Psychologie Heute - 09.2019

(coco) #1

PSYCHOLOGIE HEUTE 09/2019 15


Diese Hypothesen zur Entstehung des Rechts-
populismus sind alle richtig. Aber es gibt einen
Missing Link, ein fehlendes Glied in der Kette. Denn
nur manche reagieren auf einen Wandel mit der Flucht
ins Autoritäre. Er allein ist kein hinreichender Grund,
um gegen Einwanderer, Juden oder Homosexuelle
zu hetzen. Nur wenn wir die Kindheit mit berück-
sichtigen, schließt sich die Deutungskette. In der
Kindheit entsteht die Verletzlichkeit, die erst anfällig
macht für dieses rechte Denken. Insofern lässt sich
das Innen und das Außen bei diesem Thema nicht
trennen.
Warum keimt der Rechtspopulismus gerade jetzt
auf?
Ich sehe das als eine Reaktion auf eine unsicher ge-
wordene Welt, auf die Globalisierung mit ihren Fol-
gen, die Digitalisierung, die Umbrüche in der Ar-
beitswelt, die Verdichtung der Arbeit, die Verlagerung
von Macht auf anonyme Märkte. In diesem Prozess
haben sich die alten Kontroll- und Sicherungssyste-
me ein Stück weit aufgelöst: Die nationale Politik hat
an Gestaltungsmacht verloren, die Familie ist stärker
auf das ökonomische Funktionieren bezogen. Auch
die persönliche Absicherung ist im neoliberalen Mo-
dell viel stärker zu einer Sache der Eigeninitiative
geworden.
Damit stehen die alten Fragen laut im Raum: Wer
sichert mich? Wo ist mein Platz? Die Fragen werden
vor allem jene belasten, die in dem Globalisierungs-
prozess weniger gute Karten haben, die also weniger
f lexibel sind oder nicht über die von den globalen
Märkten angeforderten Spezialisierungen verfügen.


Und sie werden jene zu irrationalen Antworten ver-
führen, die innerlich über wenig Sicherheit und Ent-
wicklungsressourcen verfügen. Sie werden in die au-
toritäre Reaktion getrieben. Das Versprechen von
kleineren, vordergründig sichernden Einheiten und
klaren Grenzen ist da verlockend.
Was können wir tun? Wie sehen Kindheiten aus,
die uns eine innere Heimat geben?
Eine gelungene Kindheit wäre eine, die Kindern An-
erkennung und feste Bindungen bietet – eben eine
innere Heimat. Die es Kindern ermöglicht, einen
fürsorglichen Umgang zu erleben und auch mitein-
ander zu lernen. Eine Kindheit, in der Menschen ih-
re Stimme einüben können, in der sie selbstbewusst
werden. Eine Kindheit, in der gilt: Jedes Kind ist wert-
voll und jedes hat sein Recht auf Anerkennung.
Das wäre auch eine Kindheit, die Kinder nicht in
Konkurrenz zueinander schickt und damit einige
entwertet. Aber wie sieht der Alltag in unserem Schul-
system aus? Anerkennung und Auszeichnung bekom-
men dort vor allem jene, das zeigen die PISA-Ergeb-
nisse, die bereits vom Leben bestens ausgestattet sind


  • mit dem richtigen Elternhaus und den hauptfä-
    chertauglichen Talenten. Die anderen erleben eher
    Abwertungen, weil unser Bildungssystem auch aus-
    lesen soll. Die zentralen Fragen sind doch: Können
    wir uns das leisten? Haben Familien genügend Res-
    sourcen für die Fürsorge, die für gelungene Kindhei-
    ten nötig ist? Können sie unter den gegebenen Um-
    ständen ihren Kindern eine Heimat bieten? Und: wie
    können wir es ihnen leichter machen? PH
    INTERVIEW: SUSIE REINHARDT


Kon ikte sind in Familien keine Ausnahme, doch der
totale Bruch kommt für die meisten überraschend.
Mehrheitlich sind es erwachsene Kinder, die sich
von den Eltern oder auch von der gesamten Famlie
lösen. Die Psychotherapeutin Claudia Haarmann
zeigt Möglichkeiten zur Annäherung.

Wenn Kinder


einfach gehen


Wenn Kinder


einfach gehen


288 Seiten| € 22,00 [D] ISBN 978-3-466-34739-1Auch als E-Book erhältlich

http://www.koesel.de

Free download pdf