Frankfurter Allgemeine Zeitung - 28.09.2019

(Tina Sui) #1

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Politik MITTWOCH, 28. AUGUST 2019·NR. 199·SEITE 5


ROM, 27. August. Vertrauen war von
Beginn an nicht im Spiel bei den zähen
Koalitionsverhandlungen zwischen
linkspopulistischer Fünf-Sterne-Bewe-
gung und sozialdemokratischem Partito
Democratico (PD). Stattdessen gab es
eine Woche lang Verdächtigungen,
Durchstechereien, Ultimaten.
Das war kein Wunder, denn die bei-
den politischen Kräfte verbindet eine
Geschichte tiefer Abneigung und offe-
ner Verachtung. Seit ihrer Gründung als
diffuse Protestbewegung im Jahr 2009
haben die Fünf Sterne stets den PD als
Hauptfeind betrachtet. Der PD galt als
klassischer, dazu pseudolinker Vertreter
jenes korrupten und verknöcherten poli-
tischen Systems, gegen das die Fünf Ster-
ne angetreten waren. Von Fünf-Sterne-
Gründer Beppe Grillo gibt es eine ganze
Litanei von Beschimpfungen gegen füh-
rende Vertreter des PD.
Besonders gern schüttet Grillo seinen
Kübel von Beleidigungen über dem frü-
heren Ministerpräsidenten und einsti-
gen PD-Chef Matteo Renzi aus: vom
„verwundeten Ferkel“ über das „Würst-
chen aus Florenz“ bis jüngst zum „krie-
chenden Aasgeier“ reichen die Be-
schimpfungen. Und doch war es gerade
Renzi, der nach dem Bruch der Koali-
tion zwischen der rechtsnationalisti-
schen Lega und den Fünf Sternen vom


  1. August als Erster und am lautesten
    ein Zusammengehen von PD und Fünf
    Sternen gefordert hatte. Die Verachtung
    für den PD hatte Fünf-Sterne-Chef Lui-
    gi Di Maio schon in einer Rede vom
    März 2013 auf den Punkt gebracht: „Die
    Fünf-Sterne-Bewegung ist als Gegenre-
    aktion zum PD und zu dessen Politikmo-
    dell entstanden. Wir vertreten einen
    neuen, einen radikal anderen Politikstil.
    Es kann keine politische Annäherung
    an den PD und keine Zusammenarbeit
    in Sachthemen geben.“
    Die stellvertretende Senatspräsiden-
    tin Paola Taverna fasste im Juli 2015 vor
    jubelnden Anhängern der Fünf-Sterne-
    Bewegung die Parteilinie der Bewegung
    gegenüber dem PD wie folgt zusammen:
    „Ihr seid Mafiosi, Ekelpakete, nichts als
    Scheiße! Ihr sollt abhauen und verre-
    cken!“ Noch im Mai hatte Di Maio ge-
    schworen, dass er mit „dieser Partei, de-
    ren wahre Natur die Verteidigung von
    Privatinteressen ist, niemals etwas zu
    tun haben“ werde. Denn sollte der im


