Handelsblatt - 28.09.2019

(Axel Boer) #1

Frank M. Drost Berlin


V


iele Kunden haben sich
daran gestört, viele Ban-
ken fanden sie überflüs-
sig. Es geht um die Auf-
zeichnungspflicht tele-
fonischer Gespräche über den Wert-
papierkauf zwischen Kunde und Be-
rater, die die EU mit neuen Vorschrif-
ten für besseren Anlegerschutz
namens Mifid II seit Anfang 2018 ver-
langt. Doch angesichts der „bürokra-
tischen Erfordernisse“ verzichteten
immer mehr Kunden darauf, telefo-
nische Orders aufzugeben, und führ-
ten damit den beabsichtigten Anle-
gerschutz ad absurdum, kritisieren
Bankenverbände.
Das Bundesfinanzministerium
(BMF) hat sich diese Kritik jetzt zu ei-
gen gemacht. Die Bundesregierung
werde sich nun in Brüssel dafür ein-
setzen, dass die Telefonaufzeich-
nungspflicht künftig entfalle, wenn
die Kunden selbst darauf verzichten
wollten, erklärte Staatssekretär Jörg
Kukies in Berlin. Kleinanleger müss-

ten allerdings über die Risiken aufge-
klärt werden. Schließlich können sie
im Falle einer Falschberatung diese
dann nicht mehr nachweisen. Die Fi-
nanzaufsicht Bafin stärkt der Bundes-
regierung dabei den Rücken: „Wir
hatten schon anfangs Bedenken zu
der Vorgabe, dass Banken Telefonge-
spräche mit Kunden aufzeichnen
müssen“, sagte Bafin-Präsident Felix
Hufeld in einem Interview.
Geht es nach der Bundesregie-
rung, sollen zudem bei Wertpapier-
geschäften per Telefon die Kosten
auch nachträglich übermittelt wer-
den können. Bei zeitkritischen Ge-
schäften könne die aktuelle Vorgabe,
über Kosten vorab zu informieren, zu
Problemen führen, sagte Kukies.
Der Verzicht auf die Telefonauf-
zeichnung und die nachträgliche Kos-
teninformation sind Forderungen,
mit denen die Bundesregierung auf
die EU-Kommission in Brüssel zuge-
hen will. EU-weit soll die EU-Finanz-
marktrichtlinie Mifid II für mehr An-

legerschutz sorgen. Im kommenden
Jahr will die Kommission das umfang-
reiche Regelwerk noch einmal unter
die Lupe nehmen. Dafür hat das BMF
eine Konsultation unter Verbänden
gestartet und erste Ergebnisse jetzt
vorgestellt.
Staatssekretär Kukies sprach von
einem „enormen Rücklauf “. Rund 50
Verbände und Privatanleger aus dem
In- und Ausland hätten sich dazu ge-
äußert. „Es gibt keinen umfassenden
Bedarf für eine Deregulierung“, stell-
te Kukies klar. Doch auch wenn das
Projekt Mifid II nicht an sich infrage
gestellt werde, werde in einigen
Punkten „deutlicher Überarbeitungs-
bedarf “ gesehen.
So plädiert die Bundesregierung
auch dafür, dass für professionelle
Anleger die Informationspflicht bei
Wertpapiergeschäften künftig nicht
mehr gelten soll. Sie sollen freiwillig
darauf verzichten können.
Mifid II sieht vor, dass Anbieter ei-
nen Zielmarkt für ihre Produkte defi-

EU-Anlegervorschriften Mifid II


Brüssel soll Richtlinie


nachbessern


Bundesregierung kämpft vor allem gegen die


EU-Aufzeichnungspflicht bei telefonischer Anlageberatung.


Aktienorder
per Telefon?
Die Regierung
plädiert für
Erleichterungen.

mauritius images / Wavebreakmedia

Cyberkriminalität


Hohe Schäden


durch die


Chef-Masche


Carsten Herz Frankfurt


E


s ging ganz schnell. Die E-Mail
wirkte seriös – und sah aus,
als ob sie direkt vom Chef kä-

me. Die Mitarbeiter mögen sich bitte


mit dem Anwalt Michael Meyer in


Verbindung setzen, um eine Über-


weisung von rund 4,8 Millionen Dol-


lar abzuwickeln, wies der Absender


die Kreditorenbuchhaltung der US-


Softwarefirma Medidata an. Nach


Rücksprache mit zwei Managern, die


die Transaktion abnickten, überwies


eine Mitarbeiterin später die Summe


auf ein Konto in China. Das Geld er-


reichte jedoch niemals einen Ge-


schäftspartner, sondern verschwand


spurlos – denn es waren raffinierte


Betrüger am Werk.


„Fake President“ wird diese Ma-


sche genannt, mit der Cyberkriminel-


le weltweit Unternehmen ausneh-


men. Neben dem „Fake Presi-


dent“-Trick, also dem falschen Chef,


häuften sich in den vergangenen Jah-


ren auch der Besteller- („Fake Identi-


ty“) und der Zahlungsbetrug („Pay-


ment Diversion“). Allein in Deutsch-


land geht der Schaden in die


Abermillionen, wie eine am Dienstag


vorgestellte neue Studie des Kredit-


versicherers Euler Hermes aufzeigt.


Nach dessen Analyse führten diese


drei Spielarten des Internetbetrugs


bei vorwiegend deutschen Unterneh-


men sowie deren ausländischen


Tochtergesellschaften seit 2014 zu


Schäden von insgesamt über 190 Mil-


lionen Euro.


Mitarbeiter sensibilisieren


Das einzige wirklich wirksame Ge-


genmittel, um den Betrug zu verei-


teln, sind oftmals nur gesunder Men-


schenverstand und eine angelernte


Vorsicht bei den Mitarbeitern. Wenn


Firmen ihre Mitarbeiter für die Be-


trugsmasche sensibilisieren, haben


es die Verbrecher schwerer.


Jeder ungewöhnliche Sachverhalt


sollte mit gesundem Menschenver-


stand betrachtet werden, rät der Ban-


kenverband in einer Mitteilung an die


Unternehmen. Auch eine offene Un-


ternehmenskultur hilft beim Schutz


gegen solche Vorfälle. Sollte einem


Mitarbeiter etwas Ungewöhnliches


auffallen, müssen Rückfragen bis hin


in die Spitzenebene möglich sein.


Denn allzu oft kommen die Betrüger


mit der Chef-Masche durch. Anwei-


sungen von oben zu hinterfragen wa-


gen nicht alle Mitarbeiter.


Auch ein genauer Blick auf die Ab-


senderadresse der E-Mail und das


Herkunftsland der abgeschickten


elektronischen Post lohnt in vielen


Fällen. Wird in Unternehmen


grundsätzlich eine Signatur benutzt,


so ist auch diese ein guter Anhalts-


punkt, weil es schwerfällt, diese ge-


nau zu kopieren.


Das Bundesamt für Sicherheit in


der Informationstechnik empfiehlt,


Mitarbeiter systematisch für solche


Fälle zu schulen. „Zahlungsprozesse


können so angelegt werden, dass


einzelne Person nicht ohne Weiteres


hohe Summen ins Ausland überwei-


sen können“, sagte vor einiger Zeit


BSI-Chef Arne Schönbohm. Selbst


wenn der Vorstandsvorsitzende per


Mail eindringlich um Eile bittet. Bei


Medidata hat allerdings nicht einmal


das geholfen.


Private Geldanlage
MITTWOCH, 28. AUGUST 2019, NR. 165

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