Frankfurter Allgemeine Zeitung - 28.09.2019

(Tina Sui) #1

SEITE 6·MITTWOCH, 28. AUGUST 2019·NR. 199 Politik FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG


KAPSTADT, 27. August


E


twas mehr als ein Jahr nach dem
Wahlsieg Emmerson Mnangagwas
droht Zimbabwe der Kollaps. In
der vergangenen Woche erhöhte der Präsi-
dent die Benzinpreise per Dekret auf 3,
Dollar pro Liter und machte sie damit zu
den höchsten der Welt. Am Montag stie-
gen sie abermals um zehn Prozent. Damit
hat sich der Treibstoffpreis seit Anfang
des Jahres um 600 Prozent erhöht.
Gleichzeitig hat die jährliche Inflation
nach einer Berechnung des amerikani-
schen Wirtschaftswissenschaftlers Steve
Hanke einen Wert von 552 Prozent er-
reicht. Unter Mnangagwa und seinem
Vorgänger Robert Mugabe, schreibt der
ehemalige Chefökonom Ronald Reagens
auf Twitter, hätten Mitglieder der Regie-
rungspartei Zanu PF Zimbabwe „scham-
los ausgeplündert. Jahrzehnte der Miss-
wirtschaft und Korruption haben nichts
anderes hinterlassen als Banditen und
Slums.“
Hilfsorganisationen schätzen, dass
rund ein Drittel der 15 Millionen Einwoh-
ner des Landes auf Lebensmittelhilfe an-
gewiesen sind. An manchen Tagen gibt
es 19 Stunden lang keinen Strom. Tat-
sächlich herrscht an fast allem Mangel:
an Brot, Benzin, Medikamenten. Auch
die Geldautomaten streiken immer häufi-
ger. Stattdessen blüht der Schwarzmarkt.
Die meisten Geschäftsleute misstrau-
en dem bargeldlosen Verkehr. Um an Bar-
geld zu kommen, weichen die Bewohner
jenes Landes, das zu besseren Zeiten ein-
mal als „Kornkammer des südlichen Afri-
kas“ galt, auf eine Schattenwirtschaft
aus. Für 135 Zimbabwe-Dollar, die per
App überwiesen werden müssen, rücken
gewiefte Händler hundert Zim-Dollar in
bar heraus. Das sind umgerechnet rund
24 Cent. Ausgezahlt wird das Geld in
Münzen. Verlangt der Kunde Scheine,
sind 40 Prozent Aufschlag fällig.


Am Montag kündigten die Ärzte der
staatlichen Krankenhäuser an, sie wür-
den am 3. September die Arbeit niederle-
gen, wenn ihre Forderungen nicht erfüllt
würden. Zuvor hatte sich die Regierung
bereit erklärt, die Gehälter um 60 Pro-
zent zu erhöhen. Angesichts der galop-
pierenden Inflation erscheint den Medizi-
nern dieses Angebot jedoch wertlos. Sie
bestehen darauf, in amerikanischen Dol-
lar bezahlt zu werden.
Während der Widerstand gegen die Re-
gierung wächst, gehen Polizei und Militär
immer brutaler gegen die Bevölkerung
vor. Zwar wurde am Montag der Funktio-
när der Oppositionspartei „Bewegung für
demokratischen Wandel“ (MDC) Amos
Chibaya auf Kaution aus der Haft entlas-
sen. Allerdings muss er schon am 12. Sep-
tember wieder vor Gericht erscheinen:
Ihm wird der Prozess wegen Subversion
gemacht. Chibaya hatte zu Demonstratio-
nen aufgerufen, auf denen die Bildung ei-
ner Übergangsregierung gefordert wer-
den sollte.