März 2018 abgewählte PD wieder an die
Macht kommen, würde er „unser Steuer-
geld für seine eigenen Privilegien ausge-
ben“, warnte Di Maio: „Und deshalb
muss der PD in der Opposition bleiben.“
Drei Monate später, nachdem Lega-
Chef Matteo Salvini die Koalition mit
den Fünf Sternen hatte platzen lassen,
boten sich Di Maio und die Fünf-Sterne-
Führung dem PD als Steigbügelhalter
für die erhoffte Rückkehr an die Macht
an.
Auch PD-Parteichef Nicola Zingaretti
hatte wenige Wochen vor dem Beginn
der Verhandlungen mit Di Maio über
ein gemeinsames Kabinett keine hohe
Meinung von dem Fünf-Sterne-Chef: Er
schalt ihn einen „notorischen Lügner“
und „obszönen Schakal auf Stimmen-
fang“, der „die Milliarden der Italiener
verbrennt“ und dabei „nur an seinen
Amtssessel denkt“. Von einem „Heuch-
ler“ wie Di Maio, der mit 27 Jahren ins
Parlament gewählt worden sei, brauche
er, Zingaretti, sich jedenfalls nicht als
„Vertreter des Establishments“ be-
schimpfen zu lassen.
Als die Verhandlungen zwischen Di
Maio und Zingaretti am Dienstag voll-
ends zu platzen schienen, meldete sich
Salvini mit der Forderung zu Wort,
Staatspräsident Sergio Mattarella möge
„diesem Kuhhandel“ umgehend ein
Ende bereiten. Die Idee einer Links-
koalition in Rom habe ohnedies kein an-
derer als der französische Präsident Em-
manuel Macron erdacht, behauptete Sal-
vini. Sollte eine solche zustande kom-
men, würde diese „Italien sogleich an
Angela Merkel verkaufen“, warnte der
amtierende Innenminister.
So weit wie Giorgia Meloni, die Vorsit-
zende der neofaschistischen Partei „Brü-
der Italiens“, die das Volk „auf die Stra-
ße“ zum Protest gegen die Linke rufen
will, um sofort Neuwahlen zu erzwin-
gen, mochte Salvini aber nicht gehen.
Ob in einem Monat oder in einem Jahr
gewählt werde, spiele fast keine Rolle,
so Salvini am Dienstag. Gemeinsam mit
dem früheren Ministerpräsidenten Sil-
vio Berlusconi von der konservativen
Forza Italia, der am Montag vor einer
„linksextremen Regierung“ in Rom
warnte, und zusammen mit den „Brü-
dern Italiens“ unter Giorgia Meloni
hofft Salvini früher oder später doch
noch an die Macht zu kommen. (rüb.)

rüb.ROM, 27. August. Die deutsche
Nichtregierungsorganisation Mission
Lifeline fordert eine schnelle Lösung
für die rund 100 Migranten an Bord des
Rettungsschiffs „Eleonore“. Das Schiff
sei nur 20 Meter lang und nicht für so
viele Menschen ausgelegt, daher müss-
ten diese schnellstmöglich in einen si-
cheren Hafen. „Die Politiker mögen
schnell handeln, sonst müssen wir han-
deln“, sagte Sprecher Axel Steier am
Dienstag der Katholischen Nachrich-
ten-Agentur.
Wenn es einen Notstand an Bord
gebe, werde das Schiff den nächsten si-
cheren Hafen in Italien oder Malta an-
fahren, auch wenn sich beide Länder
nicht für zuständig hielten, so Steier.
Bei einer Notsituation habe auch Ita-
liens Innenminister Matteo Salvini
„nichts zu melden“. Salvini hatte am
Vormittag ein Verbot der Einfahrt,
Durchfahrt und des Haltens für die
„Eleonore“ in italienischen Gewässern
unterzeichnet, wie italienische Medien
unter Berufung auf das Ministerium be-
richten.
Die Lage an Bord beschrieb Steier ak-
tuell als ruhig. Die Geretteten seien un-
terernährt und dehydriert; unter ihnen
auch 30 Minderjährige, davon 15 unbe-
gleitete Kinder. Unterdessen berichtete
die Crew des Rettungsschiffs „Mare Jo-

nio“ der Organisation Mediterranea
über Störsignale, die die Suche nach
Schiffbrüchigen erschwerten. Auch Mis-
sion Lifeline gab über ihren Sprecher
an, GPS-Störungen festgestellt zu ha-
ben.
Die „Eleonore“ hatte laut eigenen
Angaben am Montag rund 100 Migran-
ten vor der libyschen Küste geborgen.
Sie befanden sich demnach 31 Meilen
vor der Küste auf einem defekten
Schlauchboot. Kapitän Claus-Peter
Reisch bat die Bundesregierung in Ber-
lin um Vermittlung eines sicheren Ha-
fens. Das unter deutscher Flagge fahren-
de Schiff war am Samstag im zentralen
Mittelmeer angelangt. Am späten Mon-
tagabend ist auch das Rettungsschiff
„Alan Kurdi“ der Regensburger Organi-
sation Sea-Eye wieder zu einem Einsatz
im Mittelmeer aufgebrochen. Unterdes-
sen berichtete auch die Crew des Ret-
tungsschiffs „Mare Jonio“ der Organisa-
tion Mediterranea über Störsignale.
Die libysche Küstenwache hat der-
weil nach eigenen Angaben 65 Migran-
ten aus Seenot gerettet. Zudem seien
fünf Leichen geborgen worden, teilte
die Küstenwache am Dienstag mit.
Nach weiteren Überlebenden und To-
ten werde weiter im Mittelmeer ge-
sucht. Ein Flüchtlingsboot sei neun See-
meilen von der libyschen Küste vor Al
Chums entfernt in Seenot geraten.

