Psychologie Heute - 09.2019

(coco) #1

Herr Renz-Polster, wie kamen Sie als Kinderarzt
darauf, sich mit Rechtspopulismus zu beschäf-
tigen?
Ich habe in den letzten 15 Jahren vor allem wissen-
schaftlich rund um das Thema gearbeitet: Was brau-
chen Kinder zum gesunden Aufwachsen und wie
bilden sie ihre Stärken aus? Was, wenn das nicht ge-
lingt? Wo suchen sie später Halt? Da geht der Blick
mitten hinein in gesellschaftliche Rahmenbedingun-
gen und politische Versprechen. Meine Erkennt nisse
konnte ich in den letzten beiden Jahren am Beispiel
des Rechtspopulismus weiter ausarbeiten.
Was verstehen Sie unter Rechtspopulismus?
Da mischen sich Positionen aus dem rechten politi-
schen Spektrum mit einer populistischen Agenda,
die Abwehr von Fremden etwa wird mit einer Kritik
an den Eliten verbunden, die angeblich alles vermas-
seln. Für ihre Anliegen werben rechtspopulistische
Leader, indem sie auf die Gefühle der Menschen zie-
len – vor allem indem sie Ängste schüren. Die For-
schung ist sich einig, dass der Kern des Rechtspopu-
lismus der Autoritarismus ist. Und da sind wir bei
den Arbeiten der Frankfurter Schule rund um Theo-
dor W. Adorno. Die Frankfurter Schule sieht den
Autoritarismus als streng hierarchische Herrschafts-
form, die auf Befehl und Gehorsam ausgerichtet ist
und sich an eng gefassten Konventionen orientiert.
Autoritarismus beschreibt also die Neigung von Men-
schen, sich in ein geregeltes System von oben und
unten einzugliedern und gleichzeitig diejenigen ab-
zuwerten, die nicht in diese Ordnung gehören.
Diese Forschungen der Frankfurter Schule fan-
den ab den 1930er Jahren statt. Man wollte da-
mals wissen, wie es zur NS-Diktatur kommen
konnte. Gelten diese Erkenntnisse heute noch?
Natürlich. Und deshalb sollten wir uns fragen, war-
um der Autoritarismus noch immer – oder wieder



  • Aufwind hat. Ich bin sicher, dass Menschen, die
    Rechtspopulisten wie Donald Trump oder Parteien
    wie die Af D wählen, dies nicht tun, weil sie zu ein-
    fach gestrickt sind für kompliziertere Antworten.
    Besonders sollte uns zu denken geben: Diese neuen
    Rechten gewinnen ihre Anhänger nicht, obwohl sie
    pöbeln, prahlen und sich selbst überhöhen, obwohl
    sie gegen andere hetzen und Minderheiten abwerten

  • sondern genau deswegen.
    Hetzen und Pöbeln als Wahlprogramm, für wen
    ist das attraktiv?
    Führung und Gefolgschaft – diese Zweiteilung der
    rechtsautoritären Welt ist für viele attraktiv. Die Au-
    toritarismusforschung beschreibt den modernen
    Rechtspopulismus als Doppeldecker-Bus: Unten sit-


zen die Gefolgsleute, das sind die Wähler. Sie orien-
tieren sich an den vorgegebenen Normen, geben sich
konform oder sogar unterwürfig gegenüber der Füh-
rung, aber aggressiv gegenüber anderen, die „nicht
dazugehören“. Oben im Bus sitzen die autoritären
Anführer. Sie zeichnet das Streben nach Dominanz,
Überlegenheit und Kontrolle aus. Was beide eint –
oben und unten –, sind Abwertung und Vorurteile
gegenüber denen, die nicht zur eigenen Hierarchie
gehören. Das betrifft beispielsweise andere Ethnien.
Sie behaupten, dass die Erziehung eine Rolle
spielt. Welche Erziehung macht anfällig für den
Rechtspopulismus?
Das ist eine Erziehung, die den Kindern – als Bild
gesagt – keine Heimat gibt. Ich verstehe den Kern
des Rechtspopulismus als Ausdruck einer Suche nach
Orientierung und Sicherheit. Damit sind wir bei den
Grundthemen, die wir in der Kindheit verhandeln:
Habe ich eine Stimme oder werde ich nicht gehört?
Liegt die Kontrolle bei mir oder bin ich ausgeliefert?
Fühle ich mich hier zu Hause oder fremd?
Läuft alles gut, so nimmt das Kind sich als wohl-
aufgehoben und selbstwirksam wahr. Das gilt auch
für den späteren Erwachsenen, der solch ein seeli-
sches Fundament in jungen Jahren mitbekommen
hat. Jede Erziehung, die Kindern diese Basis von in-
nerer Sicherheit vorenthält, macht sie anfällig gegen-
über den Verheißungen des Rechtspopulismus: Make
America great again! Deutsche zuerst! Take back con­
trol! Diese Versprechen von Stärke, Bedeutung und
Zugehörigkeit zielen auf die Aufwertung des Selbst-
wertgefühls, aber auf Kosten der Abwertung anderer.
Meinen Sie eine autoritäre Erziehung?
Bei dem Begriff „autoritär“ schwingt ja das Gewalt-
tätige mit. Wir denken dabei oft an eine repressive,
strafende Kindererziehung, wie wir sie in Michael
Hanekes Film Das weiße Band sehen ...
... und diese Art der Erziehung ist hierzulande
inzwischen wohl eher die Ausnahme.
Glücklicherweise! Der Einstieg in das autoritäre
Lebensmuster ist aber viel breiter. Gefährdet sind
auch Kinder, denen es „nur“ an Anerkennung man-
gelt, die in ihrer Kindheit keine eigene Stimme ein-
üben konnten. Hörig wird auch, wer nicht gehört
wird. Gefährdet sind Kinder, die nicht das Gefühl
vermittelt bekommen haben, dass sie so in Ordnung
sind, wie sie sind. Auch diese Kinder werden durch
die Erziehung innerlich entwertet und verunsichert


  • und suchen dann später Wert und Sicherheit eher
    im Äußeren. Das sind alles Facetten einer autoritären
    Erziehung, ohne dass körperliche Gewalt im Spiel
    ist.


Herbert Renz-Polster
ist Kinderarzt und
assoziierter Wissen-
schaftler am Mann-
heimer Institut für
Public Health der
Universität Heidel-
berg. Im März 2019
erschien sein Buch
Erziehung prägt
Gesinnung. Wie der
weltweite Rechts-
ruck entstehen
konnte – und wie wir
ihn aufhalten können
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