Handelsblatt - 28.09.2019

(Axel Boer) #1

„Wir betonen immer,


dass unsere Geldpolitik


datenabhängig und nicht


marktabhängig ist.“


Luis de Guindos, Vizechef der Europäischen
Zentralbank (EZB)

„Wir sind an einem Punkt


angekommen, an dem es


ohne einen Beitrag der


Belegschaft nicht gehen wird.“


Stefan Dräger, Chef des Medizintechnikherstellers
Drägerwerk, will wegen der schwachen
Ergebnisentwicklung die Personalkosten senken.

E


s ist gerade einmal ein halbes Jahr her, dass die
EU-Wettbewerbskommission unter Führung von
Margrethe Vestager den Fusionsplan von Sie-

mens Mobility und Alstom Transportation stoppte. Die


beiden europäischen Bahntechnikkonzerne hatten ih-


ren Zusammenschluss unter anderem damit begründet,


sich gegen den riesenhaften chinesischen Konkurren-


ten CRRC wappnen zu müssen. Denn der sei auf dem


Sprung in den europäischen Markt. Bei Signaltechnik


und Hochgeschwindigkeitszügen sah die Kommission


aber keine Gefahr. Ein Grund für Vestager, die Fusion


zu untersagen.


Nun übernimmt eine Tochtergesellschaft der CRRC


den kleinen Lokomotivbauer Vossloh in Kiel. An sich


keine allzu aufregende Sache, zumal sich Dieselloks


schon seit einiger Zeit kaum noch verkaufen lassen.


Vossloh Locomotives war eher ein Ladenhüter. Doch


der kleine Deal könnte große Wirkung entfalten. Dann


nämlich, wenn es CRRC schafft, aus Kiel einen Brücken-


kopf zu machen, um Europas verschlossene Eisenbahn-


märkte aufzurollen.


CRRC kauft im schlimmsten Fall nur das Know-how
ein, wie man Eisenbahnfahrzeuge in Deutschland,
Frankreich und wo auch immer in Europa zugelassen
bekommt. Aber das ist entscheidend für den Erfolg. All-
zu oft haben die Chinesen schon erfahren müssen, dass
es auf dem alten Kontinent nicht so einfach ist, eine
Lok oder womöglich einen Hochgeschwindigkeitszug
zu verkaufen. Zuletzt scheiterte CRRC mit dem ambitio-
nierten Vorhaben, für die private österreichische West-
bahn gleich einige Dutzend Züge zu bauen.
Aber die Übernahme des Kieler Vossloh-Werks zeigt,
dass die Chinesen geschickt zweigleisig vorgehen. Was
die EU-Kommission im Fusionsfall Siemens-Alstom of-
fenbar noch gar nicht auf dem Schirm hatte. Wenn
CRRC auf Anhieb schon keine Züge aus chinesischer
Produktion in großem Stil loswird, dann kaufen sich die
Lokbauer aus dem fernen Osten eben eine Firma in
Europa, die das Bahngeschäft beherrscht.
Die EU lag bei ihrer Entscheidung gegen den deutsch-
französischen Eisenbahnchampion nicht falsch, aber
die Entwicklung war eben nicht zu Ende gedacht. Und
sie hängt auch von Zufällen ab. So viele Lok- und Wag-
gonhersteller stehen nun mal nicht zum Verkauf. Schon
wird diskutiert, ob sich CRRC auch um die angeschlage-
ne polnische Pesa bemühen wird. Das wäre der schnel-
le Durchbruch für die Chinesen, so wie es der geschei-
terte Kauf von Skoda Transportation vor zwei Jahren in
Tschechien gewesen wäre. Nun geht es also etwas lang-
samer voran. Denn Kiel kann bislang nur Dieselloks.
Noch. Die Strategie ist jedenfalls eindeutig: CRRC lässt
sich nicht aufhalten.

Bahnindustrie


Brückenkopf Kiel


Der Angriff aus China kommt.
Auch wenn die EU das nicht
glauben mag. Bis der Drache
gefährlich wird, dauert es aber
noch, sagt Dieter Fockenbrock.

Der Autor ist Chefkorrespondent im Ressort
Unternehmen & Märkte. Sie erreichen ihn unter:
[email protected]

Der Kauf


des Werks


von


Vossloh


zeigt,


dass die


Chinesen


geschickt


zweigleisig


vorgehen.


Gewos, Bloomberg, Drägerwerk AG & Co. KGaA

Johnson & Johnson


Zahlen, nicht


mitfühlen


D


as jüngste Urteil gegen
Johnson & Johnson ist erst
der Anfang. Mehr als eine
halbe Milliarde Dollar soll der Kon-
zern in Oklahoma dafür zahlen,
dass er süchtig machende Schmerz-
mittel verharmlost und damit die
Opioid-Epidemie mit verursacht
hat. Weitere Urteile werden folgen.
Es ist gerade einmal eine Woche
her, dass die CEOs der größten US-
Unternehmen erklärt haben, Unter-
nehmen sollten nicht mehr in ers-
ter Linie ihren Aktionären und da-
mit dem Profit verpflichtet sein,
sondern auch anderen Stakehol-
dern sowie der Gesellschaft. Auch
Johnson & Johnsons CEO war einer
der Unterzeichner.
Gerade in der Opioid-Krise haben
die Unternehmenslenker nun Gele-
genheit zu beweisen, dass sie es
ernst meinen mit ihren schönen
Worten. Wie sich vor allem die
Pharmaunternehmen bei Opioiden
verhalten haben, war dagegen Pro-
fitgier in Reinstform: Wider besse-
res Wissen wurden Medikamente in
den Markt gedrückt und von den
Ärzten auch verschrieben, die in-
nerhalb kürzester Zeit süchtig ma-
chen. Die Menschen sind oft später
auf Schwarzmarktrezepte umgestie-
gen oder direkt auf Heroin. Der
Schaden für die Gesellschaft ist
enorm. Allein im vergangenen Jahr
sind 68 000 Menschen an Überdo-
sis gestorben. Die Epidemie hat Fa-
milien zerrissen und Gemeinden
zerstört.
Da ist es richtig, die Unterneh-
men in die Pflicht zu nehmen, für
gesellschaftlichen Kosten aufzu-
kommen, die sie mit verursacht ha-
ben. Sonst droht die perverse Ent-
wicklung, dass die Pharmaunter-
nehmen erneut an der Sucht
verdienen, die sie ausgelöst haben.
Etwa durch Medikamente gegen
Überdosis oder Präparate für den
Entzug: In der Praxis hieße das, ei-
ne Droge gegen die andere auszu-
tauschen. Das mag in einigen Fällen
durchaus sinnvoll sein, wie die Me-
thadon-Programme zeigen. Aber
dafür sollten dann die Verursacher
zahlen und nicht wieder die Gesell-
schaft. Das „Mitgefühl“, das John-
son & Johnson kommuniziert, heilt
keine Sucht.

In den USA wird Big Pharma zur
Verantwortung gezogen. Das ist
vor allem in der Opioid-Krise
richtig so, meint Katharina Kort.

Die Autorin ist
US-Korrespondentin.
Sie erreichen sie unter:
[email protected]

Unternehmen & Märkte


MITTWOCH, 28. AUGUST 2019, NR. 165


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