boe.PEKING, 27. August. China hat ei-
nen australischen Schriftsteller und Blog-
ger wegen Spionage angeklagt. Yang
Hengjun war bereits im Januar bei seiner
Einreise festgenommen worden. Die aus-
tralische Außenministerin Marise Payne
zeigte sich am Dienstag „sehr besorgt
und enttäuscht“ über die Anklageerhe-
bung. „Es gibt keinerlei Grundlage für
den Vorwurf, dass Dr. Yang für die austra-
lische Regierung spioniert hat“, hieß es
in einer Stellungnahme. Das chinesische
Außenministerium wies die Äußerungen
Paynes in scharfem Ton zurück. „Austra-
lien sollte Chinas Souveränität respektie-
ren und aufhören, sich in Chinas Um-
gang mit dem Fall einzumischen“, sagte
der Sprecher Geng Shuang.
Was genau Yang Hengjun vorgewor-
fen wird, wurde nicht bekannt. Seiner
Frau wurde am Dienstag die Unterrich-
tung über seine formelle Festnahme
übergeben, die demnach am 23. August
erfolgt war. Nach Angaben seines austra-
lischen Anwalts enthält das Dokument
weder Informationen über die Art der
Spionage, die Yang vorgeworfen wird,

noch über das Land, in dessen Auftrag
dies geschehen sein soll. Er sei „beson-
ders besorgt“, weil eine Anklage wegen
Spionage potentiell mit dem Tod be-
straft werden könne.
Der Schriftsteller wurde 2002 in Aus-
tralien eingebürgert. Zuvor hatte er, da-
mals noch als chinesischer Staatsbürger,
für das Außenministerium in Peking ge-
arbeitet. In seinen Schriften hat Yang bis-
weilen die chinesische Regierung kriti-
siert und für Demokratie geworben. In
den vergangenen Jahren hatte er sich je-
doch mit Kritik zurückgehalten, weshalb
er nach Angaben von Freunden deren
Warnungen vor einer Reise nach China
als unbegründet bezeichnet hatte.
Die australische Außenministerin kri-
tisierte, dass der Autor „unter harschen
Bedingungen ohne Anklage mehr als sie-
ben Monate lang in Peking festgehalten“
worden sei. „Seit dieser Zeit hat China
die Internierung von Dr. Yang weder be-
gründet noch seinen Anwälten oder sei-
ner Familie Zugang zu ihm gewährt.“
Australische Diplomaten haben ihn
mehrfach in seiner Zelle besucht.

PARIS/SÃO PAULO, 27. August


S


einen diplomatischen Marathon hat
der französische Präsident am Diens-
tag vor aus aller Welt angereisten
Botschaftern in Paris fortgesetzt. Nach
dem erfolgreichen Abschluss des G-7-Gip-
fels in Biarritz, der ihm ein einmütig positi-
ves Presseecho in der Heimat bescherte,
führte Emmanuel Macron seine Ideen zu
einer „europäischen Souveränität“ vor den
französischen Diplomaten aus.
Es sei höchste Zeit, dass die EU ihre In-
teressen eigenständig definiere und vertei-
dige. Nach der Finanzkrise 2008 habe es
die EU leichtfertig hingenommen, dass
die in Schwierigkeiten geratenen südeuro-
päischen Staaten strategisch wichtige In-
frastrukturen an nichteuropäische, insbe-
sondere chinesische Investoren verkauf-
ten. Das sei strategisch „dumm“ gewesen.
Auch in der Migrationskrise verteidige die
EU ihre Interessen und Grenzen schlecht,
kritisierte der Präsident. Er wolle sich
künftig stärker dem Thema zuwenden, das
genauso entscheidend für eine künftige eu-
ropäische Souveränität wie die Begrün-
dung einer gemeinsamen Verteidigungs-
und Außenpolitik sei. Macron forderte die
Diplomaten auf, „europäisch“ zu denken.
Frankreich verfügt über eines der größten
diplomatischen Netzwerke mit 160 eigen-
ständigen Botschaften in der Welt.
„Wir sind nicht in einem Block gefan-
gen. Wir müssen die europäische Zivilisati-
on neu begründen und dürfen nicht zwi-
schen amerikanischer Dominanz oder chi-
nesischer Dominanz wählen“, sagte er.
Die Beziehung zu Russland wolle er „neu
besichtigen“. „Wir sind in Europa und
Russland auch“, sagte er bei der Botschaf-
terkonferenz. Die EU dürfe nicht in einem
„sterilen Spannungsverhältnis“ zu Mos-
kau verharren, denn das führe dazu, dass