Die von der MDC angemeldete De-
monstration am 16. August in Harare war
zuvor von einem Gericht verboten wor-
den. Doch obwohl Polizisten mit Megafo-
nen durch die Straßen marschierten und
verkündeten, Menschen, die dennoch an
der Versammlung teilnähmen, würden
„später im Gefängnis verrotten“, kamen
an jenem Tag mehrere hundert Demons-
tranten zusammen. Die Veranstaltung
wurde von der Polizei daraufhin mit Ge-
walt aufgelöst. Auf Bildern war unter an-
derem zu sehen, wie Sicherheitskräfte
mit Tränengas in die Menge schossen und
auf wehrlose Frauen einprügelten. MDC-
Chef Nelson Chamisa sprach später von
mindestens sieben Verletzten, von denen
sich einer in einem kritischen Zustand be-
fände. 87 Oppositionelle wurden festge-
nommen. „Es wird keine Ruhe geben, bis
wir eine Regierung des Volkes erreichen“,
kündigte Chamisa daraufhin an: „Wir wer-
den weiter mobilmachen.“
Der Zustand des ehemaligen Rhode-
siens erinnert an die schlimmsten Zeiten

des Sozialisten Robert Mugabe. Der ehe-
malige Buschkrieger war 1980 an die
Macht gekommen. 37 Jahre lang herrsch-
te er mit eiserner Faust, vertrieb die wei-
ßen Farmer, die das Rückgrat der Land-
wirtschaft bildeten, und bereicherte sich
schamlos selbst. Im November 2017 kam
er durch das Militär zu Fall. Auf den Stra-
ßen tanzten die Menschen. Doch die Er-
neuerung, auf die viele Zimbabwer ge-
hofft hatten, erwies sich als trügerisch.
Die Macht übernahm mit Mnangagwa
ein alter Vertrauter Mugabes, der in den
achtziger Jahren als Geheimdienstchef
für Greueltaten an den Angehörigen des
Ndebels-Stamms verantwortlich war
und später unter Mugabe Vizepräsident
wurde.
Die Präsidentenwahl, die Ende Juli
des vergangenen Jahres stattfand, ge-
wann Mnangagwa gegen seinen Heraus-
forderer Chamisa. Allerdings konnte
man die Wahl kaum frei und fair nennen.
Robert Mugabe hatte während seiner
Herrschaft Partei, Militär und Geheim-
dienste eng miteinander verflochten,
und diesen Apparat macht sich Mnangag-
wa seitdem zunutze. Am Wahltag ver-
schwanden etliche Wahllisten spurlos,
auf Demonstranten wurde mit scharfer
Munition geschossen.
Mit roher Gewalt versucht die Regie-
rung auch nun, den Widerstand ihrer Geg-
ner im Keim zu ersticken. Mindestens 14
Oppositionelle seien in den vergangenen
Tagen verschleppt worden, klagt die
MDC – einige habe man entführt, gefol-
tert und ermordet. Sogar das Haus der be-
liebten Komikerin Samantha Kureya wur-
de gestürmt. Bewaffnete und maskierte
Männer, die sich als Polizisten ausgaben,
hätten sie am vergangenen Mittwoch aus
dem Bett gezerrt, ausgezogen und miss-
handelt. „Ich lebe in Angst“, sagte sie ein-
heimischen Journalisten im Krankenhaus
und klagte über Schmerzen im Rücken
und an den Beinen.
Heftige Kritik an der Regierung äu-
ßern die Vereinigten Staaten. „Die Ent-
täuschung wird unglücklicherweise grö-
ßer und größer“, zitiert die Nachrichten-
agentur Reuters einen „ranghohen Offi-
ziellen des State Department“: „Die Re-
gierung scheint immer gewalttätiger ge-
gen jede Form der Opposition vorzuge-
hen.“ An eine Aufhebung der Sanktio-
nen, wie sie noch kürzlich von einigen
afrikanischen Regierungschefs gefordert
wurde, dürfte so schnell nicht zu denken
sein. Erst im März hatte der amerikani-
sche Präsident Donald Trump die Sank-
tionen gegen hundert zimbabwische Un-
ternehmen und Einzelpersonen um ein
Jahr verlängert.

