Handelsblatt - 28.09.2019

(Axel Boer) #1

Vossloh Locomotives ist mit zuletzt


200 Millionen Euro Umsatz und 481


Beschäftigten kein großes Unterneh-


men. Die Kieler sind jedoch mit 25


Prozent Anteil bei Dieselloks in


Europa nach den Daten von SCI-Ver-


kehr ein dominanter Spieler. Aller-


dings schrumpft das Geschäft seit


Jahren. Heute wird nicht einmal


mehr jedes fünfte Eisenbahnfahrzeug


mit einem Dieselmotor ausgerüstet.


Die neuen Eigentümer, sagte Bahn-


Expertin Leenen, brauchen daher


„einen guten Plan“. CRRC müsse Kiel


„auf zukunftsträchtige Produkte um-


bauen“. Alternativen könnten Elek-


troloks oder -triebzüge sein.


Das Kieler Unternehmen produ-


ziert seit 100 Jahren Loks und Trieb-


wagen. Viele Jahre gehörte das Werk


zu Krupp, später zu Siemens, und


seit 1998 gehört es zu Vossloh. Offi-


ziell steht Kiel seit zwei Jahren zum


Verkauf, gesucht wird schon lange.


Das Geschäft rechnete sich nicht


mehr. 2018 machte Vossloh in Kiel 2,


Millionen Euro, im Jahr zuvor 35 Mil-


lionen Euro Verlust. Fast alle europäi-


schen Lokhersteller haben sich die


Vossloh-Tochter angesehen – alle ha-


ben abgewinkt.


Einmal wegen des schrumpfenden


Marktes für Dieselloks, zum anderen


aber auch wegen der wirtschaftlichen


Lage des Unternehmens. Vossloh Lo-


comotives stand zuletzt mit 104 Mil-


lionen Euro Vermögenswerten in der


Bilanz, aber mit 71 Millionen Euro


Schulden. Schwierig sind wohl Be-


wertungsfragen. So hat Vossloh einen


eigenen Lokpool aufgebaut, der an


Leasinggesellschaften weitergegeben


wird und den CRRC den Angaben zu-


folge übernommen hat. Die Zahl der


darin enthaltenen Loks wollte Voss-


loh allerdings nicht nennen.


Aus dem Verkauf, so heißt es aller-


dings in der Mitteilung von Vossloh,


rechnet man „mit einer zusätzlichen


Belastung des Ergebnisses aus nicht


fortgeführten Aktivitäten in einer


Größenordnung von 30 bis 35 Millio-


nen Euro“. Das war wohl auch der


Auslöser für den Kursrutsch der


Vossloh-Aktie.


Der chinesische Bahntechnikkon-


zern CRRC hatte bereits vor zwei Jah-


ren versucht, Skoda Transportation


zu kaufen und sich damit Marktzu-


gang in Europa zu verschaffen. Skoda


ist ein Allroundanbieter von Schie-


nenfahrzeugen und macht etwa 600


Millionen Euro Umsatz. Das Vorha-


ben scheiterte, tschechische Investo-


ren stiegen ein. Der zweite Anlauf in


Europa mit Vossloh ist zwar einige


Nummern kleiner, stellt CRRC aller-


dings vor die große Herausforderung,


die Neuerwerbung komplett neu aus-


zurichten. Die Branche blickt ge-


spannt auf Kiel.



Kommentar Seite 27



35


MILLIONEN


Euro Verlust könnte Vossloh mit


dem Verkauf der Loktochter in Kiel
machen.


