Hans-Christoph Diener, der jahre-
lang die Kopfschmerzambulanz an der
Universitätsklinik Essen geleitet hat.
„Das ist aber falsch, denn Migräne wird
anders behandelt als Spannungskopf-
schmerzen.“ Bei Migräneattacken kön-
nen auch schon Kleinkinder Ibuprofen be-
kommen, Schulkinder mit schlimmeren
Schmerzen zudem Triptane. Bei Span-
nungskopfschmerzen werden Ibuprofen
oder Paracetamol empfohlen. Die
Schmerzmittel sollte man aber nur an ma-
ximal zehn Tagen im Monat nehmen,
denn die Medikamente können selbst
Kopfschmerzen auslösen oder verstär-
ken. Trotzdem ist Vorsicht geboten. Im
Kindesalter werde oft schon der Grund-
stein für eine laxe Haltung gegenüber
Schmerzmitteln gelegt, die dann als Er-
wachsener zum Schmerzmittelüberge-
brauch führe, sagt Diener. Und der ist
schwierig zu therapieren.
Bei fünf Prozent der betroffenen Kin-
der sind die Schmerzen so schlimm, dass
sie im Alltag enorm eingeschränkt sind.
Die Folge: Schulfehltage, Leistungsab-
fall, Schulangst oder Depressionen. „Die-
se Kinder brauchen eine intensivere Be-
handlung, aber bisher ist sehr fraglich, ob
das die Kassen zahlen.“
Im Jahr 2016 hat Goßrau ein Kinder-
kopfschmerz-Programm mit mehreren
Therapie-Bausteinen entwickelt, dar-
unter Stressmanagement, Entspannungs-
techniken, Klettern, Riechtraining, Sport
und Kunsttherapie. Das Programm wur-
de an 32 Patienten getestet. Ein Jahr da-
nach hatten drei von vier Kindern selte-
ner Kopfschmerzen, und sie kamen im
Alltag besser klar.^ FELICITAS WITTE
Eine Studie behauptet, das Trinken von fluoridiertem
Leitungswasser während der Schwangerschaft schade der
Intelligenz der Kinder. Experten äußern Zweifel.
Von Hildegard Kaulen
In Deutschland stecken sich jedes Jahr
schätzungsweise 300 000 Personen bei se-
xuellen Kontakten mit dem Bakterium
Chlamydia trachomatis an. Solche Infek-
tionen sind ausgesprochen heimtückisch.
Denn sie bleiben fast immer unbemerkt,
können aber schwerwiegende Folgen ha-
ben. Das gilt vor allem für das weibliche
Geschlecht. Besonders gefürchtet sind da-
bei Entzündungen des Beckens, eine
Schwangerschaft außerhalb der Gebär-
mutter und Verklebungen der Eileiter
mit anschließender Unfruchtbarkeit.
Infektionen mit Chlamydien sind häu-
fig auch Ursache für Kinderlosigkeit.
Darauf verweist der Berufsverband der
Frauenärzte im Vorfeld des Welttags für
sexuelle Gesundheit. Dennoch seien die
Risiken sexuell übertragener Infektio-
nen immer noch zu wenig bekannt. „Das
große Problem der Infektion ist, dass sie
bei Frauen in etwa drei Viertel der Fälle
ohne Infektionszeichen verläuft und
nicht behandelt wird“, sagt der Mikrobio-
loge Georg Häcker vom Universitätskli-
nikum Freiburg. „Ohne Behandlung
wird etwa ein Prozent der infizierten
Frauen infertil, kann also auf natürli-
chem Wege keine Kinder mehr bekom-
men.“ Eine Antibiotikabehandlung
wirkt im Allgemeinen gut gegen eine In-
fektion, aber natürlich nur, wenn diese
erkannt und behandelt wird. Eine Imp-
fung wäre hier die beste Lösung.