Europa die Bühne für den strategischen
Kampf zwischen Amerika und Russland
bleibe. Europa müsse seine eigene Souve-
ränität begründen. Dazu brauche es „Wa-
gemut und eine Vision“. Diesen Ansatz
habe er bei seinen diplomatischen Vorstö-
ßen zum Iran-Konflikt und zur Ukraine-
Krise in Biarritz verfolgt.
Nach Monaten der Kritik am Präsiden-
ten während der „Gelbwesten“-Krise er-
hielt Macron für die Ausrichtung des
G-7-Gipfels viel Lob. „Der G-7-Gipfel war
ein wichtiges Ereignis, weil Frankreich sei-
nen Platz und seine Bestimmung in der
Weltdiplomatie wieder eingenommen
hat“, sagte der frühere Justizminister
François Bayrou. Der Radiosender France
Culture feierte Macron als „Bärenzäh-
mer“, der den amerikanischen Präsiden-
ten Donald Trump „dressiert“ habe. „Ma-
cron besänftigt Trump und hat Erfolg bei
seinem G 7“, titelte die Zeitung „Le Mon-
de“. „Wette gewonnen“, bescheinigte ihm
„Le Figaro“, während die Zeitung „Libéra-
tion“ ironisch titelte „Erfolg des G 2“ – ge-
meint war wieder die Beziehung zwischen

Macron und Trump. Macron hofft, dass
auch die Franzosen es ihm anrechnen,
dass er sich auf der internationalen Bühne
bewährt. Der Präsident selbst gab sich be-
scheiden: „Ich habe in Ihrem Namen das
Maximum beim G-7-Gipfel versucht. Wir
machen weiter!“, sagte er in den Haupt-
abendnachrichten des französischen Fern-
sehens.
Den positiven Nachklang des Gipfels an
der Atlantikküste störte am Dienstag nur
der brasilianische Präsident Jair Bolsona-
ro. Er lehnte die von den G-7-Ländern ver-
sprochene Soforthilfe in Höhe von 20 Mil-
lionen Dollar zur Bekämpfung der Wald-
brände ab. „Wir danken, aber diese Mittel
wären besser für die Aufforstung in Euro-
pa eingesetzt“, sagte Bolsonaros Kabinetts-
chef Onyx Lorenzoni. „Macron schafft es
nicht einmal, einen Brand in einer zum
Weltkulturerbe zählenden Kathedrale zu
verhindern, und will trotzdem die ganze
Welt belehren“, entrüstete sich Lorenzoni.
Am Montag hatte Macron in Biarritz auf
Rückfrage Bolsonaros Verhalten als „über-
aus respektlos“ bezeichnet. Er bezog sich