Demonstrieren verboten: Die Polizei nimmt Oppositionelle fest. Foto AFP


FRANKFURT,27.August. Es ist immer
noch nicht klar, was bei dem Unfall auf ei-
nem Versuchsgelände des russischen Mi-
litärs am Weißen Meer im Nordwesten
Russlands geschehen ist, bei dem am 8.
August mindestens sieben Menschen
ums Leben gekommen sind. Doch es deu-
tet immer mehr darauf hin, dass es eine
Explosion an oder in einem Atomreaktor
gegeben hat. Neue Indizien für diese Ver-
mutung liefert eine Meldung des russi-
schen Wetterdienstes Roshydromet vom
Montag. Die unmittelbar nach dem Un-
fall kurzzeitig um das Sechzehnfache ge-
stiegene radioaktive Belastung in der gut
zwanzig Kilometer entfernten Stadt Se-
werodwinsk wurde demnach von vier Ra-
dionukliden verursacht, die typische Zer-
fallsprodukte des in Reaktoren als Brenn-
stoff verwendeten Uran-235 sind. Die
nachgewiesenen Isotope von Strontium
und Barium stammten aus einer Ketten-
reaktion, wird der norwegische Nuklear-
fachmann Nils Böhmer von der Internet-
zeitung „The Barents Observer“ zitiert.
„Das ist der Beweis, dass ein Nuklearre-
aktor explodiert ist“, sagte Böhmer dem-
nach, der laut dem Medium Mitarbeiter
einer norwegischen Behörde ist, die für
die Entsorgung nuklearer Abfälle aus
Forschungsreaktoren zuständig ist.
Erste Vermutungen, es könne sich um
einen Reaktorunfall handeln, waren
schon bald nach dem Unglück aufgekom-
men. Das russische Verteidigungsminis-


terium bestritt anfangs, dass überhaupt
radioaktive Stoffe im Spiel gewesen sei-
en. Bei einem Raketentest auf einem Pon-
ton im Meer sei ein Flüssigstoffantrieb
explodiert, lautete seine ursprüngliche
Darstellung. Eine erste Meldung auf der
Internetseite der Stadt Sewerodwinsk
über erhöhte radioaktive Werte wurde
rasch wieder zurückgezogen. Allerdings
wurde schnell bekannt, dass fünf der To-
ten Mitarbeiter des staatlichen russi-
schen Atomkonzerns Rosatom waren.
In den Tagen danach wurden die Ge-
rüchte über einen Atomunfall durch wi-
dersprüchliche und unvollständige Infor-
mationen der russischen Behörden ange-
feuert. So wurden Ärzte und Pflegeperso-
nal des Regionalkrankenhauses in Ar-
changelsk, wohin Verletzte zur Behand-
lung gebracht wurden, zunächst nicht
über die mögliche radioaktive Belastung
ihrer Patienten informiert, dann aber zu
Untersuchungen nach Moskau geflogen.
Fünf Tage nach dem Unglück wurde die
erhöhte Strahlung in der Umgebung offi-
ziell bestätigt. Es gab Berichte, das Dorf
Njonoksa, das dem Versuchsgelände am
nächsten liegt, solle evakuiert werden,
dann wurde die Evakuierung wieder ab-
gesagt. Auf der Internetseite News-
ader.com wurde ein offenbar heimlich
aufgenommenes Video eines Treffens ei-
nes Offiziers mit Bewohnern von Njo-
noksa veröffentlicht, in dem dieser ver-
sucht, die Menschen zu beruhigen, sie