Quelle: Unternehmen


Opioid-Prozesse


Ungemütliche


Zeiten für


Pharmariesen


Katharina Kort New York


M


ehr als eine halbe Milliarde
Dollar soll Johnson & John-
son ( J & J) dafür zahlen,
dass der US-Gesundheitskonzern
suchtgefährdende Schmerzmittel ver-
harmlost und aggressiv vermarktet
hat. Das hat am Montag ein Richter
in Oklahoma entschieden. Die insge-
samt 572 Millionen Dollar sollen hel-
fen, die Kosten des Bundesstaats für
die Suchtbekämpfung für ein Jahr ab-
zudecken.
Das Urteil gilt als wegweisend für
Tausende anderer Opioid-Prozesse
und ist auch ein Warnsignal für die
gesamte Branche: Es wird ungemüt-
lich in den USA. So wie Bayer seit der
Übernahme von Monsanto mit milli-
ardenschweren Klagen wegen seines
glyphosathaltigen Unkrautvernich-
ters Roundup zu kämpfen hat, so
müssen nun auch J & J und andere
Hersteller mit teuren Urteilen im Zu-
ge der Opioid-Epidemie in den USA
rechnen. Die Gerichte ziehen die Un-
ternehmen zur Verantwortung für
die Schäden, die sie in der Gesell-
schaft anrichten.
„Ich denke, die Öffentlichkeit und
das Justizsystem werden gerade sehr
skeptisch gegenüber Big Pharma“, er-
klärte der renommierte Jura-Profes-
sor John Coffee von der Columbia-
Universität. Dabei sei die Opioid-Kri-
se ein noch viel größeres Thema als
Monsantos Roundup.
J & J ist vor allem für Babypuder
und Waschlotionen bekannt. Aber
der Konzern hat mit seiner Tochter
Janssen nicht nur eigene Opioid-halti-
ge Medikamente produziert, dessen
Rechte sie 2015 weiterverkauft hat. Er
hat auch Mohn in Tasmanien anbau-
en lassen. Auch heute noch produ-
ziert J & J ein Fentanyl-Pflaster – eines
der stärksten Schmerzmittel der
Welt, das eigentlich nur im Endstadi-
um von Krebs genutzt werden soll.


Kommentar Seite 27



Philip Morris und Altria


Tabakriesen vor Wiedervereinigung


Die Unternehmen könnten


nach einem Jahrzehnt wieder


zusammengehen. Gemeinsam


hätten die Firmen 200


Milliarden Dollar Börsenwert.


Katharina Kort New York


D


er Tabakkonzern Philip Mor-
ris International ist in Fusi-
onsgesprächen mit der Al-
tria Group. Das gab der weltweit
größte privatwirtschaftliche Herstel-
ler von Tabakprodukten am Diens-
tag bekannt.
Sollten die Verhandlungen erfolg-
reich sein, wäre das eine Wiederver-
einigung der beiden Konzerne –
mehr als zehn Jahre, nachdem sich
beide Firmen trennten. Altria blieb
dabei weitestgehend im amerikani-
schen Markt präsent und verkaufte
dort die Zigaretten etwa von Marlbo-
ro, Philip Morris und Chesterfield.
Philip Morris International über-

nahm den weltweiten Verkauf dieser
Marken.
Philip Morris erklärte am Dienstag,
dass bisher keine formelle Einigung
erzielt wurde und jede Transaktion
der Zustimmung des Verwaltungs-
rats, der Aktionäre und der Aufsichts-
behörden unterliege. Einige Analys-
ten und Investoren hatten jahrelang
für eine Widervereinigung plädiert,
um Philip Morris mehr Aufmerksam-
keit in den USA zu verschaffen.
Ein Zusammenschluss hätte gewal-
tige Dimensionen: Philip Morris hat-
te zuletzt einen Börsenwert von
rund 121 Milliarden Dollar, Altria
brachte es auf gut 97 Milliarden. An
der Börse sorgte die Nachricht für
starke Kursbewegungen: Während
die Aktien von Philip Morris mit Ver-
lusten reagierten und zuletzt gut vier
Prozent im Minus notierten, legten
die Papiere von Altria um mehr als
zehn Prozent zu.
Zuletzt hatten beide Unternehmen
vor allem in westlichen Ländern un-

ter einer sinkenden Nachfrage gelit-
ten. Die Erwachsenen rauchen dort
weniger, die Jüngeren greifen immer
öfter zu den elektronischen „Va-
pe“-Zigaretten. Aus diesem Grund
hatte Altria im vergangenen Jahr 12,
Milliarden Dollar für 35 Prozent an
der Firma Juul Labs investiert. Juul
ist in den USA führend unter den
E-Zigaretten.
Auch Philip Morris International
ist bei E-Zigaretten aktiv und hat mit
Iqos und Solaris zwei eigene Marken
im Portfolio. Iqos gibt es bereits in
48 Ländern, während Solaris bisher
nur in Spanien und Israel auf dem
Markt ist.
Altria besitzt mit Ste. Michelle Wi-
ne Estates eine Weinmarke, die über
verschiedene Weingüter verfügt. Au-
ßerdem hält das Unternehmen Antei-
le an dem weltgrößten Brauerei-Kon-
zern Anheuser-Busch Inbev und hat
zuletzt angekündigt, sich an dem
Cannabis-Hersteller Cronos Group zu
beteiligen.

Zigarette: Die Nach-
frage nach Tabakpro-
dukten sinkt.

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Unternehmen & Märkte
MITTWOCH, 28. AUGUST 2019, NR. 165


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