Handelsblatt - 28.09.2019

(Axel Boer) #1
Michael Maisch, Mathias Peer
Frankfurt, Bangkok

A


ls mittelständische Ge-
nossenschaftsbank kann
man vielleicht nicht mit
E-Commerce-Riesen wie
Amazon mithalten, aber man kann
sich eine Menge abschauen und da-
raus eigene Geschäftsmodelle entwi-
ckeln. Wie das funktioniert, zeigt die
Volksbank Ortenau. Die badische Ge-
nossenschaftsbank unter Führung
von Markus Dauber hat sich mit ei-
ner Technologiefirma zusammenge-
tan und sich eine attraktive Nische
gesucht.
Das Ergebnis ist ein Unternehmen
namens N1 Trading, das elektroni-
sche Marktplätze rund um das The-
ma standardisierte Baustoffe bietet:
Zement, Bitumen, Dämmstoffe,
Schüttgüter wie Sand und Kies. Das
Geldhaus profitiert vor allem durch
die hinter der Plattform stehenden
E-Commerce-Bezahllösungen. „Wir
versuchen mit der N1 Trading ein
Plattform-Ökosystem in einer Bran-
che aufzubauen, deren Vertriebspro-
zesse noch einen relativ geringen Di-
gitalisierungsgrad aufweisen“, erläu-
tert Dauber den Ansatz.
N1 Trading ist nur ein Beispiel für
den Vorstoß der Volksbank in die
Plattformökonomie. Die Volksbank
betreibt ein regionales Immobilien-
portal und bietet mit ihrem Tochter-
unternehmen First Cash Solution ei-
gene regionale Bezahl- und Gut-
scheinkartenlösungen. Damit
wurden Dauber und seine Bank zu ei-
nem der Vorreiter in Sachen Digitali-
sierung im Lager der Genossen-
schaftsbanken.
Am anderen Ende der Größenskala
der Bankenbranche versucht sich
auch die Deutsche Bank am Wandel
in Richtung Plattformökonomie. Für
Markus Pertlwieser, Digitalchef des
Privatkundengeschäfts des größten
heimischen Geldhauses, ist klar: Die
Plattformökonomie wird die gesamte
Bankenlandschaft umwälzen. „Das
Thema Plattformen ist für Banken ei-
gentlich alternativlos“, meint auch
Markus Strietzel, Senior-Partner der
Unternehmensberatung Roland Ber-
ger. Angesichts der Aussicht auf noch
negativere Leitzinsen der Europäi-
schen Zentralbank werde es für die
Geldhäuser noch wichtiger, ihre Pro-
visionseinnahmen zu stärken, und
dafür seien Plattformen ein wichtiges
Instrument. „Außerdem helfen Platt-
formangebote, die Kunden zu bin-
den“, betont Strietzel – besonders
wichtig in einer Zeit, in der die gro-
ßen Internetkonzerne immer stärker
in den Bereich der Finanzdienstleis-
tungen vorstoßen.

Konservative Banken


Umso erstaunlicher findet es Striet-
zel, dass noch nicht allzu viele Ban-
ken Plattforminitiativen gestartet
haben. „Viele Institute denken noch
immer sehr traditionell“, konsta-
tiert der Berater. Dabei drängt die
Zeit, wie ein Blick auf andere Bran-
chen zeigt, die die Digitalisierung
komplett umgekrempelt hat. So
verkaufen Fluggesellschaften heute
viele Flüge nicht mehr direkt, statt-
dessen läuft der Vertrieb über Platt-
formen wie Opodo oder Kayak. Da-
ten von Roland Berger stützen die-
se Analyse. Bei der Produkten für
Privatkunden verfügen Plattformen
demnach bereits über signifikante
Marktanteile, die in Summe mehr
als 30 Prozent des Neugeschäfts
ausmachen – mit schnell wachsen-
der Tendenz. Einen ähnlichen
Trend erwartet Roland Berger auch
im Geschäft mit Unternehmenskun-