aber davor warnt, Strandgut aufzuheben



  • denn damit könnten sie sich den Gefah-
    ren aussetzen, vor denen sie sich nun
    fürchteten.
    Unmittelbar nach dem Unglück waren
    zudem vier Messstationen ausgefallen,
    die zu einem Monitoring-Netz der in
    Wien ansässigen Organisation für das
    Verbot von Nuklearwaffentests gehören.
    Zunächst hatten die beiden Messstatio-
    nen, die dem Unglücksort am nächsten
    liegen, keine Daten mehr nach Wien ge-
    liefert, danach waren von zwei weiteren
    keine Informationen mehr gekommen.
    In einer ersten russischen Stellungnah-
    me war von technischen Problemen die
    Rede. Später sagte der stellvertretende
    Außenminister Sergej Rjabkow jedoch,
    Russland sei nicht zur Weitergabe der Da-
    ten aus den Messstationen verpflichtet.
    Das sei eine freiwillige Maßnahme Russ-
    lands und beziehe sich nur auf Daten, die
    Rückschlüsse auf Versuche mit nuklea-
    ren Sprengköpfen geben könnten.
    Laut einer von Rosatom verbreiteten
    Darstellung war eine Art „nuklearer Bat-
    terie“ explodiert. An dieser Darstellung
    gab es jedoch Zweifel, seit der amerikani-
    sche Präsident Donald Trump wenige
    Tage nach dem Unglück getwittert hatte,
    im Norden Russlands sei ein nuklearer
    Raketenantrieb explodiert. Das deutete
    auf einen vom russischen Präsidenten
    Wladimir Putin im März 2018 in seiner
    Rede zur Lage der Nation vorgestellten


neuen Marschflugkörper namens „Bure-
westnik“ (Sturmvogel) hin, der von der
Nato als SSC-X-9 Skyfall bezeichnet
wird. Putin hatte damals gesagt, Russ-
land habe eine neuartige nuklear ange-
triebene Rakete entwickelt, die praktisch
unbegrenzte Zeit in der Luft bleiben und
mit mehrfacher Schallgeschwindigkeit
alle Abwehrsysteme des Gegners umge-
hen könne. Illustriert wurden diese Wor-
te durch eine Video-Animation, die zeig-
te, wie eine solche Rakete die Vereinig-
ten Staaten erreicht.
Nukleare Batterien, bei denen die
beim Zerfall radioaktiver Stoffe entste-
hende Wärme als Energiequelle genutzt
wird, sind nach Angaben von Fachleuten
jedoch nicht in der Lage, eine Rakete der
von Putin beschriebenen Art anzutrei-
ben. Schon nach seiner Rede im März
2018 war vermutet worden, dass „Bure-
westnik“ von einem kleinen Reaktor an-
getrieben werden solle. Versuche mit ei-
nem derartigen Antrieb hat in den fünfzi-
ger und sechziger Jahren bereits das ame-
rikanische Militär unternommen. Diese
Entwicklung war jedoch aufgrund der
großen damit verbundenen Risiken nicht
weiter verfolgt worden. Allerdings hieß
es in Trumps Tweet, auch die Vereinigten
Staaten verfügten über eine solche Tech-
nik wie die explodierte Rakete, nur sei
die amerikanische Version wesentlich
weiter fortgeschritten. Sicherheitsfach-
leute hatten sich über diese Aussage ver-
wundert gezeigt.

AfD fordert Suspendierung


DieAuseinandersetzung zu Äußerungen
eines hohen Bundeswehroffiziers über
die AfD geht weiter. Nach Informationen
der Zeitung „Die Welt“ hat nun der
Rechtsberater von Generalinspekteur
Eberhard Zorn Ermittlungen aufgenom-
men und befragt die Teilnehmer der Ver-
anstaltung, die am 24. Juni im Zentrum
Innere Führung in Koblenz stattfand.
Der Leiter des Zentrums, Generalmajor
Reinhardt Zudrop, soll dabei gesagt ha-
ben, die AfD sei keine „von Soldaten
wählbare Partei“, weil es in ihr Rechtsex-
tremisten gebe. So jedenfalls steht es in
einer Eingabe an den Wehrbeauftragten.
Die AfD hatte daraufhin die „sofortige
Suspendierung“ Zudrops gefordert, da er
sich des Dienstvergehens der politischen
Einflussnahme schuldig gemacht habe.
Ein mutmaßlicher Zeuge des Vorgangs


teilte der „Welt“ nun zudem mit, Zudrop
habe fünf bis zehn Minuten über die AfD
„richtig abgeledert“. Das Zentrum Inne-
re Führung bestätigte nach Bekanntwer-
den des Vorfalls, dass über das Thema ge-
sprochen worden sei. Doch habe Zudrop
nur seine persönliche Ansicht geäußert
und nicht dazu aufgerufen, die AfD nicht
zu wählen. (mwe.)

