Handelsblatt - 28.09.2019

(Axel Boer) #1

Lidar


Ultraschall


Kameras


3D/Stereo


Mono


360°


Radar


Die Komponenten


Vorteile:
Können im Nah- und Fernbereich Geschwindigkeit und Entfernung mehrerer Objekte bestimmen.
Radare funktionieren zu allen Licht- und Witterungsverhältnissen. Technik ist erprobt.

Nachteile:
Keine visuelle Objekterkennung. Zu geringe Reichweite.

Vorteile:
Liefert höher aufgelöste Umgebungsdaten als Radar. Lidar kann Verkehrszeichen, Fahrbahn-
markierungen und Bewegungen erkennen. Datenmenge ist kleiner als bei Kamera.

Nachteile:
Sensibles Bauteil. Teurer als Radar. Funktioniert bei Nebel nur eingeschränkt.
Begrenzte Reichweite. Visuelle Objekterkennung im Vergleich zur Kamera eingeschränkt.

Vorteile:
Sehr gut in der Entfernungsmessung im Nahbereich. Erprobtes und sehr günstiges Bauteil.

Nachteile:
Kann Entfernungen im Fernbereich nicht ermitteln. Keine visuelle Objekterkennung.

Vorteile:
Im Vergleich zu Radar und Lidar beste Objekterkennung.

Nachteile:
Entfernungen können mit Monokameras nicht und mit Stereokameras nur eingeschränkt
ermittelt werden. Es entstehen große Datenmengen. Bei schwachen Lichtverhältnissen,
im Nebel, Starkregen und Schnee liefern Kameras keine brauchbaren Daten.

Düsseldorf,
Hannover, Berlin, Aachen

I


n einer Garage auf dem Ge-
lände der Freien Universität
Berlin steht ein alter silberfar-
bener VW Passat, der wohl
einzigartig in Deutschland ist.
Von Weitem fällt der Kombi, Baujahr
2006, nur durch eine ungewöhnliche
Konstruktion auf dem Dach auf. Nä-
hert man sich dem Fahrzeug, wird
aber ein ganzes Sammelsurium an
Radaren, Kameras, Lidar-Lasern,
GPS-Empfängern und Ultraschallsen-
soren sichtbar. Im Kofferraum verar-
beitet ein leistungsstarker Rechner al-
le Sensordaten. Ein Forscherteam
unter Leitung der FU-Professoren Da-
niel Göhring und Raul Rojas hat die
Sensoren und Prozessoren in den
Wagen eingebaut.
Die Technik sorgt dafür, dass der
alte VW mit dem Namen „MadeIn-
Germany“ beschleunigt, bremst und
lenkt, ohne dass ein Mensch eingrei-
fen muss. Göhrings Passat ist ein
hochautomatisiertes Roboterauto –
die Vorstufe zum autonomen Fahren.
Das Verkehrsbild und die Art, wie
wir uns fortbewegen, könnte sich mit
Roboterautos grundlegend verän-
dern. Wir müssten unsere Zeit nicht
mit der Steuerung eines Autos ver-
schwenden. Die Fahrzeugauslastung
könnte gesteigert, Staus könnten ver-
mieden, die Zahl der Unfälle und der
Abgasausstoß könnten gesenkt wer-
den – oder anders gesagt: Roboterau-
tos sind die Komplettlösung.
Unternehmen stecken Milliarden
in die Entwicklung autonomer Fahr-
zeuge. Einer UBS-Studie zufolge
könnte der Markt für das autonome
Fahren bis 2030 auf ein Volumen von
zwei Billionen US-Dollar anwachsen.
Ausgebrochen war die Roboterau-
to-Euphorie 2005, als ein Forscher-
team der Stanford University unter
Leitung des deutschen Professors Se-
bastian Thrun mit einem modifizier-
ten VW Touareg die DARPA Grand
Challenge gewann. Bei dem Wettbe-
werb mussten Fahrzeuge eine Strecke
von knapp 213 Kilometern durch die
Wüste Nevadas selbstständig bewälti-
gen. Noch ein Jahr zuvor kapitulier-
ten die besten Testfahrzeuge bereits
nach weniger als zwölf Kilometern.
Euphorisiert von dieser Entwick-
lung dachten viele, dass Autos schon
in naher Zukunft ohne menschliche
Fahrer auskommen würden. Doch
Forscher in Unternehmen und Uni-
versitäten auf der ganzen Welt stie-
ßen auf neue technische Herausfor-
derungen. Mittlerweile sind sich Ex-
perten weitgehend einig, dass
vollautomatisierte Roboterautos erst
in ferner Zukunft über die Straßen
fahren werden – wenn überhaupt.
Beim autonomen Fahren wird
zwischen fünf Levels unterschieden.
Level 5 ist die höchste Autonomie-
stufe und bedeutet, dass die Maschi-
ne alle Fahrentscheidungen über-
nimmt. Der Mensch ist nur noch
Passagier.
Level-1- und Level-2-Fahrzeuge sind
bereits serienreif. Erst einige Jahre
nach dem Wettbewerb in der Wüste
Nevadas kamen Fahrzeuge mit Le-
vel 3 auf den Markt. Audi bewirbt sei-
ne Luxuslimousine A8 als erstes Seri-
enfahrzeug, dass dieses Level er-
reicht hat. Tesla macht keine
Level-Angaben, Experten sprechen
aber auch hier von Level-3-Fahrzeu-
gen. Die Google-Tochter Waymo, das
Fahrdienstunternehmen Uber , die
Zulieferer Bosch sowie Continental
und Mobilitäts-Start-ups in San Fran-
cisco und China experimentieren mit
Fahrzeugen, die laut eigenen Anga-
ben an Level 4 kratzen.