auf einen Facebook-Beitrag des brasiliani-
schen Präsidenten zu seiner Ehefrau Bri-
gitte. Ein Nutzer hatte ein schmeichelhaf-
tes Foto der 37 Jahre alten Ehefrau Bolso-
naros neben eine unvorteilhafte Aufnah-
me der 66 Jahre alten Brigitte Macron ge-
stellt und dazu geschrieben: „Versteht ihr
jetzt, warum Macron Bolsonaro be-
drängt.“ Macron sei einfach neidisch auf
den Brasilianer. „Demütige den Typen
nicht, hahaha“, schrieb Bolsonaro unter
den Eintrag.
„Was soll ich dazu sagen? Das ist trau-
rig“, sagte Macron in Biarritz. Er hoffe,
dass die Brasilianer bald wieder einen
Staatschef bekämen, der sich angemessen
verhalte. Bolsonaro reagierte scharf auf
die Äußerung. „Wir können nicht akzeptie-
ren, dass ein Präsident, Macron, unange-
messene und ungerechtfertigte Attacken
gegen das Amazonasgebiet fährt“, schrieb
der Brasilianer auf Twitter. Er wiederholte
seinen Vorwurf, dass Macron Brasilien
wie eine „Kolonie“ behandele. Auch ande-
re brasilianische Regierungsmitglieder zo-
gen über den französischen Präsidenten
her. „Er ist nur ein opportunistischer
Dummkopf, der die Unterstützung der
französischen Agrarlobby sucht“, sagte Bil-
dungsminister Abraham Weintraub. Am
Montagabend wiederholte Macron in ei-
nem Fernsehgespräch im staatlichen Sen-
der France 2 seine Drohung, das EU-Han-
delsabkommen mit Lateinamerika, Merco-
sur, zu blockieren, falls Brasilien seine kli-
mapolitischen Verpflichtungen nicht ein-
halte.
Anlass zur ablehnenden Haltung Brasi-
liens waren wohl vor allem die Andeutun-
gen Macrons, dass eine Diskussion über
den „internationalen Status“ Amazoniens
in Betracht gezogen werden sollte. Damit
traf er einen empfindlichen Nerv der Brasi-
lianer, die seit Generationen den Verlust
der Kontrolle über den Amazonas fürch-
ten. Diese Angst war eine der treibenden
Kräfte für die Erschließung des Regenwal-
des während der Militärdiktatur seit den
sechziger Jahren. Auch Bolsonaro ist von
dieser Furcht getrieben. Wie aufge-
schreckt er durch die Anspielungen Ma-
crons war, zeigte sich auch daran, dass er
noch am Montag mit seinem kolumbiani-
schen Amtskollegen Iván Duque telefo-
nierte, um Strategien zum Schutz der Sou-
veränität der Anrainerstaaten über das
Amazonasgebiet zu erörtern. Umweltmi-
nister Ricardo Salles sagte hingegen am
Montagabend im brasilianischen Fernse-
hen, dass er die Hilfe angenommen hätte,
da Brasilien aufgrund der schwierigen
Wirtschaftslage und der dadurch beding-
ten Kürzungen im Staatshaushalt zu wenig
Geld für die Brandbekämpfung und prä-
ventive Maßnahmen zur Verfügung stehe.

WASHINGTON, 27. August. Als „Air
Force One“ mit dem amerikanischen Prä-
sidenten an Bord am Montagabend auf ei-
nem Militärflughafen nahe der amerika-
nischen Hauptstadt landete, hatte der un-
spektakuläre Verlauf des Rückflugs vom
G-7-Gipfel in Biarritz durchaus Nach-
richtenwert: Kein Zwischenfall, berichte-
ten mitreisende Journalisten. Das bezog
sich nicht auf etwaige Turbulenzen über
dem Atlantik, sondern auf Donald
Trump.
Nach dem Gipfel von Quebec im ver-
gangenen Jahr hatte er noch für einen
Eklat gesorgt. Mit Hängen und Würgen
hatten sich die Teilnehmer auf eine Gip-
felerklärung verständigt, da zog Trump
nach seiner Rückkehr nach Washington
die Unterschrift wieder zurück. Im Flug-
zeug hatte er die Abschlusspressekonfe-
renz des kanadischen Premierministers
Justin Trudeau gesehen. Der habe wohl
nicht gewusst, wie viele Fernseher seine
„Air Force One“ habe, lästerte Trump
später. In seiner Gegenwart sei Trudeau
ganz zahm gewesen, nach seinem Abflug
habe er die amerikanischen Strafzölle
hingegen beleidigend genannt. Das sei
unehrlich und schwach, befand der aufge-
brachte Präsident.
Diesmal verlief es umgekehrt: Unmit-
telbar vor seiner Abreise nach Frank-
reich am Freitag setzte der Präsident
noch gegen China gerichtete Tiraden
über Twitter ab, erhöhte die Strafzölle
und drohte gar amerikanischen Unter-
nehmen, sie sollten sich nach Alternati-
ven zum chinesischen Markt umschauen.
An den Börsen hatte das wutschnauben-
de Verhalten des Präsidenten für ein kräf-
tiges Minus gesorgt und anderswo im
Westen staunte man beunruhigt – nach
dem Motto: Sollte Trump denken, die
Welt verschwöre sich gegen ihn und wol-
le ihn mittels einer Rezession aus dem
Amt drängen, dann liefe gerade das Dreh-
buch einer sich selbstverwirklichenden
Prophezeiung.
Es folgte der Wandel von Biarritz.
Nach drei Tagen an der französischen Bis-
kaya wollte Trump nur noch gute Stim-
mung verbreiten: die Handelsgespräche
mit China würden fortgesetzt. Auch ste-
he man kurz vor einem Abschluss eines
Handelsdeals mit der EU. Und schließ-
lich sei ein Treffen mit dem iranischen
Präsidenten möglich. Am Ende wurde
Trump von einem Journalisten gefragt,
ob er die gegenwärtige Instabilität in der
Weltwirtschaft in Kauf nehme, die ja
auch eine Folge seiner sich ständig än-
dernden Botschaften sei. „Sorry, so ver-
handele ich nun einmal“, erwiderte
Trump barsch. Nachfrage: „Ist das Strate-
gie?“ Trump: „Yeah.“ Nachfrage: An ei-