Iraker vor Belgien ertrunken
An der belgischen Küste ist die Leiche ei-
nes Irakers geborgen worden, der nach ei-
nem Asylantrag in Deutschland offenbar
über den Ärmelkanal nach England
schwimmen wollte. Die Staatsanwalt-
schaft in Brügge bestätigte am Dienstag
entsprechende Informationen belgischer
Medien. Der 48 Jahre alte Mann hatte be-
hördliche Papiere aus Karlsruhe bei sich,
sagte Behördensprecher Yves Segaert.

Der Tote, der am Freitagnachmittag in
der Nähe eines Windparks im Wasser ge-
funden wurde, hatte eine improvisierte
Schwimmweste aus leeren Plastikfla-
schen am Körper. Vermutlich hatte er ver-
sucht, von Nordfrankreich aus Großbri-
tannien zu erreichen. Der Kanal ist selbst
an der engsten Stelle mehr als 30 Kilome-
ter breit. Einige Tage vor Entdeckung der
Leiche war bereits ein aus leeren Fla-
schen gebautes Floß mit zwei Personen
vor der französischen Küste gesichtet wor-
den. (dpa)

Netanjahu warnt Hizbullah
Israels Ministerpräsident Benjamin Net-
anjahu hat die libanesische Hizbullah-Mi-
liz zur Zurückhaltung aufgerufen und vor
einer Eskalation gewarnt. Der Hizbul-
lah-Führer Hassan Nasrallah solle sich
beruhigen; dieser wisse „sehr gut, dass Is-
rael sich zu verteidigen weiß“, sagte Net-

anjahu am Dienstag. „Wägt eure Worte
und noch mehr eure Taten.“ Zuvor hatte
Nasrallah damit gedroht, die mutmaß-
lich israelischen Luftschläge im Libanon
vom Wochenende zu vergelten. Die israe-
lische Armee verstärkte ihre Luftabwehr
und schränkte den zivilen Verkehr im
Grenzgebiet zum Libanon ein. (stah.)

China beschuldigt G-7-Staaten
Peking hat die G-7-Staaten nach deren
Erklärung zu den Protesten in Hongkong
der Einmischung in die inneren Angele-
genheiten Chinas beschuldigt. Die ent-
sprechenden Passagen der Abschlusser-
klärung nach dem Gipfeltreffen in Süd-
frankreich stießen in Peking auf „starkes
Missfallen“ und „entschlossenen Wider-
stand“, sagte am Dienstag ein Sprecher
des Außenministeriums. Die Vorgänge
in Hongkong seien eine „rein innere An-
gelegenheit“ Chinas. (AFP)

Verräterische Isotope


Neue Informationen zum Unfall auf einem Versuchsgelände des russischen Militärs / Von Reinhard Veser


Wie zu Zeiten Robert Mugabes


Politik


Wichtiges in Kürze


InZimbabwe fehlt es an


fast allem: Brot,


Benzin, Medikamenten.


Wie sein Vorgänger


geht nun auch


Präsident Mnangagwa


brutal gegen die


Opposition vor.


Von Thilo Thielke


Zu „Lernort Potsdam“ (F.A.Z. vom 21.
August): Die Analyse zum Disput um
den Wiederaufbau der Garnisonkirche
spielt den Ball in die richtige Richtung.
Auch wenn der Ort durch den berühmten
„Tag von Potsdam“ ein wenig historisch
„kontaminiert“ erscheinen mag, bleiben
die Gegner eine schlüssige Antwort dar-
auf schuldig, was an einem authenti-
schen Lernort zur besseren Aufarbeitung
der deutschen Geschichte schlecht sein
soll. Zumal sich gerade dieses Bauwerk
angesichts seiner gewaltigen Widersprü-
che, die bereits viel weiter als in das Früh-
jahr 1933 zurückreichen, wie kaum ein

