Psychologie Heute - 09.2019

(coco) #1

Aufschieben, äußert: Man wollte gerade die E-Mail
schreiben, da fällt einem ein, wie gut sich ein wenig
Zucker im Kaffee machen würde – und man steht
auf. Man kommt zurück, setzt sich hin und sinniert:
„Denkt die Kollegin jetzt, ich bin dumm? Bin ich
dumm? Was ist der Mensch? “
Wenn Gedanken und Impulse keinen Raum be-
kommen, werden sie einen nicht loslassen, und man-
che davon sind ja auch tatsächlich weit wichtiger als
jede E-Mail. Doch im Moment stören sie. Egal ob
einem die Lust auf Zucker oder das Wesen des Men-
schen durch den Kopf geht – man kann den Gedan-
ken oft fallenlassen, nachdem man ihn in ein Tage-
buch geschrieben hat, auf einen Zettel oder in eine
To-do-Liste. „Das führt dazu, dass ablenkende Im-
pulse ihren aufdringlichen Charakter verlieren, aber
auch nicht einfach unterdrückt, sondern berücksich-
tigt werden, ohne den Lern- oder Arbeitsprozess zu
sabotieren“, sagt Hans-Werner Rückert, Psychoana-
lytiker und Therapeut, der als langjähriger Leiter der
Studienberatung und psychologischen Beratungs-
stelle der Freien Universität Berlin viele Studierende
bei Arbeitsstörungen beraten hat. „Meistens geht es
ja nur darum, den Handlungsimpuls zu kontrollie-
ren, und wenn man dann mal drin ist, ist es gar nicht
so schlimm.“
Hat man sich überwunden und fängt an zu arbei-
ten, verf liegt die Unlust meistens. Im Extremfall des
Flows – ein Begriff aus der Motivationspsychologie



  • geht man völlig in seinem Tun auf und blendet
    links und rechts alles aus. Die gesamte Aufmerksam-
    keit ist so sehr auf eine Tätigkeit kanalisiert, dass
    man sein Zeitempfinden verliert und von Glücks-
    gefühlen ergriffen wird. Was man tut, geschieht wie
    von selbst. Allerdings komme dieser Zustand leider
    selten im Büro vor, sondern eher bei selbstgewählten
    Tätigkeiten wie Musik, Malen oder Sport, sagt Tilo
    Strobach. Die Konzentration sei dann eher ein Bei-
    werk des Flows, als dass sie selbst zum Flow führe.


Ohne Motivation kein Fokus
Laut Rückert sind Motivationsschwierigkeiten eines
der größten Hindernisse auf dem Weg zur Konzen-
tration – ob im Großen, wenn die Ziele unklar sind,
oder im Kleinen, wenn man überwältigt ist von dem
Berg an Aufgaben, der vor einem liegt. Daher findet
er es auch nicht per se falsch, was viele in solchen
Situationen tun, nämlich ein bisschen Tetris zu spie-
len. Die zehn Minuten, die man auf dem Display
herumtippt, gehen zwar von der Zeit ab, die man
sich konzentrieren kann, aber sie schaffen womöglich
ein Erfolgserlebnis. Und das wiederum motiviert da-
zu, dass man sich an die schwierige, eigentlich zu
bewältigende Aufgabe herantraut. Ein anderer Ansatz
ist, sich erst einmal einen Überblick darüber zu ver-
schaffen, was man in Erfahrung bringen will. Wer
zum Beispiel weiß, was er aus der Lektüre eines Tex-
tes ziehen will, der kann sich ihm selbstbewusst und

Wolken
beobachten:
Wer sich
konzentrieren
will, muss sich
entspannen
können
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