Dieses Ziel könnte nun in erreichbare
Nähe gerückt sein. Anlass zur Hoffnung
geben die Ergebnisse einer kleinen Stu-
die, in der ein neues, noch in der Erpro-
bung befindliches Vakzin getestet wur-
de. Entwickelt von Forschern einer Non-
Profit-Organisation des dänischen Ge-
sundheitsministeriums, lenkt der Impf-
stoff den Radar des Abwehrsystems auf
ein in der Bakterienhülle befindliches
Protein, das die Chlamydien benötigen,
um sich an ihren Wirtszellen festzuhal-
ten. Für ihre Studie konnten die For-
scher, unter ihnen Sonja Abraham vom
Imperial College in London und Peter
Andersen vom Statens Serum Institut in
Kopenhagen, insgesamt 35 gesunde jun-
ge Frauen gewinnen. Alle Probandinnen
hatten eingewilligt, sich über einen Zeit-
raum von vier Monaten fünf Immunisie-
rungen zu unterziehen. Dreißig Teilneh-
merinnen erhielten daraufhin den zu tes-
tenden Impfstoff, in Kombination mit ei-
nem gängigen oder einem neuen Wirk-
stoffverstärker (Adjuvans), die übrigen
Frauen wurden mit einem Placebo ver-
sorgt. Die beiden letzten Dosen des Impf-
stoffs und des Scheinmittels spritzten
die Ärzte nicht in den Oberarm, sondern
sprühten sie in die Nase. Denn es gibt
Hinweise, dass die Schleimhäute – dar-
unter auch jene des Genitaltrakts, dem
Einfallstor der Chlamydien – in dem Fall
noch besser vor Ansteckung geschützt
sind als bei alleiniger Injektion in die
Muskulatur.
Wie die Studienautoren im Fachblatt
„Lancet Infectious Diseases“ (doi:
10.1016/S1473-3099(19)30279-8) berich-
ten, war der Impfstoff nicht nur gut ver-
träglich, sondern außerdem in der Lage,
das Immunsystem gegen die Chlamy-
dien zu mobilisieren. So führte er bei al-
len geimpften Frauen zu einer deutli-
chen Vermehrung von zielgerichteten
Antikörpern und Immunstoffen, und das
sowohl im Blut als auch in der Vaginal-
schleimhaut der Probandinnen. Als be-
sonders schlagkräftig erwies er sich da-
bei in Kombination mit dem neuen Wirk-
stoffverstärker (CAF01). War er an die-
sen gekoppelt, brachte er die Abwehr-
kräfte noch rascher und nachhaltiger ge-
gen die bakteriellen Eindringlinge in
Stellung als in Verbindung mit dem her-
kömmlichen Adjuvans Aluminiumhydro-
xid. Ob der Impfstoff damit vor einer In-
fektion mit Chlamydien schützt, lässt
sich hieraus freilich nicht ableiten. „Das
kann nicht sicher vorhergesehen wer-
den“, stellt Häcker klar und fügt hinzu,
„das Wichtigste ist letztlich, ob die Imp-
fung gegen die Spätfolgen der Infektion
schützt. Dies wird man erst viele Jahre
nach einer möglichen Einführung des
Impfstoffs wissen.“ Falls alles optimal
verlaufe, könnte vielleicht in fünf bis
zehn Jahren ein Impfstoff verfügbar
sein, schätzt der Experte.
Eine Zulassung setzt freilich voraus,
dass das Vakzin seinen Zweck erfüllt
und obendrein sicher ist. Um zu klären,
ob ihr Impfstoff diesen Anforderungen
genügt, haben Andersen und seine Kolle-
gen eine weitere Studie mit einer größe-
ren Zahl an Versuchspersonen geplant.
Zu hoffen bleibt, dass ihre Bemühungen
Erfolg haben. Denn gerade bei Jugendli-
chen und jungen Erwachsenen kommen
Chlamydien-Infektionen häufig vor.
Laut einer Studie des Robert-Koch-In-
stituts liegt der Anteil an Betroffenen in
dieser Altersgruppe hierzulande bei vier
bis fünf Prozent. Viele Beobachtungen le-
gen zudem den Schluss nahe, dass die
Häufigkeit von Geschlechtskrankheiten
seit einiger Zeit zunimmt. Diesen Trend
führt Stefan Esser, akademischer Direk-
tor der Ambulanz für HIV, Aids und Ge-
schlechtskrankheiten am Universitätskli-
nikum in Essen, auf einen rückläufigen
Gebrauch von Kondomen, häufiger
wechselnde Geschlechtspartner und die
vereinfachte Anbahnung von oft anony-
men Sexualkontakten durch das Internet
zurück. NICOLA VON LUTTEROTTI
Wissen in Kürze
Kopfschmerz
bei Kindern
oft übersehen
Auch Ärzte beachten das
Thema noch zu wenig
Angriff auf
fatale Keime
im Unterleib
Chlamydien-Impfstoff im
Test weckt Hoffnungen
In Länder wie den Vereinigten Staaten oder Kanada wird Leitungswasser zum Schutz vor Karies Fluorid beigemischt. Foto dpa
Der Exoplanet LHS 3844b in künstleri-
scher Darstellung Foto Reuters