anderer Platz dafür eignet, um auch mit
den schwierigen und unbequemen Fra-
gen offensiv umzugehen und damit eben-
falls das klassisch rechtsextreme Vorur-
teil eines angeblichen Schuldkultes im
heutigen Deutschland erfolgreich akade-
misch zu kontern. Deshalb verdient die
Garnisonkirche in jedem Fall eine Chan-
ce, damit auch am Ende ein Walter Ulb-
richt nicht das letzte Wort behält, der
1968 gegen Widerstände in der örtlichen
Lokalverwaltung, was für die DDR alles
andere als typisch und sehr mutig war,
den Abriss der alten Ruine veranlasste!
RASMUS PH. HELT, HAMBURG

In der F.A.Z. vom 19. August veröffent-
licht Professor Dr. Simone Lässig ein Es-
say, dem sie unter Verwendung eines Wor-
tes von Kurt Biedenkopf die Überschrift
„Wie Hefe in Deutschland“ gibt. Eingangs
betont sie, es gebe „keine historische
Grammatik des Sächsischen, die verschie-
dene Epochen und politische Systeme
überdauert hätte“. Dennoch sei „die jüngs-
te Geschichte des Freistaates“ mit den „po-
litischen Dimensionen einer historischen
Meistererzählung“ gleichgesetzt worden.
Worum es ihr geht, ist eine Attacke auf die
sächsische CDU und auf Kurt Biedenkopf.
Beide trügen durch die systematische Be-
förderung des sächsischen „Regionalpa-
triotismus“ die Hauptschuld am Erstarken
rechtsradikaler und rechtsextremistischer
Kräfte. Ich bestreite nicht, dass regionaler
und nationaler Stolz die Gefahr in sich
birgt, „anderes“ abzuwerten. Und diese
Gefahr ist gewiss unterschätzt worden, je-
doch nicht nur in Sachsen. Dass Nazismus
und Rassismus in der DDR überwunden
seien, war so gut wie einmütige Meinung
in der frei gewählten Volkskammer. Und
in der alten Bundesrepublik war es, insbe-
sondere in linken Kreisen, stehende Rede,
dass, was immer man gegen die DDR sa-
gen könne, sie doch wahrhaft antifaschis-
tisch sei.
Vor allem aber: Wie hätten denn die
Sachsen dazu motiviert werden können,
eine der schwierigsten und überdies zu-
tiefst enttäuschenden Phasen ihrer Ge-
schichte erfolgreich durchzustehen und
voranzukommen, ohne Liebe zu ihrer Hei-
mat? Ihr Land wiederhaben zu wollen ist
den Sachsen doch nicht von finsteren
Mächten eingeredet worden. Die weißgrü-
nen Fahnen wurden weder von Helmut
Kohl noch von Kurt Biedenkopf mitge-
bracht, sondern sind in sächsischer Heim-
arbeit entstanden. Trotzdem bleibt wahr,
dass auch Heimatliebe in schlimmer Wei-
se gegen „Fremde“ missbraucht werden
kann. Dagegen helfen nur Wissen und