Doch was müssen Roboterautos
leisten, welche Komponenten benö-
tigten sie und welche Rolle spielt da-
bei die Künstliche Intelligenz?

Level 1: Das assistierte
Fahren
Auf der ersten Autonomiestufe wird
der Fahrer von Assistenzsystemen
unterstützt, beispielsweise von einem
Abstandsregelautomaten (ACC). Im
Gegensatz zum herkömmlichen Tem-
pomat kann ein ACC einen bestimm-
ten Abstand zum vorausfahrenden
Auto halten. Das Fahrzeug beschleu-
nigt und bremst selbstständig. Auch
die Hinderniserkennung im toten
Winkel ist eine Level-1-Funktion.
Nah- und Fernbereichsradare er-
möglichen die erste Stufe der Auto-
nomie. Mit ihnen lassen sich Ge-
schwindigkeit und Entfernung meh-
rerer Objekte bestimmen. Radare
haben den Vorteil, dass sie zu allen
Licht- und Witterungsverhältnissen
brauchbare Daten liefern. Allerdings
sinkt die Auflösung der Daten ab Ent-
fernungen von über 300 Metern – zu
wenig für das autonome Fahren. Bei
einem Überholvorgang auf der Land-
straße muss der Fahrer meist über
500 Meter weit vorausschauen kön-
nen. Ein weiterer Nachteil des Radars
ist die schwache visuelle Objekt -
erkennung, etwa bei Schildern, Am-
peln oder der Straßenführung. Ein
ACC kann weder auf Geschwindig-
keitsbegrenzungen reagieren, noch
den Fahrer warnen, wenn er die
Fahrspur verlässt.

Level 2: Das teilautomati-
sierte Fahren

Erst ab Level 2 können Fahrerassis-
tenzsysteme Objekte erkennen. Da-
für benötigen sie neben Radaren eine
Monokamera mit einer einfachen Ob-
jekterkennungssoftware, die auf re-
gelbasierten Algorithmen basiert. Ei-
ne KI ist für Level 2 nicht nötig.
Spurhalteassistenten nutzen die
zweidimensionalen Bilddaten der
Monokamera. Die Kombination aus
Radar und Kamera ermöglicht teilau-
tomatisiertes Fahren in Stausituatio-
nen. Das Fahrzeug kann zudem Ge-
fahrenbremsungen durchführen.
Mithilfe von Ultraschallsensoren kön-
nen sich Level-2-Fahrzeuge selbst-
ständig in Parklücken manövrieren.
Die Ultraschallsensoren scannen den
Nahbereich ab, die Monokamera
hilft bei der Objekterkennung und
somit bei der Planung des Parkvor-
gangs. Alle Level-2-Funktionen sind –
bis auf den Parkassistenten – auf die
Längsführung beschränkt. Lenkent-
scheidungen können diese Autos
nicht treffen.

Level 3: Das bedienungsau-
tomatisierte Fahren
Während auf Level 1 und Level 2 der
Fahrer unterstützt wird, erreichen
Level-3-Fahrzeuge die Schwelle zum
automatisierten Fahren. „Level 3 be-
deutet, dass man auf einer Autobahn
längere Zeit die Hände vom Lenkrad
nehmen kann und der Fahrer nur in
Problemfällen eingreifen muss“, sagt
FU-Professor Göhring. Die Fahrzeuge

sind nun auch in der Lage, Spur-
wechsel vorzunehmen.
Drei zusätzliche Komponenten
sind dafür nötig: Stereokameras, Li-
dar und KI. Stereokameras haben
zwei Linsen und liefern im Gegensatz
zur Monokamera dreidimensionale
Bilddaten. Dadurch lassen sich auch
über Bilddaten Abstände zu Objekten
ermitteln.
Lidar ist die Abkürzung für „Light
Detection and Ranging“ und eine Art
„Laserradar“. Dabei werden statt
Funkwellen Laserstrahlen ausgesen-
det, deren Reflexion ein dreidimen-
sionales Lichtbild ergibt. Lidar liefert
gegenüber Radaren höher aufgelöste
Daten. Es kann Verkehrszeichen,
Fahrbahnmarkierungen und Bewe-
gungen – beispielsweise von Passan-
ten – erkennen. Im Vergleich zur Ka-
mera liefert ein Lidar auch nachts
brauchbare Daten. Lidar ist das Bin-
deglied zwischen Radar und Kamera
und gewinnt im Bereich des autono-
men Fahrens an Bedeutung, seit die
Preise dafür sinken.
Ohne Lidar-Daten müsste sich das
Roboterauto einen Großteil der Um-
gebung mit dem Kamerasystem er-
schließen. Die Software der Kamera
müsste deutlich mehr leisten als der-
zeit möglich, und die zu verarbeiten-
de Datenmenge wäre größer, da Ka-
merabilder mehr Speicherplatz bean-
spruchen als Lidar-Bilder.
Besonders stark steigen bei Level-
3-Fahrzeugen die Anforderungen an
die sogenannte ADCU, die Kontroll-
einheit. Sie besteht aus der Rechner-

Autonomes Fahren


Das Roboterauto auf


dem Seziertisch


Autos sollen künftig mit Hilfe von Radar, Lidar, Kameras und KI


ohne menschliche Fahrer auskommen. Die Hürden sind hoch.


Kay Talmi, Geschäfts-
führer Hella Aglaia:
„Ab Level 3 und Level
3+ gehe ich davon
aus, dass eine KI Sinn
machen würde.“

Hella Aglaia

Digitale Revolution
MITTWOCH, 28. AUGUST 2019, NR. 165

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