nem Tag nenne er den chinesischen Präsi-
denten Xi Jinping einen Feind, und am
nächsten Tage seien die Beziehungen zu
China sehr gut. Trump: „Nein, nein,
nein.“ Nachfrage: Aber es gehe doch
mehrfach hin und her? Trump: Das sei
sein Verhandlungsstil. Das sei in der Ver-
gangenheit sehr gut für ihn gelaufen, füg-
te der frühere Immobilieninvestor hinzu.
Und für das Land werde es noch besser
laufen – „glaube ich“.
So sieht Trump sich: als einen, der
nichts von politischen Kompromissen
hält, sondern über die Androhung des
maximalen Drucks an sein Ziel kommt.
Funktioniert hat die Übertragung dieser
Strategie von den Straßen New Yorks auf
die weltpolitische Bühne in den vergange-
nen Wochen nicht. Trumps Offensive
vom Freitag war der Frustration darüber
geschuldet, dass die chinesische Führung
eben nicht klein beigegeben hatte, son-
dern ihrerseits Zölle erhöhte. Möglicher-
weise geschah dies in der Gewissheit,
dass Trump eine Rezession mehr fürch-
ten muss als sie: Er muss sich Wahlen
stellen.
Dass nicht nur Emmanuel Macron und
Angela Merkel auf diskrete Weise ver-
suchten, mäßigend auf Trump einzuwir-
ken, sondern auch seine Entourage zwi-
schenzeitlich wegen seines Gebarens ner-
vös wurde, bestätigte der Präsident an ei-
ner Stelle seiner Pressekonferenz selbst:
Es gebe Leute um ihn herum, die sagten:
Mach einfach einen Deal. Er freilich woll-
te keineswegs den Eindruck erwecken, er
gebe nach. China, insistierte er, wolle un-
bedingt einen „Deal“ machen. Das sei
von Peking ventiliert worden – von kei-
nem anderen als dem „Vize-Vorsitzen-
den Chinas“, sagte Trump. Gemeint war

der stellvertretende Ministerpräsident
Liu He, der Chefunterhändler, der gesagt
hatte, sein Land sei bereit, die Angelegen-
heit durch Verhandlungen und Koopera-
tion zu lösen – „mit einer ruhigen Hal-
tung“. Man lehne eine Eskalation des
„Handelskrieges“ ab. Das ist die generel-
le Linie des Landes von Beginn an.
Trumps Versuche, seine offensichtli-
chen Deeskalationsbemühungen vom
Wochenende auf vermeintliche Zuge-
ständnisse der chinesischen Seite zurück-
zuführen, wurden ihm in der amerikani-
schen Öffentlichkeit nicht abgekauft.
Halb entsetzt, halb genüsslich verwiesen
die Abendnachrichten darauf, dass die
von Trump erwähnten zahlreichen Anru-
fe, die es aus Peking gegeben habe, ei-
gentlich nicht dafür sprechen, dass China
es mit der Angst zu tun bekomme. Tenor:
Der eigentliche Grund dafür, dass der
Präsident überall positive Signale sehe
und gar nicht nah genug an den westli-
chen Bündnispartnern Macron („spekta-
kulärer Führer“), Merkel („brillante
Frau“) und auch Abe („phantastischer
Freund“) stehen konnte, sei die Tatsache
gewesen, dass ihn der zuvor angerichtete
Scherbenhaufen selbst erschreckt habe.
Deshalb verzichtete er darauf, die in-
nereuropäische Brexit-Krise anzuheizen,
deshalb äußerte er – gemessen an frühe-
ren Tiraden – nur sanfte Kritik an der
französischen Digitalsteuer und den
deutsch-russischen Gas(sonder)bezie-
hungen. Die vermeintliche Erfolgsmel-
dung, ein Handelsdeal mit der EU sei in
greifbare Nähe gerückt, wurde mit Skep-
sis aufgenommen. Auch diese Bemer-
kung sei wohl dem Ziel geschuldet gewe-
sen, mit Blick auf die Wirtschaftslage
und die Börsen gute Stimmung zu verbrei-
ten. Mit Substanz sei sie nicht unterfüt-