Denken. Also schafft der arme Freistaat
Sachsen drei Lehrstühle für sächsische
Landesgeschichte (die von der SED durch
eine marxistisch-leninistische Regional-
wissenschaft ersetzt worden war). Und
sein wahrlich nicht streitarmer Landtag
beschließt einstimmig ein Institut für säch-
sische Geschichte und Volkskunde. Die
Historikerin Lässig hält dies für kritikwür-
dig!
Was ihr aus dem Blickfeld bleibt, ist der
deutsche Kontext. Weiß Frau Lässig nicht,
dass im linken Teil des westdeutschen öf-
fentlichen Spektrums vielen bis in den ost-
deutschen revolutionären Herbst von ’
hinein der Ruf nach der deutschen Einheit
als „Revanchismus“ galt? Erinnert sie sich
nicht daran, dass seit der Änderung der
zweiten DDR-Verfassung das Wort „Deut-
scher“ durch „DDR-Bürger“ ersetzt wur-
de? Kann sie sich nicht vorstellen, dass
Menschen mit dieser Erfahrung Zorn
überkommt, wenn jemand aus dem Wes-
ten im Osten bemerkt, dass die Menschen
hier „ja noch so deutsch“ seien? Und kann
sie sich nicht denken, dass Menschen
beim Ruf, Deutschland müsse „bunt“ wer-
den, befürchten, dieses Land solle seine
sprachliche und kulturelle Eigenart aufge-
ben? Um kein Missverständnis aufkom-
men zu lassen: Für mich war die Entschei-
dung von Angela Merkel von 2015, die
Flüchtlinge ins Land zu lassen, gut und
richtig. Und die von Pegida und der AfD
ausgehende Fremdenfeindlichkeit ist eine
Schande. Frau Lässigs Erinnerung an ihre
Zeit in Dresden scheint schwach gewor-
den. So schreibt sie: „... bis heute gibt es
nicht einen einzigen Universitätsrektor
mit ostdeutscher Biographie.“ Also seit
1990? In Sachsen gab es in diesen Jahren
(wie in Ostdeutschland) nur ostdeutsche
Rektoren! Die Hochschulerneuerung ist
vor allem ihr Werk!
PROFESSOR DR. DR. H. C. HANS JOACHIM
MEYER, SÄCHSISCHER STAATSMINISTER A. D.,
POTSDAM

Briefe an die Herausgeber


ImArtikel „Stadt der Diebe“ von Hans-
Christian Rößler in der F.A.Z. vom 14. Au-
gust beschreibt Rößler das Problem der
wachsenden Kleinkriminalität in Barcelo-
na, eine traurige Tatsache, die durch Statis-
tikenm aber auch durch Stimmen aus der
Bevölkerung, der Politik und natürlich der
Polizei belegt wird.
Es ist allerdings mehr als forciert, die
Gründe hierfür in der Unabhängigkeitsbe-
wegung beziehungsweise in angeblicher
unterschiedlicher politischer Ausrichtun-
gen der Polizeikorps Guardia Urbana,
Mossos d’Esquadra beziehungsweise
Guardia Civil und Policia Nacional zu su-
chen. Die Polizeikräfte Kataloniens sind
hochprofessionell – wie gesehen in der
Handhabung der Terroranschläge in Bar-
celona vom August 2017 – und haben in
der Ausführung ihrer Pflicht über politi-
schen Debatten zu stehen. Auch möchten
wir darauf hinweisen, dass kein kausaler
Zusammenhang zu Großkundgebungen
oder Straßenblockaden der die Unabhän-
gigkeit befürwortenden Bürgerbewegung
hergestellt werden kann, aus dem einfa-
chen Grund, weil in 2019 weder eine nen-
nenswerte Großkundgebung noch eine
dementsprechende Sitzblockade stattge-
funden hat. Hier Zusammenhänge herstel-
len zu wollen werten wir als Versuch, die
vorhandene und legitime politische Debat-
te zu diskreditieren.
Dass höhere Polizeipräsenz zu einem
höheren Sicherheitsgefühl bei der Bevölke-
rung führt sowie der Kleinkriminalität ge-
genüber eine abschreckende Wirkung hat,
ist bekannt. Die Kompetenz für Bürgersi-
cherheit liegt bei den Mossos d’Esquadra,
der katalanischen Polizeieinheit. Im Zuge
der Auflagen staatlicher und regionaler
Austeritätspolitik hatte die katalanische
Regierung keine Möglichkeit, neue Polizei-
kräfte für die Mossos d’Esquadra anzuwer-
ben, was dazu geführt hat, dass nach sie-
benjährigem Einstellungsstopp erst 2019