den, vor allem wenn es um kleinere
und mittlere Firmen geht.
Das gilt nicht nur für Deutschland.
Egal ob Ananas-Verkäufer in Mumbai
oder Tante-Emma-Laden in Neu-De-
lhi: Die Probleme von kleinen und
mittelständischen Unternehmen im
Umgang mit Banken sind in Indien
oft die gleichen. Ein Geschäftskonto
zu bekommen kann mehrere Monate
dauern. Bis dann auch noch der erste
Kredit genehmigt wird, ist schnell ein
halbes Jahr vergangen. Lange Bear-
beitungszeiten und mangelnde
Transparenz über die Dauer der Ver-
fahren sind die größten Hindernisse
für die Kundengruppe im Umgang
mit den Geldinstituten, wie eine Um-
frage der Boston Consulting Group
(BCG) ergibt. Die Bürokratie sorgt da-
für, dass Kleinunternehmer die Ban-
ken oft komplett meiden. Kredite
würden stattdessen zu überhöhten
Zinsen aus informellen Quellen be-
schafft, heißt es in der BCG-Studie.
Eine neue Plattform soll Abhilfe
schaffen: ICICI, Indiens größte priva-
te Bank, startete im Sommer ihr digi-
tales Portal InstaBiz, das sich explizit
an kleine bis mittlere Firmen wendet.
Die Plattform verspricht etwa Dispo-
kredite per App und eine Beglei-
chung der Mehrwertsteuer GST in
Echtzeit. Insgesamt 115 Dienstleistun-
gen seien in dem Angebot gebündelt,

erläutert der zuständige Manager
Pankaj Gadgil. „Filialbesuche lassen
sich so eliminieren“, verspricht er.
Die digitalen Geschäftsmodelle der
Banken bauen in den Schwellenlän-
dern vor allem auf der stark gestiege-
nen Verbreitung von Smartphones
auf. In Indien gab es die Geräte laut
BCG bei den kleinen und mittelgro-
ßen Firmen 2015 nur in 45 Prozent
der Betriebe, 2018 bereits in 85 Pro-
zent. Auch in anderen Ländern der
Region sehen Banken immense
Wachstumsmöglichkeiten mithilfe
von Smartphone-Angeboten: Thai-
lands größtes Kreditinstitut, die Siam
Commercial Bank, rechnet damit,
dass sich ihr Geschäft mit der mobi-
len Kreditvergabe in diesem Jahr fast
verachtfachen wird – auf ein Volu-
men von fast 600 Millionen Dollar.
„Digitale Angebote werden der
Schlüssel für unser Wachstum und
unser Überleben sein“, sagte die zu-
ständige Managerin Apiphan Charoe-
nanusorn kürzlich.
Einig sind sich die Experten, dass
eine Bank allein in der Regel nicht alle
Finanzbedürfnisse ihrer Kunden ab-
decken kann. Erfolgreiche Plattfor-
men müssen deshalb Angebote von
Drittanbietern integrieren. So hat die
Deutsche Bank einen „Zinsmarkt“ge-
startet, bei dem Anleger Festgeldan-
gebote anderer Anbieter nutzen kön-

nen. Und an das Firmenkundenportal
Blueport sind mehrere Finanz-Start-
ups angebunden.
Die Apotheker- und Ärztebank geht
noch einen Schritt weiter. Sie startete
im Juni eine Plattform mit Dienstleis-
tungen Dritter aus dem Gesundheits-
markt. „Univiva“ heißt das Projekt.
Das Angebot richtet sich an die rund
4 50 000 Apobank-Kunden und weite-
re Ärzte sowie Apotheker in Deutsch-
land. Zunächst soll sich die Plattform
auf die Vermittlung von Fortbildun-
gen, Workshops und Seminaren für
die Heilberufler konzentrieren. Über
die eigens gegründete Tochter „Na-
ontek“ sollen die Mitglieder alles
rund um die angebotenen Veranstal-
tungen buchen und organisieren
können: von der Anreise, über die
Hotelübernachtung bis hin zur Ver-
waltung der Veranstaltungen. Damit
will die Apobank die Kunden enger
an sich binden und auf Dauer eine
neue Ertragsquelle außerhalb des
klassischen Bankgeschäfts aufbauen.
Bislang kassiere Univiva keine Ver-
mittlungsgebühr, erläutert eine Spre-
cherin der Bank. Aber perspektivisch
will die Apobank den Gesundheits-
markt zur zweiten Säule des Ge-
schäfts aufbauen. Als nächste Schritte
kann sich das Geldhaus zum Beispiel
eine Jobbörse oder eine Börse für die
Praxisnachfolge vorstellen.

Serie: Die Zukunft der Finanzbranche


Das große Vorbild


Amazon


Um ihre Kunden nicht an neue Konkurrenten zu verlieren, wagen


immer mehr Banken den Sprung in die Plattformökonomie.


Das Handelsblatt
beleuchtet in dieser
Serie Megatrends,
die Banken, Ver-
mögensverwalter und
Versicherer in den
kommenden Jahren
prägen werden. Durch
die Digitalisierung
steht die gesamte
Finanzbranche vor
einem tief greifenden
Strukturwandel.

Im nächsten Teil
geht es um die
Frage, wie die Krypto-
währung Libra die
Finanzwelt verändern
könnte.

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[M] Fanatic Studio/Science Pholo L

Finanzen & Börsen
MITTWOCH, 28. AUGUST 2019, NR. 165

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