tert, war später von europäischer Seite zu
hören.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass
Trump Erfolge, wenn er solche vorzuwei-
sen hat, in Teilen der amerikanischen Öf-
fentlichkeit nicht gegönnt werden. Die
Handelsvereinbarung mit Japan fand
kaum Widerhall in amerikanischen Me-
dien. Gewiss lässt sich argumentieren,
der Zeitpunkt des Abschlusses sei dem
Umstand geschuldet gewesen, dass der
Präsident angesichts der allgemeinen Ma-
laise eine kleine Trophäe mit nach Hause
bringen musste. Gewiss verändert auch
das kleine Hoch über Japan für die Ame-
rikaner nicht die Großwetterlage in Ost-
asien. Doch verstärkt der Vorwahlkampf
in den amerikanischen Medien die ohne-
hin ausgeprägte Tendenz, dass für Zwi-
schentöne kein Platz ist.
Die Demokraten bilanzierten, in Biar-
ritz hätten sich die G-6-Staaten zusam-
mengetan, um einen Weg zu finden, mit
der erratischen Art des amerikanischen
Präsidenten umzugehen. So sagte es Se-
nator Chris Coons, ein enger Vertrauter
Joe Bidens. Das Bild des am Tisch der Kli-
maverhandlungen fehlenden Trump
konnte dem Demokraten als Symbol die-
nen. Konservative Zeitungen wie das
„Wall Street Journal“ hingegen befan-
den, dass Trump seinen Ton gemildert
habe. Das bezog sich auf Xi, den Trump
nun einen „großen Führer“ und „brillan-
ten Mann“ nannte. Und es bezog sich auf
Hassan Rohani, den iranischen Staatsprä-
sidenten, den Trump als „klugen Ver-
handler“ pries. Ein Treffen mit ihm in
den kommenden Wochen hielt er für rea-
listisch. Er habe ein „gutes Gefühl“, es
könnte klappen. Vielleicht gelinge es,
vielleicht nicht.
Im nächsten Jahr wird Trump Gastge-
ber eines G-7-Gipfels sein – wenige Mo-
nate vor der amerikanischen Präsidenten-
wahl. Noch ist keine offizielle Entschei-
dung über den Ort des Treffens gefallen.
In Biarritz aber führte Trump aus, dass
sein Golfklub in Doral bei Miami als Aus-
richtungsort in der engeren Wahl sei. Do-
ral biete sich an, schon aus logistischen
Gründen, sagte Trump und schwärmte
von den Räumlichkeiten dort. Ob dies
nicht dem Verhaltenskodex widerspre-
che, wurde der Präsident gefragt. Seine
Antwort: Er habe so viel Geld verloren
durch die Übernahme des Präsidenten-
amtes. Früher habe er sehr viel Geld für
seine Reden bekommen. Und heute?
„Zippo!“, nichts. Das einzige, was für ihn
wichtig sei, seien „gute Deals“ für das
Land. Am Dienstag äußerte Trump sich
weiter zu seinem Golfklub in Florida. An-
ders als von den Demokraten behauptet,
gebe es in den Hotelzimmern dort keine
Bettwanzen, schrieb er auf Twitter.

China klagt Australier an


Früherer chinesischer Staatsbürger soll spioniert haben


Lob für den Bärenzähmer


Französische Hilfe unerwünscht: Brasiliens Präsident Bolsonaro Foto dpa


„Salvini hat nichts zu melden“


Seenotretter fordern schnelle Lösung für Migranten


Wenn ein Würstchen aus Florenz


mit notorischen Lügnern spricht


Warum die Koalitionsgespräche in Rom so schwierig sind


Launen eines Präsidenten


Wie Trump das von ihm angerichtete Chaos in der Welt als Strategie verkaufen will / Von Majid Sattar


Emmanuel Macron


wird in Frankreich für


einen gelungenen


G-7-Gipfel gefeiert.


Nur die Attacken von


Brasiliens Präsident


Bolsonaro trüben den


positiven Eindruck.


Von Tjerk Brühwiller


und Michaela Wiegel


Er ist wieder da: Trump mit Gemahlin bei seiner Rückkehr in Washington Foto Laif

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