wieder an die 500 neu ausgebildete Polizei-
kräfte ihren Dienst antreten konnten. Die
daraus resultierenden fehlenden Ab-
schlussjahrgänge führten zu einem Man-
gel an Sicherheitskräften, der sich in der
beschriebenen Situation bemerkbar
macht.
Andere Faktoren wie etwa die von Im-
mobilienfonds gepfändeten und leerste-
henden Wohnungen, die von der organi-
sierten Kriminalität als Umschlagplatz ge-
nutzt werden, oder die Entscheidung des
spanischen Obersten Gerichtshofes, dass
wiederholter Taschendiebstahl nur mit ei-
ner Geldstrafe zu ahnden sei und nicht
mehr zu einer Gefängnisstrafe führen
kann und so weiter, wirken sich ebenfalls
erschwerend auf die Kriminalitätsbekämp-
fung aus, um nur zwei Gründe zu nennen.
Den Mossos d’Esquadra ist es sehr wohl
gelungen, durch großangelegte Razzien
2018 und Anfang 2019 dem von Ihnen an-
gesprochenen Phänomen der Narcopisos
ein Ende zu setzen. Zählte Barcelona 2018
noch an die 60 Wohnungen, die unter dem
Verdacht standen, als Narcopisos genutzt
zu werden, so gibt es seit Februar 2019 so
gut wie keine mehr. Das ist deshalb ein
wichtiger Erfolg, weil der massive Drogen-
konsum in den leerstehenden Immobilien
ganze Nachbarschaften verunsicherte und
eine Gefahr für die öffentliche Gesund-
heit darstellte. Im Zuge der Razzien gegen
Narcopisos ist es den Mossos d’Esquadra
zudem gelungen, die dominikanische Dro-
genmafia durch entschiedenes Durchgrei-
fen signifikant zu schwächen. Hervorzuhe-
ben ist, dass dieser Erfolg auch der Koordi-
nation zwischen Mossos d’Esquadra und
Policia Nacional zu verdanken ist, was wie-
derum die unterstellte angebliche man-
gelnde Koordination der verschiedenen
Polizeikorps aus politischen Gründen wi-
derlegt.
MARIE KAPRETZ, VERTRETERIN DER KATALANI-
SCHEN REGIERUNG IN DEUTSCHLAND, BERLIN

Es ist großartig, dass sich die F.A.Z. so ve-
hement für den Erhalt der Kulturradio-
welle hr2 stark (zuletzt in „Hörheimat
mit offenen Grenzen“, am 22. August).
Doch wenn man dem Flurfunk trauen
darf, dann droht ein ähnlicher Kulturver-
lust auch beim RBB „Kulturradio“. Auch
dort sollen den angeblich dringend nöti-
gen Einsparungen das gesprochene Wort
zum Opfer fallen. Beim RBB sollte die
F.A.Z. also auch einmal nachfragen. Im
Übrigen ist es immer das alte Lied: der
Kulturetat wird immer zuerst gekürzt.
Als zu Beginn der neunziger Jahre aus
dem ersten deutschen Frühstücksfernse-
hen RIAS-tv das Deutsche Welle-tv mit
einem weltweiten Programm geworden
war, habe ich für diesen Sender als Produ-

zent mit den beiden Literatursenderei-
hen „Buchhandlung“ und „Lesezeit“ (vor-
gelesen haben Cornelia Froboess, Jutta
Lampe, Ulrich Mühe, Helmuth Lohner,
Walter Schmidinger, Traugott Buhre, Pin-
kas Braun, Ulrich Matthes und Thomas
Holtzmann) insgesamt knapp 150 Sende-
stunden Literaturprogramm herstellen
dürfen. Als dann Michael Naumann ers-
ter deutscher „Kulturstaatsminister“ in
der Regierung Schröder/Fischer gewor-
den war und aus Kostengründen DW-tv
abwickeln wollte, war ein Ergebnis des
Für und Wider das Ende der genannten
Sendereihen, und es entstand ein mit Kul-
turhäppchen garnierter News-Sender. So
wird’s gemacht.
INGO LANGNER, BERLIN

Authentischer Lernort


Sächsische Heimatliebe


Erfolgreiche Polizei in Katalonien


Hörheimat mit offenen Grenzen

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